Die große Schwierigkeit eines gewöhnlichen Kommentars über das Buch der Offenbarung ist, daß der Sinn des Schreibers vom materiellen anstatt vom geistigen Standpunkt aus betrachtet wird. Es ist völlig wahr, daß der Ausleger den materiellen Standpunkt, von dem aus er gewöhnlich folgert, als geistigen Standpunkt beschreibt, aber das macht ihn gerade aus diesem Grunde eher noch materieller. Die Kirche, welche der Schreiber des Buches darstellt, ist die universale Kirche, und das ist genau was Mrs. Eddy meint in ihrer Definition von Kirche auf Seite 583 von Wissenschaft und Gesundheit: „Der Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht.“ Aus diesem Grunde ist die Geschichte dieser Kirche von Zeit getrennt, sie bleibt in dem ewigen Jetzt. Daher ist die große Allegorie, mit der die Bibel endigt, in allen Ländern und zu allen Zeiten für die Zustände der christlichen Kirche anwendbar. Wenn nun ein Ausleger die Bedeutung des Buches auf einen gewissen Zeitabschnitt oder ein besonderes Begebnis zu begrenzen versucht, verringert er die universale Kirche zu einem lokalen Begriff von Kirche und nimmt dem Text die ganze Bedeutung, den er zur Erleuchtung und Führung der Menschen aller Zeitalter hat.
Die Bedeutung der Episode von der Siegeleröffnung und dem Erscheinen der Reiter ist auch in der christlichen Kirche immer und immer wieder erkannt worden, in ihrem Streben nach einer besseren Wahrnehmung des Prinzips. Die Reiter der roten und schwarzen und fahlen Pferde führten ihre Rosse in den Tagen der Reformation und des dreißigjährigen Krieges, sowohl als in denen des zwanzigsten Jahrhunderts durch Europa; doch ist der Reiter des weißen Pferdes immer in der vordersten Reihe gewesen und gleich der streitenden Kirche zum Kampf und Sieg ausgezogen. Das, was wahr ist über das sechzehnte Jahrhundert und das zwanzigste Jahrhundert, war zu allen Zeiten akuter Chemikalisation der Fall. Mrs. Eddy hat auf Seite 401 von Wissenschaft und Gesundheit sorgfältig erklärt was sie unter Chemikalisation verstand. Sie sagt: „Das, was ich Chemikalisation nenne, ist die Umwälzung, die entsteht, wenn die unsterbliche Wahrheit die irrige sterbliche Annahme zerstört. Die mentale Chemikalisation bringt Sünde und Krankheit an die Oberfläche und zwingt die Unreinheiten zu vergehen, gerade wie es bei einer gährenden Flüssigkeit der Fall ist.“ Zu solchen Zeiten ist die Heftigkeit der Chemikalisation im Verhältnis zu der dynamischen Kraft der erkannten Wahrheit. Dann brechen die Leidenschaften der Menschen in Krieg aus; dann findet der menschliche Haß seinen Ausdruck in Hungersnot und Pestilenz und dann scheint Furcht den Tod zum Sieger zu machen für den Augenblick. Aber immerwährend ist der Reiter des weißen Pferdes in der Vorhut der Schlacht, und der Sieg ist kein Augenblick gefährdet. „Wunderdinge, Unheil und Sünde werden sich in noch reichlicherem Maße zeigep,“ schreibt Mrs. Eddy auf Seite 223 von Wissenschaft und Gesundheit, „wenn die Wahrheit den Sterblichen ihre Ansprüche aufdrängt, denen diese widerstanden haben; aber die furchtbare Verwegenheit der Sünde zerstört die Sünde und kündet den Triumph der Wahrheit an. Gott wird ‚die Krone ... zunichte machen, bis der komme, der sie haben soll.‘ “
In der Pause, zwischen dem Öffnen der dritten und vierten Siegel, während der Reiter des schwarzen Pferdes schon überall Hungersnot ausstreut, aber bevor der Reiter des fahlen Pferdes mit dem weiteren Schrecken des. Todes gekommen ist, schaltet der Schreiber die bemerkenswerte Stelle ein: „Ein Maß Weizen um einen Groschen und drei Maß Gerste um einen Groschen; und dem Öl und Wein tu kein Leid!“ Die Bedeutung dieser Stelle ist natürlich ganz einfach; sie kam um die christliche Kirche, die in jedem Zeitalter in einer scheinbar hoffnungslosen Minderheit gewesen ist, in ihrem Kampfe gegen das Böse zu ermutigen. Der römische Denar war natürlich nicht gleichwertig mit dem englischen Penny, noch hatte der Penny des Königs Jakobus denselben Wert wie der Penny des zwanzigsten Jahrhunderts. Was der Schreiber hervorheben wollte, was aber infolge der Übersetzung auf den Leser kaum Eindruck macht, war der furchtbare Mangel an Nahrungsmitteln. Während dieser Zeit des Mangels wurde die Speise viele hundert Prozente über den normalen Preisen angeboten. Kurzum, die Preise waren tatsächlich Hungersnotpreise, da der Hunger im Lande umherritt auf seinem schwarzen Pferd. Doch folgt dieser Verkündigung sogleich der Befehl, daß das Öl und der Wein, das Öl der Freude und Hingebung und der Wein der Inspiration, die die Speise der Kirche sind, keinen Schaden erleiden.
