Vor mittlerweile über einem Jahr rief mich eines Tages gegen Mittag mein Chef an und bat mich zu einer kurzen Besprechung in sein Büro. Dort sagte er zu mir: „Es tut mir leid, aber ich muss dich entlassen! — Die Globalisierung, unsere schlechte Auftragslage und die schlechte Wirtschaftslage insgesamt erfordern Restrukturierungs-Maßnahmen. Dein Job ist demnächst überflüssig.“
Nach Übergabe der nötigen Informationen packte ich meine Sachen, holte noch einiges aus der Wohnung, die ich in jener Stadt gemietet hatte, und fuhr dann direkt die ca. 200 km nach Freiburg zur Mitgliederversammlung unsrer Zweigkirche. An jenem Abend hatten wir eine Wahlversammlung. Ich kam zwar verspätet dort an, aber nicht zu spät. Ich wurde zum Ersten Leser gewählt und ich nahm die Wahl an. Meine Frau raunte mir zu: „Wie willst du das denn mit den Mittwochabenversammlungen machen?“ Ich antwortete nur: „Abwarten — das geht!“ Ich hatte zwar meinen alten Job verloren, aber nun durch die Wahl sofort einen neuen bekommen. So sah das später am Abend auch meine Frau.
Der alte Job, den ich fünf Jahre zuvor bekommen hatte, war schon einige Zeit nicht mehr der richtige gewesen und nun ergab sich die Gelegenheit — und Notwendigkeit —, zu demonstrieren, dass Gott mich in jeder Situation versorgt, d.h. ein tieferes und erweitertes Verständnis von Gott zu erlangen. Durch meinen festen Glauben sah ich die Situation nicht als Rückschlag oder Problem, sondern als Gelegenheit! Und durch die Wahl zum Ersten Leser war ich ja von Anfang an nicht arbeitslos, sondern Privatier — welch einzigartige Möglichkeit!
Für die Mittwochslektionen nahm ich Themen, die ich selbst besser verstehen wollte. Ich sah das Leseramt als einen willkommenen Anlass zum Aufbruch und zur Erneuerung. Für die erste Mittwochversammlung wählte ich das Thema: „Arbeit, Reichtum, Armut“, und ich fand in der Bibel bei Jesaja 61:5 ein Zitat, das zu den Folgen der Globalisierung passt. Dort heißt es: „Fremde werden hintreten und eure Herden weiden, und Ausländer werden eure Ackerleute und Weingärtner sein. lhr aber sollt Priester des Herrn heißen, und man wird euch Diener Gottes nennen.“ Dieses Zitat ist aus dem Kapitel „Die frohe Botschaft der kommenden Herrlichkeit“! Es ist also kaum etwas neu an der Globalisierung. Den Umstand, dass Arbeiten von Ausländern erledigt werden, gab es schon zu biblischen Zeiten; und Jesaja sah dies für die Israeliten offensichtlich als eine Gelegenheit, wichtigere Aufgaben zu erledigen, nämlich „Diener Gottes“ zu sein. Auch Paulus' Worte passten dazu: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5:20).
Ich sah das so: Wie mein Praktiker dargelegt hatte, tritt ein „Botschafter an Christi Statt“ für Frieden und Gerechtigkeit ein. Er ist unbeirrbar und flexibel und hat eine enge Beziehung zu Gottes Gesetz. Er ist zu Hause im Christus, dieser göttlichen ldee, die jedem Menschen zugrunde liegt, und weiß sich geborgen im göttlichen Prinzip. Er verweigert störenden Elementen wie z. B. Arbeitslosigkeit den Zutritt zu seinem Zuständigkeitsbereich. Und ich dachte: Außerdem verdient so ein Botschafter wohl auch ganz ordentlich!
Mir war klar: Im Licht unseres göttlichen Zuhauses können wir uns orientieren, unseren Weg deutlich erkennen und dann die richtigen Schritte tun. lm Licht dieser göttlichen Liebe entfaltet sich der Reichtum einer interessanten und vielfältigen Welt, in der jeder bereits seine individuelle Aufgabe hat und erfüllt. Natürlich verschickte ich jede Menge Bewerbungen und wurde auch zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Aber immer wieder bekam ich Absagen. Ich hatte viel zu arbeiten, zu beten und zu wachsen! Befürchtungen meiner Umgebung und Aussagen wie: „Mit über 50 ist es eben doch nicht mehr möglich, einen neuen Job zu bekommen“, konnten mich absolut nicht beunruhigen. Niemals sind Gottes Kinder menschlichen Meinungen unterworfen! lmmer wieder erfuhr ich an kleinen alltäglichen Beispielen die göttliche Führung ganz deutlich. Auch wandten sich Leute aus meinem Umfeld um Hilfe durch Gebet an mich und ich konnte ihnen helfen.
