Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Christian Science im Verhältnis zum christlichen Charakter.

Aus der Januar 1906-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Im „Christian Science Sentinel” vom 31. August, 1899, ist folgende Aussage des Rev. O. P. Gifford, D.D. angegeben, wie sie im „Standard” veröffentlicht worden ist:

„Als einmal der Meister zum Hause des Jairus eilte, um dessen Tochter von den Toten zu erwecken, berührte eine arme, von allen verlassene Frau den Saum seines Gewandes und wurde sofort geheilt. Er plante, des Obersten Tochter zu retten und heilte die Frau am Wege, ohne es zu planen. Wie viele unserer besten und schlimmsten Werke werden ‚am Wege‘ getan? Was wir zu tun beabsichtigen, mag nur unsern Willen ausdrücken, was wir ‚nebenher‘ tun, drückt unsern Charakter aus. Wir können Gutes tun durch wohlbedachte Absichten, obgleich wir selbst nicht gut sind. Wir mögen eine Tugend annehmen, wenn wir sie nicht besitzen, wir mögen eine Rolle auf der Lebensbühne spielen, aber das Werk, das wir nebenher ‚am Wege‘ tun, ist die wirkliche Charakterprobe.”

Hamilton W. Mabie sagt in seiner Abhandlung: „Die Offenbarung durch den Charakter”:

„Die Sprache ist nur wirkungsvoll und überzeugend, solange sie hörbar ist; der Charakter macht goldene Zungen selbst aus dem Schweigen. Von einem Juristen von großer Macht und Kenntnissen, der wegen berufswidrigen Vergehens verklagt worden war, wurde gesagt, daß, während er spräche, die Anklagen gegen ihn kein Gewicht zu haben schienen, aber sobald er sich niedersetzte, erhuben sie sich augenblicklich schwer gegen ihn. So lange er sprechen durfte, konnte er seine Mitmenschen beeinflussen, wenn er aber zu sprechen aufhörte, hatte er keinen Charakter, der für ihn eintrat. Sein Genie konnte nicht die Entdeckung seines wirklichen Wesens, wie es sein Charakter unbewußt übertrug, verhindern.”

Diese Angaben enthalten zwei stark markierte Gleichnisse. Im ersteren wurde der Meister trotz der beabsichtigten Ausführung einer guten Tat nicht dadurch beeinträchtigt, jener innewohnenden Gerechtigkeit, die ihren Segen bei jedem Schritt aussandte, unbewußt Ausdruck zu geben. Im zweiten kann der Mensch, der seinen Willen direkt gegen falsche Darstellungen richtet, nicht seine Natur, die ohne Aufrichtigkeit und Wahrheit ist, verbergen, trotzdem alle Mittel der Erziehung und Kultur zu diesem Zweck gebraucht wurden.

