Mit dem Herannahen des Jahres 2000 erscheint überall das Wort Millennium. Das wirft Fragen auf hinsichtlich der Bedeutung dieses Begriffs in der biblischen Tradition, hinsichtlich seines Platzes in der Evolution der menschlichen Geschichte und seines potentiellen Einflusses auf die Gesellschaft. Zwar wird das Millennium manchmal mit dem Armageddon und mit sozialen und Umweltkatastrophen in Verbindung gebracht, doch das Wort selbst ist positiv und spiegelt die Hoffnung auf eine zukünftige Ordnung, auf Glück und Frieden.
Millennium bedeutet einfach „Jahrtausend". Der Ausdruck ist verwendet worden für eine Übergangszeit zwischen dem gegenwärtigen korrupten materiellen Zeitalter und der absoluten Herrschaft Gottes, die gekennzeichnet ist durch die Eindämmung böser Kräfte und zunehmende irdische Freuden — helleres Licht von Sonne und Sternen, reichere und gesündere Ernten. Obgleich das Thema Millennium oder Tausendjähriges Reich im Alten Testament nicht zu finden ist, taucht es doch in späteren jüdischen Schriften und an zwei Stellen im Neuen Testament auf: Erster Korinther 15:23-28 und Offenbarung 19: 12-18. In den Schriften der frühen Kirchenväter wurde es zu einem theologischen Konzept ausgearbeitet.
Die Doktrin des Millenniums war ursprünglich nur ein Element eines kosmischen Dramas, bei dem es um die Niederlage, Verurteilung und Zerstürung böser Kräfte und Personen und den endgültigen Triumph des Guten ging. Sie fand im 6. Jahrhundert v. Chr. Eingang ins jüdische Denken. Nach der Niederlage ihrer Nation sehnten sich damals die Juden nach der Zeit, wo sie ihre Unabhängigkeit wieder erlangen würden und die königliche messianische sche Linie neu etabliert würde.
Die persische Theologie verlieh diesen Hoffnungen Gestalt. Der Zoroastrismus, die damalige Religion Persiens, umfasste den Glauben an einen kosmischen Dualismus den Glauben, dass das Universum als Ganzes und jedes darin enthaltene Element sich aus zwei einander bekämpfenden Elementen, dem Guten und dem Bösen, zusammensetzt.
Der Zoroastrismus vertrat die Vorstellung, dass das jüngste Gericht durch eine entscheidende Schlacht gekennzeichnet sein und eine der beiden Kräfte siegreich daraus hervorgehen würde. Die Juden übernahmen diese Idee und passten sie ihren eigenen Traditionen an. Sie betrachteten den endgültigen Sieg Gottes über den Satan als unvermeidlich und schrieben dem Messias dem göttlich ernannten König Israels — zentrale Rolle bei diesem Sieg zu.
Eine ähnliche Anpassung fand bei Anbruch der christlichen Ära statt. Die Christen betrachteten Christus Jesus als den verheißenen Messias und erwarteten das ganze erste Jahrhundert n. Chr. seine Wiederkehr — ein Ereignis, das sie als Parusie oder das „zweite Kommen" bezeichneten. Noch heute spielt das Millennium eine wichtige Rolle im religiösen Denken. Es ist eng verbunden mit dem Thema einer zukünftigen Hoffnung und der Erwartung einer besseren Welt.
Ein Streitpunkt unter einigen Christen ist die Frage, ob Jesus vor oder nach dem Millennium kommen wird. Prämillenarismus behauptet, dass Jesus wiederkehren und das Tausendjährige Reich dann unter seiner Aufsicht voranschreiten wird: Postmillenarismus behauptet, dass das Tausendjährige Reich zuerst stattfinden wird, damit es den Weg für seine Wiederkehr bereitet. Danach komme das jüngste Gericht und die Errichtung eines „neuen Himmels und einer neuen Erde" Offb 21:1..
Einige Verfasser des Altertums stellen das Millennium in sehr menschlichen Begriffen als eine Zeit dar, wo die Auserwählten — und nur die Auserwählten — ein ideales menschliches Leben haben werden, während der Rest der Schöpfung entweder ihnen dient oder einfach nur auf das kommende jüngste Gericht wartet. Andere christliche Verfasser wie St. Augustin (4. Jh.) interpretierten das Millennium symbolisch im Hinblick auf das individuelle geistige Wachstum. Augustin war der Auffassung, dass das Millennium — als die Herrschaft der Heiligen — bereits mit der Entstehung der christlichen Kirche begonnen hatte.
