Es ist bemerkenswert, daß die erste im Neuen Testament verzeichnete Erklärung hinsichtlich der Mission Jesu unter den Menschenkindern die folgende ist: „Er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.” Wenn wir Jesus auf dem kurzen Wege seiner Amtstätigkeit folgen, wird es uns klar, daß der Hauptzweck seines Kommens darin bestand, der Menschheit die universelle Erlösung, das Einssein von Gott und dem Menschen zum Bewußtsein zu bringen und die Menschheit allmählich zu der Erkenntnis Gottes zu führen, die er als „das ewige Leben” bezeichnete. Indem der Meister diese aufwärtsführenden Schritte tat, legte er sehr viel Gewicht auf die Heilung der Kranken — nicht weil dies der Gipfelpunkt seiner Lehre war, sondern weil die Vollkommenheit Gottes und des zu Seinem Bilde geschaffenen Menschen, weil die Wahrheit des Seins, die er lehrte, der falschen Auffassung, daß der Mensch krank, sündig und sterblich ist, diametral gegenübersteht. Die Erkenntnis Gottes und des wahren Menschen, zu der Jesus die Menschen führte, zerstörte diese falschen Annahmen, und derjenige, der nicht mehr unter ihrem Einfluß stand, war geheilt.
Johannes der Täufer, der Vorläufer des Messias, hatte von Buße gepredigt und das Nahen des Himmelreichs verkündigt. Jesus wiederholte dieses Predigen, verband aber mit demselben in Beweisung von dessen Wahrheit das Heilungswerk, welches diejenigen ansprach, die für seine Lehre kein Ohr hatten. Aus dem Fall des Gichtbrüchigen ist zu ersehen, in welch enger Beziehung das Predigen und Heilen zu einander stehen. Die Schriftgelehrten beschuldigten Jesus der Gotteslästerung, weil er zu dem Heimgesuchten gesagt hatte: „Deine Sünden sind dir vergeben”; als aber der Gichtbrüchige auf sein Geheiß sich von seinem Lager erhob und heimging, bestand kein Zweifel mehr über die dem Meister von Gott verliehene Macht.
Man kann also nicht leugnen, daß das Heilen von Krankheit einen wichtigen Teil der Wirksamkeit Jesu bildete, und insofern die Lehren der Christian Science auf die Worte und Werke des Wegweisers, Christi Jesu, sicy stützen, bildet es auch heutigestags einen wichtigen Teil der Wirksamkeit der Christian Scientisten. Die Antwort des Meisters an die Boten Johannis läßt erkennen, daß er dieses Heilen als unbestreitbaren Beweis für die Wahrheit seiner Lehren und die Echtheit seines Messiasamtes ansah. Man muß jedoch bedenken, daß er mit Seinen Predigten nicht in erster Linie den Zweck verfolgte die Menschen an sich zu ziehen, um sie zu heilen; vielmehr wollte er sie zur Buße führen. Sie sollten vor allem nach dem Reich Gottes trachten und als natürliche Folge Gesundheit, Glück, ja alles Gute in Empfang nehmen.
Es wird zuweilen behauptet, die Christian Science sei nur ein Heilsystem, nicht eine Religion. Mrs. Eddy weist jedoch in allen Ihren Schriften auf die Übereinstimmung hin zwischen den Lehren der Christian Science und denen des Meisters. Allerdings sagt sie, das Heilungswerk sei „nur ein Trompetenruf zum Denken und Handeln in dem höheren Kreis des Guten” („Rudimental Divine Science“, S. 2); aber diese Worte schließen keine Mißachtung des Heilungswerkes in sich, sondern sie sollen nur den Hauptzweck der Christian Science hervorheben, nämlich die Wiederherstellung des ursprünglichen Christentums — die Wahrheit des Seins, wie Christus Jesus sie durch das Heilen von Kranken sowohl wie von Sündern predigte und demonstrierte. Daher ihre weitere Erklärung: „Der eigentliche Zweck der Christian Science ist die Heilung von Sünde.”
Wenn wir diese Lehre studieren, wird es uns klar, daß vor allen Dingen die Menschheit in moralischer und geistiger Hinsicht gehoben werden soll, und daß das Heilen der Kranken ein notwendiger Faktor dieses Erhebungsprozesses ist. Ferner darf man nicht vergessen, daß diese moralischen und physischen Beweise von der Wirksamkeit der Christus-Wissenschaft den Anschauungsunterricht bilden, die dem Spott und der Teilnahmslosigkeit gegenüber eine lautere Sprache reden, als es Worte vermöchten. Es ist daher unsre Pflicht, als ausgesprochene Nachfolger des Meisters, als treugesinnte Kämpfer für die Sache, der wir uns angeschlossen haben, uns auf das Demonstrieren der Christian Science, d. h. auf das Heilen von Kranken und Sündern vorzubereiten. Dasselbe erfüllt dadurch seinen Zweck, daß es die Menschen dazu anspornt, den höheren Lohn zu erringen, der dem ehrlichen Forscher nach Wahrheit verheißen ist — jenes höhere Verständnis, das für den, der es besitzt, ewiges Leben bedeutet. Mrs. Eddy weist uns mit folgenden kurzen und bündigen Worten auf den aufwärtsführenden Pfad, auf das unwandelbare Gesetz des Fortschritts hin: „Krankheit ist der Schulmeister, der dich zu Christus führt — erst zum Glauben an Christus, sodann zum Glauben an Gott als Allmacht, und endlich zum Verständnis von Gott und dem Menschen in der Christian Science, wodurch du zu der Erkenntnis gelangst, daß Gott gut ist und daß der in Seinem Ebenbilde geschaffene Mensch in der Wissenschaft auf ewig die Wiederspiegelung der Güte ist” („Rudimental Divine Science“, S. 11). Hinsichtlich der Erfüllungen von Gottes Verheißungen an diejenigen, die am ersten nach dem Himmelreich trachten, besteht kein Zweifel, denn wer da suchet, der findet.
