Das Erscheinen einer starken, kraftvollen Persönlichkeit in der Weltgeschichte markiert einen Zeitabschnitt in menschlichen Dingen, besonders wenn dieselbe eine ausgesprochne Fähigkeit zur Führerschaft besitzt und das Leben des Volkes in seinem innersten Mark berührt. Die unvergleichliche Art und geistige Begabung Mazzinis würde ihn in jedem Fall zu einer hervorragenden Erscheinung unter seinen Zeitgenossen gemacht haben, wenn aber jemand von gleicher Begabung und mit gleichen Idealen der begeisterte und begeisternde Führer und Vertreter einer großen religiösen und demokratischen Idee wird, so bedeutet dies eine Epoche in den Annalen seiner Zeit.
Das neunzehnte Jahrhundert hat Amerika eine glänzende Reihe von selten begabten Frauen geschenkt, die sich auf dein Gebiet der Kunst, der Erziehung, der Literatur und der Philanthropie ausgezeichnet und verdiente Anerkennung als Wohltäterinnen der Menschheit erworben haben. Dieser Zahl hat New-Hampshire eine Frau hinzugefügt, die schon allein durch die Einzigartigkeit ihrer Persönlichkeit, durch die Kraft und den Adel ihres Charakters, durch ihren Scharfsinn, ihre durchdringende geistige Auffassungsgabe und ihr geduldiges Ausharren im Gutes-tun mit Leichtigkeit einen hervorragenden Platz eingenommen haben würde. Aber erst im Hinblick auf ihre erhabene Botschaft — auf deren Bedeutung für die Lösung der tiefsten und dringendsten Probleme der Welt — wie auf das Wachstum und den Einfluß der Bewegung, die sie eingeleitet und deren anerkannte Führerin sie ist — erkennt man, daß Mary Baker Eddy einzig dasteht.
Ihre Vorfahren waren in ununterbrochener Folge schottische Presbyterianer, deren geschichtlich gewordene Hingabe an ihren Glauben und an ihr Vaterland in Ehren und aufrecht erhalten wurden von ihren kühnen Vertretern, die inmitten der schönen und erhebenden Berge des Granit-Staates (New Hampshire) lebten. Hauptmann Joseph Baker, Mrs. Eddys Urgroßvater, war ein angesehener Bürger und ein Mitglied des Provinzial-Congresses, in dem er ein Amt innehatte. Er heiratete Hannah, die Tochter John Lovewells, der in den Indianerkämpfen als der „Miles Standish” der Nord-Kolonien berühmt wurde und Mrs. Baker erbte einen Teil des großen Grundbesitzes, der ihrem Vater von der New Hampshire Kolonie in Anerkennung seiner ausgezeichneten Dienste verliehen worden war. Ihr Sohn Joseph Baker, Mrs. Eddys Großvater, heiratete Marian Moore; (ein Teil ihrer „alten Heimat,” die zwischen den Städten Concord und Bow liegt, ist noch im Besitz einer ihrer Nachkommen).
Verborgen vor der Welt, verbrachten diese ersten Ansiedler ihr stilles und nachdenkliches Leben in enger Berührung mit der Natur „sich dem Himmel nahefühlend.” Sie wußten viel weniger von den wechselnden Philosophien der Welt als von den Zehn Geboten und der Goldenen Regel. Ihre Sitten waren einfach, gesund, christlich und ihre Ideale, wie ihre Impulse und ihre Sittenreinheit machten bei weitem das größere Erbteil ihrer Kinder aus, die alle dadurch reich gesegnet wurden.
Joseph und Marian Baker hatten dreizehn Kinder, von denen Mark, der Jüngste, Abigail Ambrose, die Tochter des Diakonen Nathanael Ambrose, eines angesehenen Bürgers und religiösen Führers in Pembroke, heiratete. Sie schlugen ihr Heim in Bow auf und hier wurde Mary, das jüngste ihrer sechs Kinder, geboren.
Mrs. Eddys Vater besaß die ernste, sichere, intellektuelle Natur seiner Vorfahren. Ihre Mutter war eine Frau von ungewöhnlich einnehmendem Wesen, von tiefer Denkungsart und sanfter Charakterstärke. Die Familie siedelte in Mrs. Eddys Kindheit nach dem Dorf Tilton über. Einer ihrer dortigen intimen Bekannten pflegte von ihrer Mutter zu sagen, daß ihre Gegenwart wie milder Tau wirkte, daß ihr Charakter sich durch Vortrefflichkeit auszeichnete, daß sie voll großer Gedanken und ihr Leben ein täglicher Beweis christlichen Glaubens war.
