„Freiheit durch Glauben” ist eine begeisternde Losung für jeden Christian Scientisten und wenn er im Ernst und dessen würdig ist, wird sein Fortschritt in dessen allumfassender Verwirklichung ununterbrochen sein, trotz der scheinbaren mentalen Knechtschaft und des damit verbundenen Mangels an Glauben.
Wir sind viel weniger verantwortlich für den Sinn von erblicher Unterjochung oder Dummheit als für unsere Ergebung zu den persönlichen Schwächen und Selbsttäuschungen, die wir zu unseren Lieblingen gemacht haben und darauf bestanden sie zu hegen, zu pflegen und täglich anzuwenden. Die schlechten Gewohnheiten, die ihr Wurzelwerk in falschem Stolz, oder in dem Verlangen nach gesellschaftlicher Anerkennung haben, zu befriedigen — ist eine Handlung, die unserer unwert ist. Nichtsdestoweniger sind diese Gewohnheiten oft duldsam ertragen, nachdem sie schon erkannt und verurteilt waren und vielleicht nachdem wir von vielen unserer größten Schwachheiten befreit sind. Wie vor Zeiten sind es auch jetzt „die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben” und gerade weil sie als „klein” angesehen werden, schützen wir uns nicht genügend dagegen.
Verpflichtungen gegen kleinliche gesellschaftliche Forderungen können nur das Wachstum der Natur hindern und wahre Selbstachtung rauben, daher sagt man, daß keine Sklaverei trauriger ist, als die, welche daraus entspringt, wenn sogenannte tägliche Zugeständnisse unsere Fesseln geschmiedet haben, und je verwickelter und unantastbarer die Verführung scheint, je mächtiger scheint sie. Man sagt oft, daß Gleichgültigkeit, gegen das, was „die Leute sagen” einem den Ruf eines Sonderlings gibt ohne einen Ersatz dafür zu liefern und die gefällige Sophisterei hat zweifellos viele Leute verleitet Jahr aus, Jahr ein, sich nach dem Ausspruch dieser albernen Mode zu richten, wenn ihr edleres Selbst beständig Einspruch erhoben hat und laut um einen unabhängigen und musterhaften Verlauf bat.
Man kann wohl erkennen, daß es viel rühmlicher ist als ein auffallender Nonkonformist angesehen zu werden, als sich selber als eifrigen Schmarotzer zu kennen und doch mag man ausfinden, daß es eine so echte Charakterprobe ist, der herkömmlichen Sitte den Rücken zu drehen, als brav zu sein, wenn niemand uns sieht. Die Versuchung ist allgemein und das beklagenswerte Ergebnis ist dies, daß in vielen Dingen die sich als Christen bekennenden Menschen zu häufig von Dingen beherrscht werden, über die sie herrschen sollten. Der besondere Umstand ist unbedeutsam; es mag sich um gesellige Gebräuche handeln oder um Kastengeist in bezug auf Kleider, Nahrung, Zimmereinrichtung, Lebensgewohnheiten, Vergnügen oder sonst etwas — es macht nichts aus; wenn der edlere Impuls, her höhere Sinn individueller Freiheit, die einem Kinde Gottes gebührt, von allem was mit unsern Mitteln und mit einem besseren Geschmack übereinstimmt, — wenn dieser höhere Sinn unterdrückt wird um für den Ausspruch der Mode Raum zu machen, so haben wir unsern Herrn verleugnet und die Ketten zu einer selbstauferlegten Erniedrigung geschmiedet.
Die Christian Science ruft zu einer edleren Freiheit. Unsere Führerin sagt: „Gegenwärtig machen die Sterblichen nur langsam Fortschritte aus Furcht sich lächerlich zu machen. Sie sind die Sklaven der Mode, des Stolzes und des Sinnes.” „Dem biblischen Befehl zu gehorchen, ‚gehet aus von ihnen und sondert euch ab‘ setzt uns dem Unwillen der Gesellschaft aus; doch der Unwille der Gesellschaft befähigt uns mehr ein Christ zu sein als deren Schmeicheleien” (Science and Health, S. 68, 238). Wer zweifellos ein Christian Scientist ist, zur Wahrheit des Seins erweckt wird, und sich bestrebt, die Anspruch erhebenden Gesetze der Sünde und Krankheit zu vernichten, würde beides, sein Ideal und seinen Beruf entehren, wenn er aus Furcht, was jemand sagen mag zögert, sich den Anforderungen jenes Ideals christlicher Konsequenz oder des guten gesunden Verstandes zu fügen. Die Christian Science bedeutet Pflichttreue gegen die Wahrheit in jeder kleinsten Sache, nicht daß man Geschmack an Befriedigung in Sonderbarkeit finden soll oder sich anstößig gegen das allgemeine Denken herkömmlicher Formen benehmen, sondern man soll sich mehr und mehr über die verwirrten und widerstreitenden sterblichen Meinungen erheben, mehr und mehr gedankenvoll in erhabener Entschlossenheit in geringen Sachen, mehr und mehr im Einklang mit der Herrschaft des göttlichen Prinzips sein. Vor langer Zeit gab ein weiser Mann den Rat: „Paßt auf, daß Mode, Gewohnheit, Vergnügen und Geld euch für nichts gelten, daß sie keine Binden über euren Augen sind, daß ihr nicht sehen könnt, sondern lebt mit dem Vorrecht des unermeßlichen Geistes.” Es heißt, daß unser geschichtlicher Freund Sir Gulliver mit feinem Faden gebunden wurde, daß jedoch derer so viele waren und daß sie, während er schlief, so dicht zusammengezogen wurden, daß stählerne Taue seine Gefangenschaft nicht erschwert Hütten. Dieses Binden, während wir schlafen, die Annahme gesellschaftlicher Sklaverei, durch viele anscheinend alltägliche und oft unbewußte Einräumungen, sind es, die christliche Freiheit und christliche Dienlichkeit gefährden.
Sich in Demut „königlich unabhängig” von den Meinungen der Welt zu halten; mit der Wahrheit allein zu stehen, wenn die Pflicht ruft, und die göttliche Leitung in jeder Erfahrung zu suchen, ist im Maße ein ganzer Mann zu werden. Dies ist frei sein. Dies ist ein Christian Scientist sein.
