Ein ehrlicher Wahrheitssucher legt uns einige Fragen vor, die sich auf Punkte beziehen, über welche wohl schon viele Schüler der Christian Science nachgedacht haben. Es dürfte deshalb den Lesern des Herold willkommen sein, wenn wir hiermit einige dieser Fragen wiedergeben und dieselben in Kürze zu beantworten suchen. Sie lauten im wesentlichen wie folgt:
„Die Christian Science lehrt, daß das Übel unwirklich sei und daß es keine Sünde, keine Krankheit, kein Leiden irgend welcher Art gebe, da Gott alles und gut sei und das Übel deshalb nicht von Ihm stammen könne. Wenn es nun kein Übel, keine Sünde, keine Krankheit, kein Leiden gibt, was war denn Christi Aufgabe auf Erden? Wenn das Übel unwirklich ist, welchen Zweck hatte sein qualvoller Opfertod? Mit der Erklärung, daß Christus gekommen sei, um den Glauben an das Übel zu zerstören, ist der Sache nicht gedient, denn schon dieser Glaube an und für sich ist ein erstaunliches Übel. Jesus erkannte in allen seinen Lehren das Dasein des Satans an. Wir beseitigen das Übel nicht dadurch, daß wir es ignorieren. Christus kämpfte nicht in negativer, sondern in positiver Weise. Was trieb er denn mit der Geißel in der Hand aus dem Tempel, wenn es nicht die Übel waren, welche wir angreifen und in die Flucht schlagen müssen? Die Lehre der Christian Science ist lieblich und göttlich schön, bis sie durch das Verneinen des Übels den Zweck der Amtstätigkeit Christi auf Erden bestimmt und direkt zu widersprechen scheint.”
Wer derartigen Gedanken Ausdruck gibt, beweist dadurch seine falsche Auffassung von der Lehre der Christian Science bezüglich der Unwirklichkeit des Übels. Erstens verwechselt er den „körperlichen Jesus” mit dem „ewigen Christus” („Science and Health“, S. 334). Jesus war es, der litt und sich opferte, um die Unwirklichkeit des Übels darzutun. Für „Gott und Seinen Christus” gibt es kein Übel. Ferner beweisen Fragen wie die obigen, daß der Betreffende das Vorhandensein des Übels im sterblichen Bewußtsein mit der Frage in Bezug auf die Unwirklichkeit desselben verwechselt. Niemand kann leugnen, daß das Übel in Form von falschen Annahmen besteht und daß eine falsche Annahme genau in dem Sinn ein Übel ist, wie eine Lüge ein Übel ist. Nun mag man zwar eine Lüge für wahr halten; sie wird aber dadurch nicht wahr oder wirklich. Sie ist nichts weiter als eine Verneinung der Wirklichkeit der Wahrheit oder eine derselben entgegengesetzte Behauptung.
Die Christian Science lehrt, daß Gott alles ist, daß Er gut ist und daß das Übel deshalb nicht als eine Wirklichkeit bestehen kann. Wenn das Gute alles ist, oder wenn alles gut ist, so kann es kein Übel geben. Was bereitet nun aber dem sterblichen Menschen so viel Kummer und Elend? Es kann nichts andres sein, als sein Glaube an das Gegenteil vom Guten. Das Gute ist Wahrheit, deshalb muß das Übel das Gegenteil von Wahrheit, also eine Lüge sein. Das Übel besteht somit bloß als eine Lüge, als der Glaube an etwas, das dem Wirklichen, das den Schöpfungen oder Kundgebungen Gottes, des Guten, entgegengesetzt ist; darum ist es unwirklich.
