Beim Ausüben der Christlichen Wissenschaft besteht zwischen dem Patienten und dem Ausüber eine sehr heilige und liebreiche Beziehung ähnlich der eines kleinen Kindes, das sich auf dem Heimwege zu Vater und Mutter von einem älteren Bruder an der Hand führen läßt und zuversichtlich vertraut, daß der Bruder den Weg weiß, während er das Kind mit liebevollem Zuspruch ermutigt und ihm vorwärts hilft. Die Zahl der Jahre hat nichts damit zu tun, was einen in dieser Hinsicht zum älteren Bruder macht. Der Führende ist derjenige, der sich bewußt ist, daß das Heim Harmonie ist; dem andern ist ein bißchen Staub in die Augen geraten, daß er nicht klar sieht, oder er ist verwirrt und hat den Heimweg vorübergehend aus den Augen verloren.
Der Ausüber behandelt alles, was ihm der Patient erzählt, als streng vertraulich. Sein Denken ist von dem erfüllt, was Gott über die Lage weiß, und er wendet die Wahrheit über den Menschen auf den Zustand an, so daß der Irrtum vollständig vernichtet wird und nichts im Gedächtnis des Patienten zurückbleibt, auch nichts, was dem Ausüber zu wiederholen ist oder von ihm wiederholt zu werden braucht. Ist dies geschehen, so herrscht nicht die Notlage sondern der Beweis der Vollkommenheit im Denken vor; und der Geheilte sollte aus wahrer Dankbarkeit für seine Befreiung der Einladung bei den Mittwochabendgottesdiensten Folge leisten und den Grund für die Freude in seinem Herzen erzählen.
Dem wahren Ausüber kommt es nie in den Sinn, den Patienten zu verurteilen. Jemand hat geschrieben: „Ein gerechter Mensch haßt das Übel, aber nicht den Übeltäter”. Der Ausüber sieht die Krankheit oder die Sünde nicht als wirklich sondern als einen falschen Sinn an, den man nicht im Denken beherbergen darf sondern zerstören muß. Er sieht nicht einen kranken oder sündigen Menschen, aus dem er einen gesunden oder guten menschen zu machen sucht. Der Ausüber macht sich augenblicklich die wahren Tatsachen über das ihm vorgelegte Problem klar und hält an diesem Denken so lang fest, bis die Lüge und ihr Ausdruck der Wahrheit, die sich in Harmonie bekundet, weicht. Nicht der Mensch sondern der Irrtum wird als gottunähnlich, gesetzlos und ohne Wirkungsstätte verurteilt. Der Irrtum muß unter dem Schwert der Wahrheit fallen; und der Ausüber erlöst den Patienten, indem er ihm hilft, sich nicht mehr mit dem Irrtum zu befassen. Dies mag der Patient bis zu einem gewissen Grade schon dadurch getan haben, daß er mit dem Problem zum Ausüber gegangen ist. Dieser übernimmt es als ein Problem, das er auszuarbeiten hat; und er ist überzeugt, daß er die Wahrheit kennt, die zur rechten Antwort oder zu einem harmonischen Zustand führt.
Heilung erwarten beschleunigt die Befreiung. Der Bewußtseinszustand ist der Boden, in dem die Saat der Wahrheit aufgehen und blühen kann. Jeder Ausüber erwartet, daß er die Fälle, die er zu christlich-wissenschaftlicher Behandlung übernimmt, heilen wird, und jedem Patienten, der die hoffnungsvolle Erwartung lebendig erhält, gelten die Worte des Apostels Johannes: „Ein jeglicher, der solche Hoffnung hat zu ihm, der reinigt sich, gleichwie er [der Vater] auch rein ist”. Verzagtheit und Mutlosigkeit sind Bewußtseinszustände, die sich mit der Stellungnahme eines Rechtsanwalts vergleichen lassen, der vor Gericht gegen den Fall spricht, den er zu gewinnen sucht.
Ein Patient ging einst mit einem scheinbar schweren Problem zu einem Ausüber, und sein Vertrauen auf Gott und in die Fähigkeit des Ausübers zu helfen wurde sofort gestärkt, als der Ausüber sagte: „Bringen wir dieses Problem zu Gott, ,unserem Vater in dem Himmel‘. Es steht dem Vater zu, für Seine Kinder zu sorgen. Er kann es tun, da Er das unendliche Gemüt ist; Er weiß schon die Lösung jedes Problems”. Wenn wir erkennen, daß die Wahrheit die Lösung jedes Problems in sich schließt, verstehen wir, daß kein Umstand und kein Zusammentreffen von Ereignissen für Gott ein Rätsel ist, und wir vertrauen zuversichtlich, daß Er uns die Augen öffnen wird.
Gerade wie die Wahrheit die Lösung jedes Problems in sich schließt, so schließt die Liebe das liebreiche Heilen in sich. Das Verstehen der Wahrheit enthüllt die Lösung; das Üben der Liebe bahnt der Wahrheit den Weg zur Offenbarwerdung. Der Ausüber muß Liebe in seinem Denken haben, wenn er heilen will. Eine Ausüberin wurde einst gebeten, über ein ihr vorgelegtes Problem klar nachzudenken, und es kam ihr zum Bewußtsein, daß die Anwesenheit des Hilfesuchers sie immer aufregte. Sie erkannte, daß dies eine Gelegenheit war, ihr Denken zu berichtigen, und als sie dem Patienten einen strahlenden Platz in ihrem Herzen einräumte, fand sie, daß er geheilt war, ohne daß sie das, was ihn bedrückte, besonders behandelt hatte. Die Liebe unschließt sowohl den Patienten als auch den Ausüber in dem liebreichen Verständnis, daß der Vater für Seine Kinder sorgt und alle Krankheiten und Schwierigkeiten heilt. Die Liebe beseitigt Rassenund Klassenunterschiede sowie Streitigkeiten und läßt die Menschen, die beten: „Unser Vater in dem Himmel”, ihre geistige Beziehung zueinander erkennen.
