Christian Science hat heute eine große und schnell wachsende Anhängerzahl um sich gesammelt. Sie hat das Interesse geweckt von Leuten, welche zum mindesten einen Durchschnittsgrad von Urteilskraft besitzen, und deren Ehrlichkeitssinn sich den unleugbaren Tatsachen — den guten Wirkungen dieses Glaubens — nicht verschließen konnte. Abgesehen daher von der Frage ob es zu irgend einer Zeit liebenswürdig sein würde, so ist es jetzt jedenfalls zu spät dieselbe für „Kurpfuscherei,” für „unwissenschaftlich” und „unchristlich” zu erklären.
Nichtsdestoweniger macht Dr. John W. Churchman in der Aprilnummer des Atlantic Monthly es sich zur Aufgabe, die alten Mißauffassungen von Christian Science, welche von einer langen Reihe falsch unterrichteter Kritiker vor ihm benutzt, und wiederholt in der Öffentlichkeit widerlegt worden sind, wieder hervorzusuchen. Wir würden natürlicherweise erwarten, daß er als Arzt am wenigsten geneigt sei, ein anderes Heilverfahren zu kritisieren, um sich nicht dem Verdacht des beruflichen Vorurteils auszusetzen, aber hierin werden wir enttäuscht.
Während die Christian Scientisten ihren Mitmenschen alle die Wohltaten die ihnen selber zu teil geworden sind, herzlich gönnen, so haben sie auf der andern Seite kein Verlangen, Proselyten zu machen, noch machen sie sich irgend welche Sorgen darum, wenn andere eine von der ihrigen abweichende Überzeugung haben. Wohl aber beklagen sie die falschen Darstellungen ihres Glaubens, wodurch unter der leidenden Menschheit Vorurteil geweckt wird und viele der ihnen so nötigen Hilfe beraubt werden. Jesus sagte: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen”; hier haben wir jedoch einen Gelehrten, der sich als Verteidiger der Bibel ausgibt, und dabei eine Bibelkenntnis, deren gute Früchte, in der ganzen Englisch sprechenden Welt mehr oder weniger bekannt sind, als „Gotteslästerung” bezeichnet. Christian Science hebt beständig den sittlichen Charakter von Tausenden. Sie heilt die Kranken und die gebrochenen Herzen überall. „Um welches Werk unter denselbigen steiniget” er sie?
Statt der allgemein anerkannten Gesundheit und Trost bringenden Wirkung, mit welcher Christian Science so viele segnet, da bietet uns dieser Herr was? — die Lehre, daß es „unheroisch” sei, Freiheit von Schmerz zu suchen, und daß wir nicht berechtigt sind, das Zeugnis der körperlichen Sinne zu leugnen, obgleich die Philosophen dies immer getan haben, und Jesus deutlich sagte: „Das Fleisch ist nichts nütze.” Können wir hiernach annehmen, daß der Doktor noch weiter zu Operationen und Betäubungsmitteln greifen wird zur Linderung des Schmerzes wenn er den Wert desselben preist und Verminderung desselben für unheroisch hält?
Der Ton der Erörterung des Herrn Doktors ist ein gemäßigter; zwar gebraucht er Ausdrücke wie „Unwissenheit,” „Kurpfuscherei” und „Diebstahl”; aber man kann dies nicht übel nehmen, wenn sie von einem „Gentleman” kommen und in so wohlwollender Weise geschleudert werden.
Wenn Christian Science „lächerlicher Unsinn” an sich wäre, so bedürfte es nicht des Ausmalens von seiten der Kritiker, und es ist Zeitverschwendung in der Presse Beweise dafür zu suchen, daß blau blau ist, in der Annahme, daß alle Nachbaren farbenblind sind. Wenn Christian Science sich selbst vernichtet und in Wirklichkeit auf nichts herausläuft, so macht dieser gelehrte Herr sicherlich viel Lärm um nichts.
Sind die Kritiker vielleicht besorgt, daß die dringende Aufforderung an die Menschen zu gründlicher Bekehrung eine Gefahr für das öffentliche Wohl enthält? Fürchten sie etwa, daß unbedingtes Vertrauen auf Gott der Gesundheit und Sittlichkeit des Volkes schaden könnte?