Das Bakersche Haus war ein hochherziges und gastliches, ein Hafen der Ruhe für Geistliche und diese ernste religiöse Atmosphäre trug zum Teil dazu bei, daß Mary schon in früher Kindheit über die tieferen Dinge des Lebens nachzudenken begann. Die strengen, düsteren Ansichten der Calvinistischen Theologie, die im vertrauten Kreise besprochen wurden, die große Frömmigkeit ihrer Mutter und ihre eigene Gewohnheit über alles logische Fragen zu stellen, führte in dem lebhaften Gemüt dieses nachdenkenden Kindes zu einem Kampf zwischen dem dogmatischen Glauben ihrer Eltern und Religionslehrer und ihrem eigenen seine Freiheit behauptenden, intuitiven Denken. Die Art und das Ergebnis dieses Kampfes wies hin auf die bedeutsame Rolle, die sie einst bei der Reform der Religion auf sich nehmen sollte.
Von früher Kindheit an war sie erfüllt von Sehnsucht nach der Wahrheit, von einer instinktiven Liebe zu allem Guten und Schönen —„einem Verlangen,” wie sie selbst sagt, „nach etwas Höherem und Besserem als der Materie, nach etwas außerhalb derselben.” Das verständnisvolle, zartfühlende Verhalten ihrer Mutter gegenüber den ersten Regungen und den Antrieben des Geistes in ihr, ermutigte sie dazu, den Wert und die Berechtigung ihrer eigenen spontanen Überzeugungen, sowie die Wichtigkeit treu an denselben fest zu halten, zu erkennen.
Der Sohn des Rev. Enoch Corser, A.M., der Mary Baker als Nachbarskind kannte, hat aus der damaligen Zeit folgendes über sie berichtet: „Mein Vater, der Mrs. Eddys Pastor und vorübergehend ihr Lehrer war — schätzte sie sehr hoch; ja, er hielt sie schon in früher Jugend in intellektueller wie geistiger Beziehung für besonders begabt ... und unterhielt sich gern mit ihr ... Sie war ungefähr fünfzehn Jahre alt, als ich sie zuerst kennen lernte und ich entsinne mich gut ihrer hervorragenden Gabe, sich auszudrücken. Sie und mein Vater pflegten häufig über tiefe Themata zu sprechen — die mir zu tief waren. Sie war immer rein und gut und sie steht vor meinem Geist als meines Vaters klügste Schülerin. Ich entsinne mich auch ihrer großen Bewunderung für ihn.”
Wenn Mrs. Eddy von dieser Zeit ihres Lebens spricht, so gedenkt sie in den liebevollsten Worten der Freude und Anregung, die sie den Beziehungen zu ihrem Bruder Albert verdankt, der, obwohl er verhältnismäßig jung starb, ein hervorragender Rechtsgelehrter war und dem von seinen Mitbürgern hohe politische Ämter angeboten worden waren. Er besaß seltene Verstandesgaben und ein äußerst liebenswürdiges Temperament. Er interessierte sich lebhaft für Metaphysik und fand eine befähigte und aufmerksame Zuhörerin in seiner Schwester, auf die er einen anregenden und fördernden Einfluß ausübte. Durch ihn wurde sie in die klassischen Sprachen eingeführt und für gute Literatur begeistert. Sie verdankte ihm ebenfalls die Gewohnheit gründlichen Fleißes, Analysierens und Unterscheidens, was ihren Arbeiten höheren Wert verlieh und sie ihren akademischen Studiengang mit Leichtigkeit bewältigen ließ. Dies alles sollte ihr bei der Förderung ihres Lebenswerkes große Dienste leisten.
Eine solche Freundschaft und liebevolle Anteilnahme konnten für ihr zartempfindendes poetisches Gemüt nur förderlich und erfolgreich sein. Verständnisvolle Sympathie ist der Sonnenschein, in dem edle Triebe und Fähigkeiten zur vollsten Blüte gelangen und in dieser Hinsicht vervollständigte die anerkennende Liebe von Mutter und Bruder das, was ihr der freundliche und malerische Anblick jener schönen Welt, die sich ihrer jugendlichen Anschauung darbot, gab. Viele Gedichte aus dieser Zeit bringen in duftiger Fantasie und vergeistigter Gestaltung die Zartheit ihres Wesens und ihrer Lebensauffassung zum Ausdruck.