Es ist wohl zu verstehen, daß tägliche Taten beredtes Zeugnis von den Eigenschaften des individuellen Lebens ablegen. Was der Mensch sagt, mag seine ehrliche Meinung seines eigenen Charakters ausdrücken, mag eine gute Absicht erklären oder ein überlegter Versuch sein, Fehler zu verbergen und unrechtes Handeln zu verdecken, was aber ein Mensch tut, ist der Wahrheitsredner, der unverhohlen den Grad der Tugend angibt, den er sich zu eigen gemacht hat. Der in Mr. Giffords Paragraph eingeschlossene Gedanke führt noch zu weiteren Schlußfolgerungen. Was ein Mensch tun will, drückt nicht notwendigerweise seinen Charakter aus, sondern deutet vielmehr die Natur seines beabsichtigten Zweckes an. Was der Mensch „beiläufig” tut, in den Stunden, wenn seine Absicht nicht auf ein besonderes Bemühen gerichtet ist, sondern die natürliche Gedankenneigung sich unbewußt gehen läßt, offenbart, wie viel oder wie wenig Gerechtigkeit er in seinem Charakter hat. Das Christentum lehrt, daß die Umstände zur Zeit der Geburt und des Lebens Jesu von Nazareth ihm jene Herrschaft über das Fleischliche gaben, wodurch bewiesen wurde, daß er der Sohn Gottes und der Retter der Welt sei. Es ist jedoch nicht religionswidrig, gleichwohl den Schluß zu ziehen, daß die geistige Macht, die er in so großem Maße besaß, in einem gewissen Grade durch die Weise erreicht worden war, wie er seine Erfahrungen handhabte. In der Wüste wurde er nicht nur von Einsamkeit und Leiden angegriffen, sondern von heimlichen Vorschlägen, die ihn zwingen wollten, die Macht Gottes zu mißbrauchen, um eigenes Wohlbehagen zu gewinnen, sich um Volksgunst zu bewerben und menschliche Weisheit als Mittel zur Errichtung des Reiches Gottes zu gebrauchen. Die große Tiefe und der Ernst seines Verlangens, daß alle Welt seine Botschaft hören sollte, müssen ihn diesen Argumenten jenes fleischlichen Sinnes ausgesetzt haben, der womöglich seinen Einfluß verleiten und jene Botschaft zum Schweigen bringen wollte.

Die Angaben von der Erfahrung in der Wüste sind gering, aber keiner, der die einschmeichelnde Stimme der Versuchung gehört und ihr widerstanden hat, kann fehlen zu erkennen, daß der Meister den irreführenden Vorschlägen jener Stunde nur durch unerschütterliches Vertrauen auf die unendliche Weisheit entging. Wäre es für ihn möglich gewesen, weniger wahr, weniger weise in jener Krisis zu sein, so würde der Charakter seines Lebens und Werkes bei weitem geändert worden sein. Nur, weil er sich dem Bösen widersetzte und es überwand „traten die Engel zu ihm und dieneten ihm.” Gute Gedanken suchten und fanden dauernd einen Platz in ihm, sein dreijähriges Lehramt durch die gnadenreiche Gegenwart göttlicher Liebe heiligend. Nach diesem Sieg brauchte er nicht mehr zu planen, Gutes zu tun. Die unermeßliche Güte Gottes fand freiwillig in jedem Gedanken, Wort und Tat Ausdruck. Er brauchte sich nicht direkt vorzunehmen, den Sünder zu reinigen und den Kranken zu heilen; seine Treue den Anforderungen Gottes gegenüber, hatten ihm den Segen Gottes gesichert und Sünde und Krankheit, unfähig den Druck seiner heiligen Gegenwart zu ertragen, mußten aus dem Leben derjenigen schwinden, die sich frohlockend der Erscheinung seines Kommens zuwandten. Das Resultat seines Kämpfens war in der Tat „Friede auf Erden,” als einen Teil seines Vermächtnisses die wundervolle Darstellung des vollständigen, vollkommenen christlichen Charakters zurücklassend von dem Paulus sagt: „der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi.” Es ist ohne Zweifel weniger schwierig, den Wert des christlichen Charakters zu schätzen, als sich solchen zu eigen machen. Das Verlangen, in den Wegen der Gerechtigkeit zu bleiben, treibt in gewissem Maße jedes ehrliche Herz an, aber die Bestätigung einer dauernden Reformation fordert mehr als ein rechtes Verlangen. Viele Personen treiben mit dem Strom menschlicher Neigungen, der Aussicht auf Überbürdung während der besten Lebenszeit und dann ein hilfloses, gebrochenes Alter, aus dem Grunde, daß ererbte, seit Generationen ungestörte Bedingungen in sich kein Versprechen von der Lösung ihres Griffes geben, und diesem individuellen Wahnsinn wird wenig Widerstand geleistet auf die Ausrede hin, daß sie zum Temperament gehören und gerechtfertigt sind.

