Wenn das Evangelium aufhört, eine gute Nachricht und eine frohe Botschaft für alle Menschen zu sein, dann hört es auf, das wahre Evangelium zu sein. Wenn irgend welche Überbringer des Evangeliums es so übergeben, daß es Traurigkeit und Schrecken in das Bewußtsein des Menschen bringt, dann verdrehen sie seine Bedeutung und schwächen seine Kraft und seinen Wert. Jede Form der Religion, welche in ihrem Wesen nicht freudig ist, kann nicht die wahre Religion sein.
Es ist leicht, in der menschlichen Geschichte eine genügende Erklärung für die Traurigkeit und Furcht zu finden, welche nur zu sehr mit der Religion verknüpft worden sind. Der ursprüngliche Mensch nahm alles als bestehend an, wie es seinen physischen Sinnen zu sein schien. Wenn die Sonne im Osten aufzugehen und im Westen unterzugehen schien, dann hielt er sich nicht damit auf, diese Erscheinung in Frage zu stellen. Seine abergläubischen Phantasien füllten die Erde, das Wasser und den Himmel mit boshaften, unheilbringenden Gottheiten, um für die Überschwemmungen, Erdbeben, Stürme und dergleichen, die ihn beständig zu bedrohen schienen, einen Grund anzugeben. Er hätte nichts anderes tun können, als seine Auffassung einer Gottheit in schreckliche Mythologien einzukleiden, wenn er annahm, daß das Weltall tatsächlich so existierte, wie es den physischen Sinnen erschien. Unzählige Teufel waren unvermeidlich, und es war unvermeidlich, daß er die bösen Mächte, welche sein Geschick in ihrer launenhaften und fürchterlichen Gewalt zu haben schienen, durch Gaben die ihrem vermutlichen Charakter angemessen waren, zu versöhnen suchte. So wurde seine Religion notwendigerweise eine Religion der Furcht und der Angst.
So weit wie die moderne Theologie die Phänomene des Physischen Weltalls als wirklich annimmt, folgert sie, daß die Wirklichkeit des Bösen gleichbedeutend mit der Wirklichkeit Gottes sei, und ihre religiösen Lehren sind unvermeidlich bedrückend und verdüsternd. Es gibt nicht eine einzige Idee des Bösen in dem menschlichen Bewußtsein, die nicht ihren Ursprung in unseren Sinneswahrnehmungen hätte. Unsere Sinneswahrnehmungen und unser Sinnesbewußtsein sind die einzige Quelle all unsrer Furcht, Angst, Bekümmernisse, Zweifel, Verlegenheiten, Entmutigungen und Verzweiflung. Die Theologie kann niemals aufhören, einen schrecklichen Schatten auf die Gedanken der Menschen zu werfen, bis sie aufhört, das Weltall als derartig anzunehmen, wie es unserm Sinne erscheint. Die Theologie kann niemals aufhören, die unwissende Gehilfin und Verbündete des Materialismus zu sein, so lange sie nicht die tiefe Wahrheit erfaßt, daß die einzige Wirklichkeit in Gott und in Seiner geistigen Offenbarung zu finden ist. So lange Theologen fortfahren werden, zu lehren, daß physische Erscheinungen einen Teil der Wirklichkeit des Daseins bilden, so lange wird der theologische Lehrer, so eifrig und aufrichtig auch sein Wunsch sein mag, Gott und seinen Mitmenschen zu dienen, als ein Bild der Düsterkeit und Trauer in den Gedanken der Menschen dastehen. Und so lange wie diese Art Bildnis mit der Religion verknüpft ist, so lange werden große Klassen denkender Männer und Frauen, ebensowohl wie leichtlebige und sinnliche Menschen beständig zurückgestoßen werden. Nicht nur Erdbeben und Sturm, sondern auch unsere Leidenschaften und Gelüste werden mit zu dem physischen Weltall gezählt. Sie sind die Erbschaft des Adam-Menschen, wie er im ersten Buche Mose beschrieben wird, aber nicht des wirklichen Menschen, der im Ebenbilde des Geistes ist.