Mrs. Eddys Geschichte als „Nonconformist” und als Kämpferin für religiöse Freiheit begann mit dem vierzehnten Jahre, als sie in feierlicher Versammlung geprüft wurde, um in die Kirche, in der ihre Eltern viele Jahre lang tätige Mitglieder gewesen waren, aufgenommen zu werden. In einer ihrer autobiographischen Erinnerungen, die in ihrem kleinen Buch „Retrospection and Introspection“ enthalten sind, hat sie anschaulich die Umgebung und Umstände geschildert, unter denen ein bescheidenes aber unerschrockenes Mädchen an ihrer Auffassung von der Wahrheit gegenüber der starren Theologie, zu welcher ihr Vater sich mit unbeugsamer Festigkeit bekannte, festhielt. Die Scene wird fast dramatisch: sehen wir dieses sanfte zurückhaltende Kind vor seinen ruhigen aber aufs höchste erstaunten Examinatoren stehen, wie es mit der Inbrunst eines so tiefen Gefühls, daß es eine schwere Krankheit nach sich zog, erklärt, daß es eher bereit sei — das Schicksal der Ungläubigen und das schreckliche Gericht, das ihrer wartete, zu teilen, als die Lehre von der Prädestination zu unterzeichnen, gegen die sich ihre innerste Überzeugung empörte.
Während ihrer Prüfung, inmitten ihrer Tränen wurde ihr das Walten der Liebe offenbar durch die beruhigenden Worte ihrer Mutter, die voller Vertrauen und voll zärtlichen Mitgefühls waren und dies brachte ihr „den göttlichen Trost.” Die aufrechterhaltende Macht der göttlichen Gegenwart wurde ihr so klar, daß ihre Aufregung und die darauf folgende Krankheit wie ein Gewand abgelegt wurden. Sie erhob sich gestärkt und erfrischt in dem Bewußtsein, der Stimme in ihrem Innern treu geblieben zu sein. Trotz ihres ungewöhnlichen Verhaltens und der erstaunlichen Unabhängigkeit ihres Denkens, wurde sie in die Kirchengemeinschaft aufgenommen und empfing sie den Segen des Geistlichen.
Wir brauchen nur diese Scene zu erweitern, die Erfahrungen, Prüfungen und Siege der folgenden Jahre hinzuzufügen, so haben wir die Geschichte ihres späteren Lebens, mit seinem heroischen Eintreten für ein gegenwärtiges und beweisbares Verständnis der Wahrheit, das sich den traditionellen, kraftlosen Anschauungen entgegenstellt und für eine geistige und erlösende Auffassung des Wortes Gottes kämpft, im Gegensatz zu den althergebrachten Auslegungen der geistlichen Autoritäten; kämpft für intellektuelle und religiöse Freiheit, im Gegensatz zu einer bequemen Zustimmung; kämpft für das Geistige und Göttliche im Gegensatz zum Materiellen und Menschlichen.
Erinnert man sich ihrer Empfänglichkeit geistigen Forderungen gegenüber, so kann man sich denken, mit welcher Freude sie schon damals jene Erleuchtung des Wortes Gottes, wie auch der Pflichten und der Vorrechte des Lebens, willkommen geheißen und sich dieselbe angeeignet haben würde, die dank ihres geduldigen Suchens nach Wahrheit in den einsamen Jahren, da sie die Probleme löste, das Erbteil der Menschenkinder geworden ist. Ihr Weg aus verwirrenden Dogmen und aus den Tragödien menschlicher Erfahrung heraus, führte durch jene Region erwachender Überzeugungen, die voll widerstreitender innerer Zweifel und äußerer Verneinungen ist. Ganz allein, niemanden zur Seite — außer der unendlichen Liebe — der sie verstanden, geführt oder gestützt hätte in der Stunde der Finsternis, der Versuchung und des Kummers, drang sie vorwärts durch Glauben an Gott, um nach vielen Jahren ein hohes Gut für sich selbst zu finden und für ihre Mitmenschen die Möglichkeit der Erfüllung einer neuen und höheren Hoffnung durch die Tat zu beweisen.
Im Jahre 1843 heiratete sie Oberst George Washington Glover, einen hervorragenden und geachteten Bürger von Charleston, S. C., wo sie ihr Heim begründete. Aber ihr eheliches Glück war nur von kurzer Dauer. In weniger als einem Jahr trennte der Tod die glückliche Ehe und sie kehrte in ihres Vaters Haus zurück, wo vier Monate später ihr einziges Kind geboren wurde. Der Verlust des Vermögens ihres Gattens brachte sie in drückende Abhängigkeit, während der Tod ihrer Mutter ihre Einsamkeit und ihren Kummer vermehrte. Der Höhepunkt ihres Leidens aber wurde erst erreicht, als sie sich wegen unangenehmer Familienverhältnisse von ihrem kleinen Knaben trennen mußte, der bei einer Dame in einem fernen Teil des Staates untergebracht wurde.