Gerade in diesem Punkte der Erfahrung werden jene Lehren der Christian Science in Mrs. Eddys Buch „Science and Health with Key to the Scriptures“ jedem Einzelnen von unschätzbarem Werte, der wirklich wünscht, von dem Erbteil: Temperament, Wesen und menschliche Natur genannt mit all ihren Wahrscheinlichkeiten für geistiges und körperliches Leiden, frei zu werden; denn sie bringen der Welt eine lehrreiche Botschaft, die die seit Generationen bestandenen Ansichten über diesen Gegenstand revolutionieren. Von Anfang bis zu Ende bezeugt dieses Buch durch klare Offenbarung, logisches Denken, wahre Unterscheidung und geduldige Erklärung, die große Wahrheit, daß der Mensch nur ein rechtmäßiges Erbe hat, ein Erbe, das alles, was zum vollkommenen Christus gehört, einschließt und die Lasten menschlicher Erbschaften ausschließt. Gott vererbt in Wirklichkeit nicht den Charakter vom Vater auf den Sohn durch sich folgende Generationen, denn was durch das menschliche Gesetz des Ererbens übertragen wird, ist eine falsche Existenzauffassung, die nur dazu dient, die wahre Natur zu verbergen; wenn ähnliche Tugenden in Eltern und Kind zu finden sind, liegt der Grund darin, daß weniger Übel übertragen worden ist und der vollkommene, aus Gott entspringende Charakter, der wirklich Sein „Ebenbild” ist — zum Vorschein kommt.

Der Kampf gegen die Sünde ist in der Geschichte der Christenheit aufrichtig, tapfer und im gewissen Grade erfolgreich gewesen. Der moralische Widerstand dem Bösen gegenüber, der sowohl die Bemühungen der besten Männer und Frauen, gleichviel ob als anerkannte Christen oder nicht, charakterisiert hat, hat viel zur Erlösung getan, noch dazu unter dem Druck des Glaubens, daß das Böse wirklich sei und von Gott bevollmächtigt seine Verwüstungen und Zerstörungen zu treiben. Christian Science bringt auf das moralische Schlachtfeld die Botschaft, daß das Übel, dem man so lange als eine Kraft entgegengetreten ist, in Wirklichkeit nicht mehr Macht hat, als wie des Menschen eigene verkehrte Erziehung ihm gegeben hat, daß es weder eine Tatsache, noch ein Täter in Gottes Universum ist und für den Menschen nur so lange existiert, wie er daran glaubt es fürchtet oder sich ihm überläßt; hiermit offenbart die Botschaft auch die christliche und wissenschaftliche Methode des Kämpfens, die endliche Befreiung von jeglichem Gewebe des Übels versichert.

Der Kampf ist mit Gedanken, nicht mit äußerlichen Dingen, denn Dinge sind nur äußere Ausdrücke der Gedanken. Es ist für zwei entgegengesetzte Gedanken unmöglich, gleichzeitig Platz und Macht im individuellen Denken einzunehmen, und jeder Mensch kann im Reiche seines eigenen Bewußtseins aktive Bekämpfung gegen die Zerstörung von dem, dessen er unwürdig, zur Befestigung des Wünschenswerten wagen. Der Verlust unreiner Interessen muß dem Kommen selbstloser Zwecke vorangehen, und umgekehrt, die Wahrnehmung und Ausübung reiner Ziele und Ideale muß notwendigerweise das entfernen, was unedel und niedrig ist. Der erste, sich kenntlich machende Einfluß der Christian Science für den Bau des Charakters wird in der Hoffnung gesehen, die durch diese positive Versicherung der Macht des Guten und der folglichen Machtlosigkeit des Bösen erwacht. Thomas von Kempen spricht davon in seinem berühmten und schönen alten Werk: „Von der Nachahmung Christi.” Er sagt: „Als jemand mit ängstlichem Gemüt, oft zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, sich einmal von Kummer bedrückt, demütig betend vor dem Altar einer Kirche niederwarf, zu sich selbst sagend: ‚Oh, wenn ich nur wüßte, daß ich noch ausharren sollte!‘ hörte er gegenwärtig in sich folgende Antwort Gottes: ‚Wenn du es wüßtest, was würdest du tun? Tue jetzt, was du dann tun würdest und du sollst beschützt sein!‘ Dadurch gestärkt und getröstet, übergab er sich gänzlich dem Willen Gottes, und sein ängstliches Wanken hörte auf; er hatte nicht einmal den Wunsch neugierig weiter zu forschen, was ihn betreffen würde, sondern trachtete vielmehr darnach, den vollkommenen und annehmbaren Willen Gottes für den Anfang und das Vollbringen jedes guten Werkes zu verstehen.”

