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Wie wir Furcht überwinden

Aus der Juni 1912-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Jeder, der sich zur Christian Science bekennt, kann bezeugen, wie wunderbar ihm diese Wissenschaft hilft, Furcht jeder Art zu überwinden. Mrs. Eddy lehrt uns, daß die Erkenntnis des wahren Seins die Furcht vor Krankheiten beseitigt. Sie erklärt: „Die Menschen kommen nur langsam vorwärts, aus Furcht sich lächerlich zu machen”. „Wir sollten die Furcht überwinden, statt sie in uns auszubilden” („Science and Health”, SS. 68, 197). In Berufen, die ein Erscheinen vor der Öffentlichkeit erfordern, hindert wohl nichts so sehr unsern Erfolg, als jene Furcht, die so passend mit „Lampenfieber” bezeichnet wird. Welcherlei Begabung auch ein Redner hat, wie gut er sich auch für seinen Beruf ausgebildet oder wie vortrefflich er sich auf die besondere Gelegenheit vorbereitet hat, wie klein auch die Rolle ist, die er spielen soll: ergreift ihn das Lampenfieber, so ist seine Seelenruhe dahin und seine Leistungen werden mehr oder weniger beeinträchtigt. Sagt man dem Unglücklichen, es sei doch gar kein Grund zur Furcht vorhanden, so ist das kein Trost für ihn. Er mag erklären: „Ich weiß, daß meine Furcht grundlos ist”. Trotzdem aber hört er nicht auf zu zittern. Es hat gar keinen Zweck ihn zu verdammen, keinen Zweck, daß er sich über seine Feigheit Vorwürfe mache. Man muß ihm vielmehr Mittel und Wege zeigen, wie er seine Furcht überwinden kann.

Und was ist denn eigentlich Lampenfieber? Das Lexikon definiert es als „Schüchternheit einem Publikum gegenüber”. Aber diese Erklärung ist unbefriedigend; sie bringt uns um nichts weiter. Wir brauchen etwas, was uns nicht nur zeigt, daß unser krankhafter Zustand unbegründet ist, sondern auch etwas, was es uns ermöglicht, demselben zu entgehen. Lampenfieber ist eine übertriebene Schüchternheit, oder eine besondere Art von Schüchternheit. Ob nun diese Schüchternheit aus Mangel an Selbstvertrauen entsteht — eine Art Zweifel am eignen Ich —, oder ob sie ihren Grund in falscher Bescheidenheit hat — die Art der Demut, in der wir uns im Vergleich mit andern unterschätzen —, ist ganz einerlei; die Wirkung ist in beiden Fällen die gleiche. Aber was ist Schüchternheit im Grunde genommen anders als übertriebene Empfindlichkeit, eine festgewurzelte Überzeugung, daß man ungebührliche Aufmerksamkeit auf sich ziehe, daß man Fehler machen und sich bloßstellen werde, daß man unfreundlicher Kritik ausgesetzt sei, und wie die Gründe alle heißen, die man selbst erzeugt, zugibt und pflegt. Höchst wahrscheinlich trifft keine unsrer Befürchtungen zu; nichts von dem, wovor wir solche Angst haben, ereignet sich, hat sich ereignet oder wird sich ereignen. Das einzig Wahre an der ganzen Sache ist, daß wir uns unsrer eignen unfreundlichen Kritik unterwerfen.

Aber greifen wir zu einem Beispiel. Bei einer kleinen Aufführung in einem Privathaus hatte eine Dame, der die Aufgabe zufiel, in einer kleinen Ansprache das aufzuführende Stück kurz zu erklären und die Charaktere zu beschreiben, mehr Lampenfieber als die Schauspieler selbst. Der Grund hierfür war, daß sie sich einbildete, eine gewisse Person, die sich unter den Zuschauern befand, erwartete von ihr eine Leistung, die weit über ihre Kräfte ginge, während diese Person die Bemerkungen der Rednerin tatsächlich höher schätzte als das Stück selbst. Natürlich wußte Letztere dies nicht und mußte so den ganzen Abend hindurch durch mentales Unbehagen büßen. Wie aus diesem Beispiel noch deutlicher zu ersehen ist, entsteht Lampenfieber durch die irrige Idee, daß man den gestellten Anforderungen nicht genügen könne, nicht aber durch wirkliche Unfähigkeit; oder es entsteht dadurch, daß man die Wichtigkeit der übernommenen Rolle überschätzt. Im ersten Fall verdammt man sich selbst, im andern beweist man Egoismus. Hier also stoßen wir auf den Feind! Wie müssen wir nun den Feind bekämpfen? Dadurch, daß wir ihm gerade ins Auge sehen und den Kampf wirklich mit ihm aufnehmen, nicht aber wie einer, „der die Luft streichet”.

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