Welches sind die ethischen Dimensionen beim Heilen in der Christlichen Wissenschaft, die weltweit praktiziert wird? Wie wird diese Ethik sichtbar in Situationen des täglichen Lebens? Drei erfahrene Heiler, die auch Lehrer der Christlichen Wissenschaft sind, kamen kürzlich zusammen, um über diese wichtigen Themen zu sprechen. Wir präsentieren ihr Gespräch in einer Serie.
Warren Bolon vom Christian Science Journal sprach mit Phil Davis, Karl (Sandy) Sandberg und Judy Wolff. Judy Wolffs Praxis ist in Arlington, Virginia, USA, beheimatet, Phil Davis (West Roxbury) und Sandy Sandberg (Norwell) kommen aus Massachusetts.
Warren Bolon: Nehmen wir einmal an, jemand ruft Sie an und möchte eine auf Gebet beruhende Behandlung als Ergänzung zu verschiedenen Formen der Gesundheitspflege, die er bereits nutzt, wie z.B. Ernährungsweise, Akupunktur oder andere Formen der physikalischen Behandlung. Diese Person möchte sozusagen „alle Eisen im Feuer haben“. Wie antworten Sie auf so eine Art von Anfragen?
Karl (Sandy) Sandberg: Wenn mir das klar wird — ob der Patient es mir nun gesagt hat oder ich es durch Beobachtung und Gebet erkannt habe —, möchte ich, dass der Patient versteht, wie unermesslich groß der Unterschied zwischen diesen anderen Verfahren und der Christlichen Wissenschaft ist. Ich würde erläutern, dass die Christliche Wissenschaft so viel mehr ist als nur ein alternatives Gesundheitssystem, denn sie geht gerade von einem entgegengesetzten Ausgangspunkt aus. Die Folge der Behandlung in der Christlichen Wissenschaft ist die Vergeistigung des Denkens und die Erhebung des Individuums zu einem Verständnis Gottes. Sie soll es dazu befähigen, etwas Wahres über sich selbst zu erkennen, etwas, was es auf keine andere Weise erkennen konnte. Bei jeder anderen Form der Behandlung, die angeboten wird, bleibt das Individuum in einem Gedankennetz verhaftet, das auf dem Zeugnis der materiellen Sinne basiert und behauptet, es gäbe einen Fehler, der berichtigt werden müsste, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, das ausgeglichen werden müsste, dass etwas aus dem Rahmen gefallen ist, was in seine Form zurückgebracht werden müsste. Das ist nicht unser Ausgangspunkt, von dem aus wir die Behandlung beginnen. Den Leuten zu helfen, diesen Unterschied zu verstehen, hilft ihnen normalerweise zu erkennen, dass eine Entscheidung über die Behandlung getroffen werden muss. Wenn ich spüre, es gibt ein Einverständnis voranzugehen, dann fallen diese anderen Dinge ganz natürlich ab. Wenn der Patient es aber für nötig erachtet, daran festzuhalten, dann agiert er aus seinem eigenen besten Verständnis heraus und meine Verantwortung ist es, ihm zuzugestehen zu tun, was immer er auch für angebracht halten mag. Wir übernehmen weder die Kontrolle noch die Verantwortung für die Gedanken der anderen. Sie müssen die gewünschte Behandlungsform frei wählen können.
