Die Liebe zur Natur hilft uns die vielen und einfachen Lehren zu verstehen, die sich in unser tagliches Leben drängen. Sie öffnet ein Tor, wodurch Kraft und Trost einziehen können und bringt, durch Bild und Gleichnis, vieles wirklich Wertvolle, in unser Bewußtsein. Wie die Erfahrung das individuelle Leben bereichert, so Prägen sich die einfachen Dinge der täglichen Umgebung tief ein, denn sie bringen uns die Gewißheit, daß ein Tag, dem Gesetz Gottes in geduldigem Gehorsam gelebt, die Stufe zu einem anderen Tage ist, der durch den Glauben und die Ausdauer des vorhergegangenen notwendigerweise gesegnet und erhellt werden muß.
Zwei Lehren, die mir kürzlich der Garten gab, haben mich gestärkt und ermutigt: „Mit Geduld in guten Werken, zu trachten nach dem ewigen Leben.” Die erste war die Wahrnehmung, daß das Sprossen und Blühen des Frühlings und die Früchte des Sommers das Resultat eines Gesetzes sind, das in seiner Tätigkeit und Wirkung unumstößlich und unvermeidlich ist. Mitten im Winter möchten uns die Sinne durch den Augenschein zu der Überzeugung bringen, daß das Blühen und die Schönheit dieser Welt für immer vergangen sei. Wäre unser Vertrauen nur auf dieses Zeugnis angewiesen, so gäbe es scheinbar keine Möglichkeit für das Herannahen der Wärme und der Fröhlichkeit. Die gefrorene Erde kündet nicht das zukünftige Wachstum der Saat, der Gräser und Knospen vorher an. Die erstarrten Zweige versprechen uns keine zarten Blättchen und köstlichen Blüten. Die Hügel und Wiesen deuten durch nichts an, daß sie einst von den Jubelliedern der Vögel widerhallen werden, und doch bezweifeln wir keinen Augenblick, daß das Herannahen der kommenden Jahreszeit die Welt in einen Garten der Lieblichkeit und des Gesanges verwandeln wird.
Der erste schwache Regen der Natur schwellt die rauhe Rinde und macht mit solch sanfter Hand ihren Widerstand unschädlich, daß die zartesten Blüten ungehindert dem Sonnenschein und der Schönheit entgegen wachsen können. Der erste warme Hauch des Frühlings erschließt die starre Erde. Unberührt durch Frost und Sturm drängt er vorwärts und streut seinen Reichtum von Laub und Früchten aus. Diese Offenbarung des Wachstums und der Schönheit im Weltall entspringt nicht aus äußeren Ursachen, noch macht sie ihre Entwickelung von der äußeren Umgebung abhängig. Sie ist der Ausdruck des göttlichen Geistes, dessen Tätigkeit nicht zurückgehalten oder abgewendet werden kann, und dessen Fortschreiten im direkten Gegensatz zu dem Augenschein der Sinne steht.
Unzweifelhaft sorgt dieser göttliche Geist, der das Weltall regiert, für den Menschen. In den Worten der wohlbekannten und allgeliebten Hymne:
„Dieselbe Hand, die die Schöpfung stützt,
Beschützt auch ihre Kinder.”
Das Kommen der Befreiung und Errettung zu bezweifeln, weil „der Winter unseres Mißvergnügens” uns von seiner Hartnäckigkeit zu überzeugen sucht, zeigt daß sich unsere Augen noch nicht über unsere unmittelbare Umgebung erhoben haben. Der ewigen Güte Gottes zu trauen und Mut zu fassen, weil uns unsere Befreiung verheißen ist, beweist, daß wir in dem Bewußtsein der göttlichen Liebe bleiben, deren, die Menschheit segnende Tätigkeit ebenso wirksam und unfehlbar ist, wie das Gesetz, das die Erde mit Knospen und Blüten schmückt und allerlei Kraut hervorbringt zu des Menschen Speise.
Die andere Lehre war eine sehr einfache. Ein kleines Rotkehlchen sang sie mir im Regen. Es saß auf einem kahlen Baume, durchnäßt vom strömenden Regen, der vom kalten, grauen Himmel niederfloß, durchkältet vom heftigen Winde, der ihm all seine Federchen sträubte und es auf seinem dürren Zweige hin und her schankelte, und doch sang es „Lobgesänge dem Herrn in seinem Herzen.” Nichts in seiner trübseligen Umgebung beeinflußte seinen Gesang. Nur die Aussicht auf klaren Himmel, milden Sonnenschein, und auf all das verschiedene Grün des sommerlichen Laubwerks, konnte es zum singenden Propheten machen. Es war ein Danklied, aus der inneren Gewißheit geboren, daß der Sturm schließlich doch dem Kommen der Wärme und des Sonnenscheines weichen muß. Wie viele von uns singen wie das kleine Rotkehlchen im Regen, und triumphieren und freuen sich alle Wege, auch wenn sie einsam und niedergedrückt und von den rauhen Winden widriger Gegnerschaft durchkältet sind, weil sie wissen, daß diese Dinge nicht unser Erbteil sind, und daß die ewige Gottesgüte sie am Ende doch aus unserem Bewußtsein entfernen wird.