Wenn die Öffentlichkeit dem Publikum eine Gelegenheit bieten soll, das Wesen von Christian Science kennen zu lernen, weshalb wird dann nicht ein praktisch erfahrener Scientist aufgefordert, es zu erklären? Man würde nicht von einem Grobschmidt erwarten, daß er in verständnisvoller Weise über den Geldmarkt schreibt, noch von einem Ungläubigen, daß er ein unparteiisches Urteil über Religion fällt. Ebensowenig würden wir erwarten, daß ein Kritiker, der niemals eine mathematische Aufgabe gelöst hat, der Mathematik Gerechtigkeit antun würde, besonders wenn er darauf bestände, daß die Aufgaben nicht nach den Regeln des Lehrbuches, sondern auf eine völlig gesetzlose Weise gelöst würden.
Christian Science mißverstanden.
Während unser Kritiker von seinem Standpunkt aus ziemlich richtige Schlußfolgerungen zieht, hat er die Lehre dieser Wissenschaft gerade über die Punkte, auf welche er seine Erörterung aufbaut, mißverstanden, wenn gleich manche seiner Behauptungen auf eine richtige Erkenntnis des Gegenstandes deuten. Er hat in der Voraussetzung fehlgegriffen, daher irrt er in den Schlußfolgerungen. Er führt eine Anzahl von Sätzen aus dem Lehrbuch von Christian Science richtig an, begleitet dieselben jedoch gewöhnlich mit Bemerkungen, welche ihren Sinn nicht erklären, sondern vielmehr verdunkeln.
Im Anfang seiner Streitschrift sagt er: „daß Christian Science vorgeht ohne sich auf Logik zu stützen,” während er hinterher folgert, daß, „wenn Mrs. Eddys Voraussetzungen richtig sind, so ist ihre Schlußfolgerung die einzig mögliche”; im Anschluß an diese Einräumung fährt er fort: „Dann ist es die Pflicht des Kritikers einen schwachen Punkt in den grundlegenden Sätzen von Christian Science zu entdecken. So lange er dies vernachlässigt, hat er nichts erreicht.”
Angesichts dieser offenen ehrlichen Zugabe ist es etwas überraschend, daß während unser gelehrter Gegner erwähnt, das grundlegende Prinzip von Christian Science sei „Gott, das Ego, ist Alles in allem, ... die alleinige Intelligenz des Universums,” so hat er keinen Versuch gemacht, diese Lehre zu widerlegen, sondern füllt sechzehn Seiten des Atlantic mit seinen irrtümlichen Auffassungen einer ihrer Schlußfolgerungen, nämlich, daß sinnliche Wahrnehmung trügerisch ist.
Unser Kritiker hat schon zugegeben, daß Mrs. Eddys Schlußfolgerungen von ihren Voraussetzungen richtig abgeleitet worden sind. Wenn er daher nicht darauf besteht, daß Gott, der Geist, nicht „Alles in allem,” nicht „die alleinige Intelligenz des Universums” ist, so kann er nach seiner soeben erwähnten Einräumung nicht behaupten, daß das Lehrbuch von Christian Science Widersprüche enthält, und seine Lehre unlogisch und unwahr ist.
Unser Meister betrachtete seinen Anspruch: „Gott ist Geist” offenbar als grundlegend, denn er gab denselben dem samaritischen Weibe als den Ausgangspunkt seiner Lehre, und als Grund für den neuen Begriff der Gottesverehrung, welchen er einführte.
Alle Ansprüche Jesu, des Lehrers und Begründers des Christentums standen im Einklang mit diesem grundlegenden Satze, z. B.: „Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze.” Dieser Text erklärt deutlich, daß der Geist allein Leben und Existenz verleiht und das Fleisch (die Materie) nichts dazu beitrügt — völlig unnütz ist. Nach den uns überlieferten Berichten hat er niemals etwas günstiges über das Fleisch oder die Materie gesagt.
Von einem kranken Weibe sagte er, daß Satan sie „gebunden hätte nun wohl achtzehn Jahre.” Er sagte nicht, daß sie von Rheumatismus gebunden sei; er verwies nicht auf „bakteriologische, pathologische oder klinische” Urteile; er verlangte nicht einmal eine „ärztliche Untersuchung,” sondern erklärte in „dogmatischer” Weise, daß Satan sie gebunden hätte, derselbe Satan, den er als „Lügner” und dessen Kinder er als „Lügen” bezeichnete. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ein Arzt die Krankheit des Weibes für Rheumatismus oder ein ähnliches körperliches Übel erklärt hätte, aber der Meister machte die Diagnose der Krankheit von einem geistigen Standpunkt aus. Er gab sofort die richtige Erklärung derselben. Eingedenk der Tatsache, daß die Kinder Gottes, des Geistes, des einzigen Schöpfers, geistiger Natur sind, zerstörte er die Macht der menschlichen Übel durch seine klare Erkenntnis, daß sie die Erzeugnisse eines Lügners, mit anderen Worten Truggebilde sind.
