Während sich die göttliche Liebe im geläuterten Bewußtsein entfaltet, wird es dem Menschen immer mehr klar, daß die persönliche Liebe aufhören muß; d.h. daß die engherzigen menschlichen Zuneigungen einer allumfassenden Liebe Raum geben müssen. Man kann „die Wonne der selbstlosen Liebe” („Science and Health,“ S. 262) erst dann kennen lernen, wenn man sich ernstlich bemüht, die sterbliche Gesinnung zum Schweigen zu bringen. Dadurch wird aber keineswegs verhindert, daß sich der Strahlenschein der Liebe auf ihr rechtmäßiges Objekt ergießt — d.h. auf den Menschen, der nach dem Bilde Gottes erschaffen ist. Die sterbliche Gesinnung sehnt sich immer nach Mitleid, und wenn sie könnte, würde sie die göttliche Liebe, die nur den Kundgebungen des Guten verliehen wird, auf falsche Bahnen lenken. Sie bewirbt sich beständig um Anerkennung und möchte gerne jeden Gedanken in Anspruch nehmen. Ihre sogenannte Zuneigung ist die reinste Heuchelei, die sich und andere täuscht, und die nur nach dem eigenen Vorteil trachtet.
Wir müssen unsere angebliche Liebe sorgfältig analysieren, um zu erkennen, ob sie das göttliche Wesen reflektiert und sich als rein, belebend und selbstlos erweist, oder ob sie das Gepräge der Heuchelei trägt und stets nach Belohnung trachtet. Bekunden wir die Großherzigkeit, welche sich über die Popularität eines anderen freut, oder sind wir so von Eigenliebe erfüllt, daß wir mit gierigen Augen und neidischem Herzen zuschauen, wenn anderen eine Gunst erwiesen wird? Diese leidende Empfindung mag sich als sehr beleidigt und zurückgesetzt betrachten; man frage sich aber: was ist beleidigt worden? Nicht die wahre Idee des Menschen, welche „verborgen” ist „mit Christo in Gott,” wo es kein Leiden gibt. Die leidende Empfindung muß notwendigerweise eine falsche Empfindung sein, denn alles, was wirkliches Dasein hat, ist harmonisch und reflektiert weiter nichts als Liebe. Es folgt deshalb, daß weder das, was leidet, noch das, was Leiden verursacht, Wirklichkeit hat. Die Empfindung der Liebe ist nie von der Pein der Selbstsucht begleitet. Wenn uns unsere angebliche Liebe irgend ein anderes Gefühl bereitet als das der Freude, so ist sie nicht echt und muß daher der wahren Liebe weichen.
Der Christian Scientist weiß, daß er weder durch den Gewinn noch durch den Verlust persönlicher Zuneigung irgend etwas gewinnen oder verlieren kann. Er weiß, daß die Liebe das wahre Wesen des Menschen umhüllt. Er besitzt all das Gute, dessen er sich bewußt ist, ja unendlich mehr. Er ist der Überzeugung, daß ihm die Liebe nicht entzogen werden kann, und daß kein menschlicher Wankelmut fähig ist, ihn zu berauben. Er kennt die trügerische Natur der Sinnesbezeugungen. Er weiß, daß die göttliche Liebe, trotz des Hasses, der Gleichgültigkeit und der Unzuverlässigkeit, die scheinbar im Sterblichen zum Ausdruck kommen, dennoch alle Menschen beleuchtet und sich bei allen Kindern Gottes in ihrem gegenseitigen Umgang offenbart. Daß solches einem jeden zum Bewußtsein kommen möge, ist das beständige Gebet des Christian Scientisten. Es ist ihm klar, daß die Freude, welche ihm niemand nehmen kann, nicht nur in seinem Wohlergehen, sondern auch in dem seines Mitbruders ihren Ursprung hat.
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