In Anbetracht der schon länger festgefahrenen Situation im Nahen Osten fällt es einem schwer, der Debatte zwischen den Vereinigten Staaten und Israel über ihre unterschiedlichen Auffasungen darüber, wie man den Friedensprozess wieder in Gang bringen könnte, zu folgen. Aber die Tatsachen im Land, unterhalb der bestehenden Übereinkünfte, ändern sich — zwar rasant.
So hat zum Beispiel Ägypten, das nun nicht mehr unter Husni Mubaraks Herrschaft steht, einen Grenzübergang zu palästinensischem Gebiet geöffnet. Unter barak war die Grenze jeweils nur kurzzeitig geöffnet worden. Nun befürchtet Israel, dass Terroristen diesen freieren Zugang nutzen könnten, um vermehrt Waffen und Militär dorthin zu bringen. Neue Kontakte und letztlich neue Abkommen mit Ägypten zu entwickeln ist für die Stabilität in der Region äußerst wichtig. Und obwohl die Forderung nach Menschenrechten in Nordafrika und anderen arabischen Ländern Israel gar nicht direkt betrifft, führen die Umwälzungen in der Region zu einer veränderten politischen Konstellation. Dabei könnte es sogar eine sein, die Israels Existenzrecht leichter akzeptiert und Fortschritt bringt.
Allein aus diesen Gründen ist Gebet für den Frieden in dieser Region und innerhalb der Grenzen Israels unerlässlich. Es ist eine Zeit, in der geistige Denker Gottes Führung der Ereignisse unterstützen, die Bemühungen derer, die Instabilität und Krieg nähren, durchkreuzen und den Weg öffnen können für eine wesentlich stabilere Umwelt für alle.
Die Vergangenheit hinter sich lassen
Große Teile der Auseinandersetzung über Frieden ist in materielle Begriffe gefasst: historisch gewachsene Ansprüche aller Gruppierungen auf ein und denselben Landstrich, dessen bewohnbare Fläche verhältnismäßig klein ist. Auch gibt es eine lange Geschichte von Furcht und Misstrauen. Solange die Diskussion sich nur in diesen materiellen Begriffen bewegt, dürfte es faktisch ausgeschlossen sein, eine Lösung zu finden. Apathie, Zynismus oder Hoffnungslosigkeit über die Situation dürften den Prozess auch verzögern, weil sie ebenfalls aus dem materiellen Bezugspunkt resultieren, dass Gott abwesend oder machtlos sei.
Unsere Gebete für Frieden können aber von der Überzeugung beflügelt werden, dass Materialität den Mann und die Frau, die Gott geschaffen hat, nicht definieren und Gott Seines Universums gewiss nicht berauben kann.
Mary Baker Eddy schrieb darüber in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zurHeiligen Schrift: „Die wahre Theorie vom Universum, einschließlich des Menschen, liegt nicht in materieller Geschichte, sondern in geistiger Entwicklung." (S. 547) Und in der Bibel können Juden, Christen und Muslime viele Beispiele für echte geistige Entwicklung finden. Die Gesetze im 4. und 5. Buch Mose sind — für ihre Zeit — sehr fortschrittlich im Bezug auf den Umgang mit Menschen jenseits der religiösen Tradition des jüdischen Volkes. Das Vertrauen in Gottes Macht und Güte, das verschiedene hebräische Führer wie Abraham, Mose, David, Salomo und andere mehr unter Beweis gestellt haben, war nicht vergebens. Sie geben ein Beispiel für uns alle und erinnern uns daran, dass Gottes Macht heute ebenso präsent ist.
Insbesondere Nehemia sah sich einer heiklen Angelegenheit gegenüber, als er die Mauern von Jerusalem wiederaufbauen sollte. Seine Feinde behaupteten, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen sei. Sie wollten ihm und seinem Volk ernsthaften Schaden zufügen. Aber Nehemia weigerte sich, angesichts dieser materiellen Angriffe und Gefahren den Mut zu verlieren. Seine Überzeugung, dass Gott tatsächlich die einzige Macht ist, unterstützte seine Anstrengungen, sie machte den entscheidenden Unterschied.
Apokalyptische Prophezeiungen überwinden
Während die meisten Christen, Juden und Muslime Gewalt scheuen und sich nach Frieden sehnen, gibt es jedoch auch andere, deren Glaube an eine bevorstehende Apokalypse sie zu gewalttätigen Handlungen treibt. Diese Form des Fundamentalismus ist schon lange ein tieferliegendes Thema im verworrenen Gewebe des Friedensprozesses im Nahen Osten gewesen. Radikale Christen erwarten, dass Israel zum Schauplatz des letzten Kampfes zwischen Gut und Böse (Armageddon) wird, und sind daher bereit, Israel aktiv finanziell und politisch zu unterstützen. Unter jüdischen Fundamentalisten hingegen gibt es solche, die den Messias erwarten — und zwar schon bald — ,und andere wiederum, die zur Gewalt gegen Muslime bereit sind. Islamische Fundamentalisten streben nach der Errichtung eines weltweiten islamischen Staates, wie es die Angriffe vom 11. September deutlich gemacht haben.
