In „Miscellaneous Writings,“ in einem Aufsatz „Der Weg,“ weist Mrs. Eddy darauf hin, daß Selbsterkenntnis der erste Schritt in der Richtung des augenblicklichen Heilens ist. Es ist offenbar, daß ein Mensch, der gewisse Charaktereigenschaften zum Ausdruck bringt, sich schließlich so sehr an dieselben gewöhnt, daß er sie als Teil seines eigenen Wesens, ja seines eigenen Denkens, betrachtet, und er, wenn diese Charaktereigenschaften schlimmer Art sind, mit der Zeit an deren Folgen zu leiden haben wird, das heißt, wenn er dieselben nicht verbessert. Zum Beispiel kann ein unehrlicher Gedanke zur unehrlichen Tat werden,— unter Umständen zu einem Diebstahl führen,— was natürlich denjenigen, der einen solchen Gedanken gehegt hat, zum Diebe stempelt.
Die Christliche Wissenschaft geht dem Irrtum völlig auf den Grund und enthüllt die mentale Natur der Krankheit und des Verbrechens. Es sind daher nicht die Folgen, sondern die Ursachen der Krankheit und des Verbrechens, die Beachtung finden müssen, und indem man diese mutmaßlichen Ursachen beseitigt, ist es möglich, nicht nur den Sünder umzuwandeln, sondern auch die Kranken zu heilen.
Es mag eingewendet werden: Ja, ich gebe zu, daß das Verbrechen das Resultat falschen Denkens ist und die Verbrecherlaufbahn eines Menschen mit einem unehrlichen Gedanken ihren Anfang nehmen kann. Aber bringt dem Menschen Ehrlichkeit bei, und er wird selbstverständlich das Stehlen lassen. Wie läßt sich dies aber auf Krankheit anwenden? Es trifft nicht zu, daß diejenigen, die an einer gewissen Krankheit leiden, am meisten über diese Krankheit nachgedacht haben. Ein kleines Kind, zum Beispiel, denkt nicht an Krankheit, bis es krank wird. Wie erklärt sich das?
Die einzige Antwort, die gegeben werden kann, ist, daß jeder Mensch, der die wahre Natur seiner göttlichen Herkunft nicht kennt, sich von Gott getrennt glaubt; mit anderen Worten, er hält sich nicht für das ausgedrückte Bild Gottes, sondern für einen Sterblichen, der eine gänzlich sterbliche Herkunft, ein von Gott getrenntes Selbst und eine materielle Vergangenheit hat. Diese Annahme stürzt ihn kopfüber in eine Vorstellungswelt, in welcher die Trugbilder des fleischlichen Gemütes, die Kundgebungen des Bösen, das wirkliche Bewußtsein zu sein scheinen, während sie bloß die Nachbildung dieses Bewußtseins sind, in welcher selbst das Gute, das ein Mensch erfährt, einem materiellen Universum anzugehören scheint und als Teil desselben betrachtet wird.
Was ist der Unterschied, ob ein Mensch vier oder vierzig Jahre in dieser irrigen Annahme befangen war? Wenn, zum Beispiel, jemand einen falschen Dollarschein für einen echten hält, sei es nun aus Fahrlässigkeit oder aus Unwissenheit, so treibt er von diesem Augenblick an Handel in Makulatur, in dem Glauben, er gebrauche rechtmäßige Geldscheine. Sein Vorrat an gefälschten Scheinen vermehrt sich allmählich, bis jemand, der mehr Scharfsinn besitzt, einen ihm angebotenen Schein als gefälscht erkennt und ihn zurückweist. Dadurch mögen all die aufgespeicherten Schätze des Getäuschten als unecht erkannt werden, und wenn er weise ist, so wird er, wenn auch schweren Herzens und mit Bedauern über fruchtlose Bemühungen vergangener Zeiten, die gefälschten Scheine verbrennen und sich dem Erwerb des wahren Reichtums zuwenden, indem er sich eifriger bemüht, die falschen Scheine zu erkennen und sie zurückzuweisen. Dies veranschaulicht klar, daß jemand, sobald er in eine solche Vorstellungswelt eintritt, Gefahr läuft, die Augenscheinlichkeit des Bösen mehr oder weniger als echt zu betrachten.
