Die Welt sehnt sich nach Frieden — nach Frieden unter den Völkern, im Heim, im Herzen. Ist sie jedoch bereit, den Preis für denselben zu zahlen? Ein jeder, der sich nach Frieden sehnt, täte sicherlich wohl daran, sich über seine Vorstellung vom Frieden klar zu werden. Er sollte ferner erwägen, welchen Wert dieser Friede, den er sucht, für andre hat. Friede bedeutet einen Zustand der Ruhe oder Stille, der Ungestörtheit, der Sicherheit, der Behaglichkeit, einen ruhigen, vertrauensvollen Gemütszustand, ein ruhiges Gewissen. Kann ein Mensch zugleich ruhig und furchtsam, gelassen und ängstlich sein? Hat er überhaupt ein Recht, Frieden zu haben, wenn er seine Arbeit nicht getan hat oder wenn er irgendwelchen falschen Gedanken hegt?
Oft hört man von denen, die ihre Hand an den Pflug der Christian Science gelegt haben, die Worte: „Ich dachte, ich würde in der Christian Science Frieden finden, muß aber jetzt mehr kämpfen als je zuvor. Ich habe mir nie träumen lassen, daß so viel Arbeit meiner warten würde.” Angenommen, es tritt jemand in ein schwach erleuchtetes Zimmer und blickt um sich. Es sind Lehnstühle vorhanden, das Zimmer scheint geräumig, reich möbliert, behaglich und einladend zu sein. Mit einem Seufzer der Befriedigung läßt er sich nieder, um auszuruhen. Es gefällt ihm in diesem Zimmer und er möchte gerne da bleiben, weil er glaubt, gerade das gefunden zu haben, wonach er schon lange gesucht hat. Nach einer Weile beginnt die Morgendämmerung. Das Licht dringt durch das Fenster, und mit zunehmender Helle bemerkt der Besucher, daß die Wände und die Decke Risse aufweisen, staubig und fleckig sind, und daß sich in den Ecken Spinnweben angesammelt haben. Das Mobiliar ist abgenutzt, schadhaft, von Motten zerfressen und wurmstichig. Was soll nun werden? Soll er die Finsternis zurückrufen, um die Defekte zu verbergen, oder soll er das Licht willkommen heißen, das den Zustand aufgedeckt hat? Muß er sich nicht aller ihm zu Gebote stehenden Mittel bedienen und ans Werk gehen, das Zimmer zu reinigen und zu renovieren und durch richtige Erneuerung eine völlige Umwandlung herbeizuführen? Dies erfordert Arbeit und Geduld. Wer aber würde bezweifeln, daß es sich der Mühe lohnt?
Die Christian Science ist der Scheinwerfer der Wahrheit. Sie beleuchtet jeden Winkel, und vor ihr kann der Irrtum, in welcher Form er auch auftreten mag, nirgends einen Unterschlupf finden. „Ich bin der Herr, ... der ich das Licht mache, und schaffe die Finsternis; der ich Frieden gebe, und schaffe das Übel. Ich bin der Herr, der solches alles tut” (Jesaja 45: 7). Betreffs dieser Stelle sagt Mrs. Eddy: „Der Prophet nahm hier Bezug auf das göttliche Gesetz, das den Glauben an das Übel von Grund aus aufrührt, um es an die Oberfläche zu bringen, worauf es auf einen gemeinsamen Nenner, nämlich Nichtigkeit, gebracht wird” („Science and Health“, S. 540). Dem getäuschten Gedanken, der sich mit einem falschen Begriff von Frieden in dem nicht renovierten Zimmer zufrieden gibt, erscheint das Licht als eine Störung. Es bringt Disharmonie, denn das Mangelhafte und Unschöne kommt dadurch an den Tag. Sagt doch der Prophet: „Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten; und durch seine Wunden [die er unserm Frieden schlägt] sind wir geheilet.” Die Möglichkeit, das falsche Gefühl des Friedens und der Zufriedenheit, das nur ein andrer Name für Blindheit (Unwissenheit) ist, zu überwinden, ist heute jedem geboten, und die Wahrheit ruft: „Es werde Licht.”
Wenn wir den Frieden Jesu Christi haben wollen, muß es der Friede sein, der dadurch zustande kommt, daß man zunächst den zu überwindenden Irrtum erkennt und die Offenbarung des Lichts freudig begrüßt, denn durch das Licht wird in unserm Bewußtsein alles aufgedeckt, entdeckt und ergründet, was dem Gesalbten, dem, der „ganz lieblich”, sanft und wahr ist, nicht entspricht. Wir müssen die „Streiche” erdulden, welche die irrige Annahme von Frieden berichtigen; dann finden wir mitten im Kampfe den wahren Frieden, nach dem wir uns gesehnt haben.