So weit die theologische Lehre in Furcht und Düsterkeit ihre Früchte tragen muß, so weit wendet sie sich nicht an die geistige Natur des Menschen, nicht an die höhere Vernunft des Menschen, sondern an das, was im Grunde verworfen und niedrig ist. Wahre Religion gleicht der reinen Flamme in einer Alabasterschale, welche Licht und Freude ausstrahlt. Sie ist kein Brutplatz für Schatten. Sie ist kein Versteck für Gespenster. Es dauerte sehr lange, bis die Menschheit lernte, daß die Sonne in Wirklichkeit nicht im Osten aufging und nicht im Westen unterging. Jahrhundert nach Jahrhundert mußten in ihrem ermüdenden Laufe vorüberziehen, ehe die Vernunft des Menschen ihn belehrte, daß die Sinneswahrnehmung ihm eine elende Falschheit lehrte. In gleicher Weise hat das Sinnesbewußtsein, welches der Mensch von dem materiellen Weltall empfängt, und welches ihm sagt, daß das Böse eine Schöpfung Gottes ist und eine wirkliche Existenz besitzt, den menschlichen Gedanken während einer langen, langen Zeit in Fesseln gehalten und seinen Glauben verkümmert. Jahrhunderte sind gekommen und gegangen, Menschen haben erfunden und entdeckt, und auf vielen Gebieten glorreiche Triumphe gefeiert, aber der strahlende Gedanke, daß Gott die Liebe ist, ist noch nicht in das innerste Bewußtsein der Menschen eingedrungen, weil die Theologie beharrlich etwas anderes gelehrt hat. Die Menschen lesen über diese freudenbringende Wahrheit in ihrer Bibel und glauben, daß sie sie als wahr annehmen; aber die erschreckenden Gespenster, die ihnen beschrieben worden sind, haben den Spiegel ihrer religiösen Gedanken derartig verdorben, daß das Bild des wahren Gottes vor ihrer getäuschten Einbildung noch ganz verzerrt ist. Wie eifrig auch unsere Prüfung sein mag, wir sind unfähig, ein einziges Bild der Wahrheit in dem Spiegel unseres Sinnenbewußtseins zu betrachten, welches nicht irgendwie in seinem Glänze getrübt und in seiner Form verzerrt ist.
Die einzige Theologie, welche dem Menschen die absolute Wahrheit ihres Daseins lehren kann, muß deshalb das physische Weltall und alle seine Nebenerscheinungen, wie Sünde, Krankheit, Leiden, Verwesung, Tod zu Unwirklichkeiten rechnen. Die Bilder religiöser Wahrheit müssen absolut ungetrübt zu uns kommen und unverdorben durch Falschheiten, die wir durch unser Sinnesbewußtsein empfangen, damit ihre Darstellung tadellos sei. Deshalb muß der Prozeß der deduktiven Folgerung in der Metaphysik gebraucht werden. Induktive Folgerung kann uns nur physische Tatsachen darstellen, oder vielmehr angenommene physische Tatsachen, und diese schließen notwendigerweise die Irrtümer des Bewußtseins und der Wahrnehmungen ein, die wir durch unsere sogenannten fünf physischen Sinne empfangen.
„Gott ist Liebe.” Göttliche, unendliche, absolute Liebe. Es könnte keinen anderen Gott geben, als die schöpferische, belebende Kraft des Weltalls. Jede Auffassung Gottes, die nicht bis zu diesem hohen Maßstabe heranreicht, ist eine halb offene Türe zum Atheismus. Materialismus hat keinen Begriff von Gott als Liebe. Pantheismus stellt Gott mit den Irrtümern der physischen Erscheinungen um uns gleich, und die Theologie kann sich, in dieser Beziehung wenigstens, nicht höher erheben als der Pantheismus, bis sie gelernt hat, die Phänomene der Materie einschließlich ihrer Nebenerscheinungen, wie Sünde, Krankheit, Leiden und Tod nicht länger als wirklich anzunehmen.
Die deduktive Metaphysik der Christian Science betont in vollem Maße den Begriff Gottes als Liebe; wie es in keinem anderen modernen oder alten System des Denkens gelehrt wird, wenn man die Bibel ausnimmt. Falsche Folgerungen von den Sinneswahrnehmungen und dem Sinnesbewußtsein des Menschen haben die religiösen Gedanken zu einem hoffnungslosen und verwirrenden Labyrinth von Widersprüchen gemacht. Es gibt keinen Ausweg aus diesem Labyrinth, bis Sinneswahrnehmung und Sinnesbewußtsein nicht gänzlich aus dem religiösen Denken verbannt worden sind. Es ist wahr, daß wir glorreiche und rettende Schimmer der Wahrheit unseres Daseins durch die ganze religiöse Literatur hindurch finden können, aber diese Lichtblicke haben alle ihren Ursprung in der geistigen Auffassung und in dem geistigen Bewußtsein des Menschen gehabt. Sie haben, wie die Wolkensäule bei Tage und die Feuersäule bei Nacht, dazu gedient, unser Menschengeschlecht durch die Wildnis nach dem gelobten Lande zu führen. Obgleich sie nur gelegentlich gekommen sind und keinen wolkenlosen Glanz verbreitet haben, beweisen sie doch die geistigen Fähigkeiten des Menschen und sind Prophezeiungen der kommenden geistigen Taten.