Judy Wolff: Wir sitzen auch über niemandes Entscheidung zu Gericht. Vor der Frage der Entscheidung steht das Thema, wie wir uns selbst wahrnehmen. Wenn Sandy mich anrufen und sagen würde: „Judy, ich bin Marsbewohner und habe eine Mars-Krankheit. Ich verliere meine Antennen. Kannst Du bitte meine Antennen heilen, denn die sind für Marsbewohner lebenswichtig“, dann ist das genauso, als wenn er anrufen und sagen würde: „Ich bin ein Sterblicher und habe eine sterbliche Krankheit. ... Ich habe Krebs oder Diabetes; ich muss geheilt werden, sonst werde ich sterben." Beides sind falsche Auffassungen und die Aufgabe des Praktikers ist nicht zu sagen: „Meine Güte, Sandy, ich möchte ja, dass du ein gesunder Marsbewohner bist, also bete ich und mache deine Antennen stark und gut“. Und Sandy glaubt weiter, er wäre ein Marsbewohner, aber eben ein gesunder Marsbewohner. Das ist nicht anders, als wenn er mir sagt, er wäre ein kranker Sterblicher. Wenn ich nur seinen sterblichen Traum ausbessere und er lebt weiter in dem Glauben, er wäre ein gesunder, glücklicher Sterblicher, dann ist er nicht zu seiner großartigen geistigen Natur erwacht und hat sich nicht mit den Augen Gottes gesehen, was das Ergebnis einer christlich-wissenschaftlichen Behandlung ist. Der Schlüssel in der Beziehung zwischen Patient und Praktiker ist das Erwachen, sowohl des Patienten als auch des Praktikers, zu der geistigen Tatsache, mit Gottes Augen zu sehen, wie großartig Schöpfung ist. Eine Nebenwirkung dieses Erwachens ist die körperliche Heilung, wie auch die Heilung weiterer Teile unseres Daseins, die die Fülle unseres Lebens bereichern. Aber das metaphysische Heilen besteht nicht im Ausbessern von sterblichen, materiellen Träumen, damit wir weiterhin in diesem Traum weitermachen können. Es ist ein Erwachen zu geistiger Erlösung.
Sandberg: Mary Baker Eddy macht kurz und bündig verständlich, was du hier aufzeigst, Judy, wenn sie in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift auf Seite 476 schreibt: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Erlöser Gottes eigenes Gleichnis und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken. So lehrte Jesus, dass das Reich Gottes intakt und universal ist und dass der Mensch rein und heilig ist.“ Gehen wir zurück zu dem Thema von Warren, wo jemand „all diese Eisen im Feuer“ haben, all diese verschiedenen Formen der Behandlung gleichzeitig anwenden möchte. Diese Person sieht sich selbst nicht als das Kind Gottes an, das es immer schon gewesen ist. Und die einzige Möglichkeit, dieses Denken zu ändern, ist, diese Betrachtungsweise aufzugeben.
Phil Davis: Das ist im Grunde eine ethische Frage, denn wir wollen ja nicht einen Dienst leisten, der nicht dem entspricht, was der Patient zu bekommen glaubt. ...
Sandberg: Richtig.
Davis: ... Als wenn man ein System wie in einer Cafeteria hätte: ‚lch möchte ein Stückchen hiervon und eins davon und von dem da auch noch', die ganze Theke rauf und runter — das ist so ganz anders als die Christliche Wissenschaft, die wie ich so oft in öffentlichen Ansprachen sage, ein ganz und gar eigenständiges System von Fürsorge und Behandlung ist. Es handelt sich um etwas viel Profunderes in der Gesundheitspflege als nur um eine Art Körper-Reparatur — es geht um unsere Beziehung zu Gott. Dieses Argument beinhaltet einen Lernprozess mit dem Publikum; es braucht einige Hingabe, einige Erklärung.
Sandberg: Und manchmal ist es auch mit dem Patienten so.
Der Schlüssel in der Beziehung zwischen Patient und Praktiker ist das Erwachen, sowohl des Patienten als auch des Praktikers, zu der geistigen Tatsache, mit Gottes Augen zu sehen, wie großartig Schöpfung ist.
