... so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so würde er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein." (Matthäus 17)
Über diese Worte Jesu ist schon viel nachgedacht worden. Sie kommen in dieser oder ähnlicher Form des Öfteren in den Evangelien vor und es ist durchaus anzunehmen, dass Jesus sie sogar noch viel häufiger benutzt hat, als es tatsächlich überliefert ist. Das legt den Schluss nahe, dass sie entweder zu der Zeit sehr gebräuchlich waren oder aber, dass Jesus etwas ganz Besonderes damit sagen wollte.
Um es vorweg zu nehmen: beides scheint zuzutreffen.
Wie gesagt, haben sich viele Bibelausleger mit dieser Aussage beschäftigt. So lesen wir zum Beispiel in der Wuppertaler Studienbibel (WStB, Matthäus, S. 328): „Der Ausdruck ‚Berge versetzen‘ ist eine damalige sprichwörtliche Redensart, die so viel bedeutet wie ‚unmöglich Scheinendes möglich machen'. Die Rabbiner nannten einen Gelehrten, der in der Disputation seine Ansicht gegen alle Einwände zum Siege brachte, einen. Bergentwurzler' “.
Wir können also sehr wohl davon ausgehen, dass Jesus und seinen Jüngern diese Bedeutung vertraut war und dass Jesus die Redensart in diesem Sinne verwendet hat. Und zwar sicherlich immer dann, wenn er seinen Jüngern Mut machen und ihren Glauben stärken wollte. Das eingangs angeführte Zitat folgt der Heilung des mondsüchtigen Knaben durch Jesus. Seine Jünger hatten zuvor vergeblich versucht, den Jungen zu heilen. Deshalb fragten sie ihn: „Warum konnten wir ihn nicht heilen?" Zunächst antwortet er: „Wegen eures Kleinglaubens." Und dann fügte er den o. a. Satz hinzu, den man auch so formulieren könnte: „Weil ich nicht geglaubt habt, dass ihr das könnt."
Das heißt also, der Glaube soll nicht so klein sein wie ein Senfkorn sondern er soll die gleiche Kraft haben, die der Glaube eines Senfkornes hat. Denn obwohl es der kleinste Same ist, wird dennoch eine große Pflanze daraus — und das Senfkorn „weiß" das. Und so wird es ganz einfach diese große Staude, ohne sich zu fragen: „Wie soll ich kleines Ding das jemals schaffen?" Es wächst einfach — es überlegt nicht, es zaudert nicht, es zweifelt nicht — es wächst! Dieser „Glaube", der einfach ein selbstverständlicher, gesetzmäßiger Fakt ist, gehört zur Natur des Senfkorns, ohne diesen Glauben gäbe es das Senfkorn nicht — und es gäbe keine Senfstaude. Die ist übrigens laut Calwer Bibellexikon (S. 1240) „... in Palästina oft zu finden, als Unkraut und im Anbau ... tatsächlich erreicht der Senf in der Ebene von Genezareth eine Höhe von drei bis vier Meter."
Es geht also nicht darum, einen Glauben zu haben, der so klein ist wie das Senfkorn. Oder doch? Nun, wenn es „echter" Glaube wäre, dann würde es ausreichen, dass er so klein ist, denn dann würde er wachsen — unerschütterlich, zweifel-los! In ecthem Glauben steckt Gotteskraft — die Kraft Gottes. Sie lässt diesen wachsen.
Dieser Glaube ist kein unbestimmtes oder allgemeines Vertrauen, auch keine vage Hoffung, sondern es ist echter Glaube — es ist Verständnis, es ist Wissen. Bei Markus lesen wir: „... wer glaubt, dass es geschieht, dem wird es geschehen ..." Das heißt, es geht darum, den Glauben in einer ganz bestimmten Situation oder auf eine ganz bestimmte Lage anzuwenden. Die Wuppertaler Studienbibel schreibt dazu: „Wer diesen Glauben hat, berechnet nicht die Stärke der Dämonen, noch die Größe eigener Kraft. Er rechnet mit dem Herrn ganz allein." (S. 327)
Wenn wir das könnten, allein mit Gott rechnen, dann könnten wir in der Tat jeder Situation gelassen gegenüber treten. Könnten? Wir können! Jesus konnte es auch. Er ist unser großes Vorbild. Er hat es immer und immer wieder demonstriert. Zum Beispiel in der Situation mit dem Feigenbaum, der verdorrte (siehe Matthäus 21). Oder bei jeder Heilung, bei der er die Kranken aufforderte vorzutreten, so dass jeder genau sehen konnte, was geschehen würde. Am deutlichsten tat er das bei der Auferweckung des Lazarus. Vor dem Grab, angesichts der Tatsache, dass der Tote schon vier Tage im Grabe lag (!) und vor der trauernden Menschenmenge rief er laut, so dass alle es hören konnten: „Lazarus, komm heraus!" Und der Verstorbene kam heraus!
Hier hat Jesus den Glauben demonstriert, der Wissen ist. Und zwar in doppelter Hinsicht: Er hat erstens gezeigt, dass er selbst diesen Glauben hat und dass dieser Glaube die Kranken tatsächlich heilt, ja sogar Tote auferweckt. Und zweitens hat er es seinen Nachfolgern sichtbar und hörbar demonstriert, damit sie selbst es ihm gleichtun können. Er wollte, dass sie erkennen, was die Kraft des Glaubens bewirken kann. Genau wie er, sollten sie, Schritt für Schritt lernen, sich völlig auf diesen Glauben zu stützen.
