Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

WIRKSAMES GEBET AUF DER BRÜCKE

Aus der September 2002-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


An einem Freitagabend im letzten Jahr fuhr ich mit einem Freund nach St. Louis nach Hause. Als wir eine Brücke überquerten, die über den Mississippi führt, fiel mir eine menschliche Gestalt auf, die auf der rechten Straßenseite zu Fuß unterwegs war. Ich fragte mich sofort, warum jemand um Mitternacht diese Brücke zu Fuß überqueren wollte. Auf der anderen Seite ist nämlich nicht viel los, dort befindet sich lediglich eine Tankstelle, die um diese Uhrzeit wahrscheinlich geschlossen war.

Da dämmerte es mir, dass er wohl diese Brücke überqueren wollte um zu springen.

Mein Leben lang hatten meine Eltern mir beigebracht, mich in Stunden der Not an Gott zu wenden. In diesem Moment fühlte ich unmissverständlich und greifbar die Gegenwart Gottes, und das konnte ich nicht ignorieren.

Ich fuhr rechts ran und hielt inne. Dann stellte ich das Auto ab und sagte: „Okay, Vater, ich bin dein Werkzeug. Was soll ich tun?“

Ich stieg aus dem Auto und ging auf den Seitenstreifen. Als sich die Gestalt näherte, erkannte ich, dass es ein Jugendlicher war, schätzungsweise 16 oder 17 Jahre alt. Er trug dunkle Kleidung und hatte sich die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf gezogen.

Als er näher kam, fragte ich ihn: „Alles in Ordnung? Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?"

Er winkte genervt ab und ging einfach an mir vorbei, aber im Vorbeigehen hörte ich ihn sagen, dass er sich umbringen würde.

Ich holte ihn schnell ein und sprach weiter mit ihm. Ihn frustrierten meine Versuche, seine Pläne zu durchkreuzen, deshalb kletterte er über das Geländer auf den schmalen Betonstreifen an der Außenseite der Brücke. Als er das tat, bestand ich darauf, dass er zurück auf meine Seite kommen und noch mal über alles nachdenken solle.

Er sah mich kurz an, wandte sich dann aber dem Fluss zu und machte Anstalten zu springen.

Ich langte über das Geländer, griff sein Sweatshirt und hielt ihn zurück. Er schüttelte mich ab und lief auf dem schmalen Betonstreifen, der nur ca. einen halben Meter breit war, weiter auf die Brückenmitte zu.

Wieder holte ich auf und wir liefen nebeneinander her — er auf seiner und ich auf meiner Seite des Geländers. Ich fragte ihn nach seiner Familie, und er sagte, wie verzweifelt seine Situation war; wie ungeliebt er sich von seiner Familie fühlte; dass er nichts hatte, wofür es sich zu leben lohnte und dass er sich in seiner Kirchengemeinde als Außenseiter fühlte, weil man ihm seine finanzielle Benachteiligung schon an den Klamotten ansehen konnte.

Ich versuchte ihn zu überzeugen, wie wertvoll er für Gott und die Welt ist. Er hatte mir erzählt, dass er einen kleinen Bruder hatte, und daher sprach ich mit ihm darüber, wie lieb ihn sein Bruder bestimmt hatte. Und wie wichtig seine Vorbildrolle im Leben seines Bruders sei.

Er lief weiter. Drang überhaupt irgendetwas von dem, was ich sagte, zu ihm durch? Es gab noch ein paar Momente, wo er springen wollte und ich ihn zurückhielt.

Während wir so liefen, dachte ich bei mir: „Vater, was muss ich sagen, um ihn zu erreichen?“

Und dann sah ich ihn einfach an und sagte: „Ich hab dich lieb, und für mich ist dein Leben wertvoll.“

Ich konnte sehen, dass er nicht so genau wusste, was er damit anfangen sollte, aber ich konnte auch sehen, dass ich ihm damit erreicht hatte. Er war deutlich ruhiger und nachdenklicher geworden.

Nach einigen Minuten kam die Polizei, die mein Auto am Straßenrand entdeckt hatte. Der Junge kletterte über das Geländer zurück auf die Straße. Ich atmete auf. Wenigstens für diese Nacht hatte er sich gegen seinen Plan entschieden.

Als ich in dieser Nacht im Bett lag, dankte ich Gott für die Ereignisse des Abends. Vor allem war ich dankbar dafür, dass ich die Not meines „Bruders“ erkannt und, so gut ich mit Gottes Hilfe konnte, auf sie eingegangen war.

Diese und andere Erfahrungen haben mich viel darüber nachdenken lassen, dass Gebet und Praxis miteinander verbunden sein müssen. Bei dem Versuch, diese Verbindung herzustellen, haben mich über die Jahre die Bibel und die Schriften von Mary Baker Eddy immer wieder sehr inspiriert.

Im Lukas-Evangelium steht: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen“ (12:48). Was mich außerdem immer sehr angesprochen und zum Handeln veranlasst hat, ist eine Passage aus dem Aufsatz „Liebe“ in Vermischte Schriften. Da schreibt Mary Baker Eddy: „Die Liebe ist nicht etwas, was man auf ein Sims stellt, um es bei seltenen Gelegenheiten mit Zuckerzangen herunterzunehmen und auf ein Rosenblatt zu legen. Ich stelle hohe Anforderungen an die Liebe, verlange tatkräftige Beweise für sie, ihr entspringende hochherzige Opfer und große Leistungen. Solange diese nicht in Erscheinung treten, verwerfe ich das Wort als Blendwerk und falsche Münze, die nicht den Klang echten Metalles hat. Die Liebe kann keine bloße Abstraktion oder Güte ohne Wirksamkeit und Macht sein“ (S. 250).

„Ich fragte mich, warum jemand um Mitternacht diese Brücke zu Fuß überqueren wollte.“

Dieses Zitat mag ich ganz besonders. Es ist einfach, seine Familienmitglieder oder einen guten Freund lieb zu haben, aber es ist schwieriger, Liebe in die Tat umzusetzen, wenn man eine Person nicht kennt. Viele Leute greifen einem Verwandten oder Nahestehenden helfend unter die Arme. Auch Jesus hat diese Art von Nächstenliebe gelebt. Aber er konnte auch andere lieben, die in Not waren. Sogar die, die seine Heiltätigkeit und seine Lehren verhindern wollten.

Auch wir haben dieses Privileg so zu lieben, wie Jesus es tat. Ganz besonders dann, wenn es gerade ungünstig oder unbequem zu sein scheint.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / September 2002

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.