Die unverkennbare Übereinstimmung zwischen der Lehre der Bibel und von „Science and Health with Key to the Scriptures“ von Mary Baker G. Eddy, über das Prinzip des Daseins und das Wesen der Krankheit liegt somit klar auf der Hand. Christian Science mag vielleicht den herkömmlichen Regeln der Geschichte trotzen, aber ebenso sicher bestätigt sie die Worte Jesu Christi. Der Beweis dafür, daß Christian Science mit ihrem grundlegenden Satze, daß Gott Geist und Liebe ist, auf Wahrheit beruht, muß erbracht werden durch praktische Anwendung und Erfolge, wie die Überwindung von Sünde, welche der „Stachel des Todes” genannt wird, — des Irrtums, aus welchem die Krankheit und schließlich der Tod entspringt.
Christian Science vs. Gedankensuggestion.
Es läßt sich annehmen, daß die Wirkungen, welche durch die Anwendung von Christian Science hervorgebracht werden, durch andere Methoden, entweder geistiger oder materieller Art, nachgeahmt werden können; die Probe muß daher so lange fortgesetzt werden, bis schließlich die Alleinexistenz des Geistes oder Gottes, und die völlige Unzulänglichkeit aller anderen vorgeblichen Einflüsse offenbart wird. Die Tatsache, daß es eine Mehrzahl von Verfahren gibt, welche scheinbar dasselbe Resultat ergeben, beeinflußt die andere, daß es ein vollkommnes Verfahren gibt, nicht im geringsten; und dieses ist das von Jesus Christus angewandte.
Die biblische Geschichte gibt uns ein interessantes Beispiel, welches diesen Punkt veranschaulicht. Es wird berichtet, daß die ägyptischen Zauberer sich sträubten, den Gott der Israeliten als ihren Göttern überlegen anzuerkennen, und behaupteten, daß sie mit ihren Verfahren die gleichen Wirkungen erzielen könnten wie Moses. Dies gelang ihnen bis zu einem gewissen Grade; sie erzeugten dieselben Wunder, welche Moses wirkte, schließlich jedoch versagte ihre Kraft völlig und sie erkannten die Macht des Moses an mit den Worten: „Das ist Gottes Finger.”
Gedankensuggestion, welche nicht von der Erkenntnis, daß der göttliche Geist das allein wirkliche Leben und Substanz ist, ausgeht, nimmt an, daß Krankheit ein körperlicher Zustand ist und selbst, wenn sie gewisse Wirkungen erzielt, so kann das Ergebnis doch nichts besseres sein als ein Glaube, daß Gesundheit ebenfalls ein körperlicher Zustand ist. Christian Science dagegen geht von dem Satz aus, daß Gott Geist ist, daß der wahre Mensch eine Widerspiegelung des Geistes ist, und schließt hieraus, daß Krankheit ein falscher geistiger Anspruch, ein Trug im Bewußtsein ist. Die Harmonie, welche durch die Christian Science Behandlung erzielt wird, gründet sich auf eine teilweise Erkenntnis von ewiger geistiger Existenz.
Die Suggestionen des Hypnotiseurs sind lediglich Äußerungen des sterblichen Bewußtseins, und stützen sich in keiner Weise auf das unfehlbare geistige Prinzip des Daseins, während die Erklärungen des Christian Scientisten immer auf seine Anerkennung von der Substanz, Macht und Gegenwart Gottes gegründet sind. Für jemanden, der nicht ein praktischer Christian Scientist ist, eine Erklärung darüber zu geben, wie ein Christian Scientist heilt, ist kaum am Platze. Gewiß ist, daß niemand so genau wissen kann, was in einem gewissen Falle angewandt worden ist als der Scientist selber, durch den die Wirkungen erzielt werden. Er hat ein ebenso klares Verständnis davon, was er getan hat, um ein gewisses Resultat zu erreichen, wie der Mathematiker, und es sollte ihm freigestellt werden in dieser Beziehung für sich selber zu sprechen.
