Die Mühsal von Migranten in allen Teilen der Welt ist häufig der Inhalt meiner Gedanken und Gebete. Das Thema scheint so komplex und herzzerreißend, dass ich mich der Sache nicht immer gewachsen fühle. Doch einmal erreichte mich eine Engelsbotschaft, die mir einen Weg zeigte. Sie eröffnete mir außerdem eine frische Sichtweise auf eine bekannte Bibelgeschichte: das von Christus Jesus erzählte Gleichnis vom verlorenen Sohn (siehe Lukas 15:11–32).
In dieser Geschichte hat es ein Sohn eilig, das Elternhaus zu verlassen, und bittet seinen Vater um sein Erbteil. Er zieht in „ein fernes Land“ und verprasst alles, wodurch er mittellos wird und in eine verzweifelte Lage gerät. Am Ende beschließt er, nach Hause zurückzukehren. Er glaubt, nicht länger würdig zu sein, als Sohn im Haus des Vaters bezeichnet zu werden, hofft aber, Diener werden zu können. Doch ihn erwartet viel mehr: Der Vater begrüßt ihn mit offenen Armen und gibt ihm seine Position des geliebten und geehrten Sohnes zurück (oder besser: bekräftigt sie erneut) – und all das voll Freude und Jubel.
Diese Geschichte hat so viele Gesichtspunkte, und an jenem Morgen bat ich Gott um eine neue Erkenntnis, wie ich die Moral besser auf mich und andere beziehen konnte. Dann kam mir der Gedanke: „Du hast keine doppelte Staatsbürgerschaft.“ Das war ein neuer Gesichtspunkt. Es gibt ja Situationen, in denen es aus menschlicher Sicht sehr vorteilhaft sein kann, doppelte Staatsbürgerschaft zu besitzen. Doch ich fragte mich, was diese Botschaft aus geistiger Sicht bedeutete.
Ich dachte über die Tatsache nach, dass man geistig gesehen keine doppelte – und auch keine widerstreitende – Identität hat, sondern dass jeder von uns geistig und unsterblich ist. Wir sind als Bild und Gleichnis Gottes erschaffen (siehe 1. Mose 1:26, 27), und Gott ist Geist, also sind wir geistig. Mit anderen Worten, wir sind nicht zugleich unsterblich und sterblich, in zwei Realitäten sesshaft – einen Fuß im Reich des Geistes und den anderen in einer angeblichen materiellen Existenz.
Diese Tatsache trifft auf jeden zu, einschließlich Migranten. Die Engelsbotschaft, die mir statt doppelter nur eine Staatsbürgerschaft zusprach, bestätigt, dass alle Menschen im Reich des Geistes leben, wo niemand ausgeschlossen oder des Guten beraubt werden kann, denn Gott, die Quelle alles Guten, umgibt jeden Menschen ständig.
Da musste ich an eine Erfahrung denken, die Jahre zurückliegt. Ich arbeitete in einer Anwaltskanzlei, und ein Anwalt sagte mir, dass er und eine Kollegin an einem schwierigen Asylantrag arbeiteten. Es ging um einen jungen Mann, der verzweifelt versuchte, seinem Land und dem dortigen unfairen Regime zu entkommen. Er war als blinder Passagier auf einem Schiff nach New York gereist und saß nun dort in Untersuchungshaft. Der Anwalt machte sich über das Ergebnis des Falls große Sorgen. Wenn der Asylantrag abgelehnt würde, müsste der junge Mann in sein Land zurückkehren, und es war zweifelhaft, ob er dann überleben würde. Und obendrein sollte eine Richterin über den Fall entscheiden, so der Anwalt, die „Richterin Abgelehnt“ genannt wurde, weil sie bei solchen Anträgen so oft einen harten Kurs fuhr.
Die Angelegenheit belastete mich, und ich gebe zu, dass ich den Gedanken daran wegschob, damit ich nicht ständig daran dachte. Doch ein paar Wochen später stellten die beiden Anwälte mir den Sachverständigen für den Fall vor. Dieser sagte mir, dass am folgenden Morgen über die Angelegenheit geurteilt werden würde. Da wurde mir klar, dass ich beten musste. Doch wie?
Als ich an jenem Tag von der Arbeit kam, bat ich Gott, mir zu zeigen, was ich wissen musste. Ich schlug das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, auf und mein Blick fiel auf folgenden Satz: „Ich sah vor mir den furchtbaren Kampf, das Rote Meer und die Wüste; doch durch den Glauben an Gott drang ich vorwärts, indem ich Wahrheit, der starken Befreierin, vertraute, mich in das Land der Christlichen Wissenschaft zu führen, wo die Fesseln fallen und die Rechte des Menschen völlig erkannt und anerkannt sind“ (S. 226–227). Damit hatte ich die Antwort! Ich wusste, dass der Asylbewerber bereits im Land der Wahrheit wohnhaft war, unter Gottes Regierung und schützender Fürsorge. Außerdem erkannte ich, dass Gott, „die starke Befreierin“, allein über diesen Fall befand.
