Viele von uns mögen sich beim Gebet über ein hartnäckiges Problem gefragt haben, ob wir für Gott vielleicht nicht erreichbar sind. Wir erkennen gern an, dass es eine mächtige, liebevolle Gegenwart namens Gott gibt und dass andere Seine schützende, heilende Fürsorge erlebt haben. „Aber“, so geht das Argument, „meine eigene mentale Beschaffenheit bzw. mein Mangel an geistigem Verständnis – oder auch meine tiefsitzende Furcht – bewirkt, dass ich Gottes Gegenwart einfach nicht fühlen und Seine Führung nicht erkennen kann.“
Diese Überlegungen haben in dem Moment den Anschein, als prüften sie den aktuellen Stand unseres Denkens und seien eine ehrliche Selbsteinschätzung. Doch wenn unser Fokus sich mehr auf das richtet, was wir für unsere begrenzte Fähigkeit halten, geistig erleuchtet zu werden, als auf Gott und Seine unendliche Fähigkeit, Gutes in unserem Leben zu bewirken, dann kann durchaus Entmutigung aufkommen.
Der erste Schritt zu einer Wahrnehmung von Gottes Gegenwart und Liebe mag sein, folgende grundlegende Frage in Betracht zu ziehen: Kann ich wirklich an einen Punkt gelangt sein, wo ich unerreichbar bin – wo Gott, die Quelle wahrer Weisheit und Macht, nicht durch den Geräuschpegel eines vorgeblichen persönlichen Gemüts vordringen und sich mir auf eine Wese kenntlich machen kann, die mich inspiriert und heilt?
Dass Gott göttliche, unendliche Liebe ist, ändert sich nie. Dieser unendliche, allmächtige Gott liebt Sie und mich hier und jetzt, ob wir glauben, Seiner Liebe menschlich würdig zu sein oder sie in diesem Augenblick fühlen zu können, oder nicht. Seine Liebe zu uns ist absolut echt, umfassend, ewig, ununterbrochen. Und wir alle existieren hier und jetzt als das geistige Ebenbild Gottes und manifestieren Seine göttliche Natur in jedem Bereich unseres Daseins. Kein materieller Umstand oder Zustand kann die Liebe des Vaters für uns behindern oder unsere gottgegebene Fähigkeit außer Kraft setzen, Seine Liebe so überzeugend zu erleben, dass sie unseren Bedarf stillt. Wenn diese Erkenntnis in unserem Denken zunimmt, verschwindet die aggressive Suggestion, wir seien unfähig, Gottes Gegenwart zu fühlen; wir erkennen sie als das, was sie ist – eine Falschheit, die nicht nur unwahr, sondern ungerecht ist.
Es ist ermutigend zu wissen, dass Menschen, die Christus Jesus um Heilung baten, vermutlich auch nicht gänzlich frei von Angst waren und vielleicht keinen blütenreinen Charakter hatten. Sie waren auch nicht alle besonders geistig gesinnt. Aber sie wurden nicht ignoriert oder fortgeschickt, als seien sie irgendwie unerreichbar. Im Gegenteil, der Meister behandelte jeden von ihnen liebevoll. Stadien des menschlichen Bewusstseins – Furcht, Zweifel, Entmutigung, Frust, Sünde – galten nicht als Grund, nicht von Wahrheit, dem Christus, geheilt werden zu können, sondern wurden im Licht der großen Liebe des Vaters aufgelöst, die Christus Jesus erkannte und ausdrückte.
Aus seinem Vorbild lernen wir, dass jeder von uns durch den Christus erreichbar ist, den ewigen Geist von Wahrheit und Liebe, die der Meister verkörperte und in seinem Leben und seiner Heilmission aufzeigte. Der Christus ist im menschlichen Bewusstsein immer gegenwärtig, um zu trösten, zu heilen, zu erretten und zu erlösen. Man könnte sagen, dass der Christus so mit uns kommuniziert, wie Jesus dies täte, wenn er hier wäre, und Furcht auflösen und unsere ungebrochene Beziehung zum Vater als gehegte Tochter und geliebten Sohn hervorheben würde. Selbst inmitten großer Probleme sind die zärtlichen, heilenden Botschaften des Christus trotz des im sterblichen Denken vorhandenen Lärms zu hören und erklären unsere angeborene Reinheit, unsere geistige Kraft und Herrschaft über die Disharmonien des materiellen Sinnes. Ein Gedicht von Mary Baker Eddy, der Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, versichert uns:
Auf sturmbewegter Meeresflut
seh’ Christus ich;
erbarmungsvoll, mit mildem Wort
er nahet sich.
(Vermischte Schriften 1883–1896, S. 397)
Uns diesem göttlichen Einfluss, dem Christus, auch nur ein wenig zu fügen kommt einem „In-sich-Gehen“ gleich, von dem der Meister in seinem Gleichnis vom verlorenen Sohn sprach (siehe Lukas 15:11–32). Gemäß der Geschichte „ging [der Sohn] in sich“, als er verarmt und allein war, nachdem er seine Zeit und sein Geld in einem fernen Land verprasst hatte. Heutzutage würde man vielleicht sagen, dass der junge Mann wieder zu Verstand kam. Dieses Gleichnis scheint zu implizieren, dass er zu dem erwachte, was er die ganze Zeit gewesen war – ein Sohn seines Vaters (der Vater in der Geschichte repräsentiert Gott als Vater) mit einem Status, einem Platz und einer Aufgabe im väterlichen Haushalt. Also machte er sich auf die Heimreise.
Kein materieller Umstand oder Zustand kann die Liebe des Vaters für uns behindern.