Wenn wir das Niederschlagen von rotem Quecksilberoxyd in einem Glase beobachten, so könnte jemand, der mit dem chemischen Vorgang, durch welchen die Verbindung erzeugt wird, unbekannt ist, vielleicht glauben, daß sich nur eine rote Absonderung lagerte, weil es so aussieht. Sein Urteil würde ebenso wenig zutreffend sein, wie dasjenige eines Menschen, der darauf besteht, daß das Heilen in Christian Science durch menschliche Willenskraft vollbracht wird, während es in Wirklichkeit ein Resultat göttlicher Macht ist. Es ist eine allgemein beobachtbare Tatsache, daß jemand die Heilung einer Krankheit aus den Ursachen und Verhältnissen erklärt, welche nach seiner Überzeugung zum Heilen notwendig sind; und unser Kritiker könnte ebenso gut behaupten, daß Jesus und die Apostel lediglich durch menschliche Willenskraft heilten, denn die äußeren Erscheinungen ihrer Werke waren den Wirkungen des Einflusses menschlichen Willens nicht unähnlich.
Es ist ganz natürlich, daß die, welche nur eine oberflächliche Kenntnis von Christian Science besitzen, zögern das Heilen als endgültigen Beweis für ihre Richtigkeit anzunehmen, so lange durch Arzneien und sogenannte „suggestive Therapie” scheinbare Wirkungen erzielt werden; die besser unterrichteten jedoch wissen, daß Gedankensuggestion auf rein menschlichem Gebiete nur einen zeitlichen Eindruck durch einen anderen ersetzt, während Christian Science den Irrtum durch die klare Erkenntnis der Wahrheit zerstört. Z. B. könnte jemand von dem Glauben, daß 2+2 gleich 6 ist durch die Überzeugung, daß 2+2 gleich 8 ist kuriert werden, aber dieser letzte Zustand wäre noch irrtümlicher als der erste. Wenn ihm dagegen bewiesen würde, daß 2+2 gleich 4 ist, so würde er in wissenschaftlicher Weise dauernd von seinem Irrtum befreit sein.
Nicht Spekulation, sondern Offenbarung.
Ihr Lehrbuch schätzen alle Christian Scientisten sehr hoch, aber es nimmt nicht den Platz der Bibel für sie ein; vielmehr soll es wie der Titel erklärt ein „Schlüssel zur heiligen Schrift” sein, und aus diesem Grunde erheben wir Einspruch gegen die Bemerkung „die Christian Science Bibel.”
Christian Science ist eine Offenbarung, aber durchaus nicht in irgend welchem mystischen oder übernatürlichem Sinne. Es ist offenbarte Wahrheit im Unterschied von bloßer menschlicher Ansicht. Es ist das, was Mrs. Eddy im Nachdenken über geistige Dinge und in ihrem Forschen in der Bibel entdeckt hat. Sie sagt selber, „keine menschliche Feder oder Zunge lehrte mich die Wissenschaft, welche in diesem Buche enthalten ist” (Science and Health, S. 110), und außerhalb der Bibel und diesem Lehrbuch sind die innig verknüpften Grundsätze von Christian Science: „Gott ist Geist” und „der Geist ist allein Leben, Substanz und Intelligenz” nicht zu finden.
Unser Kritiker macht die Beobachtung, daß Mrs. Eddy ihre Lehre über die Wissenschaft des Seins in sehr zuversichtlicher Weise ausspricht, während andere Idealisten nur darauf hingedeutet haben. Dies läßt sich leicht erklären, wenn man erwägt, daß sie ihre Sätze auf eine beweisbare Basis und Regel, welche sie im praktischen Leben auf die Probe stellte, gründet, während andere Philosophen nur spekuliert haben. Mrs. Eddy legt besonderen Nachdruck auf die Notwendigkeit den geistigen Anforderungen der wahren Natur des Menschen nachzukommen. Sie gibt eine umfassendere, klarere und wissenschaftlichere Erklärung von dem geistigen Wesen Gottes und erhöht dadurch das Verständnis davon, was wir zu tun haben um das Ebenbild Gottes zu sein.