Auf welche Weise dieser Glaube heranwächst und sich festigt, das kann man bei Jesus sehr schön nachvollziehen, denn er gibt uns mit seinem gesamten Lebenslauf und Lebenswerk ein ausgezeichnetes Beispiel. Die Bibel lässt uns an seiner Entwicklung teilhaben, von seinem ersten Auftreten bei der Hochzeit in Kana, wo er Wasser zu Wein verwandelte, bis hin zur Auferweckung des Lazarus. Diese Entwicklung zu sehen macht Hoffnung. Und genau zu diesem Zweck wird uns das alles berichtet. Die Jünger haben unmittelbar von Jesus gelernt und dann haben sie diese Lehre in die Welt getragen, damit sich alle Menschen zu allen Zeiten daran orientieren können. Wir sollen verstehen, dass wir das auch können.
Also schauen wir uns die Aufforderung, Glaube wie ein Senfkorn zu haben, noch einmal an und zwar unter dem Aspekt, dass sie an uns gerichtet ist. Da das menschliche Dasein komplexer ist als das eines Senfkornes, könnten wir damit beginnen festzustellen, was wir schon sicher glauben. Stellen wir uns die Frage: Was wissen wir wirklich, ohne Zweifel? Denn Glaube ist Nichtzweifeln. Tragen wir das zusammen — und wenn es noch so wenig wäre, wenn es so winzig wie ein Senfkorn wäre, nehmen wir es und bauen wir darauf auf.
Ich kenne zum Beispiel Leute, die sich nie Sorgen über einen Parkplatz machen, weil sie das einmal für sich „ausgearbeitet" haben und nun immer (sie wissen es einfach) einen perfekten Platz für ihr Auto finden. Und die meisten Christlichen Wissenschaftler, die ich kenne, können sich hervorragend gegen Ansteckungskrankheiten wie Husten, Schnupfen, Heiserkeit schützen, und zwar vorbeugend, so dass sie das gar nicht erst bekommen, selbst wenn alle um sie herum schniefen und schnaufen.
Dies sind nur zwei Beispiele. Wenn wir nun das, was wir ganz fest wissen, auf andere Gebiete übertragen sollen, würde das bedeuten: Mit der gleichen Gewissheit, mit der wir einen Parkplatz finden, können wir auch einen Arbeitsplatz finden. Und mit der gleichen Überzeugung, mit der wir uns vor Erkältungen schützen, können wir uns gegen eine langwierige Krankheit zur Wehr setzen. Denn was macht den Unterschied zwischen diesen Situationen aus? Einzig und allein unsere Einschätzung. Wir glauben, dass es leichter sei, eine Erkältung loszuwerden als eine chronische Krankheit. Aber stimmt das denn?
Heutzutage muss immer alles ganz schnell gehen. Ob in der Wirtschaft, in der Politik, im Sport oder im Alltag. Überall werden schnelle Lösungen verlangt. Die Auswirkungen dieser falschen Denkhaltung erleben wir derzeit sehr deutlich in der Wirtschaft in der so genannten Finanzkrise oder im Sport in den Dopingskandalen — um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch in der Medizin werden schnelle Wirkungen verlangt und wenn ein Medikament oder eine Behandlungsmethode nicht sofort zum Erfolg führt, wird alsbald die nächste probiert.
Wir sollten darauf achten, dass wir uns nicht davon „anstecken" lassen und das auf Heilungen in der Christlichen Wissenschaft übertragen. Denn dort ist eine Grundlage, dass es für Gott und den wahren Menschen keine Zeit gibt, weil „Zeit kein Teil der Ewigkeit" ist, sondern ein sterbliches Maß. Wenn wir augenblickliche Heilungen erwarten, dann deshalb, weil Gesundheit unsere wahre Natur ist und wir für uns beanspruchen, dass das sichtbar wird, und nicht weil wir uns davor fürchten, was wäre, wenn die Heilung nicht schnell einträte. Aber wir sollten uns davor hüten, dem Faktor Zeit in irgendeiner Weise eine Rolle zuzugestehen. Wenn wir darüber enttäuscht sind, dass die Heilung nicht sofort eintritt, dann haben wir möglicherweise genau diesen paradoxen Schluss zugelassen. Also sollten wir bei solchen Einflüsterungen immer sehr wachsam sein!
Ich hatte vor vielen Jahren erlebt, dass sich eine Menge schier unlösbarer Probleme vor mir auftürmten, so dass sie mir tatsächlich wie ein großer, bedrohlicher Berg vorkamen. Und der Gedanke, dass mein Glaube diesen Berg auflösen könnte, schien mir „zu schön, um wahr zu sein". Wenn ich das jetzt in der Rückschau betrachte, dann sehe ich, dass mein damaliger Glaube tatsächlich so winzig war wie ein Senfkorn. Aber er ist gewachsen und dieser Berg hat sich tatsächlich aufgelöst. Ich gebe zu, er ist nicht ins Meer gestürzt, aber er hat sich aufgelöst — und das war das Entscheidende: Er war am Ende nicht mehr da.
Jeder Beweis, den wir uns selbst einmal erbracht haben, kann ein Samenkorn sein. Lassen wir unseren Glauben genau auf diese Weise wachsen. Denn genau das ist es, was Jesus seinen Nachfolgern, also uns, mitteilen wollte, als er sagte:
„Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so würde er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein."