Dieses chiliastische Ideal hat bedeutsame Auswirkungen auf die Gesellschaft gehabt. Die Auffassung des Chiliasten Joachim von Fiore, dass die Errichtung einer neuen Weltordnung bevorstand, trieb zur Zeit des Christoph Kolumbus die europäische Erforschung des nordamerikanischen Kontinents voran. Heute spielt die Theologie des Tausendjährigen Reichs eine hervorragende Rolle nicht nur im Denken der fundamentalistischen Christenheit, sondern auch in den Lehren der Mormonen. der Siebenten-TagsAdventisten, der Zeugen Jehovas und anderer.
Warum das Millennium? Wenn die Menschen den Ungewissheiten des menschlichen Lebens ausgesetzt sind — vor allem in Zeiten rapider sozialer Veränderungen oder in deutlichen Übergangszeiten —, dann suchen sie nach Strukturen und Denkmustern, die ihrem Leben Stabilität verleihen. In der Theologie der verschiedenen westlichen und nichtwestlichen Religionen tauchen Bestrebungen auf, die Zeit zu „ordnen" und die Geschichte in verschiedene Epochen einzuteilen, die zu einer Art endgültigem Kulminationspunkt führen. Diese Bestrebungen zielen häufig auf Themen wie soziale und moralische Ungerechtigkeit ab: Wenn das Böse jetzt blüht und gedeiht, wird es dann jemals einen Punkt geben, wo es nicht mehr triumphiert? Wann werden die Guten den Lohn ernten, den sie durch ihre Treue verdient haben?
Millenniums-Denker fragen sich: Wird es eine Zeit geben, wo soziale Ungerechtigkeiten berichtigt werden, wo die Menschen lernen miteinander und mit der Umwelt in Frieden zu leben?
Der Begriff Millennium oder Tausendjähriges Reich ist ein Versuch eine Antwort auf solche Fragen zu geben. Es wird als eine Zeit betrachtet, wo die Menschen bekommen, was sie verdient haben, wo die Natur friedlich und harmonisch ist und wo die Ereignisse glücklich ausgehen für alle, die treu und gut gewesen sind.
Kulturhistoriker haben den Ausdruck Fin de Siécle benutzt, um die Zunahme an Reflexion, Aufruhr, Erneuerung und Erwartung in einem ausgehenden Jahrhundert zu beschreiben. Am Ende eines Jahrhunderts und jetzt am Ende des zweiten Millenniums seit Beginn der Ära halten die Menschen ganz natürlich inne, um Bilanz zu ziehen und die gegenwärtigen Ereignisse in einem größeren kosmischen Zusammenhang zu sehen.
Das Millenniums-Denken schätzt den Fortschritt in den Wissenschaften, in der Technik, den Künsten und der Gesellschaft allgemein. Und Millenniums-Denker fragen sich: Wird es eine Zeit geben, wo soziale Ungerechtigkeiten berichtigt werden, wo die Menschen lernen miteinander und mit der Umwelt in Frieden zu leben? Mit anderen Worten: Ist dies jetzt die Zeit, wo sich die im Vaterunser ausgedrückte Sehnsucht verwirklicht — wo das Reich Gottes wirklich kommt und seine Gegenwart und Macht deutlich spürbar wird?
Das Wesen des Tausendjährigen Reichs ist Hoffnung und Erwartung. Doch während Jahrhunderte menschlicher Hoffnungen den Menschen keine dauerhafte Befriedigung verschafft haben, gibt die Wissenschaft des Christus, die Mary Baker Eddy im Jahr 1866 entdeckte, der Hoffnung ein viel stabileres Fundament.
