Wenn das Problem des Mangels oder der Beschränkung fortfährt, sich in unserer Erfahrung immer wieder geltend zu machen, so bedeutet dies notwendigerweise, daß wir die geistigen Tatsachen, deren Verständnis zur Heilung dieses unharmonischen Zustandes erforderlich ist, in der einen oder anderen Hinsicht noch nicht ganz erfaßt haben. Vielleicht haben wir über unser Problem nur oberflächlich nachgedacht und es mit einer unbestimmten und verallgemeinerten Behauptung der Allheit Gottes beiseite geschoben. Auch mag es uns nicht in demselben Maße zu mentaler Tätigkeit anspornen, wie ein schmerzhaftes Leiden oder eine häßliche Verunstaltung, während wir in manchen Fällen oft lange und vergeblich gegen scheinbar unerbittliche Zustände gekämpft haben, bis uns der Himmel wie eine eherne Stirne erschien. Wie zu Mose Zeiten, steht die Menschheit immer noch in Versuchung zu sagen: „Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir dies Vermögen ausgerichtet.“ Wenn alle menschlichen Hilfsmittel sich als unzulänglich erweisen und unsere Versorgung, dem materiellen Augenschein gemäß, immer noch weit davon entfernt ist, den Anforderungen zu genügen, dann bedürfen wir des Gebetes, wie Elisa es für seinen Diener betete, damit die stets gegenwärtige Versorgung des Geistes unseren Augen offenbar werde und wir, wie Habakuk, dem Gott, der unsere Hilfe ist, lobsingen können, selbst wenn alle sichtbaren materiellen Quellen der Versorgung verschlossen sein sollten.
Als Jesus der hungrigen Menge mit einem ungenügenden Vorrat an Speise gegenüberstand, erfüllte er ihr Bedürfnis nicht mit kalten metaphysischen Redensarten. Er kannte die geistigen Tatsachen bezüglich dieses Bedürfnisses so genau, daß er imstande war, den Beweis der unfehlbaren Hinlänglichkeit der Versorgung zu erbringen. Daß ein gütiger Vater-Mutter Gott Seine Kinder mit allem versorgt, dessen sie bedürfen, um den berechtigten Anforderungen des Lebens zu genügen, wird uns, mit dem wachsenden Verständnis der geistigen Verursachung und eines unfehlbar gerechten Gottes, immer klarer. Jesus sagte: „So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.“ Diese Worte sind heute ebenso wahr wie damals, als er sie zu den bangen Herzen seiner Jünger sprach, obwohl ihre praktische Bedeutung durch die Nebel der Überlieferung und falsches religiöses Empfinden, so sehr in den Hintergrund getreten ist, daß wir uns deren wörtliche und gegenwärtige Beziehung auf uns selbst oft in die Erinnerung rufen müssen. Jesus deutete damit auf ein göttliches Gesetz hin, welches gestern und heute und auch in Ewigkeit unveränderlich ist.
Um unter dem Schutz dieses Gesetzes zu stehen, müssen wir dasselbe verstehen lernen und ihm gehorchen. Beim Studium der Mathematik, zum Beispiel, kann man nicht erwarten, ein schwieriges Exempel zu lösen, ohne sich vorher die einfachen Regeln des Addierens gründlich zu eigen gemacht zu haben. Und so können wir auch in der Wissenschaft des Lebens keinen völligen Sieg über unharmonische Zustände erringen, wenn wir nicht erst geduldig die einfachen Regeln der göttlichen Wissenschaft erlernen. Die obenangeführten Worte Jesu bildeten von jeher Teil des christlichen Lehrens der Menschheit. In unserer Zeit jedoch haben wir eine vollere Offenbarung ihrer Bedeutung, wodurch wir auch zu dem wahren Verständnis des Gehorsams gelangen. Wenn wir einsehen lernen, daß diese scheinbar dringenden Nöte nach Wohnung, Kleidung und Nahrung nur dadurch gestillt werden können, daß wir mit einem jeden unserer Gedanken Christus, der Wahrheit, gehorsam sind, dann lernen wir auch die Notwendigkeit verstehen, vorerst nach dem Reiche Gottes zu trachten, und erkennen, daß darin in Wirklichkeit unser alleiniges Bedürfnis besteht. Mit dem wachsenden Verständnis von Gott verbessert sich unsere Umgebung ganz von selbst. Ein Gefühl des Mangels ist eine Übertretung des geistigen Gesetzes, und die Heilung desselben geschieht, indem man alle Gedanken diesem Gesetze untertan macht, das heißt, wenn man in Ihm verbleibt.