„... Ausländer werden eure Ackerleute und Weingärtner sein. Ihr aber sollt Priester des Herrn heißen, und man wird euch Diener Gottes nennen.“ Es ist also nichts neu an der Globalisierung!
Dann wollte sich bei den Bewerbungen so etwas wie Routine einschleichen. Mir wurde klar, dass diese Art von Routine ein untrügliches Zeichen dafür war, dass die Versorgung mit inspirierten Ideen — also die Verbindung zu Gott — gestört war. In einem Zeugnis im Kapitel „Früchte" in Wissenschaft und Gesundheit schreibt der Verfasser: „Ich weiß, dass ich Dinge, die ich im vergangenen Jahr getan und gedacht habe, in diesem Jahr nicht mehr tun und denken werde, und ich bin glücklich darüber." Und in ebendiesem Sinne wollte ich von nun an sorgfältig darauf achten, auf Inspirationen zu lauschen, statt der Routine Raum zu geben.
Ich hatte eine Anzeige auf einer Internetplattform geschaltet, wo ich mein Profil eingestellt, also mich vorgestellt habe. Von Zeit zu Zeit musste die Anzeige erneuert werden. Der Cursor schwebte schon über dem Feld „löschen", aber dann machte ich den Klick bei „Erneuern". Diese Anzeigen boten zwei Richtungen: Ich bewarb mich bei den Firmen und, was ungewohnt war, die Firmen sich bei mir! Aber nie hatte sich hier etwas Vernünftiges ergeben. Die Unterstützung durch das Arbeitslosengeld ging zu Ende und ich bekräftigte täglich in meinen Gebeten ganz intensiv meine Verbindung zu Gott. Ich war davon überzeugt, versorgt zu sein, und arbeitete weiter an einem umfassenderen Verständnis von Versorgung als die Verbindung zu Gott, als nahe, tiefe Gemeinschaft mit Gott.
Meine unmittelbaren Kollegen sind etwa 25 Jahre jünger als ich und wir verstehen und ergänzen uns prächtig. Das Fachgebiet ist neu für mich, aber hochinteressant.
Dann auf einmal überschlugen sich die Ereignisse. Mehrere Firmen boten mir nun Stellen an. Besonders eine Stelle schien die richtige zu sein, ich sagte zu und trat meinen neuen Job an.
Sehr bald jedoch merkte ich, dass das doch nicht das Richtige war – ich war dort unterfordert und die Kollegen waren unmotiviert und frustriert. In dieser Situation rief mich eine andere Firma an, die noch einen Mitarbeiter suchte, allerdings auf einem Fachgebiet, auf dem ich keinerlei Erfahrung hatte. Beim Bewerbungsgespräch sagte man mir: „Wir haben hier eine sehr junge Mannschaft." Ich entgegnete: „Aha, und nun wollen Sie wohl einen Älteren einstellen, damit die Jungs mal etwas ruhiger werden." Nach insgesamt vier Vorstellungsgesprächen unterzeichneten wir den Arbeitsvertrag. Dankbar begann ich nun meine Arbeit in einer Firma, in der die Kollegen motiviert sind. Meine unmittelbaren Kollegen sind etwa 25 Jahre jünger als ich und wir verstehen und ergänzen uns prächtig. Das Fachgebiet ist neu für mich, aber hochinteressant. Während meine vorige Arbeitsstelle in einer Stadt weit weg von zu Hause lag, liegt meine neue Firma nur 27 km entfernt. Dadurch kann ich nun auch die ganze Woche über wieder zu Hause wohnen. Morgens fahre ich eine halbe Stunde mit dem Auto durch den schönen Schwarzwald.
In den Geschäftsgrundsätzen unserer Firma heißt es: „Der Umgang zwischen den in unserem Unternehmen Beschäftigten muss von gegenseitiger Achtung, Verständnis und Vertrauen geprägt sein. ..." und weiter: „... auf Geschäfte, bei denen ungesetzliche oder unethische Mittel eingesetzt werden, gehen wir nicht ein. Wir werden keine Produkte herstellen, die den Zweck haben, Menschen zu schaden (z. B. Waffen)."
Ja, da fühle ich mich nun wirklich am richtigen Platz und inzwischen bin ich dort schon bald zwei Jahre.