Niedergebeugt, aber dennoch hoffnungsvoll und getrieben von der Sehnsucht ihres Mutterherzens nach Mitgefühl und nach einer Heimat für sich und ihren Knaben, willigte sie in eine zweite Heirat mit D. Patterson, D.D.S., die sich als höchst verfehlt und unglücklich erwies. Nachdem diese stattgefunden hatte, versagte ihr Mann ihr die erhoffte Freude, ihren Sohn zu sich nehmen zu dürfen und veranlaßte statt dessen seine Entfernung nach einem entlegenen Staat. Mutter und Kind wurden auf diese Weise völlig getrennt und auf ein falsches Gerücht hin, das durch einen Brief bestätigt wurde, mußte sie ihr Kind als tot betrauern. Schließlich war sie gezwungen, um eine gerichtliche Scheidung von Dr. Patterson nachzusuchen, die in Salem, Mass., auf Grund seines Ehebruches vollzogen wurde, während er sich in Littleton aufhielt. Das war der Schluß des traurigsten Kapitels, das das Leben einer reinen Frau überhaupt enthalten kann und über das sie nur den Mantel des Schweigens zu breiten vermochte. Im Schmelzofen bitterer Erfahrung waren der Erde lockende Freuden in ihr ursprüngliches Nichts zurückgesunken, dennoch klammerte sie sich in ihrer großen Trübsal an den Gottesglauben ihrer Kindheit und so kam schließlich das Gold ihres Charakters um so geläuteter zum Vorschein.
Treues Festhalten an ihren eigenen hohen Idealen, ungeachtet des Denkens und des Verhaltens anderer, das war ihr starker Schild. Sie sehnte sich stets nach Erkenntnis Gottes und nach Übereinstimmung mit Seinem Willen und sie bewies in ihren eignen dunklen Tagen, daß „Wahrheit und Liebe uns nahe sind in der Stunde des Leidens, wenn starker Glaube kämpft und siegt durch das Verständnis Gottes” (Science and Health, Seite 567). An dem Webstuhl eines alltäglichen Lebens webte sie ein Gespinnst, dessen Gewebe auf der andern Seite „göttlich schöner war” als das, was sie oft durch Tränen schaute.
In diesen Jahren erfaßte sie lebhaft jede fortschreitende Idee und suchte nach Wahrheit in den verschiedensten Richtungen. Sie blickte hinein in den Glauben und in die Anschauungen der Welt, sie kostete deren Becher der Verheißung um ihn dann nie wieder an die Lippen zu setzen. Allopathie und Homöopathie wurden studiert, um ihre Gesundheit zu kräftigen. Sie widmete der allgemeinen Literatur und der Theologie große Aufmerksamkeit und ihre Feder war viele Jahre hindurch geschäftig, um der Nachfrage nach Aufsätzen für Zeitungen und Zeitschriften zu genügen. Mehr als alle andern Bücher aber schätzte sie die Bibel, die ihr beständiger Gefährte wurde. Auf das treue Studium dessen, was sie uns lehrt und auf das Nachdenken über diese Lehren führt Mrs. Eddy jeden geistigen Gewinn zurück. Dies allein wies ihr den aufwärts führenden Pfad zu den hochragenden Höhen der Christian Science.
Das Fortschreiten zu einem höheren Verständnis der Wahrheit geschah vorsichtig prüfend, ging sie doch von der relativen Dunkelheit herrschender Auffassungen und materieller Experimente aus. Der Glaube tastete sich zu dem Verständnis hin und die physische Grundlage der Therapeutik wurde aufgegeben für eine immer stärker werdende Überzeugung, daß die Erklärung aller Erscheinungen im geistigen Bereich gefunden wird. Medizinische Erfahrungen und Beobachtungen hatten ihr in überzeugender Weise bewiesen, daß der arzneiliche Faktor aus dem Heilprozeß ausgeschieden werden kann, ohne die Wirksamkeit des letzteren fühlbar zu beeinträchtigen. Die sich mehrenden Bestätigungen ihrer Annahmen hielten Schritt mit der wachsenden Erkenntnis von der Natürlichkeit und Überlegenheit der geistigen Heilungen Jesu. Von diesem ersten Schimmer des anbrechenden Tages hat sie gesagt: „Als sich die Tür auftat, wartete und harrte ich. Mein Herz erkannte seinen Erlöser. Das geistlose Darben war vorüber. Das Sein war schön, seine Substanz, seine Ursache, seine Strömung waren Gott und Seine Idee” (Retrospection and Introspection, Seiten 26 und 27).