Da Gott das All darstellt, und der Mensch Sein Ebenbild ist, haben wir ein Anrecht auf alles nötige, um diesen Menschen in seiner ganzen Würde, ruhigen Klarheit und der „Schönheit der Heiligkeit“ (n. d. engl. Bibelübersetzung) zum Ausdruck bringen zu können. Wir brauchen uns weder mit dem Wohlfeilen noch dem Mittelmäßigen zufriedenzugeben. Wenn wir die geistigen Eigenschaften des wahren Menschen in unser Gemüt aufnehmen, und uns bemühen, dieselben wieder-zuspiegeln, warum sollten wir dann nicht ganz natürlich das zum Ausdruck bringen, was diesen wahren Menschen erhält? Denn auf diese Weise trachten wir am ersten nach dem Reich Gottes, und dürfen die Erfüllung der Verheißung erwarten, daß uns als Folge dieses Bemühens alles nötige „zufallen“ wird.
In unserer ersten überwältigenden Freude über diese geistige Entdeckung geraten wir manchmal in Versuchung, über unsere Demonstration hinauszugreifen, oder wir ermangeln der Einsicht, um den Unterschied zwischen einem wirklichen Bedürfnis und einem rein materiellen Verlangen zu erkennen. Mit der wachsenden Vergeistigung des Denkens jedoch, lernen wir einsehen, daß die Demonstration von Gottes Versorgung für Seine Kinder nicht zu übertriebener Eleganz, zügellosen Launen oder bloßer Ausschmückung der Person führt. Die Annahme, daß ein Mensch reich und der andere arm ist, gehört dem Traum der materiellen Existenz an. In Wirklichkeit sind alle Menschen frei und gleichwertig, frei, das köstliche Erbe, die Herrschaft „über die ganze Erde“ (Züricher Bibel), die ihnen rechtmäßig zukommt, zu ergreifen. Dieses frohe Ergreifen der Reichtümer unseres Vaters ist von Selbstgefälligkeit, Ehrgeiz oder Hochmut ebensoweit entfernt, wie die Materie vom Geist entfernt ist. Es ist unser wachsendes Verständnis des himmlischen Schatzes, von welchem Jesus zu dem reichen Jüngling sprach, das in Wirklichkeit das Problem unserer zeitlichen Bedürfnisse ausarbeitet. In dem Maße, wie wir uns diesen Schatz zu eigen machen, demonstrieren wir Herrschaft und Macht. Es ist die sterbliche Annahme, die den materiellen Reichtum als Norm für den Erfolg aufstellen möchte. Durch ein ehrliches Streben, von dem Gold zu kaufen, „das mit Feuer durchläutert ist,“— durch die Willigkeit von den Schlacken der Materialität gereinigt zu werden,— wird uns ein volleres Verständnis der ausreichenden Fülle von Gottes Versorgung für Seine Schöpfung zuteil, und mit der Reinigung unseres Bewußtseins von jedem Gefühl der Überlegenheit, des Standesunterschiedes und der Vornehmheit, sowie des Beurteilens nach der äußeren Persönlichkeit, das dem sterblichen Gemüt in so vielen Beziehungen eigen ist, kommt unsere Belohnung auch in wachsender Liebe zu unserem Nächsten.