Christian Science lehrt die Menschheit, daß die Bürde des Übels ein zeitlicher Glaube und nicht ewige Tatsache ist. Deshalb ist das Übel vorübergehend und der tägliche Kampf gegen seine Anmaßungen bringt es der Stunde seiner endlichen Vernichtung näher. An vergangenen Ereignissen und gegenwärtigen Erfahrungen können wir erkennen, daß die Tätigkeit des Bösen niemals etwas anderes hervorbringt, als seine eigene Zerstörung. Es mag gedroht haben, die Resultate unserer treuesten Bemühungen in ihr Gegenteil zu verdrehen und Not, Sorge, Kummer und Trübsal herbeizuführen. Es mag uns von Fehlschlag und Elend in jeder Hinsicht vorspiegeln, eingeschlossen den Verlust alles dessen, was uns das Leben teuer macht. Es mag den Schlag gegen uns geführt haben, den wir am meisten fürchteten und doch, wenn alles vorüber ist, erhebt sich das Herz, das auf Gott vertraute, um unbeirrt seinen Weg himmelan weiter zu gehen, und alles, was zerschmettert zu seinen Füßen liegt, ist das Böseselbst. Übel droht immer mit der Vollziehung des Übels. Aber dem Menschen, der vertrauensvoll in Gott lebt, der sich standhaft weigert der Stimme des Bösen zu lauschen, dem kann es nur drohen, aber es kann niemals seine Absicht vollbringen. „Denselben Umstand, der deinem leidenden Sinne qualvoll scheint, kann die Liebe zum Engel machen, der dir unvermutet dient” (Science and Health, S. 574).
Das Wissen, daß durch die Allgegenwart Gottes, das Böse machtlos ist, seine Prophezeiungen zu erfüllen, sollte den Jünger der Christian Science zu allen Zeiten und unter allen Umständen aufrecht erhalten und selbst die widrigsten Zustände sollten ihn, wie das Rotkehlchen im Garten, singend finden. Dieses tapfere kleine Rotkehlchen, das sein Freudenlied trotz seiner trübseligen Umgebung sang, brachte einem Menschenkinde, das auch mit den Wechselfällen eines Regentages kämpfte, Mut und Erleuchtung. Wenn ein kleiner Vogel, nur dem Instinkt in seiner Brust folgend, der ihm gebot besserer Zeiten zu harren, so fröhlich singen konnte, kann sich dann nicht der Mensch, der tägliche, reiche Beweise der Güte Gottes empfängt, allezeit freuen? Wenn schon diese kleine Botschaft Trost und Freude zu einem brachte, der sie hörte, wieviel mehr Friede und Segen kann durch Männer und Frauen bewirkt werden, die durch ihr Lächeln, ihr Wort und ihre Tat ihren Weg ins Himmelreich singen!
Geduld in Trübsal ist der Beweis der Treue. Fröhlichkeit in Trübsal krönt die Treue mit Frieden. Jakobus sagt: „Achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet;” und Paulus sagt ferner: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, dieweil wir wissen, daß Trübsal Geduld bringet; Geduld aber bringet Erfahrung; Erfahrung aber bringet Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.”
In den ersten Erfahrungen und Lehren der Überwindung des Bösen mit Gutem müssen Liebe und Dankbarkeit gepflegt werden, wie die Blumen im Garten, weil die natürliche Richtung der menschlichen Neigung für Undankbarkeit, Klage und Entmutigung ist, und das Gewicht des täglichen Denkens neigt sich schwer nach dieser Seite. Die Gedanken müssen bewacht werden, und die Fähigkeit zur Dankbarkeit muß durch fortwährende Erinnerung an erhaltene Segnungen vergrößert werden. Das entschiedene aufrichtige Bestreben, geduldig und selbstlos von der lichten und rechten Seite über jede Frage nachzudenken, bringt seine eigene Belohnung mit sich. Durch diese Tätigkeit der Gedanken kommt die Freude, die mit der Gerechtigkeit Hand in Hand geht sanft und fast unbemerkt ins Bewußtsein. Dann wird das Leben durch Ströme der Freude, die in ihrer Tätigkeit und Gegenwart natürlich werden, umgebildet.
Wie niedergeschlagen wir auch sein mögen, wie sehr uns das Übel auch von seiner Macht und Berechtigung zu überzeugen sucht, wie entmutigend und trübselig auch die ganze Umgebung sein mag, wir müssen daran festhalten, daß es für all diese Zustände ebenso unmöglich ist, dem Kommen der göttlichen Befreiung Einhalt zu tun, als es für des Winters düstere Einsamkeit unmöglich ist, das Vorschreiten des Frühlings aufzuhalten. Wir müssen aufwärts blicken, nicht niederwärts, und wie das Rotkehlchen unserer Dankbarkeit und Freude Ausdruck geben, während wir auf den Sonnenschein warten, weil wir wissen: der Sonnenschein kommt.
„Denn gleichwie Gewächs aus der Erde wächst, und Same im Garten aufgehet, also wird Gerechtigkeit und Lob vor allen Heiden aufgehen aus dem Herrn, Herrn.”