Diese tröstende Versicherung für den schließlichen Triumph des Guten bleibt bei dem Schüler der Christian Science vom Augenblick seiner ersten Überzeugung von der Übermacht des Guten. Es mag viele Versuchungen, Sorgen und Entmutigungen geben und man mag schwer in seinen Reformationsbemühungen geprüft werden, aber diese göttliche Botschaft gibt fortwährend Stärke zum Zweck und Mut zum Streben, denn in den Lehren der Christian Science wird rechtes Bemühen aufrecht erhalten, nicht nur allein durch Glauben, sondern mittelst klarer Erklärungen, die den Grund für die Machtlosigkeit des Bösen offenbaren. Der Jünger kann, wenn er dies weiß, nicht mutlos werden, noch sich verleitet fühlen, das für sich selber unternommene, reformatorische Werk zu lassen. Jede Stunde, verbracht mit unserem Lehrbuch und mit dem „größten von allen Büchern der Welt,” die Bibel, auf die „Science and Health“ seine Leser rückhaltlos hinweist, spornt fortwährendes Streben in der rechten Richtung an, denn diese Stunden tragen Frucht in der wachsenden Versicherung, daß jede rechte Handlung eine mögliche unrechte besiegt und somit ein bedeutender Schritt zur endlichen Vollkommenheit ist.

Als Jesus sagte: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist,” fügte er nicht hinzu „insofern es euer Temperament erlaubt.” Es mag für den Einzelnen, der durch ererbte und anerzogene Charakterzüge und Neigungen gebunden ist, nicht möglich sein, die Höhe des Christus-ähnlichen Charakters „durch einen einzigen Schritt” zu erreichen, aber er kann, wenn er will, in seiner Natur alle widerstreitenden Gedankenrichtungen entdecken und sich entschlossen ihrer Hingabe enthalten. Jeder unrechte, zurückgewiesene Gedanke oder Tat befestigt gewissermaßen die Reformation. Die Abweisung eines Irrtums führt die Gedanken zu einer tiefer gehenden Analyse, weitere Irrtümer zu entdecken, und die Stärke, die durch erfolgreichen Widerstand gegen eine Form des Bösen erreicht wird, befördert die Zerstörung jeder andern. Menschliches Denken hat das Gebot Jesu zu der Auslegung berechtigt, daß es für die menschliche Natur nicht möglich sei, Vollkommenheit zu erreichen. Jedoch vernichtet die Lehre der Christian Science diese Rechtfertigung des Bösen. Alles, was unter dem Deckmantel des Temperaments entschuldigt worden ist, wird als zerstörbar bewiesen. Vom Temperament wird nicht verlangt, vollkommen zu werden, es soll nicht gebildet werden, sondern muß vielmehr überwunden und verworfen werden. Vortrefflichkeit des Charakters kann gleich der Vortrefflichkeit in Künsten nur erreicht werden, wenn ein vollkommenes Modell angenommen worden und geduldig alles ihm nicht gleichende entfernt worden ist. Wenn Christus-ähnliche Vollkommenheit das Vorbild des Charakters ist, müssen alle Neigungen des Temperaments, die jenes Vorbild nicht erreichen, zurückgewiesen werden. So wie Dunkelheit niemals zum Licht wird, sondern mit dem Dämmern des Lichts verschwindet, wie das Chaos aus sich selbst nie zur Ordnung wird, sondern vergeht, sobald die Bedingungen sich nach dem Gesetz der Ordnung bilden, so entwickelt sich das Unvollkommene nicht zur Vollkommenheit, sondern muß aus Gedanken und Handlung verschwinden im Verhältnis wie das Vollkommene erscheint.