Zuweilen ist es falscher Stolz und eine irrige Auffassung in bezug auf Stellung, was unsere Einsicht beschränken möchte. Wir sollten es uns klar machen, daß Gott in Seinem Universum für einen jeden von uns einen richtigen Platz bestimmt hat. Selbstunterschätzung ist ebenso materiell wie Selbstüberschätzung. Beide Gedankenzustände fußen auf dem Glauben an ein von Gott getrenntes Selbst, und so verhält es sich auch mit Charakter- und Familienstolz. Alle derartigen Eigenschaften möchten unsere wahre Individualität, welche eine Wiederspiegelung Gottes ist, hindern und verwischen. Es gibt für uns alle nur einen Platz, den wir einnehmen können, und dieser Platz ist da, wo unser ureigener Ton in die Harmonie des unendlichen Seins einklingt. Niemand kann diesen Platz für uns ausfüllen und wir selbst haben alles, was erforderlich ist, um diese geistige Idee auszudrücken. In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ sagt unsere Führerin (S. 70): „Das göttliche Gemüt erhält alle Identitäten klar erkennbar und ewig, vom Grashalm an bis zum Stern.“
Die in Schönheit strahlende Sonnenblume auf rauhem Stengel, bemüht sich nicht, die zarte Anmut der hehren Lilie nachzuahmen, noch verbringt sie ihre Zeit in nutzlosem Sehnen, der glühenden samtartigen Rose zu gleichen. Und doch trübt keine Bitterkeit ihre Botschaft der freudigen Lebenskraft, während sie ihr goldenes Antlitz im Sonnenglanz wie im Regen wiegt. Die Lilie flüstert denen, die an ihrem Anblick Trost finden, ihre reine, erhabene Botschaft zu, und so finden alle das Nötige, um eine Idee des göttlichen Gemütes auszudrücken. „Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht,“ um die „Schönheit der Heiligkeit“ (n. d. engl. Bibelübersetzung) zum Ausdruck zu bringen. Ein beschwerliches und mühsames Arbeiten ist gewöhnlich das Resultat der Furcht,— der Furcht vor dem Morgen, dem Alter und kommenden bösen Zeiten. Es hat keinen Bestand in der Wirklichkeit, dieses Gesetz, das die Offenbarung des Geistes hindern und uns der Herrschaft berauben möchte. Im Dienste des Vaters gibt es keine Furcht, kein Wetteifern, keinen falschen Stolz. Die hehre Lilie, wie die Blume am Wegesrand, sie verkünden beide freudig die Allheit Gottes, eine jede auf ihrem Platze.
Welcher Art unsere Arbeit auch sein mag, so sollte sie doch niemals in der Richtung persönlicher Errungenschaften streben, sondern dazu dienen, die Tätigkeit des göttlichen Gemütes wiederzuspiegeln. Wenn wir auf diese Weise unsere Arbeit bestimmen und unser Denken mit der Tätigkeit des Gemütes, das in dem geistigen Universum zum Ausdruck kommt, in Übereinstimmung bringen, dann lernen wir einsehen, indem wir das unsere dabei tun, daß Not uns ebensowenig hindern kann wie die Sterne ihres Glanzes beraubt werden könnten. Mit dem Fortschritt geistigen Denkens werden wir lernen, auch die kleinste und bescheidenste Aufgabe des täglichen Lebens mit dieser Tätigkeit des göttlichen Gemütes in Übereinstimmung zu bringen, und unsere Arbeit wird auf diese Weise zu einer gediegenen und geordneten werden, die uns unfehlbar gebührende Entschädigung bringen muß.
Die Demonstration der göttlichen Versorgung ist von keinem außergewöhnlichen Emporsteigen aus der Beschränkung begleitet; vielmehr zeigt sie sich, mit dem ehrfürchtigen Annehmen der geistigen Tatsachen des Lebens, in einem stetig wachsenden Fortschritt. Dieses bereicherte geistige Wissen erscheint uns wunderbarer als irgendeine unerwartete große Veränderung in unseren Verhältnissen. Ob die Annahme, die uns den Frieden vorenthält, nun die der Armut oder der Krankheit ist, Tatsache bleibt, daß sie uns in Knechtschaft festhält und wir uns durch Selbstbedauern niemals daraus herausarbeiten werden. Es gibt nur einen Weg der Erlösung, und er ist geistig, nicht materiell. Er erfordert Ehrlichkeit und Gehorsam. Der Posaunenruf der Wahrheit tönt durch alle Zeiten: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Durch die Christliche Wissenschaft wachsen wir Tag um Tag im Verständnis dieser Worte und lernen sie auf die Fragen des täglichen Lebens praktisch anwenden. Wir fassen sie nicht länger als eine dogmatische Vorschrift auf, sondern sie sind uns ein helleuchtendes Licht, das uns den Weg weist. Auf dem Weg, der diesem Zeitalter geoffenbart worden ist, heißt es oft unbetretene Pfade beschreiten, denn auf ihm lernen wir Gott als Prinzip, Gemüt, kennen, und sehen ein, daß der Gehorsam zum göttlichen Gemüt eine Frage des rechten Denkens ist. Wenn wir ehrlich genug gegen uns selbst sind, um das, was an unserem Denken verarmt ist, aufzudecken und zurückzuweisen, und allem, das uns vom Guten trennen möchte, mit richtigem klarem Denken zu begegnen, dann kann die Lösung unserer Schwierigkeiten nicht ausbleiben und uns die verheißene Herrschaft nicht vorenthalten werden.