Der Höhepunkt dieser Jahre, während welcher sie betend suchte und hoffte, Gott zu finden, wurde 1866 erreicht, als sie durch großes Leiden und starken Glauben zu einer wissenschaftlichen Gewißheit gelangte, daß „alle Verursachung im Gemüt liegt” (Retrospection and Introspection, Seite 281), und daß dies Verständnis bei dem Heilen von Krankheit praktisch anwendbar ist. Nachdem sie einen ernsten Unfall erlitten, der einen qualvollen besorgniserregenden körperlichen Zustand hervorrief, den weder Medizin noch Chirurgie zu beseitigen vermochten, wandte sie sich, an jeder menschlichen Hilfe verzweifelnd, in ihrer höchsten Not und in kindlichem Glauben an ihren himmlischen Vater, wurde augenblicklich von ihrem Leiden geheilt und stand zum Erstaunen des Arztes und ihrer Freunde gesund und voller Freude auf.
Ein herrlicher Beweis und das Bewußtsein der göttlichen Gegenwart waren ihr zu Teil geworden. „Die große Entdeckung” war gemacht, obgleich sie die Regel und Ordnung der Offenbarung der Wahrheit noch nicht erklären konnte. „Ich hatte erfahren,” sagt sie, „daß das Gemüt den Körper wieder herstellt, wie nichts anderes dies vermag. Wie dies geschehen, mußte die geistige Wissenschaft des Gemüts offenbaren. Es war mir damals noch ein Geheimnis, seitdem aber habe ich es verstehen gelernt” (Retrospection and Introspection, Seite 35).
Der Lösung dieses Problems widmete sie nun ihr Leben. Allein mit Gott, durch beständiges gebetvolles Studium der Bibel, suchte sie für ihre Mitmenschen nach einem Ausdruck für die Regel der Wahrheit, der diese in erlösende Beziehung zum menschlichen Bewußtsein und zu der Auffassung des Menschen von Begrenzung und Mangel bringen sollte. Mit immer zunehmender Klarheit erkannte sie, daß Jesus zugleich „ein natürlicher und göttlicher Scientist” gewesen sein mußte (Retrospection and Introspection, Seite 31) und daß er in Übereinstimmung mit einem göttlichen Gesetz handelte, das beständig wirkend und daher für alle diejenigen anwendbar sein muß, die durch geistiges Verstehen und Gehorsam des Herzens für seine Gebote empfänglich werden. Jesu Versicherung: „Siehe Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende,” mußte bedeuten, daß die Offenbarungen der geistigen Allherrschaft, die in dem Christus-Leben enthalten war, dem Christus-Leben in allen, die ihn aufnahmen, angehören mußte, denn allen „denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben.” „Die göttliche Hand” schreibt sie, „führte mich in eine neue Welt des Lichts und des Lebens ... ich hatte erkannt, daß das Denken vergeistigt werden muß, um Geist zu begreifen. Es muß ehrlich, selbstlos und rein werden, um auch nur das geringste Verständnis von Gott in der göttlichen Wissenschaft erlangen zu können. ... Unser Vertrauen zu materiellen Dingen muß auf eine Erkenntnis geistiger Dinge übertragen werden und sich auf sie verlassen. Soll Geist das Höchste werden in unserer Betätigung, so muß er das Höchste in unserer Gesinnung sein. ... Die erste, spontane Regung der Wahrheit und Liebe, die durch die Christian Science auf mein erwachtes Bewußtsein einwirkte, verbannte ein für allemal den Grundirrtum des Glaubens an materielle Dinge. ... Ich tat einen Blick in die materielle Verderbtheit des sterblichen Gemüts und empfand Scham. ... Erstarrte Quellen taten sich auf. Gelehrte Systeme der Philosophie und der Religion zerflossen in nichts, denn Liebe enthüllte die heilende Verheißung und Macht einer gegenwärtigen und geistigen Inspiration. Es war die frohe Botschaft des Heilens mit ihrer von Gott für die Menschen bestimmten Mission, die meinem Verständnis auf leuchtenden Schwingen — die Schönheit der Heiligkeit — offenbarte, nämlich die Möglichkeit geistiger Einsicht, geistigen Wissens und geistigen Seins” (Retrosp. and Introsp., Seiten 36—39).
Drei Jahre verbrachte Mrs. Eddy in Zurückgezogenheit von der Welt, ehe sie andern ihre Entdeckung mitteilte und es wagte das Gebot des Herrn: das Evangelium zu predigen und die Kranken zu heilen, zu erfüllen.
Schon 1862 fing sie an, ihre Gedanken, besonders über die geistige Bedeutung der Heiligen Schrift und die praktische Beziehung der Heiligkeit zur Gesundheit aufzuzeichnen. Von diesen Bemühungen aber, die Wahrheit der Christian Science darzustellen, schreibt sie: „Es waren schwache Versuche, das Prinzip und die Ausübung des christlichen Heilens zu erklären und keine vollständige oder befriedigende Auslegung der Wahrheit. Auch jetzt noch, obgleich sie sich einiges Erfolges erfreut, harrt sie [die Verfasserin] als willige Jüngerin an der Pforte des Himmels auf das Gemüt Christi” (Science and Health, Vorrede, Seite IX).
