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„Du bist bei mir”

Aus der Juni 1912-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der dreiundzwanzigste Psalm ist den Anhängern der Christian Science besonders lieb geworden, und zwar durch Mrs. Eddys klare und erleuchtete Darlegung desselben in unserm Lehrbuch, „Science and Health”, wo sie das Wort Liebe mit so wunderbarer Wirkung einschaltet. Im Lichte dieser neubelebten Auffassungsweife gewinnen manche Stellen tiefere Bedeutung, so auch der Vers: „Und ob ich schon wanderte im finstern Thal”, oder wie es in der Stier'schen Übersetzung mehr im Einklang mit dem englischen Text lautet: „Und ob ich schon wanderte im Tal der Todesschatten, fürchte ich kein Unglück, denn du [Liebe] bist bei mir; dein [der Liebe] Stecken und Stab, die trösten mich.

Eine Lebenserfahrung, deren Eindruck auch viele Jahre hindurch nicht verblaßt ist, dürfte wohl zur Erläuterung dieses Psalms dienlich sein. Diese Erfahrung ist dem Verfasser in manchen schwierigen Lebenslagen ein Quell des Mutes und der Hoffnung gewesen.

Nach einem froh aus Bergeshöhe in der Schweiz verlebten Sommertag unternahm eine größere Gesellschaft von Männern, Frauen und Kindern den Rückweg nach ihrem Ferienheim, einem im schönen Hochtal gelegenen Gasthaus. Beim Einbruch der Dämmerung gewahrte man, daß man den Weg verfehlt hatte und machte schließlich, als sich die Nacht einstellte, die Entdeckung, daß, was man befürchtet hatte, wirklich unvermeidlich war: man war in das schrecklich versteinte Bett eines Wildbaches geraten, dessen Verlauf möglicherweise an das erwünschte Ziel, möglicherweise in ganz andrer Richtung und in ganz unbekannte Gegenden führen konnte. Aus jeden Fall war dieses von Geröll verschüttete Bachbett in jeder Hinsicht gänzlich unbekannt, konnte, sich lange hinziehend, in seinen zahllosen Windungen große Gefahren bergen, in unzugänglichen Schlünden sich verlieren oder an Felsabhänge führen. Sogar den mutigen Männern schien es ein beinahe unmögliches Unternehmen, in der Dunkelheit die Marschgesellschaft weiterzuführen. Frauen und Kinder waren so entmutigt, daß ihnen nichts andres übrig zu bleiben schien, als da, wo sie waren, ihr nahes Ende mit Ergebung zu erwarten. In der Verfassung, in der man sich befand, dachte niemand daran, daß in wenigen Stunden der Tag anbrechen und mit seinem fröhlichen Licht der schwierigen Lage ein Ende machen würde. Man sah nur Gefahren, Mühsale und Schrecken in Felsen, Klüften und Wassertiefen. In diesem Zustand schien es die Aufgabe eines Helden, die Gesellschaft zum Vormarsch zu bewegen. Zu beiden Seiten ragten hohe, düstere Tannen, und schroffe Bergwände türmten sich empor, nur einigen wenigen kaltglänzenden Sternen am schwarzblauen schaurigen Nachthimmel Durchblick gewährend. Im Bachbette selbst, dem einzig möglichen Pfad, befanden sich gestaltlose, fahle Felstrümmer in unbestimmbaren Lagen und an unberechenbaren Orten, und der tastende Fuß schlüpfte, glitt und zagte zwischen runden, eckigen, festen und beweglichen Geröllmassen, einmal im Wasser, ein andermal in eine Öffnung versinkend oder zwischen Steinen eingeklemmt. Das Vorwärtskommen schien beinahe unmöglich, das Unbehagen steigerte sich mit jedem Schritt; jeder neue Versuch brachte neue Befürchtungen, oft auch Wehklagen und Jammerlaute. Endlos dehnte sich die Strecke, immer neue Hügel schoben sich rechts und links vor, und es schien als ob alle nur möglichen Hindernisse sich dem Fortschritt entgegensetzen wollten.

Selbst die fröhlichen Lieder eines tapferen Führers schienen nur für kurze Augenblicke die bleischwere Mutlosigkeit aufzurütteln, und schließlich schleppte und schob man sich nur noch mechanisch weiter. Endlich, nach dreistündiger Anstrengung, welche Furcht, Angst und Müdigkeit zur Ewigkeit verlängert hatten, erschloß sich dem beinahe hoffnungslosen Blick das Heimatstal, zauberhaft verschönt durch wallende, vom eben aufgehenden Monde versilberte Nebelschleier. Schon allein das sanfte Licht des Mondes wirkte Wunder der Wiederbelebung, und die letzte kurze Strecke zum Haus wurde unter schallenden Jubelliedern zurückgelegt.