Der Ausüber sucht durch andächtiges Denken bei Gott Erleuchtung und wahre Erkenntnis. Er bringt den menschlichen Willen und den persönlichen Sinn zum Schweigen und läßt sich von der Stimme Gottes leiten. Mrs. Eddy schreibt im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 495): „Gott wird die Kranken durch den Menschen heilen, wenn der Mensch von Gott regiert wird”. Hier erhebt sich oft die Frage: Wie weiß man, wenn Gott einen leitet? Darüber kann man sich vergewissern, indem man sich fragt: Ist das, was wir im Sinn haben, für alle in Betracht Kommenden gut? Ist es gesetzmäßig? Ist es liebevoll? Können wir diese Fragen bejahen, so können wir sicher sein, daß nicht der persönliche Sinn sondern Gott unser Denken leitet.
Der Patient sollte sich nicht an den Ausüber noch der Ausüber sich an den Patienten klammern. Lukas, der Arzt gewesen war, schreibt im Zusammenhang mit einem Fall von Wassersucht, der Jesus zur Kenntnis gekommen war: „Und er griff ihn an und heilte ihn und ließ ihn gehen”. Mit welch einfachen Worten Lukas die drei Stufen der Beziehung zwischen dem Patienten und dem Ausüber zeigt —„griff ihn an und heilte ihn und ließ ihn gehen”!
Hingebungsvolles gerechtes Denken nicht nur in besonderen Fällen sondern in allen Angelegenheiten des menschlichen Daseins ist erforderlich, wenn Ausüber die zu ihnen gebrachten Fälle heilen sollen. Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 149): „Die Regel und ihre Vollkommenheit im Wirken verändern sich in der Wissenschaft neimals. Wenn du in irgendeinem Fall keinen Erfolg hast, so kommt das daher, weil du in deinem eigenen Leben das Leben Christi, der Wahrheit, nicht mehr demonstriert hast — weil du der Regel nicht gehorcht und das Prinzip der göttlichen Wissenschaft nicht bewiesen hast”. Die Christlichen Wissenschafter müssen die Wahrheiten, die sie äußern, leben und dadurch beweisen, daß das Gute zur Anwendung in menschlichen Angelegenheiten zur Verfügung steht.
Zwischen dem Patienten und dem Ausüber sollte ein geschäftsmäßiges und geordnetes Verhältnis bestehen. Lang ausgedehnte Besuche, nutzloses Reden, Geschwätz und Tadel müssen unterbleiben. Verabredungen mit einem Ausüber sollten auf eine bestimmte Zeit festgesetzt und pünktlich eingehalten werden, damit nicht die Verabredung eines andern gestört wird oder einem selber nicht genügend Zeit bleibt, um das Problem dem Ausüber klar, aber ohne unnötiges oder weitschweifiges Wiederholen des Irrtums vorzulegen.
Christlich-wissenschaftliche Behandlung ist sehr wertvoll und trägt in dem Maße, wie Patient und Ausüber sie schätzen, wertvolle Früchte. Der Patient darf nicht das Empfinden haben, daß er nichts zu geben brauche. Elisa fragte die Witwe, die mit einem Mangelproblem zu ihm kam: „Was hast du im Hause?”
In der Bibel steht geistige Hilfe hoch im Werte. Im Propheten Jeremia lesen wir: „Weh dem, der sein Haus mit Sünden baut und seine Gemächer mit Unrecht, der seinen Nächsten umsonst arbeiten läßt und gibt ihm seinen Lohn nicht”. In diesen Zusammenhang paßt gut die Geschichte von Saul, den sein Vater Kis nach verlorenen Eselinnen aussandte. Nachdem Saul und sein Knecht die Tiere vergeblich gesucht hatten, schlug der Knecht vor, den Propheten Samuel um Hilfe zu bitten. Aber Saul hatte Bedenken und sagte: „Wenn wir schon hingehen, was bringen wir dem Mann? Denn das Brot ist dahin aus unserem Sack; so haben wir sonst keine Gabe, die wir dem Mann Gottes bringen. Was haben wir?” Der Knecht hatte jedoch einen Silberling und antwortete Saul: „Das wollen wir dem Mann Gottes geben, daß er uns unsern Weg sage”. Die Geschichte berichtet weiter, daß nicht nur die Eselinnen gefunden wurden, sondern daß auch der Herr Samuel leitete, Saul zum Fürsten über sein Erbteil zu salben. Dieses unmittelbare Ergebnis der Bereitwilligkeit Sauls, geistige Hilfe zu schätzen, gab ihm ein neues Herz, befähigte ihn zu weissagen und erhob ihm zum König. In dem Bericht heißt es: „Da jauchzte alles Volk und sprach: Glück zu dem König! ... Und Saul ging auch heim gen Gibea, und ging mit ihm des Heers ein Teil, welcher Herz Gott rührte”.
Derselbe Lohn erwartet heute jeden Sucher der Wahrheit, der geistige Dinge recht schätzt. Gott wird ihm ein neues Herz geben; er wird Gutes weissagen; er wird ein Fürst über sein Erbteil und König über sein eigenes Denken sein und wird mit anderen, die sich von Herzen an Gott gewandt haben, in Gemeinschaft stehen!
