Die jährliche Erntezeit, wenn die materiellen Dinge mit Danksagung gesammelt und geborgen werden, veranlaßt jeden ernsten Christen, die Frage an sich zu stellen: Wie steht es mit meinem geistigen Gewinn? Welches sind die Schätze, die in diesem Jahr in die Kammern des Charakters „zum ewigen Leben” gesammelt worden sind? Ein ruhiges Nachdenken muß zu der Einsicht führen, daß, während die Menschen einen jährlichen Zuwachs des materiellen Reichtums als Resultat ihrer Geschäftstätigkeit geplant und erwartet haben und sehr beschäftigt gewesen sind, wenn diese rechtmäßigen Erwartungen nicht verwirklicht wurden, die Mehrzahl derselben seltsamerweise zufrieden gewesen ist, die Jahre vergehen zu sehen, ohne ihnen einen schätzenswerten Gewinn geistigen Verständnisses und geistiger Stärke zu bringen.
Eine beruhigende Vertröstung ist in der Versicherung gefunden worden, daß zu einer späteren, unbestimmten Zeit der hohe Standpunkt Christi erreicht werden könne, und unter dem Einfluß dieser fern liegenden Hoffnung haben sie jahraus, jahrein, weiter gelebt, ohne sich eines geistigen Wachstums bewußt zu werden. Durchschnittlich hat der religiöse Mensch das Leben so verbracht und nach Vollendung seiner sechzig Jahre ist er nicht Christus-ähnlicher geworden in der Auffassung der Wahrheit und seiner Übermacht über das Böse als er in den zwanziger Jahren war. Wahrlich, man hört oft gereifte Männer die Tatsache beklagen, daß ihre Speicher leer seien, daß ihre religiösen Erfahrungen an Eifer, Ernst und täglichen Werken während der vierzig Jahre, wo sie vielleicht mit der Kirche verbunden gewesen sind, eher verloren als gewonnen haben, und mit Cowper stimmen sie in die Klage ein —
Where is the blessedness I knew
When first I saw the Lord?
Where is the soul-refreshing view
Of Jesus and his word?
Dieser Zustand ist im gleichen Maße ein unnatürlicher, unbefriedigender und unglücklicher, der sowohl durch die Naturordnung als durch die Geschichte vom verdorrten Feigenbaum verworfen wird.
Die Fülle unserer materiellen Einnahmen in diesen Tagen beweist andauerndes Wachstum des Getreides und der Früchte, bis ihr voller Ertrag erreicht worden ist. Die Maisstange fängt nicht im Halm oder in der Ähre an zu vertrocknen, im Gegenteil, sie wächst beständig weiter in Ausdehnung, Umfang, Schönheit und Kraft, bis das voll gereiste Korn in der Ähre die Vollendung ihrer Entwicklung bezeichnet. Ebenso nehmen die Bäume durch ihr jährlich erneuertes Laubwerk und Blühen sowohl in ihrem äußeren Umfang zu als in ihrer Fähigkeit, der Wucht des Sturmes zu widerstehen und eine vermehrte Last der Früchte zu tragen. Die Möglichkeit und Natürlichkeit eines gleichen Wachstums in uns zur geistigen Höhe ist durch Petrus klar angedeutet worden, indem er die ersten Christen zu den sich steigernden Anforderungen der gnadenreichen Tugenden wie Erkenntnis, Mäßigkeit, Geduld, Gottseligkeit, brüderliche Liebe und gemeine Liebe ermahnt; auch durch den Apostel Paulus, der in einer seiner Episteln in ähnlicher Weise „die Früchte des Geistes” aufzählt, und in einer andern sagt, daß „Gott aber kann machen, daß allerlei Gnade unter euch reichlich sei, daß ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.”
