Ich war ungefähr dreißig Jahre lang praktizierender Arzt, hatte aber während dieser langen Zeit stets ein Leiden und nahm immer Medizin ein, da ich glaubte, ohne dieselbe nicht leben zu können. Es schien mir unmöglich, von einem Leberleiden geheilt zu werden; hatte ich es doch, nach menschlicher Annahme, geerbt. Von Jahr zu Jahr kämpfte ich dagegen an, versuchte jedes neue Heilmittel, das Linderung in Aussicht stellte; mein Zustand verschlimmerte sich jedoch immer mehr, so daß ich schließlich meine Praxis ganz und gar aufgeben mußte. Ich ging nun auf kurze Zeit in die Berge, da ich hoffte, daß Klimawechsel mir möglicherweise Erleichterung verschaffen würde. Aber umsonst! Viel elender kehrte ich nach Hause in Kansas City, Mo. zurück. Meine Gesundheit war fast ganz und gar zerrüttet, denn ich litt nicht nur an Vergrößerung und Erweichung der Leber, sondern auch an Unverdaulichkeit, Darmgeschwüren und an der gefürchtesten aller Krankheiten, dem Aussatz, den ich mir zugezogen hatte, als ich eines Tages einen Patienten besuchte. Während ich bei dem Kranken war, überkam mich plötzlich ein Gefühl der Furcht; es fiel mir aber nicht im Traume ein, daß es Aussatz sein könnte, denn ich hatte noch nie einen derartigen Fall in Behandlung gehabt. Ich konnte hier nicht helfen und sagte das dem Kranken.
Während meines Aufenthalts in den Bergen bemerkte ich ganz sonderbaraussehende Flecken an meinem Körper. Ich zog gleich einen Spezialisten zu Rate, der erklärte, es sei Aussatz im ersten Stadium. Ich sprach mit niemand darüber, kehrte aber sofort nach Kansas City zurück, in der Absicht, meine irdische Angelegenheiten so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen, denn ich glaubte sicher, meine Tage seien gezählt. Jetzt erst erkannte ich die Tatsache, daß Furcht meinen Aussatz verursacht hatte.
Kaum war ich ein paar Stunden zu Hause, als mich eine frühere Patientin besuchte und mir im Laufe des Gespräches erzählte, sie sei durch die Christian Science geheilt worden. Sie sprach den Wunsch aus, daß auch ich dieselbe erproben möge. Ich erwiderte, diese Heilmethode dürfte wohl in ihrem Fall probat gewesen sein, mich aber würde sie nie kurieren; ich hätte die stärksten Medikamente gebraucht, ohne irgendwelche Linderung zu verspüren, und die Christian Science sei nicht halb so heilkräftig wie diese Mittel; es sei daher nutzlos, meine wertvolle Zeit mit solchem Unsinn zu verschwenden. Die Dame bestand jedoch sehr ernstlich darauf, daß ich wenigstens die Heilerin kennen lernen und eine Unterredung mit ihr haben solle und so gab ich schließlich nach und sagte: „Nun, wenn ich Ihnen einen Gefallen damit tun kann, gut denn!” Wir kamen überein, daß sie mir die Heilerin den nächsten Morgen vorstellen solle. Beide erschienen pünktlich um elf Uhr, und nachdem mich meine Freundin mit der Heilerin bekannt gemacht hatte, verließ sie das Haus.
Meine Unterredung mit der Heilerin werde ich nie vergessen. Ich stellte zuallererst diese Frage: „Wagen Sie zu behaupten, daß die Christian Science ohne Anwendung irgendwelcher Arzneien alle Arten von Krankheiten heilen kann?” Ihre Antwort war: „Ja, und ich bin gekommen, die Demonstration zu machen und es Ihnen zu beweisen!” Ich sagte ihr, ich hätte zwar per Telegraph neue Medizinen in New York bestellt; wenn sie jedoch den Versuch machen wolle, nun denn, so solle sie „loslegen”; sterben müsse ich ja doch einmal und sie könne auch nicht mehr tun als mich umbringen; überhaupt liege mir nichts am Leben, da in meinem Zustand der Tod weit vorzuziehen sei.