Was menschliches Temperament genannt wird, ist in Wirklichkeit nicht so dauernd vererbt, als es den Anschein hat. Im besten Fall ist es ein Bündel von Charakterzügen durch rückwirkende Handlung der Gewohnheit, des Impulses, Willens und der Erregung hergestellt, die leicht durch den Zufall von Umständen hin und her schwanken und oft durch den Stolz persönlicher Meinungen und Vorurteile früherer Erziehung gebunden sind. Jedoch wie anziehend und liebenswürdig ein Temperament auch sein mag, so ist es nichtsdestoweniger eine Reihe ererbter und persönlich entwickelter Charakterzüge. Wenn das Wort Charakter gebraucht wird, um menschliche Gemütsart zu bezeichnen, deckt es jeden Charakterzug ob gut oder böse, den das Temperament in sich schließt; wenn jedoch das Wort, wie es oft der Fall ist, angewendet wird, um jene Charakterstärke, die allem Bösen widersteht, anzugeben, kennzeichnet es jene wachsende Christlichkeit, die oft gerade den Weg des Temperaments durchkreuzt.

Durch das Tor der eigenen Gemütsart tritt die Versuchung ein, um den Schüler der Christian Science zu verwirren. Ein Argument des Bösen, das den einen versucht oder entmutigt, verursacht einem andern keine Mühe. Jeder wird von dem angegriffen, was seiner Natur am stärksten zusagt. Daraus folgt, daß der Mensch, der wahre Selbstkenntnis pflegt, am klarsten die Natur seiner eigenen Schwäche und Versuchungen sieht und sich daher am besten zu ihrer Vernichtung eignet. Um sich für das Kommen des Christusgeistes vorzubereiten, muß man Sorge tragen, die Neigungen des menschlichen Impulses und Willens ehrlich aufzudecken und gewissenhaft zu verwerfen. Der gerechte Vorsatz, mit nichts wenigerem als Vollkommenheit befriedigt zu sein, fördert Selbsterkenntnis und öffnet die Tore weit für den Eintritt jener bleibenden Charaktereigenschaften, „die ihr Haus auf den Felsen bauen.” Vor hundert Jahren verlangten religiöse Lehren als den Preis der Seligkeit das Aufgeben aller Freuden, Heiterkeit und Schönheit. Das Evangelium der Liebe hat jedoch in diesem letzten Jahrhundert die christlichen Gebräuche so aufgeklärt, daß Strenge und Trübsinn nicht mehr den Besitz eines religiösen Sinnes bezeichnen. Das jetzt angenommene Christentum erklärt, daß Gottes Segen nicht bis zu einer künftigen Zeit zurückgehalten wird, sondern daß der Mensch sich ihn so bald aneignen mag, wie er das verwirft, was ihn von den Segnungen abhält. Das Leben des wahren Christen ist ein Weg voll Opfer, aber nicht notwendigerweise ein Weg des Trübsinns. In den Stunden, wenn man zuerst lernt, daß Wachstum in Gerechtigkeit das Aufgeben von etwas lange für wert gehaltenes verlangt, etwas, das Ehrgeiz, Willen oder Zuneigung gebildet hat, scheint Gottes Hand schwer und sein Scheidemesser scharf zu sein. Wenn aber die zur Erde sich neigenden Ranken abgeschnitten worden sind und das Leben nach oben zu größerer Freiheit und reicherer Fruchtbarkeit strebt, dann wird das wahre Verhältnis des Aufgebens um des Wachstums willen unterschieden und der Entsagungsschmerz verliert sich in der Freude geistiger Entdeckung und Erwerbung. Der Weg des Kreuzes war für Jesus der Weg des Triumphes, denn er führte zur mächtigen Erhöhung, die seinen Dienst krönte. In der reifenden Erfahrung des Jüngers finden wir je nach dem Grade seiner Demonstrationen dieselbe Entsagung, die das tägliche Leben vom strengen Griff des Selbst befreit und dieselbe Mitwirkung göttlicher Beweggründe, die jene Entsagung mit Freude krönt. Diese Freude kennt nur das Herz, das gehorcht und entsagt, — dies ist in der Tat der Friede, den die Welt nicht geben noch hinwegnehmen kann. Was die Welt gibt, nimmt sie wieder, weil aber diese Freude nicht von der Welt gegeben wird, kann die Welt sie nicht angreifen noch nehmen.