Die Wahrheit ist ewig und unzerstörbar; deshalb ist irgend etwas, was der Wahrheit entgegengesetzt ist, zerstörbar und muß schließlich von der Wirklichkeit des Guten oder von der Wahrheit überwunden werden. Es kann nur eine Wirklichkeit in Bezug auf eine Sache geben, und diese Wirklichkeit ist die auf diese Sache bezügliche Wahrheit. Jede andre Vorstellung muß notwendigerweise falsch und deshalb unwirklich sein. So ist z. B. der Mensch entweder ein geistiges oder ein materielles Wesen; er kann keine Zusammensetzung dieser Gegensätze sein. Wenn die Wahrheit über ihn dahin lautet, daß er geistig ist, dann ist die Vorstellung, daß er materiell ist, eine falsche Vorstellung — die Unwirklichkeit in Bezug auf sein Wesen. Deshalb besteht die Vorstellung, daß er materiell ist, bloß als ein Irrglaube oder eine Lüge betreffs des Menschen, und diese Lüge wird durch das richtige Verständnis von seinem Wesen oder von der Wahrheit über ihn zerstört.
Der Mensch besteht daher nicht als ein materielles Wesen. Wenn die Wahrheit verstanden wird, zerstört sie im Bewußtsein oder in der Vorstellung die falsche Behauptung, daß der Mensch materiell sei und legt dadurch die Unwirklichkeit oder Unrichtigkeit der Vorstellung dar. Die Christian Science lehrt, daß nichts wirklich ist, was falsch ist — was die Wahrheit zerstören kann. Nur was Gott erschafft, ist wirklich, alles andre ist unwirklich, falsch — etwas was überwunden und zerstört werden muß. Es ist gerade deshalb übel, weil es falsch und unwirklich ist. Nichtsdestoweniger mögen diese Dinge, welche wir Übel nennen — wie z. B. Sünde und Krankheit — in unserm Bewußtsein als eine Vorstellung bestehen, die Ungemach und Leiden verursacht. So lange wir von den sterblichen oder materiellen Sinnen geleitet werden, scheint uns die Disharmonie des Lebens vonwegen des Zeugnisses dieser Sinne sehr wirklich.
In unserm Textbuch „Science and Health“ heißt es auf Seite 538: „Bis das, was der Wahrheit des Seins widerspricht, auf den Kampfplatz tritt, hat das Übel keine Vergangenheit. Das Übel wird nur als das Unwirkliche im Gegensatz zum Wirklichen und Ewigen in Sicht gebracht.” Mrs. Eddy weist in allen ihren Schriften fortwährend hin auf den Unterschied zwischen dem Wirklichen und Ewigen einerseits, und dem Unwirklichen und Zeitlichen andrerseits. Sie erkennt die Tatsache an, daß das Übel oder das Materielle ein zeitweiliges Dasein hat in Form einer Unwahrheit, einer falschen Vorstellung von den Dingen, welche der ewigen Wahrheit oder Wirklichkeit entgegengesetzt ist. Es wird dies am klarsten in den folgenden Worten aus der „wissenschaftlichen Darlegung des Seins” ausgedrückt: „Geist ist das Wirkliche und Ewige; Materie ist das Unwirkliche und Zeitliche” (Ibid., S. 468).
Wenn daher ein Christian Scientist erklärt, das Übel (sei es nun in der Form von Sünde oder Krankheit) habe keine Wirklichkeit, so unterscheidet er es dadurch von dem Guten oder bezeichnet es als dem Guten entgegengesetzt. Das Gute nennt er wirklich und ewig, weil es von Gott kommt, weil Er es erschaffen hat und weil es ewig und unzerstörbar ist. Das Übel bezeichnet er als unwirklich, zeitlich, vergänglich, weil es nicht von Gott kommt und nicht von Ihm erschaffen ist. Er erkennt es als das Erzeugnis des sterblichen Sinnes oder als den Glauben an etwas, das bloß in der Vorstellung des sterblichen Sinnes besteht, diesem sterblichen Sinne aber ebenso wirklich erscheint wie das Gute.
