Mein liebes Fräulein H. — Ihr Brief mit einliegendem Schreiben des Herrn B., erreichte mich heute morgen in Canon City, Col., wo ich mich jetzt im Interesse der Christian Science niedergelassen habe, die nicht nur physisch, sondern auch geistig so viel für mich getan hat, da sie mir den Messias geoffenbart, auf den alle Juden hoffen und harren.
Ich habe nie geglaubt, der Messias würde eine physische Gestalt haben und als mir klar gemacht wurde, daß die unpersönliche Wahrheit, oder das Christus-Prinzip, der Erlöser der Menschheit sei, — war es mir nicht schwer, Jesus als den alleinigen messianischen Repräsentanten, als den Betätiger der Liebe, die Gott ist, anzunehmen.
Heutzutage erkennen viele aufgeklärte Juden Jesus als den besten Menschen, der je auf Erden erschien, an. Warum sollte es also schwer sein, sein Leben als ein Beispiel zu betrachten, das der Nachfolge würdig ist? Können wir einen besseren Führer oder Lehrer haben, als den besten? Für mein erwecktes Bewußtsein, wollte Jesus das reine schlichte Judentum in einer unangreifbaren Weise wiederherstellen, aber gerade die, die sich darüber hätten freuen sollen, wandten sich gegen ihn und verstießen ihn. Als er sagte: „mein Reich ist nicht von dieser Welt,” meinte er, daß Israel als Nation nie fest stehen könne, bis weltlicher Kampf und Streit, allgemeiner Duldsamkeit gewichen sei und daß die Liebe zu einander und zur ganzen Menschheit, da sie ein geistiges Band ist, das tausendjährige Reich oder die Herrschaft allgemeiner Harmonie, des Friedens und Wohlgefallens bringen würde.
Die Kinder Israel sind in Wirklichkeit alle die, die den Vater „im Geist und in der Wahrheit anbeten.” Um dies tun zu können, müssen wir erst erkennen lernen, was „der Vater” ist, dann unsere Beziehung zu dem Vater und warum Jesus so zuversichtlich behauptete: „Ich und der Vater sind eins.” Jesus war ein Jude und seine Mission galt in erster Linie den Juden, aber mit Ausnahme einiger wenige, außer den Jüngern und später Paulus, verwarfen sie seine Lehren und kreuzigten ihn, da sie hofften, dadurch den Untergang ihrer Religionsform zu verhüten. Jesu Bemühen war darauf gerichtet im Judentum die Spreu von dem Weizen zu trennen. Er wiederholte beständig, in bezug auf das Gesetz und die Propheten: „Ich bin nicht kommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.” Weil er nicht in der Weise vorging, wie die Pharisäer es vom Messias erwartet hatten, wenn er kommen sollte, verachteten sie ihn und hielten ihn für unwert, indem sie so unbewußt dazu halfen, die Schritt zu erfüllen, die sagt: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste.” Die Geschichte wiederholt sich indessen und, um gerecht zu sein gegen die Juden, muß ich sagen, daß die damals Lebenden nicht schlimmer waren, als der pharisäische Gedanke der Jetztzeit, der sagt: „Ich bin besser als du,” ob er nun bei den Inden oder bei den Andern gefunden wird.
In allen Jahrhunderten seit Jesus auf Erden lebte, mit Ausnahme der ersten dreihundert Jahre, ehe die Kirche durch Constantin mit dem Staat vereint wurde, ist niemand völlig im Stande gewesen die oben angeführten Worte Jesu und noch viele andere zu verstehen und zu demonstrieren, bis ihre Wissenschaft durch „Science and Health with Key to the Scriptures“ von Mrs. Eddy, offenbart wurde, das seitdem im Verein mit der Bibel das einzige Lehrbuch des wahren Christian Scientisten gewesen ist. Wenn Sie dies Buch sorgfältig lesen und studieren wollen, bezweifle ich nicht im geringsten, daß es Ihnen das bringen wird, was es vielen andern unseres Geschlechts gebracht hat und was wir auf keine andere Weise zu erlangen hoffen dürfen als durch die Vernunft und Offenbarung, die seine Seiten erfüllen — nämlich durch den Messias, gekrönt als die „geistige Macht” (siehe „Science and Health,“ Seite 10).
