Der Herr, der die Beilage „The Listener“ (Der Lauscher) in der Sonntagsausgabe des „News Advertiser“ redigiert, befindet sich anscheinend sehr im Irrtum über die Christian Science Bewegung und ihre Methoden, wenn man nach seinen Bemerkungen in der Ausgabe vom 19. November 1911 urteilt. Ich schätze seine Aufrichtigkeit zu hoch, um zu glauben, daß er eine Sache, deren alleiniges Ziel die Wohlfahrt der Menschheit ist, vorsätzlich falsch darstellen würde, selbst wenn es sich darum handelte, seinen Lesern unterhaltenden Lesestoff zu liefern.
Zu seiner Aufklärung sei gesagt, daß sowohl die Unkosten des erwähnten Vortrags als auch die andrer Vorträge, die von Zeit zu Zeit hier gehalten worden sind, ausschließlich von den hier wohnenden Christian Scientisten getragen wurden. Die Tatsache, daß sie diese Vorträge gerne „in dem teuersten Saal in Vancouver” veranstalten, sogar ohne einen Klingelbeutel herumgehen zu lassen, kann doch kaum als Gegenstand absprechender Kritik angesehen werden. Gelinde gesprochen ist es eine recht sonderbare Logik, auf Grund der Tatsache, daß sich die Scientisten diese großen Unkosten aufbürden und aus ihren Mitteln für die Wohlfahrt andrer sorgen, zu dem Schlusse zu kommen, dies sei ein Zeichen von Geldgier. Das „Lächeln” des Kritikers war zum mindesten voreilig, wenn es durch eine derartige Schlußfolgerung hervorgerufen wurde. Meint der Herr etwa, die Christian Scientisten hätten einen billigen Saal mieten und Eintritt erheben sollen? Wäre das nach seinem Sinne der selbstlosere Weg gewesen? Wenn man so gehandelt hätte, so würde aller Wahrscheinlichkeit nach die Kritik auf gewinnsüchtige Motive hinauslaufen — ein Schluß, den man im vorliegenden Falle aus dem Gegenteil gezogen hat.
Der nur schlecht verhüllte Sarkasmus betreffs des Reichtums und des Aufblühens der Christian Science Gemeinde verwundert mich geradezu. Was will denn dieser Kritiker eigentlich? Warum sollte die Christian Science Kirche nicht blühen und reichlich mit den zu ihrer Arbeit nötigen Mittel versehen sein? Würde eine nicht gedeihende und verarmte Kirche ihm einen besseren Beweis liefern, daß ihre Mitglieder die Lehren des Meisters getreulich befolgen? Glaubt er etwa, daß Christus Jesus von seinen Anhängern erwartete oder wünschte, sie sollten als heimatlose Bettler und mit „einer solch hohen Verachtung für das Geld” durch das Leben gehen, daß sie von der Barmherzigkeit der Ungläubigen für ihren Unterhalt abhängig wären? Die christliche Kirche verdient doch wenigstens denselben Erfolg, wie ein Privatmensch oder eine Geschäftsfirma; sie verdient dasselbe Gedeihen, in dem Verhältnis zu dem Segen, den sie der Welt bringt. Der Haltung dieses Kritikers zufolge müßte man denken, Armut sei ein Zeichen göttlichen Wohlwollens. Je ärmer also dieser Logik gemäß die Kirchen und die Christen sind, desto bessere Nachfolger ihres Meisters müßten sie sein.
Das Gedeihen der Christian Science (wie auch einer jeden andern Kirche) beruht auf ihren guten Taten. Da ihre Mitglieder und Anhänger (die, nebenbei bemerkt, aus den einfachsten sowohl wie aus den höchsten Kreisen kommen) darauf bedacht sind, daß dieses Gedeihen nicht aus Mangel an Geld behindert werde, und daß dies geschehe, ohne daß sie ihre Zuflucht zum Betteln oder zu andern Geldmachemethoden nehmen, bietet doch wirklich keinen Grund zu Hohn und Spott. Solange Geld ein anerkanntes Verkehrsmittel ist, wird die Christian Science Gemeinde, wie alle andern religiösen oder philantropischen Organisationen, zur Ausführung ihres großen Werkes für die Menschheit Geld gebrauchen.
Der Herr Kritiker gibt selbst zu, daß die Christian Science Bewegung in blühendem Zustand ist; doch was hat sie so blühend gemacht? Ist er sich bewußt, wie inkonsequent er ist, wenn er zuerst das Gedeihen dieser Bewegung zugibt und sodann leugnet, daß sie die Welt auch nur um „den Bruchteil eines Schrittes” näher an das Trocknen der Tränen gebracht habe, von dem Johannes spricht? Ist es möglich, daß er annimmt, dieses Gedeihen sei allein aus der öffentlichen Bekanntmachung entsprungen, daß das Christentum eine wissenschaftliche, praktische Religion sei, ohne diesen Anspruch auch nur im geringsten bewiesen zu haben? Wenn eine Religion, die frei ist von allem Sensationellen, die nichts bietet, was den weltlichen Sinn fesseln könnte, die ihre Existenzberechtigung einzig und allein auf ihre praktische Hilfe in den Bedrängnissen und Mühseligkeiten des Lebens stützt — wenn solch eine Religion sogar von ihren Gegnern schon ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung als erfolgreich anerkannt wird, was mag das bedeuten? Bedeutet es, daß sie nichts Gutes vollbracht und keins ihrer Versprechen erfüllt hat? Wie lange hätte wohl ein Automobilfabrikant Erfolg, wenn seine Maschinen nicht laufen würden? Oder wie lange würden die Menschen nach einer versiegten Quelle gehen, um Wasser zu schöpfen? Der Kritiker sollte doch wissen, ohne erst daran erinnert zu werden, daß die Christian Science Bewegung schon längst ebenso tot gewesen wäre, wie die Annahme, daß die Erde flach sei, wenn sie sich nicht für die, die sich ihr angeschlossen haben, als ein Segen erwiesen hätte. Die Tatsache ihres Wachstums und der ungeschwächten Fortdauer dieses Wachstums nach Jahren praktischen Erprobens, sollte jeden vorurteilsfreien Denker überzeugen, daß denen, die Wohltaten durch die Christian Science empfangen haben, etwas Greifbareres und Befriedigenderes gegeben worden ist, als bloße Theorien.
Ist der Verfasser dieser Kritik ein solcher Pessimist, daß er keine Befreiung der Menschheit von Sünde, Leiden und Tod voraussehen kann? Sollen denn die Menschen niemals den Anfang der Erfüllung von des Meisters Verheißung erreichen: „So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich”? Daß seine Worte bis jetzt noch nicht in Erfüllung gegangen sind, hat seinen Grund nicht darin, daß sie nicht wahr sind, sondern darin, daß die Bedingungen noch nicht erfüllt worden sind. Doch die Zeit wird sicherlich kommen, denn das menschliche Denken ist in unsern Tagen viel mehr auf das Gute als auf das Übel gerichtet. Die Menschheit sollte die Lehren unsres Meisters verstehen lernen und sie ausüben, nicht über dieselben streiten. Die Tatsache, daß die Christian Science ihren Nachfolgern hierzu verhilft, sollte doch eher ein Grund zur Dankbarkeit als zur Verdammung sein, selbst für die, die einen andern religiösen Standpunkt einnehmen.