Die Christen müssen entweder der Lehre von der Unwirklichkeit des Übels beistimmen, oder sie müssen ihren Begriff vom Allerhöchsten ganz und gar ändern und den Standpunkt einnehmen, daß Gott der Urheber und Schöpfer des Übels ist, oder daß es einen Ihm entgegengesetzten Schöpfer gibt, der die Macht hat, das Übel zu erschaffen und es als wirklich und ewig gültig einzusetzen. Wer das letztere glaubt, verneint die Allmacht Gottes. Wer sich für das erstere erklärt, nimmt an, daß Gott nicht ausschließlich gut ist, sondern daß Er sich dazu hergibt, übel zu tun. Denn kein größeres Übel könnte seinen Kindern zustoßen, als die Erschaffung des Gegenteils vom Guten, weil dadurch ein Kampf angeregt würde, der notwendigerweise ewig sein müßte. Wie verträgt sich die vermeintliche Wirklichkeit des Übels mit der Erklärung: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut”?
Die scholastische Theologie sucht sich dadurch aus der Klemme zu ziehen, daß sie erklärt, das Übel sei „die allgemeine Benennung, welche alle Störungen der göttlich verordneten Harmonie des Weltalls in sich schließt”; wegen des „freien Willens” des Menschen sei es ihm freigestellt, sowohl Böses als Gutes zu tun, und die Unvollkommenheit des Menschen mache das Übel möglich, trotzdem der Schöpfer unendlich gut sei. Mit andern Worten: Da Gott die unendliche Gutheit ist, hat Er das Übel nicht erschaffen, wohl aber einen unvollkommenen Menschen, der Übel tun kann. Nun ist aber anzunehmen, daß ein unendlich guter Schöpfer kein Wesen erschaffen kann, das des Übeltuns fähig ist. Ferner heißt es in der Bibel, Gott habe den Menschen zu Seinem Bilde erschaffen. Angesichts dieser Tatsache kann der Mensch, das Ebenbild des unendlich Guten, unmöglich unvollkommen sein; er kann unmöglich übel tun oder sich für das Übel entscheiden.
Wir müssen entweder das Übel von Gott und Seiner Schöpfung trennen, oder es samt seinen Folgen Ihm zuschreiben. Die Christian Science vertritt diese Trennung. Sie behauptet, daß Gott nicht den materiellen, sterblichen Menschen erschaffen hat; daß Gott Geist ist und daß deshalb alles, was Er erschaffen hat — einschließlich des Menschen —, gut ist; daß der wahre Mensch geistig und nicht materiell ist. In der „wissenschaftlichen Erklärung des Seins” heißt es: „Geist ist Gott, und der Mensch ist Sein Ebenbild und Gleichnis. Deshalb ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig” (Ibid., S. 468). Dieser Begriff von Gott und dem Menschen schließt den Gedanken aus, daß der unvollkommene, sündhafte Mensch eine von Gott erschaffene Wirklichkeit sei. Der materielle Mensch, wie die materiellen Sinne ihn wahrnehmen, ist nicht der wahre Mensch, sondern eine falsche Vorstellung von demselben, die Lüge des sterblichen Sinnes. Diese falsche Vorstellung vom Menschen oder die Lüge über ihn ist daher das Übel, mit dem wir es zu tun haben. Es ist natürlicherweise unwirklich, weil es unwahr ist.
So lange wir in diesem durch die materiellen Sinne herbeigeführten Glauben leben, werden wir unter den üblen Folgen unsrer falschen Vorstellung von den Dingen leiden. Es muß daher unser Bestreben sein, falsche Vorstellungen von Gott und dem Menschen zu überwinden und uns in ein höheres, geistiges Verständnis zu erheben, so daß wir des Menschen wahres Wesen als geistig und unsterblich, als das Bildnis und Gleichnis Gottes sehen können. Wenn wir uns völlig klar sind, daß der Glaube an die Wirklichkeit materieller Dinge, besonders der Glaube an die Materialität des Menschen die Grundlage alles Übels bildet und daß dieser ursprüngliche Quell des Übels an und für sich falsch und unwirklich ist, so wird es uns leichter werden, den üblen Einflüssen zu widerstehen, und wir werden den Weg aus dem Labyrinth deutlich erkennen.