Sie gab mir eine Behandlung und sprach dann länger als eine Stunde mit mir. Als sie im Begriff war fortzugehen, fragte ich, wie ich mich betreffs der Diät zu verhalten habe, was ich essen dürfe usw., denn seit Monaten hatte ich nicht gewagt, feste Nahrung zu mir zu nehmen. Sie erwiderte lachend: „Essen Sie, was Sie wollen und so viel Sie wollen; es kann Ihnen nicht schaden.” Ich gab ihr darauf keine Antwort, dachte aber bei mir selbst: „Wenn Sie wüßten, in welchem Zustande sich meine Eingeweide befinden, würden Sie keinen solchen Unsinn reden.” Kurze Zeit jedoch, nachdem die Heilerin das Haus verlassen hatte, bemerkte ich, daß die Schmerzen allmählich nachließen, und kaum eine halbe Stunde später war ich vollständig frei von denselben und fühlte das Bedürfnis, etwas zu essen. Als das Mittagsmahl fertig war — genau anderthalb Stunden, nachdem die Scientistin das Haus verlassen hatte —, verspürte ich einen Hunger, der dem eines vom Winterschlaf erwachten Bären ähnlich war. Kaum konnte ich abwarten, bis zum Essen gerufen wurde. Ich getraute mich nicht, meiner Familie von dem Geschehenen Mitteilung zu machen; wußte sie doch, wie sehr ich gegen die Christian Science eingenommen war, daß ich sie in dieselbe Kategorie mit Spiritismus, Mesmerismus usw. gestellt hatte.
Als ich mich an den Tisch setzte, dachte ich bei mir: „Ich will doch sehen, ob Sie (die Heilerin) verhindern können, daß mir das Essen Beschwerden verursacht.” Gekochtes Rindfleisch, Kohl, weiße Rüben, Kartoffeln, kleine saure Gurken, Zwiebeln, Brot und Butter usw. verschwanden wie durch Zaubermacht; ferner verzehrte ich zum Nachtisch ein Viertel einer mittelgroßen Pastete und trank eine Tasse Kaffee dazu. Ich aß tatsächlich, bis ich nicht mehr konnte. Dann kam mir der Gedanke: „Wenn die Schmerzen jetzt zu heftig werden, nehme ich eine große Dosis Morphin, wenn nötig genug, um dem Leichenbestatter auch etwas zu verdienen zu geben. Ich habe dann wenigstens eine gute Mahlzeit gehabt.” Die Schmerzen, die ich bestimmt erwartet hatte, haben sich jedoch bis auf den heutigen Tag nicht eingestellt. Seit der Zeit kann ich essen, was mir schmeckt und so viel ich will, ohne die geringsten Beschwerden zu verspüren. Merkwürdig war es, daß ich erst den nächsten Morgen gegen neun Uhr Stuhlgang hatte, und zwar vollständig normal, als habe mir niemals etwas gefehlt. Früher hatte ich Zeiten gehabt, wo ich alle paar Minuten Stuhl hatte und jedes Mal unsägliche Schmerzen ausstehen mußte. Als ich nun auch bemerkte, daß die Anzeichen des Aussatzes beinahe verschwunden waren — wahrlich, Worte sind nicht im Stande, das Gefühl des Dankes und der Freude auszudrücken. Jetzt sah ich ein, daß die Christian Science als Heilmethode der Medizin ebensoweit überlegen ist, wie der Himmel höher ist denn die Erde. Von Stund an war ich entschlossen, dieses Verfahren zu lernen. Ich wollte hingehen und desgleichen tun.
Um zwei Uhr wollte meine Heilerin wieder kommen; ich konnte aber nicht warten, sondern mußte ihr die freudige Nachricht sofort bringen. Ich machte mich zum Ausgehen fertig und suchte sie dann in ihrer Wohnung auf. Die plötzliche Wendung in meinem Zustande schien sie fast ebenso zu überraschen wie dieselbe mich überrascht hatte und sie freute sich mit mir über das Resultat. Ich sagte: „Sie haben Ihren Glauben durch ihr Werk bewiesen, und ich möchte wissen, ob ich das auch erlernen kann.” Sie versicherte mich, daß ich es ja erlernen könne, falls ich es ernstlich wünsche. „Das ist der Hauptzweck meines Besuches,” erwiderte ich. Ihre Antwort war: „Studieren Sie ernstlich die Bibel in Verbindung mit ‚Science and Health with Key to the Scriptures‘ von Mary Baker G. Eddy. Diese beiden Bücher enthalten alles.” Sie lieh mir gütigst „Science and Health“ auf einige Tage, bis ich mir ein Exemplar besorgen konnte. Nie werde ich den Eindruck vergessen, den der erste Satz im Vorwort auf mich machte. Als ich ihn wieder und wieder las, und als ich dann das Darauffolgende genau zergliederte, kam ich immer mehr zu der Überzeugung, daß ich den Schlüssel zur Heiligen Schrift gefunden hatte. Tag und Nacht studierte ich, und am Ende des dritten Monats hatte ich das Buch einmal durchgelesen. Ich wurde immer gesünder und kräftiger und mein Gewicht nahm von 110 bis zu 140 Pfund zu. Ich konnte jetzt in Hemdärmeln und in Hausschuhen mehr Kälte ertragen als früher trotz Überrock, Halstuch, filzgefütterten Überschuhen und dem schwersten Flanell-Unterzeug. Das kalte, stürmische Wetter schien keinen Einfluß auf mich zu haben.