Es ist mit recht gesagt worden, daß „wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten.” Die Geschichte der Propheten, Wahrsager und Apostel bezeugen die geistige Ernte, die das Leben bereichert, wo menschliche Hoffnungen verwüstet worden sind. Die Auffassung des Christentums, die den Weg zur Gerechtigkeit nur als einen Weg des Verlustes betrachtet, sieht nur ein ödes Leben vor sich, alles dessen beraubt, was die Selbstsucht Vergnügen nennt. Solche Auffassung weiß nichts von den vielen Stunden bei dem „frischen Wasser,” den ruhevollen Zeiten auf der „grünen Aue,” die das nach Gerechtigkeit hungernde und dürstende Herz erwartet. Für den, der auf diesem Pfad des rechten Strebens wandelt, gibt es liebliche Plätze stillen Segens, wo Friede und göttliche Wonne unermeßlich herrschen. Hier gibt es Bergeshöhen des Sieges, wo das Herz singt „als ob es Flügel hätte” und das Sonnenlicht des Heils alle Gedanken und Gefühle durchflutet. In diesen Zeiten der Erhebung, wenn der Gedanke in den Hügeln Gottes wohnt, verbannt ein Hauch göttlichen Glanzes die Erinnerung vieler Opfer, und der verwirrte Pfad selbstsüchtiger Neigungen, der im Anfang so schwer zu verlassen war, wird nun als ein zu Schmerz und Enttäuschungen führender erkannt. Wohl mag man dankbar für tägliche Segnungen, für Leben, Liebe, Obdach und Trost sein, ist man aber erst zu der Erkenntnis erwacht, daß die Entsagung eines vielversprechenden materiellen Vergnügens in Wirklichkeit ein Entkommen von dem Schmerz seines unvermeidlichen Mißerfolges bedeutet, den die Erfüllung dieser Versprechungen bringen würde, dann werden Danksagung und Dankbarkeit zum grenzenlosen Freudenlied.