Der erste Entwurf ihrer neuen Auffassungen der im Druck erschien, war eine Schrift betitelt: „The Science of Man“ (die Wissenschaft des Menschen), und wurde 1870 veröffentlicht. Später wurde deren wesentlicher Inhalt in das Kapitel „Recapitulation“ (Kurze Übersicht) in ihrem monumentalen Werk „Science and Health with Key to the Scriptures“ dem Lehrbuch der Christian Science, das 1875 veröffentlicht wurde, aufgenommen.
Während die physische Heilung die unmittelbarere Aufmerksamkeit auf sich zog, da sie zahllosen Leidenden die köstliche Gewißheit der Wahrheit ihrer Lehre brachte, wurde stets das Streben nach dem Gemüt das in Christus Jesus war, nachdrücklich betont, als durchaus wesentlich, um von Krankheit frei zu werden, da Gesundheit nur die Offenbarung des rechten Bewußtseins ist. Das Lehren wurde darum als von grundlegender Bedeutung angesehen. Im Jahre 1867 wurde mit einem einzigen Schüler das begonnen, was sich seitdem zu einem umfassenden Unterrichtssystem entwickelt hat. Die Zahl der Studierenden aus allen Teilen Amerikas und Europas hatte sich so vermehrt, daß 1881 die „Metaphysical College“ (Metaphysische Hochschule) von Massachusetts organisiert und staatlich konzessioniert wurde um den Unterricht in der geistigen Heilmethode der Christian Science zu erteilen.
Mrs. Eddy wurde die Vorsitzende und Hauptlehrerin dieser Hochschule und in den ersten acht Jahren wurden ungefähr vier tausend Schüler in ihre Elementar und Normalklassen aufgenommen. Im Jahre 1889, auf der Höhe ihres Gedeihens, wurde diese Arbeit aufgegeben und die Hochschule zeitweilig geschlossen, damit Mrs. Eddy ungestörte Muße fände, um „Science and Health“ zu revidieren. Später wurde die Hochschule wieder eröffnet und ist nun ein wichtiger Faktor in der Bewegung der Christian Science. Alljährlich steht sie einer auserwählten Zahl von Schülern offen, die einen Elementar-Kursus unter autorisierten Lehrern durchgemacht haben und durch ihre Intelligenz und ihre Werke befähigt sind, Lehrer der Christian Science zu werden.
Die Verheiratung Mrs. Eddys mit Dr. Asa G. Eddy, einem Manne edelsten Charakters, fand im Januar 1877 statt. Diese Verbindung war geistig und glücklich; er war ihr ergebener und tatkräftiger Mitarbeiter, sowohl im Heilen wie im Lehren, bis zu seinem Tode, der 1882 erfolgte.
Zahlreiche und immer größeren Umfang annehmende Ereignisse drängten sich in diesen ersten Jahren der Geschichte der Bewegung der Christian Science.
Das erste offizielle Organ, „The Christian Science Journal,“ eine monatliche Zeitschrift, wurde im April 1883 gegründet und Mrs. Eddy wurde die Verlegerin, Herausgeberin und Haupt-Arbeiterin desselben. Diesem ist seitdem die „Christian Science Sentinel,“ eine wöchentliche und der „Herold der Christian Science,” eine monatliche Zeitschrift in deutscher Sprache hinzugefügt.
Die erste Vereinigung der Christian Science wurde 1876 in Boston organisiert und ihr Anwachsen auf das Doppelte hatte einen nationalen Bund von Vereinigungen aller Staaten zur Folge, der 1886 in New York zum ersten Mal zusammentrat.
Die erste Kirche der Christian Science, jetzt als „Die Mutterkirche” bekannt, erhielt im Juni die behördliche Konzession und Mrs. Eddy wurde unmittelbar darauf als deren Pastor berufen. Der Bau der Mutterkirche in Boston, Mass., wurde 1893 begonnen und die Kirche wurde im Januar 1895 frei von Schulden, wie es in allen Kirchen der Christian Science üblich ist, eingeweiht; 1903 zählte Mrs. Eddys Kirche „Die Erste Kirche Christi des Scientisten” in Boston, Mass., 27,796 Mitglieder und mehr als 760 organisierte Kirchen und Vereinigungen, von denen viele prächtige Kirchengebäude besitzen, legen Zeugnis ab, von dem Vorhandensein und der heilenden Macht der Christian Science in vielen Ländern.