Was man auch immer von der Zusammensetzung der Materie sagen mag, sie gehört nicht der himmlischen oder geistigen Welt an. Die Bibel sagt: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben,” und „Das Reich Gottes ist inwendig in euch,” ein deutlicher Hinweis auf die Notwendigkeit geistigen Wachstums und der Überwindung des Fleisches als unumgänglich notwendig zur Erlangung des vielbegehrten himmlischen Lebens. Die Mißachtung der Materie von seiten des Meisters gründete sich auf seine Erkenntnis von der Allumfassenheit des Geistes. All unsere Beschäftigungen mit der Materie sind ihrem Wesen nach zeitlichen Charakters und gehören in das Gebiet von Erfahrungen, von denen der Meister sagte: „Laß es jetzt also sein.”
Da Krankheit und Tod die Folge der Sünde sind, so liegt es auf der Hand, daß der, welcher nach Harmonie sucht, sich in erster Linie mit der Sünde abgeben muß. Der Ausdruck „Sünde” darf jedoch in seiner Bedeutung nicht auf absichtliche Vergehen beschränkt werden, sondern muß sich erstrecken auf alle unwissentlichen Versehen und Fehler im Leben, auf alles was nicht recht ist. Er muß sich auf alle Gedanken, Worte und Taten, welche irrtümlicher Natur sind, beziehen. Die ursprüngliche Sünde ist eine falsche Auffassung von dem Charakter und dem Wesen der Gottheit, und daher von Seiner Schöpfung. Jede Form verkehrten Handelns läßt sich auf dieses Grundübel zurückführen. Der rechte Lebenswandel, welcher nötig ist um den Menschen zu erlösen und das Ideal, die ursprüngliche Natur des Menschen im Ebenbild Gottes wiederherzustellen, muß daher aus der richtigen Erkenntnis von dem Wesen des Schöpfers hervorgehen.
Wenn der eigentliche und ursprüngliche Mensch das genaue Ebenbild seines Schöpfers ist, so ist es die Pflicht der Sterblichen sich einen richtigen Begriff von dem Wesen, dessen Ausdruck der ideale Mensch ist, zu verschaffen, und dementsprechend zu handeln und zu leben. Der Künstler muß ein deutlich abgezeichnetes Ideal im Geiste erblicken; sonst wäre er in Gefahr, den Marmorblock mit dem ersten Streich zu verderben. Wenn wir nun bedenken, daß Christian Science dem Menschen ein deutlich abgezeichnetes Ideal liefert, so verstehen wir, daß keine Wahrheit enthalten ist in der Behauptung: „Aber Christian Science bietet uns in keiner Hinsicht irgend welche aufbauende Tätigkeit.”
Da unser Kritiker den Versuch gemacht hat einen Vergleich zwischen Christian Science und der heiligen Schrift zu ziehen, obgleich er nicht erwähnt ob er selber an die Bibel glaubt, so möchten wir seine Aufmerksamkeit noch einmal auf den biblischen Ausspruch „Gott ist Geist” lenken. Diese Lehre kann man nicht annehmen, ohne den körperlichen Sinnen zu widersprechen, welche behaupten: „Ich glaube nicht, daß Gott Geist ist, denn ich kann keinen Geist sehen.” Vielmehr ist man gezwungen, den körperlichen Sinnen geradezu ins Angesicht zu schlagen; mit anderen Worten, man muß das Zeugnis des körperlichen Sinnesbewußtseins beiseite setzen um zu glauben, daß Gott Geist ist; und wenn wir die Unzuverlässigkeit materieller Erklärungen in einem Falle zugeben, so müssen wir um konsequent zu sein, dies für jeden Fall einräumen; denn das Sinnenbewußtsein hat unter allen Umständen dieselbe Wirkung.
Christian Science ist konsequent mit ihrer Erklärung, daß die materiellen Sinne weder über Ursache noch Wirkung ein richtiges Urteil abgeben können. Der Apostel Paulus sagte: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch; dieselbigen sind wider einander.” Wir können auf dem Zeugnis zweier sich widersprechender Erklärungen keine richtige Schlußfolgerung aufbauen. Wir müssen entweder die eine oder die andere annehmen. Jesus sagte: „Niemand kann zweien Herrn dienen.” Wenn es wissenschaftlich richtig ist, das Zeugnis der materiellen Sinne soweit beiseite zu setzen, daß man die Erklärung der Bibel „Gott ist Geist” annimmt, so ist es jedenfals ebenso richtig Mrs. Eddys konsequente Schlußfolgerungen aus jener Voraussetzung anzunehmen. Was man sonst auch von dem Christian Science Lehrbuch sagen mag, man muß zugeben, daß es konsequent ist; und wenn man sich auf seine biblische Voraussetzung stellt, so kann man keinen einzigen Satz in dem Buch leugnen.