Die ersten Jünger verstanden augenscheinlich die Lehren Jesu derartig, daß jedes durchlebte Jahr eine bedeutende Zunahme an geistiger Stärke, Nutzbarkeit und Tatkraft des Gläubigen aufweisen müsse und Christian Science hebt von neuem denselben Gedanken in praktischer und erfolgreicher Weise hervor. Viele ihrer Repräsentanten haben eine lebhafte Erinnerung von den entmutigenden Mißerfolgen, welche ihre früheren Bemühungen zur Erreichung eines viel weniger erfordernden Ideals begleitete und freuen sich, Zeugnis ablegen zu können, daß ihre Erfahrungen in Christian Science ihnen die begeisternde Entdeckung gebracht haben, daß sie jetzt ruhig und mutig in Umständen sein können, wo sie früher aufgeregt und furchtsam waren, daß sie sich jetzt weise, stark, frei und liebevoll fühlen, wo sie sonst unwissend, schwach, gebunden und rachsüchtig waren. Sie sind sich einer geduldigeren Ausdauer in guten Taten und einer mutigeren Lebenskraft bewußt und haben bedeutend größere Befriedigung und Erfolg in ihrem Streben dem Vorbilde Jesu im Glauben und Wesen gleich zu werden. Sie wissen, daß sie zu einer edleren Auffassung des religiösen Lebens erwacht sind, daß die Früchte des Geistes in ihrem täglichen Überwinden der Krankheit und der Sünde offenbart werden, und daß sie mehr als je zuvor den Trieb empfinden, dem Bösen zu widerstehen und helfend ihrem Mitmenschen in der Not die Hand zu reichen. Die Anforderung der heiligen Schrift, daß die Menschen ihr eigenes Heil ausarbeiten sollen, ist erreicht und verstanden und ein fortwährendes Wachstum geistiger Fähigkeiten begleitet ihr intelligentes und andauerndes Bemühen. Christian Science bewirkt vielleicht in keiner Hinsicht eine größere Veränderung für den individuellen Menschen als in dem Gedanken von der Notwendigkeit und dem Vorrecht unaufhörlicher Arbeit in den neuen Anordnungen und Gewohnheiten des Lebens. Jede Errungenschaft bedeutet jetzt für ihn das Knospen einer frischen Unternehmung und gleich dem Orangenbaum bringt das neue Christus-Leben die duftenden Blüten eines höheren Glaubens und Zweckes zwischen der reifenden Frucht des Verständnisses und der Demonstration hervor.
Der einzige würdige christliche Zustand ist der normale. „Darinnen wird mein Vater geehret,” sagte Jesus, „daß ihr viel Frucht bringet.” Er sandte seine Jünger als Erntearbeiter aus, indem er sagte: „Heilet die Kranken.” „Wer an mich glaubet, der wird die Werke auch thun, die Ich thue.” Er vereinigte die Auffassung des göttlichen Ideals mit dem praktischen Beweis ernsten, standhaften Strebens, und die Fülle seiner Demonstrationen waren die Früchte dieser Vereinigung. Christian Science ruft uns nicht nur zu, ihm zu folgen, sie gibt den notwendigen Impuls und die Regel zum Handeln. „Wenn der falsche Glaube einer materiellen Existenz als nichtssagende Betrügerei erkannt wird” (Science and Health, S. 99), und die Möglichkeit einer gegenwärtigen Verwirklichung der eines Sohnes Gottes gebührenden Freiheit zu dämmern anfängt, wenn Befreiung von physischer und geistiger Disharmonie und Unfruchtbarkeit der Vergangenheit als unser Vorrecht angesehen wird, und das Herz frohlockt und sein Erbteil fordert, dann ist Christus von neuem in uns geboren und seine Herrschaft wird wieder durch unsere Überwindung von Krankheit und Sünde mittelst „der Kraft des unendlichen Lebens” bewiesen. In Christian Science ist das Ergebnis eines intelligenten, unwandelbaren Strebens nicht ungewiß noch gering, und wenn der Glaube zum Verständnis wird und Demonstrationen eine vertrauensvollere Sicherheit hervorbringen, dann wird die Zunahme geistigen Gewinnes beständig beschleunigt bis alle Tage der Abrechnung voll der Töne froher Erntelieder sind.