In Übereinstimmung mit dem ersten Kapitel der Genesis. wo Gott erklärt, dass alles, was Er gemacht hat, „sehr gut" ist, definiert diese Wissenschaft die Wirklichkeit als völlig harmonisch und im wesentlichen geistig. Daher vertritt sie die Auffassung, dass das Reich Gottes eine gegenwärtige Wirklichkeit ist. Niemand muss auf dieses Reich warten; obwohl unsichtbar für die körperlichen Sinne, ist es bereits sichtbar für den geistigen Sinn und bis zu einem gewissen Grade hier und jetzt demonstrierbar.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin von Christian Science, spricht nur an wenigen Stellen in ihren veröffentlichten Schriften ausdrücklich vom Millennium oder Tausendjährigen Reich. In dem Buch Die Erste Kirche Christi, Wissenschaftler, und Verschiedenes beantwortet sie die Frage: „Muss die Menschheit bis zum Tausendjährigen Reich warten bis jeder Mann und jede Frau zur Erkenntnis des Christus kommt und alle von Gott gelehrt werden und ihre augenscheinliche Identität als den einen Mann und die eine Frau wahrnehmen ehe ehe Gott durch Seine Idee oder Sein Bild und Gleichnis dargestellt wird?"
So wie die Frage gestellt wurde, scheint sie zu fragen: Müssen die sehnsüchtigsten Träume der Menschheit auf unbestimmte Zeit ins Hinterstübchen verbannt werden, bis selbst der aufsässigste Mensch den richtigen Weg im Leben findet und ihm folgt? Einige mögen antworten: „Das wird nicht passieren nicht zu meinen Lebensziten und selbst nicht in tausend Jahren!" Doch das war nicht Mrs. Eddys Antwort auf die Frage.
Sie schreibt dazu unter anderem: „Das Tausendjährige Reich ist ein Zustand und Stadium geistigen Fortschritts, der von Anbeginn der Zeit vor sich geht. Seine Triebkraft, durch das Kommen der Christlichen Wissenschaft erhöht, ist bemerkenswert und wird zunehmen, bis alle Menschen, von dem Kleinsten an bis zu dem Größten, Ihn (die göttliche Liebe) kennen werden und ein Gott und die Brüderschaft der Menschen auf der ganzen Erde erkannt und anerkannt werden." Verschiedenes, S. 239.
Wenn das Millennium aus dieser Sicht betrachtet wird, ist es kein entfernter Kulminationspunkt, sondern eine gegenwärtige Wirklichkeit, die im täglichen Leben erkannt und bewiesen werden muss. Jeder Einzelne hat die Fähigkeit die Vollkommenheit der Gegenwart Gottes zu erleben. Sein Reich ist niemals verloren gegangen oder gefährdet gewesen; warum ist dann aber diese Wahrheit nicht in größerem Rahmen sichtbar? nicht die Menschen sich daran gewöhnt haben, sich mit dem abzufinden, was die physischen Sinne berichten, und deren Begrenzungen und Verzerrungen akzeptieren. Unfähig das Reich Gottes zu zerstören, möchten diese Sinne es verbergen und falsch darstellen.
Mut und beharrliche. göttlich inspirierte Vision sind nötig, um diese falschen Behauptungen zu durchschauen. Solche Erkenntnis mag unmöglich erscheinen; doch Christus Jesus bewies nicht nur, dass sie möglich, sondern für den Fortschritt sogar absolut unerlässlich ist. Seine Worte, die im Lukas-Evangelium festgehalten sind, bringen die Betrachtungen zum Millennium auf den Punkt: „Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch." Lk 17:20, 21.
Das Millenniums-Denken ist ein nützlicher Hinweis auf die essenziell gute Natur Gottes und Seiner ganzen Schöpfung. Christian Science offenbart das Reich Gottes, das schon herbeigekommen ist und in Vollkommenheit hier und jetzt existiert. Es ist nicht notwendig auf das Jahr 2000 zu warten. Die Harmonie, der Frieden und die Herrlichkeit des Millenniums sind heute schon unser, um entdeckt und demonstriert zu werden.
In Bezug auf Christus Jesus erklärt Wissenschaft und Gesundheit: „Wenn alle, die sein Gedenken durch materielle Symbole feiern, das Kreuz auf sich nehmen, die Kranken heilen, die Übel austreiben und den Armen — dem empfänglichen Gedanken — Christus oder Wahrheit predigen, sie werden das Millennium einleiten." Wissenschaft und Gesundheit, S. 34.
Es ist nicht notwendig auf das Millennium zu warten. Das Reich Gottes können wir schon heute „mitten unter uns" entdecken.