Ich war sicher, dass dies feststehende und unumstößliche geistige Tatsachen waren, und vertraute darauf, dass Gott alle Fäden in der Hand hatte.
Am nächsten Morgen sah ich die Anwältin. Sie war gerade von Gericht zurückgekommen und strahlte. Fröhlich sagte sie: „‚Richterin Abgelehnt‘ hat ja gesagt!“ Später hatte ich das Vergnügen, den jungen Mann kennenzulernen, zu dem die Richterin ja gesagt hatte, und seine Freude über seine neue Freiheit war herzerwärmend.
Jeder von uns hat immer einen Platz im Reich Gottes.
Ich war so dankbar, den Beweis zu sehen, dass dieser Mann wie alle Menschen einzig und dauerhaft unter der Fürsorge des Geistes lebt. Das ist die Lehre von Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn. Dieser Sohn hatte ursprünglich vorgehabt, seine „Staatsbürgerschaft“ bzw. Identität zu ändern, nämlich vom geliebten Sohn, der auf dem Grund und Boden des Vaters sicher war, in einen verschwenderischen und zügellosen Abenteurer in einer materialistischen Welt. Doch schließlich erkannte er, dass er sich von einem rein materialistischen Leben abwenden musste (im Gleichnis heißt es, dass er „in sich ging“), und er wollte ins Haus seines Vaters zurückkehren. Man könnte dieses Haus das Bewusstsein der geistigen Wirklichkeit nennen. Und als er kam, merkte er, dass sein Vater ihn schon von Weitem sah. Man könnte sagen, dass der Vater die wahre Identität seines Sohnes als gut, geistig und beschützt nie aus den Augen verloren hatte, egal wo der Sohn war.
Die Schlussfolgerung für uns ist, dass wir kein von unserem Vater, Gott, getrenntes Leben führen, denn Gott liebt uns immer und umgibt uns – und bewahrt unsere wahre Identität als geistig und vollkommen. Was für eine wundervolle Botschaft der Hoffnung und Stärke dies für jeden Migranten sein kann, der zu ringen hat.
Die Christliche Wissenschaft zeigt uns, dass wir in unserer wahren geistigen Natur den Überzeugungen einer materiellen Welt mit ihren unharmonischen Suggestionen von Sünde, Krankheit und Tod nicht unterliegen. Paulus drückte es so treffend aus: „Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes“ (Römer 8:2).
Mrs. Eddy gibt uns in Wissenschaft und Gesundheit die „wissenschaftliche Erklärung des Seins“, die besagt: „Geist ist Gott und der Mensch ist Sein Bild und Gleichnis. Folglich ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig“ (S. 468). Und im selben Buch: „Der Mensch als Gleichnis Gottes, wie ihn die Wissenschaft offenbart, kann nicht anders als unsterblich sein“ (S. 81). Gott hat uns befähigt, die Realität unseres geistigen Seins zu beweisen. Wenn wir etwas von dieser geistigen Realität verstehen, können wir nicht nur den Schutz finden, den wir brauchen, sondern auch Sünde und Krankheit heilen.
Meine Bemühungen, den Umfang davon auch nur etwas zu verstehen und anzuwenden, haben mich veranlasst, konstant wertzuschätzen, wozu Gott mich – und uns alle – erschaffen hat. Ich bin geheilt worden, wann immer ich verstand, dass das Leben geistig und nicht materiell ist.
Einmal hatte ich hartnäckigen Hautausschlag. Eines Tages redete ich mit einer Praktikerin der Christlichen Wissenschaft, die ich gebeten hatte, für mich zu beten. Sie sagte mir, dass ich im Reich Gottes und nicht einem materiellen Körper lebe. Sie muss erkannt haben, dass ich versuchte, einen schlechten materiellen Zustand zu ändern, statt wertzuachten, was ich als Widerspiegelung Gottes wahrhaft bin. Ihre Worte halfen mir, mein Denken über das materielle Bild von Hautausschlag zu erheben, damit ich das wissen konnte, was geistig wahr über mich war – und ich wurde geheilt.
Eine zielgerichtete Herangehensweise an das Leben als völlig geistig und keineswegs materiell erfordert Disziplin, doch sie kann ohne Ausnahme auf uns selbst und alle Menschen angewandt werden. Jeder von uns hat einen Platz im Reich Gottes. Wir waren von jeher die Söhne und Töchter des Geistes und werden es ewiglich sein. Wir sind keine doppelten Staatsbürger – einerseits im Reich der geistigen Wirklichkeit, wo wir eins mit Gott sind, und andererseits in einer materiellen Welt, getrennt von Gott. Wie wir in der Bibel lesen: „So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Gäste, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ (Epheser 2:19).