Das Thema ist ein viel zu großes, als daß man es mehr als oberflächlich in einem Brief berühren könnte, aber ich habe versucht Ihnen eine Idee zu geben von dem objektiven Standpunkt, von dem aus ich die Theologie der Christian Science betrachte und angenommen habe. Was ihre heilende Kraft betrifft, so habe ich davon reichliche Beweise gehabt, da ich vor zehn Jahren von einem lebenslangen Leiden wiederhergestellt wurde, das die geringe Lebenskraft, die noch in meinem von Schmerz gefolterten Körper war, schnell untergrub. Seit zehn Jahren bin ich frei. Frei von Schmerz und von Krankheit, erlöst durch den Geist, der den Menschen Jesus beherrschte, den Geist, der Gott ist.
Die Christian Science handelt von dem Gesetz der Ursache und Wirkung, in dem Gleiches das Gleiche erzeugt und offenbart es uns; und da Gott die Erste Ursache oder der Schöpfer — Geist ist, muß der Mensch, der zu Seinem Bild und Gleichnis Geschaffene, ein geistiges, nicht ein materielles Wesen sein. Gott ist Liebe. Der Mensch, um Ihm gleich zu sein, muß liebevoll sein — ein Gedanke der den Haß vernichtet. Gott ist Leben. Der Mensch, um Ihm gleich zu sein, muß leben, — ein Gedanke, der den Tod vernichtet. Gott ist Wahrheit. Der Mensch, um Ihm gleich zu sein, muß wahrhaftig sein, — ein Gedanke, der Falschheit oder verkehrte Schlußfolgerungen vernichtet. Da Juden wie Christen zugeben, daß Gott ist, was Er ist, so kann der sterbliche Mensch, der von krankem und sinnlichem Denken beherrscht wird, niemals Sein göttliches Bild und Gleichnis sein und ist es auch nie gewesen. Dagegen spiegelt der Mensch, dem Er Herrschaft und Macht über die Welt, das Fleisch und den Teufel, d. h. alles böse Denken gab, Ihn wieder in all den herrlichen Möglichkeiten, der göttlichen Eigenschaften. Dies ist die Lehre Mrs. Eddys in „Science and Health with Key to the Scriptures“ und in ihren andern Schriften. Sie sehen wie in dieser Lehre die Trennung der Spreu vom Weizen wieder klar gemacht wird. Geist ist die große schöpferische und beherrschende Kraft und der, welcher praktisch bewies, daß es nicht nur möglich, sondern absolut notwendig sei, daß der Mensch von dem Geist, der Gott ist, statt von dem sterblichen Sinn beherrscht werden sollte, mag wohl als ein Erlöser — als der Messias betrachtet werden.
Nun, glaube ich, habe ich Ihre Frage, wie es möglich ist, daß eine Jüdin ihren alten Glauben aufgeben kann, beantwortet; und daß es in der Tat für eine Jüdin leichter sein sollte, als für einen Heiden, die Christian Science mit ihrem unpersönlichen Erlöser oder Messias anzunehmen.
Ehe ich die Christian Science annahm, waren meine Bekannten hauptsächlich Israeliten, aber ich beschränkte meine Interessen und meine Liebe nicht auf sie. Ich bin eine Forschende gewesen und suchte Verkehr mit jedem, der mir Licht geben konnte über die alles absorbierende Frage: „Wer und was ist Gott?” Ich bin nicht blind zur Christian Science gekommen, sondern stehe heute genau da, wohin Jahre ernsten Studiums und geistigen Strebens mich gebracht haben.
Zu Ihrem weiteren Troste möchte ich noch sagen, daß Ihr Fall keineswegs hoffnungslos ist, wie Sie zu fürchten scheinen. Ich habe viele solche Fälle sehr schnell dem heilenden Einfluß des Wortes Gottes weichen sehen. Ich freue mich, daß Sie „Science and Health“ lesen. Es ist der beste Heiler, den ich kenne. Ich möchte Ihnen auch empfehlen, das Neue Testament in dem Lichte dieses Buches zu lesen. Sie werden finden, daß der große Heiler, die göttliche Liebe ist — die Liebe die da ruft: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, Ich [das Christus-Prinzip] will euch erquicken.”
Die Ihre, in Wahrheit und Liebe
Canon City, Colorado, 4. Januar, 1900.