Im Januar 1892 reiste ich nach Cleveland, um dort von einem treuen Schüler Mrs. Eddys Klassenunterricht zu nehmen. Sehr bald darauf bewies ich die Überlegenheit der Christian Science über materielle Methoden durch Heilen von Schlagfluß, Gewächsen aller Art, steifen Gelenken, Krebs, Pocken, Unverdaulichkeit, Hartleibigkeit, chronischer Diarrhöe, Hämorrhoiden, Herzfehler, Bruch, Taubheit, Blindheit usw. Durch mein geringes Verständnis der Wahrheit habe ich in der Tat fast jede Krankheit, die dem Menschen anhaftet, überwunden. Einen Fall möchte ich besonders erwähnen. Eine einundachtzigjährige Dame hatte sechzehn Jahre lang infolge eines Eisenbahnunfalles gelitten. Das linke Fußgelenk und der Fuß waren schwer verletzt. Die von der Eisenbahn angestellten Chirurgen konstatierten, daß die Dame sterben müsse, falls sie sich nicht einer Operation unterwerfe. Sie wies das ganz entschieden ab und bat die Ärzte, für sie zu tun, was in ihrer Macht stehe. Nach einigen Monaten konnte sie auf Krücken im Hause umhergehen; die Knochen wollten jedoch nicht zusammenheilen und das Fleisch am Fußgelenk war teilweise verknöchert, so daß der Fuß sehr angeschwollen und äußerst schmerzhaft war. Nachdem die Dame vier Monate lang in der Christian Science behandelt worden war, schrieb sie mir, das Fußgelenk sei vollständig geheilt; zum ersten Mal seit dem Unfall könne sie den Schuh anziehen und ganz zuknöpfen, und es mache ihr keine Beschwerden, den ganzen Tag auf den Füßen zu sein.
Die Bibel, die jahrelang beiseite lag und die ich nur aus Pietät behalten hatte — ohne je darin zu lesen —, ist mir ein ganz neues Buch geworden, das reiche Schätze enthält. Mein ganzes Sein und Wesen hat sich verändert. Was mich früher mit Bangen und Zweifel erfüllte, erscheint mir jetzt klar und schön. Durch das Verständnis, das mir „Science and Health“ gegeben hat, wurden mir die Lehren der Bibel praktisch und anwendbar, während sie mir früher wie bloße Theorien vorkamen. Ich habe den Ausspruch Jesaja 40: 31 zur Genüge bewiesen. Seit der ersten Behandlung in der Christian Science — es war am 25. Sept. 1891 — weiß ich nicht, was Ermüdung oder Erschlaffung ist, obgleich ich während dieser Zeit wie nie zuvor studiert und auch gelegentlich körperliche Arbeit verrichtet habe. Worte können mein Gefühl der Dankbarkeit gegen unsere Mutter in Israel nicht ausdrücken, für den Segen, den mir ihr Buch, „Science and Health,“ gebracht hat. Es ist wahrlich der Schlüssel zur Heiligen Schrift, denn es erschließt die Schatzkammer Gottes und überhäuft uns mit Schätzen, von denen die Welt nichts weiß. Es zeigt uns den Weg zum Leben, nicht zum Tod. Gott ist sicherlich die Liebe und Gott ist Alles in allem.
Wer da fährt nach großem Ziel,
Lern’ am Steuer ruhig sitzen,
Unbekümmert, wenn am Kiel
Lob und Tadel hoch aufspritzen.
Nur der wird göttlich, der wird groß,
Wer erst sein kleines Ich ward los.
