In einer Sonntagsschule lief ein kleiner Junge beständig im Zimmer umher wodurch er eine biblische Geschichte unterbrach und die anderen Kinder störte. Die Lehrerin hatte ihn mehrmals zur Rede gestellt und ihn daran erinnert, daß er das Kind der Liebe sei, daß die Liebe immer Freude bereite und nie anderen die Freude nehme; aber das Kind nahm keine Notiz davon. Die Lehrerin war gerade im Begriff, noch einmal mit ihm zu sprechen, diesmal von etwas Ungeduld getrieben, als eine der ganz Kleinen ihre Hand auf den Arm der Lehrerin legte und sagte: „Warte ein wenig!”
Durch diese zärtliche Mahnung aufgeweckt, bat die Lehrerin die Kinder, still zu sein, weil sie mit unserem Vater reden wollte. Sich an das eine Gemüt wendend, wurde sie gewahr, daß es kein sterbliches Gemüt gibt, das Störungen billigt, kein widerspenstiges Kind, das im Zaum zu halten ist; nur die vollkommen geordnete Gegenwart der Liebe war da. Ein großer Friede erfüllte den Raum, und als sie aufblickte, sah sie, daß auch die Kinder einschließlich des kleinen Störefrieds beteten. Sie und diese Kinder hatten miteinander bewiesen, daß Gott augenblicklich zur Verfügung steht.
Seitdem hat sich diese Lehrerin oft des zärtlichen Rats des Kindes erinnert. Wer erinnert sich nicht der Mißverständnisse und peinlicher Lagen, die nicht vorgekommen wären, wenn er nur ein wenig gewartet hätte! Außerhalb der Christlichen Wissenschaft ist das Wort „Geduld” oft zur Bezeichnung ruhigen Ausharrens angesichts des aufreizenden Benehmens eines andern gebraucht worden. Ein Wörterbuch definiert das Wort jedoch als „Beharrlichkeit in dem, was begonnen worden ist”, und diese Begriffsbestimmung kommt der Bedeutung des Wortes, wie es in der Christlichen Wissenschaft verstanden wird, näher.
Wie oft heißt uns Mary Baker Eddy geduldig warten! Auf Seite 454 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” lesen wir: „Warte geduldig, bis die göttliche Liebe auf den Wassern des sterblichen Gemüts schwebt und den vollkommenen Begriff bildet”. Wie treu wir auf unserer Wanderung von der Unwissenheit zum geistigen Verständnis in diesem geduldigen Warten sein müssen, im Warten darauf, daß die Liebe oder die Wahrheit unsern Begriff von den täuschenden Bildern, die das sterbliche Gemüt unserer Beachtung beständig aufzudrängen sucht, in den wahren, geistigen Begriff vom Menschen, wie er im Bilde unseres Vaters geformt ist, ändert! Dies erfordert ganz gewiß „Beharrlichkeit in dem, was begonnen worden ist”.
Um an diesen Punkt geduldigen Wartens zu gelangen, müssen wir uns zuerst tiefe Demut aneignen. Mrs. Eddy schreibt (Miscellaneous Writings, S. 356): „Pfleget Demut, ‚wachet‘ und ‚betet ohne Unterlaß‘, sonst werdet ihr den Weg der Wahrheit und der Liebe verfehlen”. Eine liebliche Eigenschaft pflegen, heißt sie zur Anwendung bereit innig im Herzen tragen. Demut ist immer bereit, „ein wenig zu warten” und liebevoll die Ansicht eines andern anzuhören. Sie ist selbstlos, daher nie anmaßend. In jeder Lage, sei es geschäftlich oder gesellschaftlich, denkt die Demut immer zuerst an das Glück anderer. Sie nimmt nie etwas übel.
Im Behandeln von Angelegenheiten, worüber viele Ansichten zu herrschen scheinen, ist es Demut, die uns befähigt, unsern eigenen Sinn von dem, was recht ist, aufzugeben und uns ruhig an das Gemüt zu wenden, wissend, daß das Gemüt allein die Lösung bietet, die schließlich alle Beteiligten segnet. Demut ist in der Tat ein segenspendender Engel, der den, der sie hat, vor Gefahren, bekannten und unbekannten, schützt. Demut wird manchmal langsam, aber schließlich doch von dem Herzen gewonnen, das Gott wahrhaft liebt, über alle irdischen Schätze liebt, gut zu fein.
Stolz dagegen hält nie inne zu warten. Er reizt seine Opfer zu schnellen bedauerlichen Worten und Handlungen auf. Jedes ehrliche Herz weiß, daß die meisten seiner Schwierigkeiten im Zusammenhang mit anderen von unbesiegtem Stolz verursacht worden sind. Stolz ist der Annahme nach eine der schärfsten Waffen des Teufels, womit er diejenigen zu trennen sucht, die sonst friedlich zusammenarbeiten würden. Stolz ist seinem ganzen Wesen nach tierischer Magnetismus. Er setzt zuerst ein von Gott getrenntes Selbst voraus und fällt dann vor diesem Selbst nieder und betet es an. Wir sollten gegen diesen Feind immer auf der Hut sein; denn Stolz pflegt immer wieder aufzutreten, wenn wir meinen, er sei vollständig aufgegeben worden. Ja, es erfordert manchmal viel treues Wachen oder was Paulus „das geduldige Warten auf den Christus” nannte, ehe die Wahrheit, über unserem Bewußtsein dämmernd, diesen Irrtum vertreibt. Aber Stolz kommt zum Schweigen, wenn uns unser wachsendes Verständnis der Christlichen Wissenschaft die Unmöglichkeit eines von Gott getrennten Selbst zeigt.
Laßt uns vor allem „ein wenig warten”, ehe wir selbst in unserem ungebrochenen Gedanken über andere urteilen! Besonders laßt uns innehalten, ehe wir versuchen, jemand seine früheren Fehler anzuheften! Einer, der uns früher schwierig oder herrschsüchtig dünkte, kann durch ernstes christliches Bemühen diesen Fehlern entwachsen sein. Sollten wir, wenn wir uns demütig und dankbar unseres eigenen Wachstums in der Gnade die Jahre hindurch erinnern, nicht auch dasselbe Maß des Wachstums in anderen erwarten?
Während dieser Kriegszeit, wo das Böse, das seiner schließlichen Zerstörung entgegensieht, alle, die es durch ihre Kenntnis der Christlichen Wissenschaft zerstören helfen wollen, verwirren und trennen möchte, wird der kluge Wissenschafter nicht vergessen, besonders geduldig zu sein, wenn er mit Mitarbeitern verkehrt, und die Ermahnung beachten: „Seid aber untereinander freundlich, herzlich und vergebet einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christo”.
Wenn wir „ein wenig warten” lernen und die Liebe unsere falschen Ansichten von uns oder von anderen aus unserem Bewußtsein beseitigen und sie durch den wahren christlich-wissenschaftlichen Begriff vom Menschen ersetzen lassen, wie schnell dann Friede den Platz von Reibung einnimmt, wie bald wir den wirklichen Menschen sehen, wie reichlich wir belohnt werden! Und sicher können auch wir mit dem Psalmisten ausrufen: „Güte und Treue begegnen einander, Gerechtigkeit und Friede küssen sich”.