Was denken Sie über das Alt-Werden und das Alt-Sein?
Wie, glauben Sie, werden Sie mit 85 Jahren aussehen und sich fühlen? Werden Sie Schwierigkeiten beim Bücken haben? Haben Sie Sorge, Ihren jüngeren Angehörigen dann zur Last zu fallen? Oder denken Sie, dass Sie mit 85 den neuen technischen Entwicklungen nicht mehr folgen und die jungen Leute nicht mehr verstehen können?
Ich könnte meine Fragen beliebig fortsetzen, doch ich denke, Sie wissen, worauf ich hinaus will. In unserer heutigen Gesellschaft ist das Bild vom Alt-Werden vor allem mit Befürchtungen belegt. Tatsächlich fallen mir nur zwei Aspekte ein, die in unserer Gesellschaft positiv mit dem Alter assoziiert werden: Als alter Mensch hat man mehr Zeit. Und: Alte Menschen sind öfter finanziell gut gestellt.
Was für eine Aussicht?!
Unsere Meinung über Dinge, wie z. B. das Alter, wird stark durch die Bilder der Gesellschaft mitgeprägt, in der wir leben. Glücklicherweise begegneten mir durch Auslandsreisen und die Christliche Wissenschaft auch andere Bilder über das Alter. In vielen Kulturen sind alte Menschen sehr angesehen. Da gibt es Institutionen, wie einen Rat der Ältesten, der über wichtige Fragestellungen in der Dorfgemeinschaft entscheidet und Menschen in schwierigen Lebenssituationen Rat anbietet. Oder die (Ur-)Großeltern haben als Familienoberhäupter ganz unmittelbar in vielerlei Hinsicht das Sagen.
In der Christlichen Wissenschaft fand ich im Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift folgende Zitate, die mir halfen, das gesellschaftlich gängige Bild in Frage zu stellen: „Jedes folgende Jahr entfaltet Weisheit, Schönheit und Heiligkeit." (S. 246) „Gemüt misst die Zeit nach dem Guten, das sich entfaltet", (S. 584) und „Jede weitere Stufe der Erfahrung entfaltet neue Ausblicke der göttlichen Güte und Liebe" (S. 62).
So brauchte ich das gesellschaftliche Bild nicht als die Wahrheit zu akzeptieren, sondern konnte darüber nachdenken, welchem Bild ich anhängen möchte oder welches mir als wahr erscheint.
Die Frage, welches Bild ich mir zu Eigen mache, hat Einfluss auf mein Leben, wenn man den Erkenntnissen der Psychologie zum Thema self-fullfilling prophecy (auf Deutsch: sich selbst erfüllende Prophezeiung) glaubt. Diese besagen, dass die Bilder, die wir über uns haben, unsere Wirklichkeit mitgestalten. Sprich, wenn ich glaube, dass ich nicht in der Lage sei, mich geschäftlich durchzusetzen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich es schaffe, signifikant geringer, als wenn ich von meinen Erfolgsaussichten überzeugt bin.
Vielleicht regt Sie dieser Artikel dazu an, sich eigene Gedanken über das Thema Alter zu machen. Vielleicht führt er auch dazu, dass Sie Personen im fortgeschrittenen Alter entdecken, die Sie bewundern hinsichtlich der großartigen Qualitäten, die diese zum Ausdruck bringen. Und möglicherweise fragen Sie sich dann, ob es nicht gut möglich wäre, dass Sie selber mit 85 Jahren genauso inspirierend, lebendig, kraftvoll, entschlossen, mutig und ermutigend, edel, weise, gelassen und schön für andere wirken können?
In dem vorhin erwähnten Buch von Mary Baker Eddy finden sich noch weitere spannende Aussagen über das Alter, beispielsweise: „Berichte niemals über Alter. Chronologische Daten sind kein Teil der unermesslichen Ewigkeit. Zeittafeln über Geburt und Tod sind lauter Verschwörer gegen Männlichkeit und Weiblichkeit. Würde nicht der Irrtum alles Gute und Schöne bemessen und begrenzen, würde der Mensch mehr als siebzig Jahre genießen und seine Kraft, Frische und Verheißung bewahren. Der Mensch, der vom unsterblichen Gemüt regiert wird, ist immer schön und großartig." (ebd. S. 246) Einem Kind stehen also genauso Weisheit und Gelassenheit zu wie einer 90-jährigen Frau Kraft, Spontaneität und Lebensfreude. „Der Mensch ist der Höhepunkt der Schöpfung", heißt es in Eddys Werk Nein und Ja auf S. 17. Und das nicht nur zwischen dem 25sten und 40sten Lebensjahr, sondern zu jeder Zeit.
Eigene Erfahrungen haben mich von dieser Wahrheit überzeugt. Als ich in der Kindheit mit meiner Mutter manchmal mit der U-Bahn zum Gottesdienst bzw. in die Sonntagsschule fuhr, sahen wir manchmal von Weitem meinen Sonntagsschullehrer, wie er mit seinen 80 Jahren uns auf der Treppe vom U-Bahnsteig zum Ausgang abhängte, weil er leicht federnd zwei Stufen auf einmal nahm. Und das, obwohl er nicht sehr groß gewachsen war. Ähnlich verblüffend — im positiven Sinne — war die Begegnung mit einem 65-jährigen Mann auf einer Skiwoche. Er fuhr wie ich in der fortgeschrittensten Gruppe, der Gruppe der Skilehrer, mit. Und obwohl wir untertags — meiner Meinung nach (ich war über 30 Jahre jünger) — alles auf der Piste gaben, ging er angeblich morgens noch ein bis zwei Stunden in der bergigen Umgebung joggen. Ich konnte das erst nicht glauben und sprach ihn deshalb darauf an. Er bestätigte mir dies und erklärte mir, dass er die Bewegung „bräuchte", da er Ultra-Marathons (100-km-Läufe) und Transalpine-Läufe bestreite. Ich war sprachlos und so positiv beeindruckt, dass ich, als ich wieder nach Hause kam, mein Jogging-Pensum ohne Zwischenstufen von 10 auf 30 km erhöhte, ohne davon irgendwelche gesundheitlichen Probleme davonzutragen.
Ich weiß natürlich, dass nicht jeder Mensch Marathons laufen können muss. Aber ich gehe gern an meine (gefühlten) Grenzen und schiebe sie immer weiter hinaus, weil ich weiß, dass der Mensch als Idee Gottes unbegrenzt ist. Und deshalb bin ich Menschen, die mir durch ihr Vorbild Mut machen, meine Grenzen zu erweitern, sehr dankbar. Und ganz besonders danke ich dem Christus, der uns durch sein Wirken dahin führt, die Wahrheit zu erkennen und ein von falschen Vorstellungen befreites, glückliches Leben zu führen.