Wenn man die Schrecknisse dieser nächtlichen Wanderung näher betrachtet, so stellt es sich heraus, daß der größte Teil der grauenerregenden Eindrücke auf nichts andres zurückzuführen ist als auf Unkenntnis und Angst vor dem Ungewissen, auf Ungewißheit, auf Einbildung und Furcht, wohl auch auf Mitleid mit dem lieben leidenden Ich. Im hellen Licht des Tages hätte sich die ganze Begebenheit auch im allerschlimmsten Falle nur zu einer unerwarteten aber willkommenen Gelegenheit zur Überwindung von Hindernissen gestaltet, und hätte wohl nur ein Viertel der Zeit beansprucht, ganz abgesehen davon, was an Naturschönheiten, Farbenwirkungen, Licht und Schatteneffekten, ungeahnten botanischen Wundern alles zu entdecken gewesen wäre. Die Steine und der kleine Bach inmitten der Bäume und Gesträuche hätten wohl zu manchem schönen Bilde zusammengewirkt. Die Schatten der Nacht waren es, die alle Schönheit verhüllten und dem angstgepeinigten Herzen tausend Schrecken und Gefahren heraufbeschworen, die sich nie verwirklichen konnten, weil sie eben einfach nicht da waren, aber doch den ganzen langen Weg zum schweren Leidensgang gestalteten.

Das Leben scheint für manche ein solches Tal zu sein, in die Nacht menschlicher Unwissenheit und Gottesunkenntnis gehüllt, von Furcht vor Krankheit, Armut, Leiden und Tod erfüllt. Während wir in diesem Tal der Unwissenheit, der Ungewißheit und des geistigen Unverstandes wandeln, gibt die ewige Liebe der Menschheit die große göttliche Selbstoffenbarung, die in der Christian Science erstrahlt. Der Prophet Jesaja sagt: „Das Volk, so im Finstern wandelt, siehet ein großes Licht, und über die da wohnen im finstern Lande, scheinet es helle.” In unserm Lehrbuch, „Science and Health”, schreibt Mrs. Eddy auf Seite 371: „Finsternis erregt Furcht. Der Erwachsene, der in den Banden seiner Annahmen liegt, versteht sein wirkliches Sein ebensowenig, wie ein Kind; er muß aus seiner Finsternis herausgehoben werden, bevor er sich von den scheinbaren Leiden, mit welchen das Zwielicht erfüllt ist, befreien kann. Der Weg in der göttlichen Wissenschaft ist der einzige Weg auf diesem Zustand heraus.”

Das Licht der Christian Science, welches in das finstere Tal, das Tal der Todesschatten hineinleuchtet, so daß der Mensch kein Unglück zu befürchten hat, ist die wahre Erkenntnis Gottes, das volle Bewußtsein des göttlichen Wesens, wie es sich in der fortschreitenden Entfaltung der Wahrheit dem dankbar empfänglichen Denken erschließt. Die Erkenntnis, daß Gott, der einzige Schöpfer, der alleinige Machthaber in Seiner unendlichen Schöpfung, der All-Erhalter eines jeden, auch des kleinsten Teiles dieser Schöpfung ist; daß Er Liebe, nur Liebe, unendliche Liebe ist; daß diese Allmacht, die Johannes als Liebe erkennt und die Jesus als Geist bezeichnet, alles durchdringt und alles umfaßt — — diese Erkenntnis macht den Weg für diejenigen, die der Christus-Idee folgen, nicht mühsam, sondern leicht. Da man sich Liebe nicht als unwissend oder unbewußt vorstellen kann, so muß diese allmächtige und allgegenwärtige Liebe auch allwissend sein; sie muß deshalb alles wirkliche Wissen, alle wirkliche Weisheit in sich schließen; sie muß alles Gute verleihen, denn Liebe besitzt nichts, das sie nicht beständig im Überfluß mitzuteilen bereit ist. Das Verständnis, daß der heilige Name der Liebe alles das in sich schließt, öffnete die Augen des geliebten Jüngers, so daß er zu der göttlichen Erkenntnis gelangte, welche ihm die Worte eingab: „Völlige Liebe treibet die Furcht aus.” Jesus sprach oft die Ermahnung aus: „Fürchtet euch nicht”, weil er wußte, daß unter der Herrschaft der unendlichen Liebe die Furcht nicht nur unnötig ist, sondern auch ein Beweis ist des mangelnden Glaubens und Gottvertrauens, ein Beweis einer gänzlichen Unkenntnis des wahren Wesens Gottes, ein Beweis der Gott-entfremdung und Trennung von Gott, eines Zustandes ohne Gotteskenntnis, ohne Gott — — in Wirklichkeit ein Beweis eines sündhaften Zustandes.