Mit Recht sagt jemand: „Wohl soll man über Gewalttätigkeit und Zorn erhaben sein. Wenn aber Friede schließliche Einwilligung in den Irrtum bedeutet, wenn du nicht auf Gerechtigkeit und Frieden für alle Menschen hinarbeitest, dann ist Friede ein Verbrechen.” Verlangt jemand nach Frieden, so frage er sich zunächst einmal: Was denn für einen Frieden? Womit und worin will ich in Frieden leben? Wer Furcht, Neid, zügellosen Ehrgeiz, Ängstlichkeit, Empfindlichkeit, alle Leidenschaften des Fleisches beherrschen lernt, verlangt nicht nach Frieden — nein, er besitzt ihn schon. Er ist frei von Aufregung und Störung. Sein Friede ist nicht der von der Welt gegebene Friede, nicht ein falsches Friedensgefühl, welches das Gegenteil von Friede ist, sondern vielmehr der Friede, den Jesus verhieß, der Friede, den das Überwinden der Sünde bringt. Der Friede, der durch den größten Sieg zustande kommt, bringt auch den durch alle andern Siege zustande gekommenen Frieden mit sich. Er ist die Begleiterscheinung der Selbstüberwindung, der Überwindung des Glaubens an ein von Gott getrenntes Leben.
Unsre Pflicht fordert von uns, daß wir dem Teufel oder Übel ins Auge sehen, nicht vor ihm davonlaufen. Wir müssen dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Das Verständnis des Paulus verhinderte nicht, daß ihm eine Otter an die Hand fuhr, aber es bewahrte ihn vor Vergiftung. Das Verständnis des Johannes verhinderte nicht, daß man ihn in heißes Öl warf und später nach der Insel Pathmos verbannte; aber im ersten Fall blieb er unversehrt, und auf Pathmos wurde ihm die Offenbarung zuteil. Daniel wollte sich mit „des Königs Speise und mit dem Wein, den er selbst trank, nicht verunreinigen”. Er bewies, daß er bei „Gemüse” und Wasser gesund und stark bleiben konnte. Sein Verständnis verhinderte nicht, daß er in den Löwengraben geworfen wurde, aber es schloß der Löwen Rachen und führte ihn unversehrt durch diese Erfahrung hindurch.
Die göttliche Verheißung lautet: „Denn so Im englischen Original when. Dieses Wort hat nur zeitliche, nicht bedingliche Bedeutung. du durch Wasser gehest, will Ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehest, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.” Und in „Science and Health“ (S. 495) finden wir die folgende hierauf bezügliche Stelle: „So * dich die Illusion der Krankheit oder der Sünde versucht, halte fest an Gott und an Seiner Idee. Lasse weder Furcht noch Zweifel deinen klaren Sinn und dein ruhiges Vertrauen verdunkeln, daß die Erkenntnis des harmonischen Lebens — und Leben ist ewig harmonisch — jede Schmerzempfindung oder jeden Glauben an das, was das Leben nicht ist, zerstören kann.” Es heißt in beiden Stellen nicht, falls du durch Schwierigkeiten gehst, oder falls dich die Illusion der Sünde oder Krankheit versucht, sondern es heißt so.* Wir haben den ganzen Weg zu gehen, den ganzen Lauf zu vollenden; wir müssen gar manchen Versuchungen entgegentreten und gar manchmal durch Feuer und Wasser gehen. Aber gerade inmitten dieser Prüfungen sollen wir „Immanuel, Gott mit uns” finden; gerade da sollen wir Frieden finden, den wahren Frieden, der höher ist denn alle Vernunft, weil wir unser Verständnis demonstriert haben.
Solange man sich vor etwas fürchtet, hat man keinen Frieden und kann keinen erwarten. Man muß sich in der Kraft Gottes erheben, der Furcht entgegentreten, durch das Feuer gehen, dessen Machtlosigkeit beweisen und alles Übel auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen, nämlich auf nichts. Dann kann man den Frieden nicht verlieren, noch kann er einem genommen werden. Wenn in der Dämmerung etwas verborgen liegt, so sollten wir nur wünschen, daß das Licht scheinen möge, um das Verborgene aufzudecken. Wir sollten ein Verlangen nach immer mehr Licht haben, wenn uns auch das Aufdecken zu immer neuer Arbeit zwingt. Dies ist der einzige Friede, der wirklich ist, der überhaupt etwas wert ist — eine Ruhe, die nicht gestört werden kann, denn sie ist unser eigen geworden durch das Überwinden von Störungen. „Ungestört inmitten des unharmonischen Zeugnisses der materiellen Sinne”, schreibt Mrs. Eddy, „entfaltet die Wissenschaft, über alles erhaben, den Sterblichen das unwandelbare, harmonische, göttliche Prinzip — entfaltet sie das Leben und das Weltall, die gegenwärtig und ewig sind (Ibid., S. 306).
Wir können den Scientisten nicht von der Christian Science trennen. Und so müssen wir gerade inmitten des unharmonischen Zeugnisses der materiellen Sinne, gerade da, wo der Rauch der Schlacht am dichtesten scheint, Gott erkennen lernen und den Frieden erlangen, der sich als unverletzlich und dauernd erweisen wird.