Kurz vor den Schulferien erreichte uns von der Schule unserer Tochter Katrin ein so genannter „blauer Brief": Uns wurde mitgeteilt, dass Katrin, die in der 10. Klasse des Gymnasiums war, nicht versetzt werden und somit auch keine Mittlere Reife erhalten würde.
Unsere erste Reaktion: „Das darf doch nicht wahr sein! Das ist doch ungerecht! Erst mal bei uns allen betretene Mienen, bei unserer Tochter v. a. Tränen, Ratlosigkeit und auch Wut und Ärger.
Zwar hatten wir es schon ein wenig befürchtet, aber durch Gespräche mit ihren Lehrern waren wir davon ausgegangen, dass es mit der Versetzung noch klappen würde und sie ein Auge zudrückten, zumal unsere Tochter nach den Ferien eh die Schule wechseln und eine Ausbildung zur Erzieherin beginnen wollte. Einen Platz in der neuen Schule und für das Praktikum im Kindergarten hatte sie ja auch bereits „in der Tasche". Aber dafür war nun mal die Mittlere Reife die Voraussetzung. Und nun das! Was sollten wir bzw. unsere Tochter nun tun?
Wir setzten uns erst mal zusammen und beteten. Mary Baker Eddy sagt irgendwo in ihren Büchern, dass „Beten" auch Lieben bedeutet. Und das bedeutete für mich erst mal ganz praktisch, dass ich Katrin in die Arme nahm und tröstete. Sie hatte ja ihr Bestes, was ihr in dem Jahr möglich war, geleistet; sie hatte einige Herausforderungen zusätzlich zu bewältigen gehabt. Und so machten wir uns gemeinsam erst einmal all ihre wunderbaren Qualitäten klar, die sie ausdrückte – und da kam einiges zusammen! Wir erkannten, dass sie von Gott geschaffen ist, sehr gut und in keiner Hinsicht mangelhaft. Diese Etikette von Mangel und Versagen oder gar Schuld ließen wir nicht auf ihr ruhen. Wir bauten sie auf, indem wir es ganz klar empfanden, dass Gott und damit auch die Eigenschaften, die sie von Gott her ausdrückte, ihren Wert ausmachten und nicht die Schulnoten (die ja auch nur bedingt die Leistung eines Schuljahres repräsentierten). Wir schauten auf sie, wie Gott der Bibel zufolge auf Seine Schöpfung schaut und sie für „sehr gut" befindet. Für uns hing ihr Wert auch nicht davon ab, ob sie die Klasse nun geschafft hatte oder nicht. Klar war das erst mal traurig, aber wir schimpften nicht und machten ihr keine Vorwürfe. Wie auch, hatten wir doch selbst damals eine Klasse wiederholt ;-) – und im Nachhinein festgestellt, dass uns das damals ganz gutgetan hatte. Wir wussten, dass sie ein tolles Mädchen ist und dass daran auch die Nicht-Versetzung in die nächste Klasse nichts ändern kann.
Ob wir enttäuscht waren? Nein, nicht wirklich. Wir wollten unsere Kinder und somit auch uns selbst eigentlich nie durch unsere eigenen Vorstellungen und Erwartungen unter Druck setzen. Sie sollten ihren eigenen Weg finden und dabei glücklich sein – und das muss nicht der Weg sein, den wir uns vorstellen. Jeder Einzelne hat seine ganz eigene individuelle Verbindung zu Gott und wir vertrauten immer schon mit Erfolg darauf, dass unsere Kinder auch wissen und spüren, was für sie der richtige Weg ist.
Der Wut und dem Ärger gaben wir keine Macht mehr, denn es war klar, dass die uns nur behindern und die Lösung nicht sehen lassen würden. Aber wir erwarteten eine perfekte Lösung!
Ich telefonierte nun viel mit anderen Schulen, aber es sah so aus, als ob unsere Tochter die 10. Klasse auf ihrer alten Schule wiederholen müsste. Aber das wollte sie nun partout nicht.
An einem Vormittag arbeitete ich dann im Gebet folgende Gedanken durch:
Katrin hat ihren richtigen und perfekten Platz von Gott zugewiesen bekommen – einen Platz, an dem sie sich wohlfühlen und ein Segen sein konnte, weil sie gebraucht wird. Ja, es ist ein Platz, an dem sie ihre Eigenschaften sinnvoll für sich und andere einsetzen kann. Und diesen Platz, so machte ich mir klar, kann ihr keine Macht der Welt nehmen. Keiner schlechten Note, keinem Lehrer, keinem Umstand, ja auch keiner Ungerechtigkeit oder was es auch immer gewesen sein mag, gab ich jetzt noch die Macht, ihr den Platz zu nehmen, den ihr unser aller Vater-Mutter Gott gegeben hatte. Ein Fehler der Vergangenheit hatte einfach keine Macht, sich im Jetzt auszuwirken – das was in Gottes Reich unmöglich.
Dieser Gedanke entlastete mich sehr und ich wurde dazu geführt, nochmals im Internet nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie doch noch ihre Wunschschule und zu ihrem Wunschberuf kommen könnte. Und dabei entdeckte ich einen Passus, der besagte, dass Schüler im achtjährigen Gymnasium, dem so genannten G8, auch bereits nach der 9. Klasse des Gymnasiums auf eine berufliche Schule oder Gymnasium wechseln konnten. Und unsere Tochter war im G8 und hatte die 9. Klasse erfolgreich beendet.
Sollte das nun wirklich unsere Lösung sein? Hoffentlich stimmte dieser Passus auch! Ich nahm nochmals mit der neuen Schulleiterin Kontakt auf und sie bat mich, ihr diesen Auszug zu schicken; sie wollte sich dann wieder bei uns melden. Als wir nach einigen Tagen immer noch nichts von ihr gehört hatten, hielt es unsere Tochter dann nicht mehr aus und rief selbst in der Schule an. Sie kam heulend vom Telefon zurück. Dieses Mal waren es aber Tränen der Freude und der riesengroßen Erleichterung. Sie hatte ihre Zusage für ihre Ausbildung bekommen!
Und so geht sie jetzt seit einem halben Jahr drei Tage in der Woche in diese Schule und zwei Tage in den Kindergarten in unserem Dorf und fühlt sich an beiden Orten sehr, sehr wohl. Und ihre schulischen Leistungen sind nun wirklich „sehr gut". Sie hat ihre „Lektion" also gelernt.
