Vielen Sterblichen läßt sich das Wort „Freude” nicht leicht erklären. Tausend Menschen können tausend Erklärungen dafür geben. Der Begriff, den eine Person von der Freude hat, kann einer andern Anathema sein. Für viele ist Freude so flüchtig und unerklärbar, daß folgende Zeilen von Gerald Massey besonders gut hier angebracht sind:
Nicht auf Verabredung begegnen wir Entzücken
Und Freud’. Sie achten nicht auf unsere Erwartung:
Jedoch an einer Ecke auf den Lebensstraßen
Umarmen sie uns plötzlich, freundlich uns begrüßend.
Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament werden wir wiederholt ermahnt, freudig zu sein; und die mit „Freude” übersetzten hebräischen und griechischen Wörter schließen auch Fröhlichkeit und Heiterkeit in sich. Webster erklärt Freude als „die durch Erlangung oder Erwartung des Guten erregte Gemütsbewegung”.
Aber es blieb Christus Jesus und der Enthüllung seiner Lehren in der Christlichen Wissenschaft vorbehalten, nicht nur wirkliche Freude zu erklären, sondern auch zu zeigen, wie sie zu erlangen ist. Der Meister hat viel hierüber zu sagen, wie wir im 16. Kapitel des Evangeliums des Johannes lesen. Liebevoll erkennt er die Betrübnis seiner Jünger bei dem Gedanken an die bevorstehende Trennung; aber er verspricht, daß ihre Traurigkeit in Freude verwandelt werden wird, daß diese Freude vollkommen sein soll, und daß niemand sie ihnen nehmen kann. Offenbar ist der Sinn der Freude, des Frohsinns und der Fröhlichkeit, den der große Lehrer im Auge hatte, nur durch Vergeistigung des Denkens zu erlangen, und er ist in keiner Weise von einem unbeständigen, veränderlichen menschlichen Umstand abhängig.
Er spricht mit ihnen von seinem himmlischen Vater, von dem er gekommen ist, und er versichert ihnen, daß diese große Intelligenz auch ihr Vater ist, der sie liebt und ihre Gebete erhören wird. Dann gibt er seinen Jüngern für alle Zeit in einem kurzen Satze die Regel zur Erlangung wirklicher, dauernder Freude. Prophetisch fühlt er das Herannahen der Stunde, wo seine Nachfolger zerstreut werden und ihn allein lassen werden; aber triumphierend sagt er: „Ich bin nicht allein; denn der Vater ist bei mir”. Immer wieder findet man durch sein liebevolles Wirken hindurch diesen inspirierenden Leitgedanken der Einheit — der Einheit und der Güte Gottes und der Einheit des göttlichen Vaters und Kindes, des Gemüts und der Idee. Hierin liegt das Geheimnis wahren Glücks und wahrer Freude.
In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mary Baker Eddy (S. 337): „Um wahrhaft glücklich zu sein, muß der Mensch mit seinem Prinzip, der göttlichen Liebe, harmonisieren; der Sohn muß mit dem Vater, mit Christus übereinstimmen”. Sie schreibt auch (Wissenschaft und Gesundheit, S. 305): „Ein unzufriedener, unharmonischer Sterblicher ist so wenig ein Mensch, wie Mißklang Musik ist”. Wie befriedigend doch diese weiteren Ausführungen der Lehren des Meisters sind!
Der Fels, auf den sich der Christliche Wissenschafter stellt, ist die Erkenntnis, daß der Mensch nur am Standpunkt der Widerspiegelung, des Ausdrucks, existiert. Erklärt denn das erste Kapitel der Bibel nicht, daß der Mensch Gottes Bild ist? Und behauptet Jesaja nicht, daß es des Menschen hoher Beruf ist, für die erhabene Tatsache zu zeugen, daß Gott ist? Wenn nun einer einen freudlosen Sinn der Dinge hat, „für Schmerzen und Leid glänzend organisiert” scheint, aber „für Freude dürftig ausgerüstet” ist, wie George Du Maurier es klar ausdrückt, kann er die Ursache des Übelstandes sofort entdecken. Er weilt nicht bewußt in der Erkenntnis seiner Einheit mit Gott, dem göttlichen Prinzip, der Liebe. Er ist vorübergehend in die mesmerischen Einflüsterungen Verlassenheit, Selbstbedauern, Vereitelung und ähnliche Irrtümer verstrickt.
Nehmen wir an, die Zahl Vier wäre mit Verstand und Sprache begabt und äußerte eines Tages: „Ich bin so einsam; ich bin von dem Prinzip des Rechnens und von meinen Zahlengenossen abgeschnitten. Die Freude ist geflohen. Ach, daß doch etwas mein Glück wiederherstellen würde!” Würden wir, wenn wir antworten könnten, nicht versuchen, der betrübten Zahl zu versichern, daß sie in Wirklichkeit von dem Gesetz des Rechnens oder den Ziffern, mit denen sie unzertrennlich verknüpft ist, nicht getrennt worden ist; daß ihr Mangel an Freude nur die Folge eines Mangels an Verständnis dieser bleibenden Beziehungen ist?
Wenn wir daher uns oder andere von einem stumpfen, teilnahmlosen, freudlosen mentalen Gifthauch angegriffen sehen, ist unser Heilmittel sicher, gewiß und zur Hand. Es ist die herrliche Anerkennung der geistigen Tatsachen des Seins, daß Gott die Wahrheit ist, und daß der Mensch der harmonische, freudige Ausdruck der Wahrheit ist. Mrs. Eddy schreibt in „Christian Healing” (S. 10): „Die Wahrheit ist das Wirkliche, der Irrtum ist das Unwirkliche. Du wirst die Bedeutung dieser Worte erfassen, wenn du zuversichtlich bleibst, sollte Leid zu kommen scheinen; denn Leid währt in der Nacht, und Freude kommt mit dem Licht. Dann wird dein Leid ein Traum und dein Wachen die Wirklichkeit, ja, der Triumph der Seele über den Sinn sein. Wenn du glücklich sein willst, sprich mit dir selber zu Gunsten des Glücks; tritt auf die Seite, die du zu fördern wünschst, und vermeide sorgfältig, zu Gunsten beider Seiten zu reden oder stärker für Leid als für Freude zu argumentieren”. Dann fügt sie bedeutsam hinzu: „Du bist der Anwalt für den Fall und wirst je nach deiner Verteidigung gewinnen oder verlieren”.
Laßt dir daher von keinem Sterblichen und keinem materiellen Umstand deine gottverordnete Freude nehmen! Erhebe Anspruch auf diese Freude, wie du als Kind des Höchsten deine Gesundheit und Harmonie beanspruchst! Höre die Worte des großen Wegweisers: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden”!