Unsre erleuchtete Führerin erkannte das unheilvolle Wesen der Furcht, wie aus „Science and Health” sowie aus allen ihren Schriften durchweg zu ersehen ist. Sie erklärt, daß es außer der Wahrheit kein Mittel gegen die Furcht gibt. Durch diese Lehre erreichen wir das Verständnis, welches uns zum Stecken und zum Stab wird, während wir durch das „Tal der Todesschatten” wandeln; zu einem Stab, auf den wir uns stützen können; zu einer Waffe gegen Angriffe; zu einem Werkzeug, mit dem wir uns durch das Dickicht des Irrtums einen Weg bahnen können; aber auch zum Maßstab, nach welchem wir unsern Fortschritt auf dem Wege zu einer höheren Erkenntnis Gottes festzustellen vermögen. Der Stab kann auch als Symbol des Gesetzes gelten. Je mehr wir das göttliche Wesen, Gottes ewige Einheit und Unveränderlichkeit, die Richtigkeit und Gerechtigkeit des Guten erkennen, desto mehr werden wir verstehen lernen, warum Mrs. Eddy ihre Entdeckung „Science” (Wissenschaft) genannt hat; desto mehr werden wir erkennen, daß die Gebote Gottes die Grundsätze eines unwandelbaren, ewig waltenden, unabänderlichen Gesetzes, des ewigen Gesetzes der Liebe sind, welches sich ohne Ansehen der Person, aber auch nur bei unbeirrtem Gehorsam anwenden läßt.

Die Wahrnehmung dieser ewigen Tatsachen im Lichte der Christian Science befähigt uns, mit dem Psalmisten zu singen: „Denn auch Finsternis nicht finster ist bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht.” Nicht Dunkelheit oder Abwesenheit des Tageslichtes allein machte die nächtliche Wanderung im Alpental so schreckhaft; die schwerwiegenden Ursachen des Grauens waren Unwissenheit und gänzliche Unkenntnis der Sachlage. Auf wohlbekannten Wegen wandelt ein jeder auch im Dunkel der Nacht ohne Furcht; sogar ein Blinder findet seinen Weg ohne Schwierigkeit auf altgewohntem Pfade. Das Licht des Verständnisses ist unabhängig vom Tagesgestirn. Dies beweist, daß der Mensch in der Finsternis nicht notwendigerweise hilflos ist. Die nordamerikanischen Indianer zum Beispiel wußten ihre Ortskenntnis in Nachtangriffen zu ihren Gunsten zu verwenden, und der moderne Mensch hat dank seiner Entdeckungen künstlicher Lichtquellen die Finsternis der Nacht verscheucht. Wandelt nicht die moderne Welt tatsächlich in vieler Hinsicht die Nacht in strahlenden Tag um? Wie viel mehr muß das im geistigen Sinne wahr sein, wenn man bedenkt, daß das ewige Licht der Wahrheit nie und nimmer Gesetzen der Zeit oder des Raums unterworfen sein kann. Stets steht die Sonne am Himmel; sie kennt nicht die Umdrehungen der Erde und die sich daraus ergebende Folge von Licht und Schatten. In den Psalmen lesen wir: „Spräche ich: Finsternis möge mich decken! so muß die Nacht auch Licht um mich sein.” Je mehr sich unser Bewußtsein den Lehren der Christian Science öffnet, desto mehr ersetzen die Tatsachen, wie sie im ewigen Licht der Wahrheit erscheinen, die irrigen Annahmen des unwissenden, unerleuchteten menschlichen Denkens, desto mehr verscheuchen sie die wegen Unkenntnis der ewigen Gesetze entstehenden falschen Folgerungen, von welchen das Zwielicht irdischen Unverstandes wimmelt.

Zahllosen Tausenden hat der Stern der Wahrheit in die dunkeln Stunden des Schmerzes, der Krankheit, des Zweifels, der Schwachheit, des Kummers und der Sorgen Heilung, Trost, Hoffnung, Glaube, Verständnis, Gottvertrauen, Freude und Dankbarkeit gebracht. Durch die geduldige und treue Anwendung ihrer durch die Christian Science erlangten Kenntnis können sie nun mit dem Psalmisten sagen: „Und ob ich schon wandelte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.” Mrs. Eddy sagt in „Science and Health” (S. 596): „Ob auch der Weg im sterblichen Sinn finster ist: göttliches Leben und göttliche Liebe erleuchten ihn, zerstören die Unruhe des sterblichen Denkens, die Furcht vor dem Tod und die scheinbare Wirklichkeit des Irrtums. Die Christian Science widerspricht den Sinnen und macht das Tal knospen und blühen wie die Rose.”

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