Davis: Richtig, beim Patienten ist ein Lernprozess notwendig, weil er ja, verlieren wir das nicht aus den Augen, zu Ihnen kommt, weil er leidet und gerade sagte: „Machen Sie bitte meinen Körper besser“. Und das ist wichtig. Wir bagatellisieren diesen Wunsch nicht. Es ist wichtig zu sehen, dass die Christliche Wissenschaft reale, solide Heilungen nachweist. Aber es muss eine Aufklärung erfolgen, um zu verstehen, dass das Denken sich in diesem Prozess ändern wird und die Beziehung zu Gott sich festigt. Diese Art der Behandlung ändert jeden Aspekt des Lebens, nicht nur den physischen Körper, wie wichtig das auch immer sei.
Bolon: Wie steht's mit einem anderen Gedankenzustand, einem, der nicht unbedingt sofort geheilt werden möchte, sondern eine kontinuierliche Betreuung durch den Praktiker sucht?
Wir finden nirgendwo im Neuen Testament, dass jemand zu Jesus kam und ihn bat, den nächsten Monat für ihn zu arbeiten. Sie kamen in der Erwartung, dass sie im gleichen Moment, da sie den Christus trafen, geheilt würden.
Davis: Manchmal rufen Patienten an und sagen in etwa: „Phil, würden Sie bitte für mich beten und auch über das Wochenende für mich weiterbeten?" Oder: „Ich rufe Sie gern nächstes Wochenende wieder an, aber können Sie mich bitte weiter behandeln, bis ich von meiner Reise zurück bin?“ Man kann diesen Wunsch nach Händchenhalten regelrecht spüren, dieses menschliche Sehnen, das da sagt: „Bleib bei mir“. Ich hatte einen Patienten, der sagte sogar: „Wissen Sie, ich glaube, ich bin völlig geheilt. Aber ich möchte nicht, dass Sie aufhören zu beten, denn ich mag das wirklich gern, dass Sie für mich beten." Das ist aber nicht ein System, in dem man immer abhängiger vom Praktiker wird. Das wäre nicht Christliche Wissenschaft, denn wenn wir jemanden zu mehr Abhängigkeit vom Praktiker führen, dann führen wir ihn nicht zu mehr Vertrauen auf Gott. Und das sollte doch das Ergebnis unserer Gebete sein. In der Tat, ich denke, dass es Ziel eines jeden Praktikers der Christlichen Wissenschaft ist — und das ist auch mein Ziel — gefeuert zu werden! „Ich bin geheilt, Sie sind entlassen.“
Sandberg: Ein weiterer Faktor, Phil, ist die Auffassung, dass eine Behandlung nicht genug ist, dass man Behandlungen anhäuft und sie erst dann etwas bewirken, aber dass eine einzige Behandlung eben nicht ausreichen würde. Ich denke, dass die Wertschätzung unserer eigenen Arbeit wesentlich dazu beiträgt, diesen Gedanken aufzugeben, dass wenn eine Behandlung gut ist, dann zehn Behandlungen zehnmal besser sein müssen. Das wahre Verlangen ist, den Patienten zu befähigen, seine eigene Beziehung zu Gott zu entdecken und diese zu demonstrieren. Das Bestreben bei der christlich-wissenschaftlichen Behandlung ist es, dem Einzelnen zu ermöglichen, den eigenen Weg zu finden und die eigene Erlösung auszuarbeiten, aber nicht, dass wir diese für ihn ausarbeiten.
Wolff: Wir finden nirgendwo im Neuen Testament, dass jemand zu Jesus kam und ihn bat, den nächsten Monat für ihn zu arbeiten. Sie kamen in der Erwartung, dass sie im gleichen Moment, da sie den Christus trafen, geheilt würden. Diese Erwartung ist heute nicht geringer, denn Christus ist heute nicht geringer. Es geht darum, diese Erwartungshaltung zu erreichen — dass wenn man einen Praktiker anruft und beide sich an Gott wenden und das Christus-Licht aufgeht — dann sollte die Heilung augenblicklich geschehen, denn Gott ist dazu fähig.