Nun einiges über die Frage: Wenn das Übel (Sünde, Krankheit und Leiden) unwirklich ist, was war denn die Aufgabe Christi Jesu auf Erden? Die Leute seiner Zeit glaubten, das Übel bestünde in der Form von Sünde und Krankheit, und sie litten infolge dieses Irrglaubens oder dieses falschen Begriffs vom Wesen der Dingen — gerade als ob das Übel Wirklichkeit hätte. In Anbetracht solcher Zustände muß es die Aufgabe Jesu gewesen sein, diesen falschen Begriff von den Dingen zu beseitigen, den Leuten zu einem richtigen Verständnis von der Wahrheit des Seins zu verhelfen, ihnen die Unrichtigkeit der Auffassung vom Menschen als einem materiellen und dem Übel, der Sünde, der Krankheit und dem Tode unterworfenen Wesen klarzumachen. Seine Sendung war nicht weniger nötig, weil der Begriff von den Dingen, welcher Leiden verursachte, ein falscher ist und weil die Dinge, welche vonwegen dieses falschen Begriffs der Menschheit wirklich erscheinen, tatsächlich unwirklich sind. Es war seine Aufgabe, diesen falschen Begriff von Gott und dem Menschen zu überwinden und die Menschen in alle Wahrheit zu leiten. Er bewies die Unwirklichkeit des Übels in all seinen Erscheinungsformen, indem er es überwand und zerstörte; ja selbst den Tod besiegte er. Er zeigte uns den Weg. Sein Verständnis von der Allheit Gottes und der Nichtigkeit des Übels war vollkommen. Wenn die Menschheit den vollen Grad dieses Verständnisses erreicht hat, wird es kein Übel mehr geben, denn das Übel besteht nur im falschen sterblichen Bewußtsein. Nachdem dieses falsche Bewußtsein dem wahren Bewußtsein Raum gegeben hat und nachdem dieses wahre Verständnis festen Fuß gefaßt hat, wird die Unwirklichkeit des Übels endgültig bewiesen werden. Die Menschen wollten jedoch die Lehre Jesu nicht annehmen; deshalb mußte die Wahrheit des Seins durch seine Werke zur überzeugungskräftigen Veranschaulichung kommen, worauf es der Menschheit überlassen blieb, im Lichte der Wahrheit, die er gelehrt und ausgeübt hatte, ihre eigne Seligkeit zu schaffen.
Das Übel ist die vermeintliche Abwesenheit des Guten. Wenn wir das Verständnis erreicht haben, daß Gott das unendlich Gute ist und daß alles, was Er erschafft, einschließlich des Menschen, gut ist, und wenn wir dann all unser Denken und Handeln mit diesem Verständnis in Einklang bringen, so werden wir das Übel in unserm Bewußtsein überwinden und seine Unwirklichkeit beweisen. Dieses geistige Verständnis wollte Jesus der Menschheit bringen; zu dieser Frömmigkeit und Reinheit wollte er sie anhalten. Wenn seine Lehren erst allgemein verstanden und in die Tat umgesetzt sein werden, so wird das Übel seine vermeintliche Wirklichkeit verloren haben. Die Menschheit wird dann das völlige und vollkommene Sein erreicht haben, frei von Irrglauben, Zweifel und Furcht. Der alte Mensch wird ausgezogen und der neue Mensch, der wirkliche, der geistige Mensch angezogen sein. Dann wird es nur eine Herde und einen Hirten geben, und das Gute wird das Übel auf immer überwunden haben. „Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.”
Mrs. Eddy schreibt: „Jesus hat uns den Weg genau gezeigt — so genau, daß diejenigen, die ihn nicht gehen, keine Entschuldigung haben” („Unity of Good“, S. 9). Dies war der große Dienst, den er der Menschheit leistete. Zu diesem Zweck brachte er sein großes Opfer. Wie kann nun irgend jemand die Frage stellen: „Wenn das Übel unwirklich ist, welchen Zweck hatte sein qualvoller Opfertod?” Gerade weil das Übel unwirklich ist und weil die Menschen dies wegen ihrer Sinnlichkeit nicht erkannten, war das Opfer nötig und wirksam. Wäre das Übel wirklich, so wäre das Opfer unnötig und zwecklos gewesen, denn als etwas Wirkliches hätte das Übel nie überwunden werden können, sondern müßte ewig bestehen.