Diese Freude im Opfern ist kein neues Thema; die größten Propheten, Dichter und religiösen Lehrer der Welt haben immer ihr Vorhandensein in den Angelegenheiten Nachdruck gegeben. Dem Buch „Science and Health“ war es jedoch vorbehalten, den Grund zu beständigen Danksagungen durch die Offenbarung der Machtlosigkeit des Bösen zu vermehren. Seine Lehre vernichtet die sogenannten Reize des Übels, dadurch im großen Umfange die Macht der Versuchung und die Zähigkeit ihres Griffes entfernend, worin auch der große Wert der Christian Science in bezug auf den Charakter gefunden wird. Für jemand, der mit Verständnis das Lehrbuch der Christian Science studiert und den seine Lehren durchdringenden Geist der Reinheit und Wahrheit zu lieben lernt, ist es unmöglich, weitere Befriedigung in vielen Sachen zu finden, die die Welt als natürlich und ererbt entschuldigt. Wenn der Sinn des Vergnügens am Unrechttun verschwindet, dann ist es kein Kreuz mehr, einen höheren und besseren Weg zu suchen. Christian Science bringt dem öden Leben, was es reichlich und zum Überfließen füllt und bringt dem Leben voller Sünde eine wachsende Abneigung gegen die Sünde. Daher wird in jeder Aufgabe der Schmerz der Entsagung mit der Freude derselben vertauscht und die, die ihre Erfahrung im Lichte dieser Offenbarung ausarbeiten, werden „singend in der Wüste gefunden.” Die das Herz unseres Meisters erfrischende Freude über den Segen, der auf diejenigen fiel, die ihn „auf dem Wege” trafen, mag zu jedem Jünger kommen, je nach seiner Treue für die Anforderungen Christi. Das bewußte Bemühen, einem andern den Frieden zu bringen, ist wie „ein tönend Erz oder eine klingende Schelle,” wenn die innere Quelle der Gedanken und Gefühle nicht durch die Ströme der Gerechtigkeit gereinigt worden ist. Wenn aber das Herz geduldig darnach strebt, in Christlichkeit zu leben, koste es was es wolle, werden die „am Wege” ohne Anstrengung gesegnet, und die bewußten Trostesworte werden von ebenso reicher Bedeutung.

Hugh Black gibt in seinem Buch „Friendship“ (Freundschaft) eine kurze schöne Beschreibung in bezug des Charakters: „Einige Menschen scheinen gleichgültig und farblos, ohne nennenswerte Atmosphäre; ... andere haben eine gute Atmosphäre; wir können da in Ruhe atmen und haben ein freudiges Gefühl der Sicherheit. Bei einigen von diesen ist es eine örtliche zarte Umgebung, süß, erfrischend, gleich dem Aroma der wilden Veilchen, wir müssen darnach ausschauen und uns manchmal bücken, um in ihren Bereich zu kommen. Bei einigen ist es gleich einem Tannenwald oder Eukalyptus-Hain der wärmeren Klimata, eine ganze Landstrecke mit Wohlgeruch erfüllend. Wohl dem, der diese Kleinen und Großen Christi kennt. Sie bringen Oxygen in die moralische Atmosphäre, und wir atmen frei darin. Sie geben uns neue Einsicht, frischen Mut und reinen Glauben und begeistern uns durch den edlen Einfluß ihres Beispiels zu einem edleren Leben.” Der wahre Charakter kommt ohne Frage nicht durch die Pflege persönlicher Gemütsanlagen, noch durch die Bildung des Temperaments, sondern vielmehr nur dadurch, daß der Geist Christi die im Wege stehende menschliche Sinnlichkeit auflöst und Gottes sündenloses, selbstloses Ebenbild, den vollkommenen Menschen offenbart. In Mrs. Eddys Lebenswerk sehen wir durch ihre geduldige, niemals wankende Mühe für das Wohl der Menschheit dies wissenschaftliche Entfalten des christlichen Charakters in Lehre und Beispiel, sowohl als die mächtige Wirkung eines solchen Entfaltens, die die Botschaft der Christian Science vor die Welt stellt. Der Himmel öffnet sich durch ihre Versprechungen, denn die auf diese Weise hergestellte Umwandlung wird nicht allein Befreiung von Sünde, sondern auch schließlich Entkommen von allen Krankheitszuständen und Sorge bringen, und man lernt in diesem Umwandlungswerk nicht allein für tägliche Segnungen dankbar zu sein, sondern auch für die Prüfungen des Glaubens und Proben moralischer Stärke, welche, richtig gehandhabt, zur Entdeckung von dem, das da segnet, führt.

Copyright, 1905, Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht Jahre 1905, Mary Baker G. Eddy.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Januar 1906

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.