Sandberg: Das führt uns zu der Frage: Was passiert, wenn der Patient am Tag nach der Behandlung immer noch den gleichen körperlichen Zustand zeigt und noch länger Hilfe braucht? Bedeutet das, dass das Gebet fehlgeschlagen ist? Bedeutet das, dass wir unsere Aufgabe nicht erfüllt haben?
Davis: Obwohl ich mit dem Wissen bete, dass jede Behandlung wirksam ist, ist die Arbeit nicht getan, bis die Heilung komplett ist. Ich betrachte es nicht als eine Zeitspanne, in der ich jeden Tag beobachte und sage: „Gut, das sind nun zwei, drei Tage und es gab keine Heilung.“ Ich gehe jeden Fall jeden Tag neu an mit der Erwartung auf Heilung an diesem Tag, zu dem Zeitpunkt, in dem ich dafür bete. Es bedeutet in der Gegenwart zu leben, nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Das heißt, dass genau jetzt die Zeit für Heilung ist. Ich schaue nicht in die Vergangenheit, um zu sehen, wie lange ich mich schon mit dem Fall beschäftige, und ich schaue nicht in die Zukunft in der Erwartung, dass es noch eine Weile in Anspruch nehmen wird. Das bedeutet auf keinen Fall, dem Patienten eine Schuld zuzuschieben. Oftmals sind sie von allem in dieser Welt gelehrt worden, dass manche Dinge nun mal Zeit brauchen, um geheilt oder verändert zu werden. Die ldee einer sofortigen Heilung ist oft so ungewöhnlich, so neu, dass es geduldige, liebevolle Erläuterung durch uns erfordert, um zu erklären, dass dies etwas ist, was sie wollen. Auf diese oft gestellte Frage:„Würden Sie mich über das Wochenende unterstützen (beten)?“ — würde ich antworten: „Wollen Sie denn nicht sofort frei sein? Ich werde Sie unterstützen. Wenn es notwendig ist, weiter zu beten, werde ich es tun, doch warum erwarten wir nicht, dass Sie mich heute noch entlassen?“ Wenn ich das erkläre, ist der Patient jedes Mal ganz begeistert zu wissen, dass das meine Erwartung ist und dass es auch seine Erwartung sein kann.
Wolff: Falls eine Heilung mehrfache Behandlung erfordert, wenn wir sagen, es gäbe keine Heilung, bis die körperlichen Anzeichen verschwunden sind, so enthüllt doch jede Behandlung eine tiefere Wahrheit, eine engere Beziehung zu Gott — sie heilt einen Fehler oder ein Missverständnis. Möglicherweise gibt es eine Reihe von Dingen, die bereinigt werden müssen. Es ist so, wie wenn man einen Monat lang keinen Hausputz gemacht hat, dann braucht man länger, als wenn man jede Woche einmal sauber macht. Wenn man also seit einiger Zeit keinen mentalen Hausputz gemacht hat, braucht es möglicherweise ein paar Behandlungen. Aber jede Behandlung ist eine heilende Behandlung und bewirkt etwas, was notwendig ist. Diese Tatsache müssen wir anerkennen. Das körperliche Anzeichen von Gesundheit ist nicht der Augenblick der Heilung. Die Heilung, Umwandlung und Erlösung ging immer einher. Wir haben jedoch die natürliche Erwartung, dass jede Behandlung heilt. Nicht etwa die Erwartung, dass die Behandlung nicht gut genug sein wird und wir sie morgen oder übermorgen wiederholen müssen. Wir wenden uns an diesem Tag an Gott mit der äußersten Demut und Erwartung, dass Gott Gott sein wird und uns offenbaren wird, was wir in diesem Moment brauchen.
Davis: Mit anderen Worten, du würdest nie zu einem Patienten sagen. „Ich denke, dafür werden wir wohl zwei oder drei Behandlungen brauchen“ oder: „Wir werden eine Weile zusammenarbeiten.“ Es wird uns nicht auch nur im Traum einfallen, in dieser Weise zu denken. Genau jetzt ist der Zeitpunkt für Heilung.