Über den Ursprung der Sünde ist gar viel nachgedacht worden. Wenn wir uns jedoch darüber klar werden, daß das Übel nicht von Gott kommt und deshalb unwirklich ist und überwinden werden muß, und wenn wir erkennen, daß dieses Überwinden unser Werk ist, welches wir mit der Hilfe Gottes ausführen können, so brauchen wir nicht darüber zu grübeln, woher diese Unwahrheit kommt und wie sie entstanden ist. Daß Befreiung von dem Empfinden des Übels nur durch Überwinden erlangt werden kann, lehrt uns sowohl die Bibel wie auch unsre eigne Erfahrung. Durch dieses Überwinden gelangen wir zum wahren Verständnis von Gott und dem Menschen. Die Verheißung lautet: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradies Gottes ist.” Ferner: „Wer überwindet, der wird’s alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.”
Wir haben es mit einer Einflüsterung des Irrtums zu tun, der durch die sterblichen Sinne spricht, wenn gesagt wird: „Mit der Erklärung, daß Christus [Jesus] gekommen sei, um den Glauben an das Übel zu zerstören, ist der Sache nicht gedient, denn schon dieser Glaube an und für sich ist ein erstaunliches Übel.” Gewiß ist dieser Glaube ein Übel; nichtsdestoweniger ist er keine Wirklichkeit, sondern nur der falsche Glaube, daß das Übel eine Wirklichkeit sei. Wenn dieser Irrglaube überwunden worden ist, so ist das Übel zerstört und dessen Nichtigkeit bewiesen, ebenso wie das Bloßstellen einer Lüge die Nichtigkeit oder Unwahrheit einer als wahr hingestellten Sache beweist und zugleich die eigentliche Wahrheit offenbart. Wenn z. B. irrtümlicherweise behauptet würde, eine uns teure Person sei gestorben, so würde uns diese falsche Botschaft, so lange wir sie glauben, ebenso großen Schmerz bereiten, wie wenn sie wahr wäre. Sobald aber die Unwahrheit bloßgestellt ist und sobald die Wahrheit an den Tag kommt, daß das geliebte Wesen am Leben ist, so hört das durch eine falsche Vorstellung verursachte Leiden sofort auf, weil die falsche Vorstellung vernichtet und die Wirklichkeit festgestellt worden ist. (Siehe „Science and Health“, S. 386.) So verhält es sich mit jedem Übel. Nicht die Wirklichkeit bereitet Kummer und Leiden, sondern der Irrglaube. Sobald der Irrglaube berichtigt worden ist, tritt ebenso gewiß Befreiung vom Schmerz ein, wie in dem oben angeführten Beispiel. Der Hauptunterschied zwischen einem bloßen Glauben an das Übel und dem Übel selbst als einer Wirklichkeit liegt doch klar auf der Hand. Eine Wirklichkeit, d. h. die Wahrheit über eine Sache oder eine Begebenheit, kann man nicht überwinden, wohl aber einen Irrglauben in Bezug auf die Wahrheit, wie derselbe auch immer bewirkt worden sein mag.
Die Erklärung, daß unser Meister das Dasein des „Satans” anerkannt habe, mag wahr sein. Was stellte er sich aber unter dem Satan weiter vor, als den bösen Geist des Irrglaubens oder des Unglaubens? Für den Christian Scientisten bedeutet Satan oder Teufel das Gegenteil von Wahrheit — den irrigen Glauben an das Übel, welches weder Körper noch Vernunft besitzt. Der althergebrachte Glaube an einen persönlichen Teufel weicht immer mehr der vernunftgemäßeren Auffassung, daß dieser Name in der Bibel angewandt wird, um alle bösen Einflüsse, alle Arten des die Menschen beherrschenden Glaubens an das Übel zu bezeichnen, in welcher Form das vermeintliche Übel auch erscheinen mag, sei es als Sünde, Krankheit, Versuchung, oder als irgendeine Verneinung der Wahrheit oder des Guten. Wenn also Jesus den Satan anerkannte, so erkannte er damit nur das Vorhandensein der falschen Vorstellungen an, welche den Menschen Gott entfremden und welche das, was unwirklich ist, als wahr und als einen Teil der unvergänglichen Schöpfungen Gottes erscheinen lassen. Es ist die Aufgabe einer jeden wahren Religion und eines jeden Religionslehrers, das menschliche Denken und die menschlichen Vorstellungen zu berichtigen, den Irrtum zu entlarven und zu zerstören und der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen.
