In einem materiellen Zeitalter des mehr und mehr um sich greifenden Verkehrs und Handels sind Fragen in betreff des Besitz- und Eigentumrechtes von großer Wichtigkeit, und daher ist es nicht überraschend, daß heute wie nie zuvor die Ansprüche auf das „Mein” und „Dein” stark heraus gefordert worden sind, eine beständige, über die ganze Welt verbreitete Herausforderung, die ungeachtet der Gebräuche, Traditionen, Autoritäten und gerichtlicher Vorrechte stets dieselbe bleibt und sich direkt an das Fundamentale, das Ultimatum mit der Frage wendet: Worin besteht das sittliche Recht deiner behaupteten Herrschaft und Zueignung? In allen Weltteilen, in jedem Civilisationsfelde und ökonomischem Zustande wird diese nach Aufklärung suchende Forderung gehört und, obgleich sie häufig nur der Deckmantel für eifersüchtige Gier ist oder der drohende Lärm nichtswürdiger Unbefugtheit, welches dem ehrlichen Streben seinen Lohn rauben möchte und sich durch die saure Arbeit eines andern bereichern, — so ist es jedoch ebenso häufig das Flehen eines langmütigen Volkes — wo die Bürdenträger der Nationen ihren Gott anrufen — infolgedessen eine gewaltsame oder friedliche Umwälzung bevorsteht.
Der Begriff eines individuellen Rechtes ist für die Massen ein Erzeugnis langsamen Wachstums, das ernstlicher moralischer Verzerrung ausgesetzt ist und eine lange Zeit verborgen bleiben mag; wenn aber jemand dazu erwacht, so gewinnt er einen bleibenden Eindruck. Das erste und normale Erscheinen dieses Gedankens tritt gewöhnlich im Bewußtsein als ein Begriff des eigenen Rechtes auf, ein Recht, das von einem Knaben oft ebenso bestimmt wie vom Manne behauptet wird und meistens in intelligenterer Weise, da es durch innere Einsicht als rechtmäßig erkannt worden ist. Es ist das Recht zum Leben und zum Vorrecht des Strebens nach Glück und wird ausdrücklich und unbedingt in allen Gesetzen und Konstitutionen anerkannt, die des Namens wert sind.
Wenn nun das Recht gegen sich selbst zugegeben wird, so folgt daraus, daß jeder zum Besten und Größten, das er sich vorstellen kann, berechtigt ist. Hat jemand, ohne das Recht eines andern zu beeinträchtigen, etwas hergestellt, sei es ein Telephon oder eine Abhandlung, wodurch er fähig ist, der Menschheit einen größeren Dienst zu leisten, so gibt dies ihm eine Überlegenheit, die einen Teil seines bessern Selbst, zu dem er berechtigt ist, entfaltet. Das Recht, seinen Gesichts- und Wirkungskreis ungestört zu erweitern ist in der Schöpfung überall ausgedrückt, — ist in der Tat die einzige Schöpfung, deren der Mensch fähig ist, nämlich die Produktion und nutzbringende Verbesserung, die Verwirklichung des besten, würdigsten und nützlichsten Selbst. Die Zueignung dieses Rechtes gibt Anregung zum echten Wachstum und rechtmäßigen Streben, das keines Menschen Gelegenheit einschränkt, sondern eines jeden Vorrecht und das Wohl aller unendlich vergrößert und bereichert.
Das unveräußerliche Recht, das Selbst in wirksamer Tätigkeit zu veredeln, bleibt ein unbeschränktes, solange es nicht in das gemeinsame Recht des Nächsten eingreift, ein Recht, das begründet ist auf unsere Verwandtschaft als Erben des unerschöpflichen Reichtums eines gemeinsamen Vaters, der Quelle alles Seins. Ihm gehört kraft der Schöpfung und Erhaltung alles Gute und Wahre, denn: „Er hat’s gemacht,” wie der Psalmist sagt. Da der Zweck und die Verleihung der Liebe unparteiisch ist und alle Glieder der menschlichen Familie gleich abhängig davon sind, so existiert die Fülle des Guten, die in Bezug auf menschliche Notdurft und Begriffsvermögen „natürliche Hilfsquellen” genannt wird, für alle und sollte durch dieses gemeinsame, innewohnende, unumstößliche und unsterbliche Recht für alle gleich erreichbar sein.
