Menschliche Unterjochung wird zu Ende sein, wenn die Menschen die Quelle und die Bedeutung der Macht so verstehen, wie Christus Jesus sie verstand. Er erklärte vor Pilatus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von obenherab gegeben”.
Solange sterbliche Beweggründe, Ansichten, Willkür und Wünsche die Menschen beherrschen, werden sie sich fürchten. Shakespeare spricht von „der ungewissen krankhaften Begierde zu gefallen”. Dies ist die Versuchung, die die Menschen zu Hause, in der Gesellschaft und in der Politik, in öffentlichen und privaten Beziehungen bedrängt. Dies sucht sie zu überreden, dem Prinzip zuwiderzuhandeln; zu handeln, wie es der Zweckmäßigkeit, aber nicht sittlicher Redlichkeit entspricht.
Auf Seite 407 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mary Baker Eddy: „Die Knechtschaft des Menschen unter den unbarmherzigsten Herren—unter Leidenschaft, Selbstsucht, Neid, Haß und Rache—wird nur durch einen mächtigen Kampf überwunden”. Die Menschen mögen sich über diese Warnung hinwegsetzen, indem sie glauben, sie gelte nur für extreme Fälle; aber jede Abweichung von sittlichem Mut, von genauem ehrlichen Denken und Handeln ist eine Form der Knechtschaft, und wer auch nur wenig nachgibt, findet sich in etwas verwickelt, was beständig immer mehr Unterwerfung fordert.
„Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was können mir die Menschen tun?” erklärte der Psalmist. Wenn wir dieses Vertrauen erreicht haben, ist unsere Knechtschaft zu Ende. Dann sind wir dort, wo wir über jede geringste Verschwörung des Bösen uns abzulenken, über jede falsche Darstellung, über jedes sterbliche Verlangen zu gefallen und gefällig erfunden zu werden, über jede Versuchung zu besänftigen, zu schmeicheln, zu überreden erhaben sind.
Wenn die Menschen verstehen lernen, daß Macht tatsächlich im Verhältnis zu ihrer Göttlichkeit ist, wird alles, was beansprucht, außerhalb dieser Göttlichkeit zu wirken, keine Furcht mehr erwecken. Es zeigt sich, daß Knechtschaft unter Furcht nicht einem andern zuzuschreiben ist, sondern unserem eigenen Glauben, daß Gottes Macht entweder geteilt sein könne oder am falschen Platze wirke. Wer sich einem falschen Sinn der Macht, sei es seinem eigenen oder dem eines andern unterwirft, hat die einzige Oberhoheit, die unanfechtbar, unüberwindlich ist, verwirkt. Er hat sich in den Dienst des unbarmherzigsten Gebieters gestellt, dessen Forderungen an ihn nicht abnehmen, sondern zunehmen werden.
„Wenn der Zorn des Herrschers gegen dich aufsteigt, so verlaß deinen Posten nicht; denn Gelassenheit macht schwere Verfehlungen wieder gut”, lesen wir im Prediger Salomo. Und was ist unser Posten? Sicher einer mit dem göttlichen Prinzip, wo Jesus stand, als ihm das Kreuz und das Grab drohten, wo die Auferstehung und die Himmelfahrt seiner harrten. Wollen wir unsern Posten unter dem Druck sterblicher Meinung, des Stolzes, der Furcht, des Überdrusses oder der Entmutigung verlassen? Dann laßt uns eingedenk sein, daß dieser gegen uns aufsteigende sogenannte Herrscher, wie er sich auch nennen möge, nicht Macht ist! Laßt uns zusehen, daß wir in diesem Ringen, das manchmal geringfügig scheint, aber immer mächtig ist, wenn das Prinzip dabei in Betracht kommt, nicht im geringsten nachgeben. Wegen unseres Postens weigern wir uns nicht nur, das Böse zu beschwichtigen, sondern überwinden es.
Niemand sollte denken, daß irgend eine andere Macht als Gott, was sie auch sei, was auch ihre Stellung, ihre Beziehung oder scheinbare Autorität sei, unser Leben beherrschen und unser Los beeinflussen könne. Die Macht, die Fähigkeit zu herrschen, kommen nur von oben. Die böse Einflüsterung, die gegen uns aussteigen und uns zum Nachgeben zwingen möchte, ist die Trugvorstellung, daß es etwas gebe, was wir glauben, fürchten zu müssen, etwas, dem wir gehorchen, vertrauen oder mißtrauen müssen, etwas von Gott Abgesondertes, wo doch tatsächlich alles Vertrauen, aller Gehorsam Ihm gebührt.
Auf Seite 203 in Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy: „Wir sind geneigt, an mehr als einen Höchsten Herrscher oder an eine Macht zu glauben, die geringer ist als Gott”. Wenn die Menschen nicht nur für das Jetzt der Vollbringung, sondern für die Ewigkeit bauen; wenn sie wahrnehmen, daß jedes Nachgeben, jedes Säen des Windes kleiner Unehrlichkeiten, Schwachheiten und der Beschwichtigung des Bösen den Sturm schwerer Verfehlungen erntet, werden sie Knechtschaft vermeiden, damit sie nicht in das mächtige Ringen verwickelt werden, wovor Mrs. Eddy uns warnt. Sie lernen verstehen, daß Herrschaft dem Menschen gehört, aber nicht als Ergebnis menschlicher Weisheit, Erfahrung, Fähigkeit oder Vollbringung, sondern als Ergebnis der höchsten Pflichttreue, des Gehorsams und der Hingebung an Gott.
Jesus räumte im Richthause dem Herrschaftspomp, der ihn umgab, nichts an Würde, an Gelassenheit, an Zuversicht ein. Er wußte, daß es nur einen Herrscher seines Geistes gab, und deshalb verließ er seinen Posten nicht. Das Wissen, daß die höchste Herrschaft immer gegenwärtig ist, daß wir von ihr regiert, erhalten und gestützt werden können, ist der Grund unseres Vertrauens, die Quelle unserer Fähigkeit und unserer Inspiration. Dies verbürgt eine nie wankende Unnachgiebigst gegen falsche Herrschaft. Keine Herrschsucht, weder einzeln noch in Verschwörung, kann uns dann regieren, unsern Rückzug erzwingen, unsern festen Halt schwächen oder unser Vertrauen untergraben.
Und wenn sterbliche Kräfte manchmal auch drohende und häßliche Maße annehmen mögen, laßt uns ferner wissen, daß nichts uns der Liebe berauben kann, die nie erbarmungsvoller bekundet wurde als von Jesus in Gegenwart seiner Feinde. Wenn es auch kein Wiedergutmachen der Verfehlungen gibt, muß dennoch die Wirklichkeit des Lebens in der Versicherung, die dem zuteil wird, der mit Gott im Frieden ist, offenbar werden. So werden wir, auf unserem Posten ausharrend, verstehen, warum der Psalmist gerade inmitten derer, die Herrschaft über ihn zu gewinnen suchten, erklären konnte: „Wahrlich, der Gerechte erntet noch Lohn; wahrlich, es gibt einen Gott, der da richtet auf Erden”.