Ich mochte dieses Gleichnis schon immer und habe oft Mut daraus gefasst. Wenn ich mich irgendwie von Gott abgeschnitten fühlte – durch ein körperliches Problem entmutigt, das meinem Gebet noch nicht gewichen war, unzufrieden über Schwächen oder einfach überzeugt, dass keine Inspiration vorhanden sei –, dann half dieses Gleichnis, mich aufzurütteln. Es hat mich auf den Weg nach Hause zur geistigen Wahrheit von meinem Sein als Kind Gottes gebracht, zur Wiedererlangung des Friedens aus der Erkenntnis von Gottes Gegenwart und dass ich unter Seiner liebevollen Fürsorge bin.
Für diejenigen, die mit etwas ringen, können die Implikationen dieser Geschichte sehr wichtig sein, denn sie zeigt unsere natürliche Fähigkeit, die göttlichen Impulse zu erkennen und ihnen zu gehorchen, sowie die zärtliche Unterstützung, die wir währenddessen durch die unerschütterliche Liebe unseres Vater-Mutter-Gottes erhalten. So verloren dieser Sohn auch gewesen sein mochte, am Ende stellte er fest, dass er alle erforderlichen Fähigkeiten bereits vollständig besaß. Er wandte sich wirksam von einer negativen Sicht von sich als geistig verlorenem Sterblichen und dem Lebensstil ab, der mit dieser falschen Ansicht einherging. Und besonders bewegend ist vielleicht die Tatsache, dass sein Vater ihn sah, „als er aber noch fern war“, ihm entgegenlief und herzlich willkommen hieß.
Metaphorisch ausgedrückt lernte der verlorene Sohn das, was jeder von uns in gewisser Weise lernt – dass unser wahres Leben und Sein im und vom göttlichen Geist ist. Das Gleichnis zeigt uns, dass der Christus heute bei uns ist und uns veranlasst, die weltlichen Bestrebungen, ichbezogenen Interessen und das Vertrauen auf materielle Mittel für Heilung und Glück – alles, was uns das Gefühl vermittelt, von Gott getrennt zu sein – hinter uns zu lassen und vollständiger auf der Grundlage des Geistes und unserer wahren Identität als Kind Gottes zu denken, zu beten und zu leben. Wenn Sünde eine Komponente unseres Eindrucks ist, von Gott getrennt zu sein, entdecken wir, dass sie die Wirklichkeit unserer geistigen Unschuld als Gottes Ebenbild, Idee, nicht umkehren kann und es auch nicht tut. Das, was unserem Fortschritt dahingehend im Weg zu stehen scheint, dem einen Gott zu dienen, unterliegt in Wirklichkeit dem erneuernden Christus, wenn wir uns demütig seiner göttlichen Führung anvertrauen.
Zu sagen, dass Gott, der uns liebt, uns immer erreicht, impliziert nicht, dass wir jemals wirklich vom Vater abgeschnitten und allein waren und nun versuchen müssen, zu Ihm zurückzufinden. Vielmehr kommt die längst etablierte Tatsache als Licht, dass wir der reine Ausdruck der göttlichen Liebe und eins mit ihr sind, im großen Herzen der Göttlichkeit leben und von ihr ausgehen. Dadurch wird deutlich, dass wir das sind, was Jesus uns gezeigt hat – die Söhne und Töchter des lebendigen Gottes, die ein natürliches geistiges Bewusstsein von Seiner Gegenwart und Macht haben.
Mary Baker Eddy hat eine wundervolle, klare Aussage in ihrem Buch Die Einheit des Guten, wo sie erklärt, wieso Gott – das unendliche, allgegenwärtige Gute – nichts von einem fernen Land weiß, wo Sein Kind sich von Seiner Güte abgeschnitten fühlen könnte. Wir fühlen diesen liebevollen Vater-Mutter-Gott als für uns erreichbare Liebe und Wahrheit und Leben. „Wahrheit ist Gott und in Gottes Gesetz enthalten“, versichert sie uns. Und dann erklärt sie: „Ein zeitweiliges Bewusstsein von Gottes Gesetz erlangen bedeutet in einer gewissen endlichen, menschlichen Weise zu fühlen, dass Gott zu uns kommt und sich unser erbarmt; doch das Verständnis von Seiner Gegenwart, das wir durch die Wissenschaft von Gott erlangen, zerstört unseren Sinn von der Unvollkommenheit oder von Seiner Abwesenheit durch einen göttlicheren Sinn, dass Gott alles wahre Bewusstsein ist; und dies gibt uns die Gewissheit, dass wir in dem Maße, wie wir Ihm noch näher kommen, unser Bewusstsein vom Irrtum für immer verlieren müssen“ (S. 4).
Unsere tiefsten geistigen Intuitionen zeigen uns, wie natürlich es ist, Gottes Gegenwart zu fühlen, und wie unnatürlich es ist, sich von Ihm getrennt zu fühlen. Ja, wir werden sicher erkennen, dass das, was uns das Gefühl gab, in einem fernen Land der Hoffnungslosigkeit festzusitzen, weder wirklich noch persönlich war, auch wenn wir das meinten. Einfach ausgedrückt war es die falsche Aussage eines sogenannten sterblichen Gemüts, die uns einreden wollte, es sei möglich, von der allgegenwärtigen göttlichen Liebe getrennt zu sein.
Die Liebe des Vaters hat uns wirklich immer völlige Geborgenheit gegeben und unseren geistigen Status als Sein geliebtes Kind bestätigt. Wir können keinen Augenblick außerhalb der immer-gegenwärtigen Liebe des Vaters und nie außer Reichweite Seines heilenden Christus sein.