Es ist daher allein das geistige Verständnis, das uns völligen Schutz vor dem Bösen bringt, das Verständnis, daß Leben nicht materiell, sondern geistig ist, daß der Mensch einen geistigen, nicht einen menschlichen Ursprung hat, daß nur das, was geistig ist, wirklich besteht, daß in Gottes Universum keine einzige Seiner Ideen fehlt noch am unrichtigen Platze ist, und jede Tätigkeit von unserem gütigen Vater-Mutter Gott geleitet wird, der die Bedürfnisse eines jeden Seiner Kinder und all Seiner Geschöpfe nicht nur kennt, sondern stets bereit ist, denselben nachzukommen und den reichen Segen Seiner unendlichen Weisheit herabzuschütten.
Es wird niemand bestreiten, daß Kinder diesem Gemütszustand öfters näher kommen als Erwachsene. Die Jugend glaubt, wo das Alter zweifelt, und liebt, wo das Alter kritisiert. Kinder, da sie wenig von Krankheit wissen, vergrößern nicht die Furcht vor derselben, indem sie über Krankheitserscheinungen nachdenken. Es ist leicht verständlich, was unser Meister mit den Worten sagen wollte: „Es sei denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Im allgemeinen gesprochen, wenden sich daher Kinder der Christlichen Wissenschaft selbstverständlicher zu und lernen bald, dieselbe zu demonstrieren, denn der Gedanke des materiellen Seins fußt bei ihnen nicht so tief, wie beim Erwachsenen.
Gewöhnlich liegt der Grund der Schwierigkeiten, die sich Erwachsenen bieten, in deren anerzogenen Ansichten in gewissen Gedankenrichtungen, die geneigt sind, das ursprüngliche Ebenbild zu verdrängen und mehr und mehr zu einer falschen Schätzung wahrer Werte zu führen, aus welchem Zustand es schließlich des Aufrüttelns bedarf, um ihm entgehen zu können. Von unserem gegenwärtigen Gesichtspunkt aus ist es leicht erkenntlich, daß der erste Schritt zur Erlösung vom Bösen das Erlangen einer richtigen Einschätzung wahrer Werte bedingt. Dazu ist Selbsterkenntnis unbedingt notwendig. Bis wir klare Einsicht erlangen, in welcher Weise falsches Wissen, die Fälschung des wahren Selbst, die so offenkundig die Wahrheit aus unserem Bewußtsein ausschließt, in unserem Denken arbeitet, wird es nicht möglich sein, unser wahres Selbst zum Ausdruck zu bringen. Denn wenn wir fortfahren, materiellen Annahmen die Herrschaft über uns zu gestatten, statt dem geistigen Verständnis, und weiterhin unser Erbteil mit Esau teilen, anstatt, wie Jakob, ein volles Erbrecht zu beanspruchen, dann glauben wir an die verderbenbringende und unmögliche Mischung von Geist und Materie, Wahrheit und Irrtum, Leben und Tod, wodurch selbst das Gute, das unsere Erfahrung bringt, dem Zufall und dem Wechsel preisgegeben scheint.
Auf Seite 109 von „Miscellaneous Writings“ sagt unsere Führerin: „Prüft euch, und stellt fest, inwieweit euch die Sünde beansprucht, und inwieweit ihr diesem Anspruch Berechtigung zugesteht und ihm nachgebt.“ Ferner sagt sie: „Wachet und betet um Selbsterkenntnis, da auf diese Weise die Reue kommt und die Oberhand über eine Verblendung gewonnen wird.“ Unser größtes Bedürfnis ist daher, diesen weisen Ratschlag zu verstehen und ihn zu demonstrieren.
Ihr habt gehört, daß gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.— Matth. 5:43–45.