Die reine Religion, wie sie durch Christian Science gelehrt wird, unbefleckt durch materialistische Auffassung und Überlieferungen, welche die Existenz keiner höheren Macht anerkennt, die die Geschicke der Menschen regiert, ausgenommen die Macht der göttlichen, ewigen, unveränderlichen Liebe, dies ist die Religion der Freudigkeit. Wenn wir uns ganz verwirklichen, daß die Arme der göttlichen, absoluten Liebe immer um uns und unter uns sind, daß Gottes schützende Fürsorge immer anwesend und erreichbar ist, daß unser Vater-Mutter Gott immer bereit ist, uns zu helfen und uns aus all unserer Not zu retten, dann wird unser religiöses Denken, anstatt eine Quelle der Traurigkeit und der Düsterkeit zu sein, ein immerwährender Garten der Freude, des Friedens und der Zufriedenheit werden. Dann wird die Welt keine Dornen haben, um uns zu verwunden, wenn wir ihre Rosen pflücken, der Tod wird seines Stachels und das Grab seines Sieges beraubt sein. Dann werden Kriege und Kriegsgerüchte nicht mehr bekannt sein. Dann werden die Menschen einander als Brüder ansehen und behandeln, und nicht als Starke und Schwache, als Reiche und Arme, als Bedrücker und Bedrückte. Dann werden die flammenden Schwerter der Cherubime umgewandt sein, um uns wieder in unser verlorenes Eden willkommen zu heißen. Dann werden wir von dem Baume der Erkenntnis des Guten essen, und die Schlange kann uns nicht mehr verführen, von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, denn wir werden verstehen, daß Gutes und Böses nicht zusammen auf demselben Stamme wachsen kann, und keine Schlange kann uns durch Hypnotismus in den falschen Glauben versetzen, daß göttliche Liebe je solch einen Baum in ihrem Garten gepflanzt hatte.
Unterdessen laßt uns fleißig darnach streben, die Furcht vor dem Bösen aus unserm Bewußtsein zu verbannen, erinnern wir uns gewissenhaft daran, daß die Furcht von jeher der Erzfeind unseres Menschengeschlechts gewesen ist. Die Furcht des Bösen ist der stets gegenwärtige Teufel, der ebenso auf den Dachfirst des Palastes wie der Hütte klettert. Jede Wahrheit, die in Christian Science verkündet wird, ist eine freudige Wahrheit. Jedes Stück in der Rüstung des Christian Scientisten wird durch einen liebreichen Gedanken glänzend gemacht und spiegelt einen Glauben wider, der Freude einflößt. Alle seine Ideale, Bestrebungen und Taten liegen auf einem Gebiete, wo Traurigkeit, Furcht und Zweifel kein Heim haben. Je mehr die Lehren der Christian Science zu einem Teile des Bewußtseins einer Person werden, desto sicherer wird Freudigkeit sich in den Gedanken, Empfindungen und Gefühlen jener Person zeigen, desto freudiger wird ihr Gesicht, ihr Gebahren, ihr ganzes Leben werden. Wann immer ein Anhänger der Christian Science entdeckt, daß er eher im Schatten als in dem ungetrübten Lichte ist, dann muß er sogleich auf seiner Hut gegen Irrtum sein, und sich von dessen Einfluß durch eine andächtige und standhafte Verwirklichung der absoluten Allgegenwart der Wahrheit und der Liebe befreien. Er muß seine Hand nach dieser Wahrheit des Seins ausstrecken, wie der Ertrinkende nach der Planke greift, die ihn aus den drohenden Wassern um ihn her erretten kann. Unsere Errettung ist ein Prozeß, welcher Freude in unser Leben bringt. Unsere Wiedergeburt ist eine freudige Wiedergeburt. Deshalb sind wir träge, wenn wir erlauben, daß unsere Religion zu einem Brutplatz für Schatten und zu einem Versteck für Gespenster wird. Es ist unsere Pflicht, zu einem Gespenst, welches uns Gesellschaft leisten will, zu sagen: „Gehe hinter mich, du Satan!” Und eine Pflicht ist etwas, was erfüllt werden muß und beständig und immer erfüllt werden muß.