Zur Verwaltung und Erhaltung dieses fundamentalen Rechtes,— das Recht gegen sich selbst und der gebotenen Gelegenheit, das Selbst groß und edel zu machen, ist und wird stets Gottes Gerechtigkeit angerufen, und die Menge weltlicher Streitigkeiten, sowohl als größtenteils ihre Leiden muß direkt zu der Gleichgültigkeit verschanzter Selbstsucht gegen rechtmäßige und christliche Anforderungen zurückgeführt werden. Das christliche Ideal klagt die Geldgier unserer Zeit an, wie Dr. Patton in der Princeton Universität dies kürzlich in einem Vortrag erwähnte, indem er mit den braven Worten eines braven Mannes, die reichen Männer daran erinnerte, daß nichts menschenfreundlich verschenkt werden kann, was nicht menschenfreundlich erworben ist.
In der Erwähnung gewisser tadelnswerter Enthüllungen in Bezug auf geschäftliche Gleichgültigkeit gegen diese elementaren Rechte, erklärte eine bedeutende konservative Zeitung kürzlich, daß „die Ursache darin liegt, daß Geschäfte nicht auf Grund sittlicher Prinzipien geführt werden. Es ist vielmehr eine bittere Konkurrenz, ebenso gewalttätig wie die Schlachten der Armeen, die Sucht Vorteil zu erringen durch jedes gewinnbringende Mittel ohne Rücksicht auf begrenzende Bedingungen des Rechts und Unrechts. Politik und Geschäft sind, wie sie gewöhnlich betrieben werden, dem Kriege gleich, mit Ausnahme der Brutalität des physischen Tötens und Verwundens.” Eine Menge traurige, diese Aussage unterstützende Beweise sind kürzlich vorgebracht worden; wenn dies wahr sein sollte, dann ist es hohe Zeit für die christlichen Männer zu der umfangreichen Bedeutung dieser Dinge zu erwachen und sich zu versichern, daß in ihren eigenen geschäftlichen und ökonomischen Beziehungen ihr Begriff von „Mein” und „Dein” die sittlichen Rechte jedes geringsten Individuums mit dem sie zu tun haben, berücksichtigt.
Hier wie überall ist das Moralische entweiht, wenn nicht enthront durch den Glauben an Materialismus, welcher ein Gefährte des Fatalismus ist und so häufig, vielleicht gänzlich unbewußt, der Bundesgenosse der „Macht” und der Feind des „Rechtes” ist. Jedoch bringt die Wahrheit, die Jesus lehrte, hier wie überall Freiheit in erlösender Berührung mit der menschlichen Notdurft. Christian Scientisten können mit frohem Mut am menschlichen Streben teilnehmen, das Walten der Gerechtigkeit unter uns Menschen zu bewirken, welche der höhere Glaube an das Recht ist, — aber sie wissen, daß die wahre Heilung, das Forträumen unschöner Impulse und Beweggründe individuelles Erwachen zum geistigen Denken verlangt. Nur wenn Gott und Sein Mensch, das wahre Selbst, erkannt werden, kann die Menschheit der Herrschaft jener falschen materiellen Auffassung, nämlich: eingefleischte Selbstsucht, entweichen. Die Versuchung, ihren vermehrten Anforderungen nachzukommen auf Kosten der Verletzung und des Unrechts gegen andere, bleibt eine dringende, solange man sie als rechtmäßig ansieht. Überall und mit zunehmender Frechheit heißt es: „Es ist mein und du sollst es nicht haben,” und trotzdem Zustände etwas verbessert sein mögen, so wird Ungerechtigkeit, die Betrügerin der Macht nicht eher aufhören bis die Menschen jenen geistigen Sinn erreichen, der da sagt: „In Christo ist alles Gute mein und Du sollst es haben.” Der materielle Sinn sieht auf die Anhäufung vieler Güter, die jahrelang zur Befriedigung dieser Bedürfnisse aufgestapelt werden, der geistige Sinn kennt nur ein Gutes — Gott, — und die Nutzanwendung von dessen unendlichen Hilfsquellen bereichert jedes Seiner Kinder. Dieser Begriff erweckt in jedem wahren Christus-gleichen Menschen jene generöse, freundliche Fürsorge, die keine Übergriffe kennt und „in Ehren eines andern Recht vorzieht.” Der rechte Gedanke von „Mein” und „Dein” ist nur durch den richtigen Gedanken von Gott und dem Menschen erreicht, — der geistigen Erkenntnis der Gleichheit und Brüderschaft göttlicher Ideen, die das Absterben des alten Selbst, der Selbstsucht bedeutet und die einzige Lösung unseres individuellen und allgemeinen Problems bietet, und dies ist der Zweck und das Ziel der Christian Science.