Inmitten dieser, ihre ganze Kraft erfordernden Wirksamkeit, bei der ihr Weg sie meistens durch unerforschtes Gebiet führte und täglich Problemen gegenüberstellte, für deren Lösung sie keinen andern Führer hatte als die erleuchteten Worte und Werke Jesu, verfaßte Mrs. Eddy eigenartige und originelle Schriften. Sie hat Zeit gefunden große Beiträge zur Literatur der Christian Science zu liefern und hat zahlreiche Bücher und Schriften veröffentlicht, unter andern: „Unity of Good,“ „Pulpit and Press,“ „Retrospection and Introspection,“ „Rudimental Divine Science,“ „No and Yes,“ „Christian Healing,“ „Christian Science versus Pantheism,“ „People's Idea of God,“ „Miscellaneous Writing,“ usw. Außerdem hatte ihre ergiebige Feder die unaufhörliche Nachfrage nach Ansprachen für Vereine, Botschaften, Beiträge für die Zeitschriften der Christian Science und Zeitungsartikel zu befriedigen, sowie eine ausgedehnte, beratende und überwachende Korrespondenz zu erledigen. Die Zeit kam indessen, wo die höheren Interessen der Bewegung gebieterisch ihre Entlastung von den weniger wichtigen Anforderungen an ihre Zeit und Aufmerksamkeit verlangten und so zog sie sich zurück auf ihr einfaches Landhaus „Pleasant View“ in Concord, N.H. Hier überwacht und leitet sie nun geduldig und liebevoll mit weisem und entschiedenem Rat das Fortschreiten der geistigen Bewegung, deren Wogen die Ufer aller Meere bespülen.
Die Einheit und Homogenität der großen Sache wurde gesichert durch das übereinstimmende Studium der Bibellektionen, die nach ihrer Anordnung vorbereitet und vierteljährlich herausgegeben werden. Das Lesen dieser Lektionen aus der Heiligen Schrift und dem Lehrbuch der Christian Science nimmt die Stelle der Predigt ein und ist das unterscheidende Merkmal des Sonntagsgottesdienstes. Die erlösende Wahrheit des Wortes Gottes, wie es in der Christian Science geistig aufgefaßt wird, wird auf diese Weise in den Gedanken des Zuhörers die Hauptsache, während persönliche und redegewandte Kanzelergüsse gänzlich verbannt sind.
Weiter wird die Einheit gesichert durch einen einheitlich organisierten Unterricht und durch die Ernennung eines Komitees für Vorträge, dessen Mitglieder autorisierte Erklärer der Lehren der Christian Science sind und die Gelegenheit haben, die Fragen und Kritiken des Publikums zu prüfen und in würdiger Weise zu beantworten.
Die unterscheidende und grundlegende Lehre der Christian Science ist in der „Wissenschaftlichen Erklärung des Seins” enthalten, die folgendermassen lautet:
„Es ist kein Leben, keine Wahrheit, keine Intelligenz noch Substanz in Materie. Alles ist unendliches Gemüt und seine unendliche Offenbarung, denn Gott ist Alles in allem. Geist ist unsterbliche Wahrheit; Materie ist sterblicher Irrtum. Geist ist das Wirkliche und Ewige, Materie ist das Unwirkliche und Zeitliche. Geist ist Gott und der Mensch ist Sein Ebenbild und Gleichnis; daher ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig” (Science and Health, Seite 468).
Die Christian Science zerschlägt die Fesseln des Irrtums mit dem Schwert der Wahrheit, indem sie die Rechtmäßigkeit und Macht jener menschlichen Zustände und sogenannten materiellen Gesetze, die den Menschen seines Geburtsrechtes als Kind Gottes berauben und ihn all den Qualen und Erniedrigungen der Sünde und Krankheit unterwerfen möchten, leugnet. Sie gebietet ihm, sich zu dem Vorrecht und Genuß seiner vollen Erbschaft und zu der Herrschaft zu erheben, die ihm durch Christus Jesus verliehen wurde.