Ungeachtet der schrecklichen Zustände um sie herum, die Kirche, „der Bau der Wahrheit und Liebe“ bleibt unberührt. Während die große Mehrheit, im Vertrauen auf ihre Macht durch die sie die kleine Minderheit zu überwältigen gedachte, ihrem Untergang entgegeneilte, sollte die Minderheit, das Öl und der Wein, unverletzt bleiben. „Auf der einen Seite,“ sagt Mrs. Eddy auf Seite 96 von Wissenschaft und Gesundheit, „wird Disharmonie und Schrecken sein, auf der andern Wissenschaft und Friede.“ So lauten die Berichte jeder Chemikalisation, welche die Welt je erlebt hat. Es war so in den Tagen Nebukadnezars, der den feurigen Ofen errichtete, zur Zeit der Löwengrube von Darius und ist auch seither immer so gewesen wo Menschen dem Prinzip vertrauten anstatt der Weltklugheit, der Wahrheit anstatt Lügen, und nicht zwischen zwei Meinungen stille standen. Krieg, Hunger, Pestilenz und Tod sind nur Phasen der Annahme von materiellen Gelüsten und Leidenschaften, welche sich jedesmal heftig empören wenn die Wahrheit mit genügend Schärfe und Verständnis verkündet wird um die Existenz dieser Begierden und Leidenschaften zu bedrohen. Das Verständnis des Prinzips,— das den Irrtum zu einer moralischen Chemikalisation erweckt und so durch seine Zerstörung sein Verschwinden verursacht — ist die wahre Kirche, und nicht, wie der Schreiber der Offenbarung sehr wohl wußte, die menschlichen Wesen, welche die Kirche von Sardes überfüllten, und trotzdem ihre Kleider besudelt hatten, noch diejenigen in der Kirche von Laodizia, die so weise und weltklug waren, daß sie weder warm noch kalt waren, noch jene welche an den Lehren Bileams festhielten in der Kirche von Pergamus. In anderen Worten, nicht die Besucher der Kirche, die scheinbar lebten und doch geistig tot waren, waren das Öl und der Wein, sondern die, welche die Wahrheit verstanden und so der Wahrheit gemäß lebten, daß sie fähig waren die Wahrheit zu demonstrieren.
Furcht und Sinnlichkeit sind immer das große Hindernis zur Annahme der Wahrheit; Furcht in Gestalt rein physischer Schüchternheit, und Sinnlichkeit, die sich in der Unwilligkeit zeigt von weltlichen Sitten und allem, was diese Sitten bedeuten loszulassen. Gerade so lange wie diese Furcht und diese Sinnlichkeit sich vereinigen und die Menschheit vom eigenen Denken abhalten und sie verhindert sich mutig zu ihrer Überzeugung zu erheben, wird die Mehrheit eine Mehrheit bleiben; denn man muß bedenken, daß die Kirche in der Welt immer eine sehr schwache Minderheit gewesen ist. Um die Welt vom eigenen Denken abzuhalten wurden solche Dinge wie der „Index“ eingeführt, und um die Welt an ihre eigene Sinnlichkeit zu fesseln ist alles getan worden um sie zu veranlassen ihre sogenannten menschlichen Fußtapfen nach Gargantuas Maß zu bemessen. Am Ende wird natürlich selbst die physische Furcht als eine Phase der Sinnlichkeit erkannt, so daß der Streit, wie immer, nach und nach zu dem beständigen Kampf zwischen den fleischlichen Begierden und den Früchten des Geistes verringert wird. Daher die Notwendigkeit, auf der Mrs. Eddy so sehr beharrt, sich, durch einen beständigen Sinn der Allheit des Prinzips, die Machtlosigkeit des Bösen und die Nichtsheit der Materie zu verwirklichen. Es war diese Notwendigkeit, die Jesus Nikodemus so deutlich erklärte, als der Pharisäer in der Nacht zu ihm kam in Jerusalem. Das ist die Unterscheidung, die zwischen den beiden Schöpfungsberichten gemacht wird mit denen die Bibel anfängt, und sie fährt fort bis zu den Schlußworten des Buches der Offenbarung. Und in all dieser Zeit haben das Öl und der Wein nie Schaden erlitten.