Unser Kritiker fragt: „Was meinen sie damit, wenn sie behaupten, daß die Materie nicht existiert?” Wenn er auf eine Antwort auf diese Frage gewartet hätte, ehe er sich daran machte über diesen Punkt zu schreiben, so würde er zweifellos weniger Grund zum Klagen gefunden haben. Alle Kritiker machen denselben Fehler, indem sie nicht begreifen, was Christian Science gibt an Stelle dessen, was sie leugnet. Die abstrakte Behauptung „Es gibt keine Materie” bedeutet nicht, daß das Universum eine Illusion ist, und der Mensch keinen Körper hat, sondern daß dieselben nicht so beschaffen sind, wie sie dem unausgebildeten menschlichen Geiste erscheinen, — der Stufe von Erkenntnis, welche die Schöpfung nicht so wahrnimmt, wie Gott sie gemacht hat und wie sie in Wirklichkeit ist. Das Wort „Materie” soll den materiellen Begriff von der Schöpfung bezeichnen. Wenn wir behaupten, daß die Materie nicht existiert, so ist das gleichbedeutend mit der Behauptung, daß die Schöpfung nicht wirklich materiell ist, obgleich sie den körperlichen Sinnen so erscheint.
Prämisse und Schlußfolgerung.
Die erste Prämisse des Christian Science Syllogismus ist enthalten in den Worten: „Gott ist Geist”; die zweite in den folgenden: „Seine Schöpfung ist Seinem Wesen entsprechend” also geistig; wie Jesus lehrte: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.” Hieraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß die Schöpfung nicht materiell ist.
Unser Kritiker weist auf mehrere Idealisten hin, wie Berkeley, Kant und Hegel und erklärt: „Sie gaben den Rat mit der größten Vorsicht zu verfahren, wenn wir geneigt sind etwas als wirklich anzusehen, was nicht als wirklich bewiesen werden kann.” Der Glaube daß das Universum materiell ist, hat nun abgesehen davon, daß er sich dem Bewußtsein der Menschen vorstellt und demselben erscheint, absolut keine Stütze. Wenn wir dagegen von einer apriorischen Grundlage ausgehen, und Gott, den Geist, als die alleinige erste Ursache anerkennen, so werden wir unvermeidlicher Weise zu der Schlußfolgerung geführt, daß die Schöpfung geistiger Natur ist. In der Auslegung von Ursache und Wirkung stimmt Christian Science genau mit der Lehre der Bibel überein, daß Gott im Anfang alles schuf und „siehe da, es war sehr gut”; ferner „Ohne dasselbige (das Wort Gottes) ist nichts gemacht, was gemacht ist.”
Unser Kritiker bemerkt ferner: „Erst bezweifelten die Idealisten die Existenz der Materie, dann taten sie den nächsten Schritt und leugneten dieselbe.” So weit diese Behauptung auf Christian Science bezug hat, hat er ein unentbehrliches Zwischenglied übersehen. Es wäre richtiger gewesen zu sagen, daß, nachdem Mrs. Eddy zu Zweifeln über die Existenz der Materie getrieben war und durch Erfahrung die Hohlheit und Wertlosigkeit derselben erkannt hatte, sie anfing nach der universellen geistigen Ursache zu suchen, und daß sie, als sie dieselbe durch tatsächliche Erfahrung und praktisches Beweisen im Geiste gefunden hatte, sich hierdurch gezwungen sah, den materiellen Begriff der Existenz zu leugnen. Nachdem sie erkannt hatte, daß Gott Geist, reine göttliche Vernunft, ist, konnte sie nur zu der einen Schlußfolgerung gelangen, daß das Erzeugnis des Geistes, die Schöpfung Gottes, ideal oder geistiger Natur sein muß, und nicht materiell sein kann.
Wir hören von unserem Kritiker die Bemerkung: „So lange Augen, Ohren und Hände die Mode sind, wird die Welt für mich existieren; und mein Glaube, daß sie nicht an sich existiert, sondern nur in meinem Bewußtsein, kann mein praktisches Verhalten ihr gegenüber in keiner Weise ändern.”