Die Christian Science nimmt die orthodoxen Lehren von der göttlichen Natur und die grundlegenden Lehren des allgemeinen Christentums an; ihr großer Gegensatz aber zu demselben besteht in ihrer konsequenten, festen und philosophischen Aufrechterhaltung dieser Lehrsätze; in dem größeren Nachdruck, den sie auf die geistige Bedeutung der biblischen Aussagen legt, in ihrer beständigen Richtung und Erhebung des Denkens von der menschlichen Persönlichkeit zum göttlichen Prinzip hin, sowie in der Verkündigung und in dem Bezeugen der gegenwärtigen Möglichkeit des Heilens durch das Erfassen der Wahrheit, wie sie von dem Nazarener gelehrt und bezeugt wurde. Sie behauptet, daß religiöse Wahrheit eins ist mit voller Wahrheit und daß sie wissenschaftlich ist; daß die Gesetze Gottes immer wirken und daß die einzig angemessene Bezeugung der Wahrheit in der Betätigung derselben liegt. Sie behauptet, daß das Weltall beständig aus der Weisheit und Macht der unendlichen Liebe hervorgeht und daß es daher geistig und harmonisch ist, daß das Böse — aller Irrtum und aller Mißklang aus der falschen Auffassung und Erklärung des Weltalls als Materie entspringt und daß das Übel unwirklich ist, weil es nicht das Leben und das Gesetz Gottes offenbart, noch offenbaren kann. Sie behauptet ferner, daß der unsterbliche Mensch völlig geistig ist, ein Strahl des Lichts, der immer ein Bild, eine Wiederspiegelung der göttlichen Natur und nichts als das Bewußtsein des Guten ist, daß der materielle Begriff vom Leben nicht der Mensch, sondern ein falsches Bewußtsein ist, das mit dem Erwachen zur geistigen Wirklichkeit, der Geltendmachung des wahren Selbst vorübergeht. Sie verkündet, daß die Erkenntnis Gottes, der Wahrheit, jetzt ebenso wirksam ist, wie je zuvor, um den Irrtum zu vereiteln und zu vernichten und jenen Sieg über Sünde, Krankheit und Tod zu verleihen, der das Walten Jesu und seiner Jünger begleitet. Sie behauptet, daß göttliche Liebe und nicht die Furcht, alles im Weltall des Gemüts beherrscht, und daß ihre Herrschaft in uns alle Fesseln zerbricht, alle unsere Krankheiten heilt und uns jenen Sieg und jenen Frieden gibt, der allein die Triebe und das Sehnen des unsterblichen Menschen zu befriedigen vermag. Sie gebietet dem Menschen zu erkennen, daß seine Bande nur aus dem Stroh menschlichen Glaubens bestehen, daß alles Wirkliche gut ist und daß Gott zu erkennen, jetzt Gesundheit, Befreiung von Sünde, immer mehr zunehmende Herrschaft über menschliche Begrenzung und ewiges Leben bedeutet. Sich den Forderungen der wissenschaftlichen Methode unterwerfend, beweist die Christian Science die Wahrheit ihrer Lehre durch das Heilen von Krankheit und Sünde, wie unser Herr es tat. Voller Liebe, ohne jedes Übelwollen gegen irgend jemanden, strebt sie beständig nach der Verwirklichung eines selbstlosen Zieles, nämlich nach der Erlösung der Menschheit von Sünde und Kummer, die die Knechtschaft unter den materiellen Sinn mit sich bringt. „Wenn im Lauf der Jahrhunderte die Vergeistigung zugenommen haben wird, wird man erkennen, daß die Christian Science sich von andern christlichen Denominationen durch nichts anderes unterscheidet als durch größere Geistigkeit” (Miscellaneous Writings, Seite 21).
Zu denen, welche von den unbarmherzigen Fesseln einer materialistischen Philosophie gebunden und mit den physischen Leiden eines jetzt noch herrschenden materiellen Sinnes belastet sind, ist die Christian Science gekommen, um ihnen Befreiung von der Knechtschaft des Schmerzes und die frohe Hoffnung und göttliche Inspiration eines erhabenen Idealismus zu bringen. Tausende und aber Tausende von denen, die einst mutlose und an das Krankenlager gefesselte Leidende, oder hoffnungslose Opfer der Trunksucht und der niedrigsten Laster waren, sind heute frei und gesund durch ihr Walten und sie gedenken mit dankbarem Herzen derjenigen, die durch lange Jahre hindurch in geduldiger, selbstvergessender Hingabe für die Menschheit gekämpft und gesiegt hat. Sie danken Gott für den Anbruch eines glücklicheren, besseren Tages und sie ehren die Hand, die sie aus der Finsternis ins Licht geführt hat. Ihre Liebe für Mrs. Eddy ist der natürliche, spontane Ausdruck des Bewußtseins ihrer Verpflichtung gegen sie und sie wissen sehr gut, daß sie ihr dadurch die größte Freude machen, wenn sie ihren Dank durch das ernste, treue Halten des Gelübdes beweisen, das alle wahren Christian Scientisten täglich zu erfüllen suchen:
„Wir versprechen feierlich zu streben, zu wachen und zu beten, daß das Gemüt in uns ist, das auch in Christus Jesus war: einander zu lieben und demütig, barmherzig, gerecht und rein zu sein” (Science and Health, Seite 497).
Copyright, 1907, Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht 1907, Mary Baker G. Eddy.