Jede dieser Denkweisen enthält Gewalt als eine Lösung oder gar als Notwendigkeit auf dem Weg zum Himmel und zur Harmonie. Gebet, das sich auf die Christliche Wissenschaft — die gesetzmäßige, gute, intelligente und wahrhaftige Regierung Gottes — gründet, kann dem Einfluss solcher Gedanken zuvorkommen. Mary Baker Eddy sprach in Wissenschaft und Gesundheit vom letzten Kampf zwischen Materialismus und Spiritualität, als sie dort schrieb: „Während dieses letzten Konfliktes werden boshafte Gemüter versuchen, Mittel und Wege zu finden, um mehr Böses anzurichten; aber diejenigen, die Christian Science erkennen, werden das Verbrechen im Zaum halten. Sie werden beim Austreiben des Irrtums helfen. Sie werden Recht und Ordnung aufrechterhalten und freudig die Gewissheit der endgültigen Vollkommenheit erwarten." (S. 96)
Für Ganzheit und Einheit
Eine der ganz bemerkenswerten Facetten von Eddys Entdeckung ist die Tatsache, dass Gott das einzige Gemüt und der Mensch der Ausdruck dieses Gemüts ist. In Situationen von Krieg, umstrittenen Territorien, verworrener Geschichte usw. hat die geistige Tatsache der Einheit des Gemüts eine machtvolle Wirkung. Im Wesentlichen bedeutet sie, dass das, was uns vom anderen trennt, abzufallen beginnt, wenn wir uns den Führungen dieses Gemüts ergeben. Es kann nur das bestehen, was gut und wahr ist, weil im Gemüt nur Vollkommenheit möglich ist.
Wenn wir diese geistige Tatsache verstehen, werden Umstände, die uns bisher verwirrt oder erschreckt haben, geklärt oder finden ihren rechten Platz im Gefüge oder sie stellen sich als irrelevant heraus und scheiden aus.
Liebe macht für alle Raum
Wer eine große, liebevolle Familie kennt, weiß auch, dass egal, wie voll das Haus schon ist, die Liebe unter den Familienmitgliedern, die da wohnen, es immer ermöglicht, auch glücklich miteinander zu leben. Mancher mag es naiv nennen, dies auf die „große Familie" anzuwenden, die friedlich in dem kleinen Haus namens Israel und palästinensische Gebiete zusammenleben müssen. Und das wäre es wahrscheinlich auch, wenn man ausschließlich auf eine menschliche Auffassung von Liebe bauen würde.
Die göttliche Liebe aber ist viel machtvoller als menschliche Liebe. Erstens, weil sie ihrem Urwesen nach allmächtig ist. Zweitens, weil sie rein ist, frei von menschlichem Antrieb, menschlichen Motiven, gemischten Emotionen, Ego, Politik oder Geschichte. Der Liebe Wahrnehmung des geistigen Mannes und der geistigen Frau aus ihrer eigenen Schöpfung enthält weder Hass, Furcht, materielle Geschichte noch all deren zerstörerischen Elemente.
Unter praktischen Gesichtspunkten heißt das: Unsere Hingabe, nach Belegen für das Wirken der göttlichen Liebe im Nahen Osten Ausschau zu halten, und unser Bestehen darauf, dass diese weder verzögert, bestritten noch verwehrt werden können, können den Weg für die Menschen dort eröffnen, in Harmonie zusammenzuleben. Das kann in Form von zwei getrennten Staaten — aber unter dem Einfluess der göttlichen Liebe — geschehen oder als ein gemeinsamer Staat oder in einer Variante, die erst noch sichtbar wird.
Gottes Absicht ist immer Harmonie, Frieden und Gerechtigkeit. Das Verlangen danach ist das, was wirklich normal ist — selbst im menschlichen Bereich. Als Kinder der göttlichen Liebe hat keiner von uns — die Menschen im Nahen Osten eingeschlossen — wirklich eine Sehnsucht nach Zerstörung und Tod. Keiner kann wahrhaftig glauben, dass Hass zufrieden machen oder irgendetwas lösen könnte.
Trennung, Isolation, Verwüstung sind kein Teil des göttlichen Reiches oder Ziels — das bestätigt auch die Bibel voll und ganz. Ein Psalm beschreibt das sinngemäß so: „In der Angst rief ich den Herrn an; und der Herr antwortete mir und brachte mich an einen weiten Ort. ... Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen." (nach der engl. Bibel, Ps. 118) Dieser weite Ort ist das Land der unendlichen Liebe — Christus Jesus nannte es das Himmelreich. In diesem Himmelreich regiert nur Liebe und alle sind zufrieden. Die Werke Gottes umfassen Werke des Friedens, nicht des Krieges; des Guten, nicht des Bösen; der Liebe, nicht des Hasses; der Freude, nicht des Leides. Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden zu leben, zu lieben und geliebt zu werden.
Dieses Himmelreich wahrzunehmen erfordert aber die Bereitschaft, die Vergangenheit zurückzulassen und die Wirklichkeit der göttlichen Liebe im eigenen Leben und auch in dem anderer zu erfassen. Das ist nicht immer ganz leicht und es heißt auch nicht, dass die Menschen naiv oder leichtfertig sein sollen. Aber wie Nehemia gezeigt hat, siegt die göttliche Intelligenz, doch sie zeigt sich in Form von Stärke, Frieden und Weisheit, nicht in Form von Furcht und Krieg.
Das ist der Punkt, wo jeder Einzelne von uns etwas beitragen kann, indem er sich verpflichtet, Entmutigung, Frustration und Ärger zu widerstehen, wenn Nachrichten über den Nahen Osten Hoffnungslosigkeit, Gewalt, Hass und Unnachgiebigkeit nahelegen. Wenn wir auf der Seite der Wahrheit und der Intelligenz und der Liebe dagegenhalten, werden wir darauf bestehen, dass Gott mit all Seiner Macht zum Guten und zur Heilung gegenwärtig ist. Dann erheben wir unsere Herzen und öffnen die Türen des Verständnisses, sodass Gottes wahre Heilsbotschaft des Friedens am Ende absolut herrscht.