Hier wird Christian Science mit der Philosophie Berkeleys verwechselt. Christian Science lehrt nicht, daß der menschliche Begriff ein Schöpfer ist, sondern stellt die Tatsache fest, daß Gott, der göttliche Geist, allein Schöpfer ist. Sie leugnet nicht die Existenz von Augen, Ohren und Händen, soweit ihre geistige Natur in Betracht kommt, sondern behauptet, daß der materielle Begriff alle geistigen Tatsachen verschleiert, und alle Gegenstände in der Natur in einem falschen Lichte darstellt. Sie will nicht das Ding an sich leugnen, sondern nur die falsche Auslegung und den verkehrten Gebrauch desselben. Hierin arbeitet sie in derselben Richtung, wie die Naturwissenschaft, welche ihren Begriff von dem Wesen der Materie in einem Zeitraum von wenigen Jahren völlig geändert hat.
Substanz und Illusion.
Man hat die Frage gestellt: Wollt ihr behaupten, daß dieser wunderbare Mechanismus, der Körper, eine Illusion ist, und daß all die schönen Gegenstände in der Natur nur Mythen sind? Wir antworten: Dies lehrt Christian Science nicht. Im Gegenteil, sie stimmt mit Paulus überein, wenn er sagt: „Denn so das Klarheit hatte, das da aufhöret, vielmehr wird das Klarheit haben, das da bleibet.” Wenn man den Körper und das Weltall so wahrnehmen könnte, wie sie in Wirklichkeit sind, so würden sie uns in demselben Maße wunderbarer und schöner erscheinen, in welchen die Unendlichkeit unsere gegenwärtige Begriffsfähigkeit übersteigt. Christian Science will wahre Ursache und Wirkung nicht ändern, sondern denselben nur ihre ursprüngliche Natur wiederzuerkennen. Sie will nur die Unwissenheit und Finsternis vernichten; der Mensch selber und das Weltall sollen gerettet werden.
Fortschritt und Entwicklung wird den sterblichen Menschen klareres Urteil und eine bessere Einsicht verleihen; und dieses Wachstum wird bis zur Vollkommenheit fortschreiten, bis sie Himmel und Erde so sehen, wie Gott sie sieht, in ihrer rein geistigen Natur, Vollkommenheit und Schönheit.
Unser Gegner muß zwischen Berkeleys Idealismus und Christian Science unterscheiden; Berkeley behauptete, daß „äußere Gegenstände nur als subjektive Ideen existieren,” während Christian Science lehrt, daß nichts als Schöpfung des sterblichen Sinnes besteht, sondern daß das Universum geistiger Natur ist, die Äußerung des einen unendlichen Geistes, den wir Gott nennen. Berkeleys Theorie erkennt das Prinzip von Christian Science nicht an; seine Behauptungen waren bloße Spekulationen und daher wandte er seine Philosophie zum Zweck des Heilens nicht an, sondern starb in dem Glauben an die heilkräftigen Wirkungen einer Teermischung.
Es wird weiter behauptet, daß eine Philosophie, welche den Satz von der Nichtexistenz der Materie aufrecht erhält „als Lebenstheorie für den begrenzten Menschen unpraktisch ist”; und daß „das Leugnen der Materie, und die Erklärung, daß dieselbe eine Illusion sei im Grunde auf eine Bestätigung ihrer Existenz hinauslaufe.” Nach dieser Logik würde ein Angeklagter, der vor Gericht eine Anklage als falsch zurückweist, damit nur die Wahrheit derselben bestätigen! Tatsache ist, daß er hierdurch die Wahrheit über sich selber feststellt, und damit die Unwahrheit der irrtümlichen Anklage beweist. In solchem Falle darf der Angeklagte die Anklage nicht unbeachtet lassen; er muß sie anhören und dann deren Unwahrheit beweisen.
So paßt sich Christian Science unseren Bedürfnissen an, in was für einer Lage auch immer sie uns finden mag, und sie enthält nicht mir eine Darstellung von dem wahren geistigen Wesen, welches wir erreichen müssen, sondern zugleich eine weise Berücksichtigung unseres gegenwärtigen irrtümlichen Zustandes. Wir mögen sie nennen wie wir wollen — Illusionen oder Wirklichkeiten — Tatsache ist, daß wir uns von Begrenzungen, Disharmonien und Übeln umringt finden, — die wir nicht übersehen können. Sie werden nicht durch unsere „Nichtachtung” vertrieben. Wir müssen sie bekämpfen und überwinden.
(Fortsetzung folgt in nächster Nummer.)
Copyright, 1904, by Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht im Jahre 1904 von Mary Baker G. Eddy.
