Des Leben fast jedes bedeutenden religiösen Reformators ist, mythologisch gesehen, der Weg eines Helden. Der Held verlässt die Behaglichkeit und Sicherheit des Heimes und begibt sich auf ein Abenteuer in unbekannten Gefilden. Während dieser Zeit in der „Wüste" sieht sich der Held mit Prüfungen konfrontiert, die Fähigkeiten verlangen, die alles zuvor Gelernte übersteigen. Dadurch, dass er sich einer höheren Quelle der Weisheit bewusst wird — für die Christen ist dies Gott —, wird ein Sieg errungen, eine Erleuchtung erlangt, und der Held bzw. die Heldin kehrt umgewandelt in die Welt zurück, im Besitz von etwas Wertvollem, das er oder sie an andere Menschen weitergeben kann.
Mary Baker Eddys Leben folgt in vielerlei Hinsicht diesem Muster. Sie kam zu der Überzeugung, dass es eine wissenschaftliche Erklärung gibt für die in der Bibel beschriebenen, durch Gottes Kraft bewirkten Heilungen — Heilungen, die sich über alle bekannten Gesetze der Heilkunde oder Medizin hinwegsetzen. Diese Erklärung entdeckte sie durch Gebet und Studium der Bibel und sie konnte als Folge davon nicht nur ihre eigene Gesundheit wiederherstellen, sondern auch die Gesundheit vieler anderer Menschen, die ihre Hilfe suchten.
Nach Jahren des Ringens in der „Wüste" hatte sie endlich in der Mitte ihres Lebens den Drachen der chronischen Krankheit getötet und eine tiefere Einsicht in das Wesen Gottes und des Universums erlangt. Was sie mit ihren neu gefundenen Erkenntnissen machte, verhalf ihr zu einem Namen in der Öffentlichkeit. In ihrer Autobiographie Rückblick und Einblick schreibt sie: „Das Motiv für meine Arbeit ist von Anfang an stets dasselbe geblieben. Es galt, die Leiden der Menschheit durch ein Heilverfahren zu lindern, das eine jede Reform sittlicher und religiöser Art einschließen sollte." Rückblick und Einblick, S. 30.
Die Welt jedoch nahm nicht gerade bereitwillig auf, was sie zu bieten hatte. Das patriarchalische religiöse Establishment war nicht ohne weiteres bereit zu glauben, dass Gott etwas Bedeutsames durch eine Frau offenbaren würde. Ein Beispiel für die Heilarbeit, die sie vollbrachte, und für die Reaktionen, die das hervorrief, ist der folgende Vorfall, der sich bei einem Vortrag ereignete, den sie in Rhode Island hielt. Während ihres Aufenthalts dort besuchte sie eine schwangere Frau in deren Wohnung. Diese Frau litt unter einem Zustand, der die Folge einer Verletzung war, die sie durch einen chirurgischen Eingriff bei der Geburt ihres letzten Kindes erlitten hatte. Man hatte ihr gesagt, dass sie kein weiteres Kind zur Welt bringen könne. Die Ärzte hatten sie aufgegeben; sie war dem Tod so nahe, dass man schon die Kleidungsstücke für ihre Beerdigung zurechtgelegt hatte. Mrs. Eddy stand an ihrer Seite und betete. Nach etwa fünfzehn Minuten stand die Frau auf und kleidete sich an. Sie war gesund. Später gebar sie ohne Probleme ein Kind, das elf pfund wog. Die Mutter schrieb an Mrs. Eddy: „Ich habe noch nie bei einer Entbindung so wenig gelitten." Anstatt sich über die Wiederherstellung dieser Frau zu freuen, ließen die Ärzte und die Geistlichen der Stadt die Ankündigungen für Mrs. Eddys nächsten Vortrag abreißen und erlaubten ihr nicht, in den Sälen und Kirchen des Ortes zu sprechen. Siehe ebd., S. 40. Sie hatte gehofft, dass ihre Entdeckung von den etablierten Kirchen willkommen geheißen würde. Doch ihr wurde klar, dass sie zur Erreichung ihres Ziels, nämlich die Leiden der Welt zu lindern, eine eigene Kirche gründen musste. Die Kirche, die sie gründete, war nach ihren eigenen Worten „eine Kirche, die den Zweck haben sollte, die Worte und Werke unseres Meisters [Jesus Christus] in Erinnerung zu bringen und dadurch das ursprüngliche Christentum und sein verlorengegangenes Element des Heilens wiedereinzuführen."Handbuch Der Mutterkirche, S. 17.
(Auszug aus dem Christian Science Journal vom März 1999)