Wenn unser Freund sagt: „Wir beseitigen das Übel nicht dadurch, daß wir es ignorieren”, so hat er unbedingt recht. Die Christian Scientisten suchen es gewiß nicht auf diese Weise zu beseitigen. Daß ein solches Verfahren töricht wäre, sehen keine andern Religionsbekenner klarer ein, als die Schüler der Christian Science. Sie sind stets auf der Hut, damit sie das Übel nicht ignorieren mögen, und es ist ihr beständiges Streben, dasselbe aufzudecken, sein wahres Wesen an den Pranger zu stellen und es zu überwinden und zu vernichten. Man muß jedoch zu allererst einsehen, daß es nur ein zeitweiliges und unwirkliches Dasein hat, und dieses Verständnis von seiner Unwirklichkeit befähigt uns, es zu überwinden. Die Aufgabe des Christian Scientisten ist daher eine zweifache: Zuerst muß er die Tatsache, daß das Übel unwirklich ist, erkennen und feststellen, und dann muß er dasselbe mit Gutem überwinden. Gewiß war die Arbeit Jesu nicht negativer Art. Er führte einen aktiven Kampf gegen das Übel, um dadurch dem Guten Raum zu schaffen. Er wollte den Irrtum und die falschen Vorstellungen überwinden, damit die Wahrheit in die Erscheinung treten möge. Dies ist auch das Werk aller Christian Scientisten — ein Werk, das sie mit Ernst und Eifer betreiben sollten. Durch fortwährendes Überwinden muß das Übel bezwungen werden, wie Jesus es bezwang.
Es ist ein Grund zur Freude, daß viele, die nur erst ein geringes Verständnis von der Christian Science erlangt haben, die Tatsache erkennen, daß diese Lehre „lieblich und göttlich schön” ist. Für die Christian Scientisten bedeutet sie jedoch weit mehr. Sie ist ihnen eine stets gegenwärtige Hilfe in allen Nöten, eine in jeder Hinsicht praktische Religion. Sie eröffnet ihnen den Weg zu einem besseren, glücklicheren Leben — den Weg, welchen uns Christus Jesus wies und welcher zur endlichen Erlösung von allem Übel, zur Erlangung der Vollkommenheit führt, die das Geburtsrecht eines jeden Kindes Gottes ist. Man kann nur bedauern, daß die Würdigung dieser göttlich schönen, dieser höchst praktischen und segenbringenden Religion bei manchen Menschen durch die irrige Annahme geschwächt wird, daß diese Religion „durch das Verneinen des Übels dem Zweck der Mission Christi auf Erden direkt und bestimmt zu widersprechen scheint.”
Möge ein jeder erkennen, daß dieser Einwand bloß ein scheinbarer ist. Er ist nichts weiter als eines der Übel, gegen welche wir kämpfen — eine Scheinbarkeit, welche schließlich von der Wahrheit zerstört werden wird. Die Christian Science ist auf den Lehren und dem Beispiele Christi Jesu gegründet. Sie steht nicht im Gegensatz zu seiner Mission, sondern sucht dieselbe vielmehr in unsern Tagen nach seinem Beispiele zu betreiben. Daß dieses Bestreben, seine Gebote zu halten und seine Werke zu tun, nicht umsonst gewesen ist, bezeugen Tausende und aber Tausende, die einstmals der Sünde dienten und mit Krankheit behaftet waren, jetzt aber einen reinen Lebenswandel führen und sich einer guten Gesundheit erfreuen.