Echte Dankbarkeit kann mit dem „Duft des Geistes” verglichen werden, worüber Mary Baker Eddy im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 191, 192) schreibt: „Das Gemüt, Gott, verbreitet den Duft des Geistes, die Atmosphäre der Intelligenz.” Dankbarkeit zeigt sich in Gehorsam; sie vertreibt Furcht; sie verscheucht Mutlosigkeit. Man ist nie dankbar, wenn man furchtsam ist, noch ist man verzagt, wenn man dankbar ist. Dankbarkeit hat nichts Ablehnendes an sich. Im Herzen gegenwärtige Dankbarkeit ist die Widerspiegelung der Liebe. Demut und Freude, Friede und Kraft sind Beweise der Dankbarkeit.
Ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft bekommt zuweilen die Bemerkung zu hören: „Ich möchte gern dankbar sein, aber ich weiß nicht, wie”, oder: „Ich habe nichts, wofür ich dankbar sein kann.” Was für ein falscher Begriff vom „Ich” dies ist! Der Mensch kann so wenig undankbar sein, wie er gottungleich sein kann. Der Mensch spiegelt Dankbarkeit wider, gerade wie er Schönheit widerspiegelt. Dankbarkeit ist so natürlich und ungekünstelt wie der Duft der Blume. Die Umstände und die Umgebung erzeugen nicht Dankbarkeit; aber Dankbarkeit trägt viel zur Gestaltung der Umstände und der Umgebung bei. Nach einer Erzählung war eine Frau in ihrer Gemeinde wegen ihrer großen Dankbarkeit beliebt. Ihre Dankbarkeit erzeugte Liebe, und Liebe vertrieb Armut, da sie bei jedem neuen Beweis liebevoller Fürsorge ihren Dank mit den zwei einfachen Worten ausdrückte: „Wieder Er”.
Im Handbuch Der Mutterkirche (Art. XVII, Abschn. 2) befindet sich der kurze, ganz unzweideutige Satz, der jedem Christlichen Wissenschafter eine tägliche Ermahnung sein kann: „Dankbarkeit und Liebe sollten jeden Tag alle Jahre hindurch in allen Herzen wohnen.”
Jede gute und gottgleiche Eigenschaft hat ihren Ursprung im göttlichen Gemüt, in Gott, der in Erkenntnis Seiner allumfassenden eigenen Vollständigkeit ewig erklärt: „Ich bin, der ich bin” [engl. Bibel]. Die Blume, die sich dem Licht zuwendet; das scheue Tier, das vertrauensvoll auf Liebe eingeht; der Vogel, der sich in die Lüfte schwingt und singt; die im Sonnenschein sich bewegenden Blätter; der durch Wind und Regen erfrischte Wald; die in unaufhörlicher Bewegung schimmernden Wogen; der Wechsel von Ebbe und Flut; der ganze gewaltige Zusammenklang des Weltalls in himmlischem Ebenmaß und das auf Liebe eingehende und Liebe erwidernde Herz weisen auf das unaufhörliche Wirken der sich ewig in Lieblichkeit widerspiegelnden Liebe hin. Gott spiegelt sich in der Unermeßlichkeit Seiner eigenen Art in unendlicher Vielseitigkeit und Schönheit wider.
Es ist eine augenscheinliche Wahrheit, daß alles menschlich gesprochen das ist, was wir daraus machen; wir sehen mit andern Worten unsern eigenen Begriff. Der berühmte amerikanische Naturforscher John Muir sah in seiner großen Liebe zur Natur z. B. in dem Sturm, der den Wald peitschte, keine wütende, zerstörende Gewalt, keinen Daseinskampf, sondern einen „Überfluß an Licht und Bewegung”, „eine unbesiegbare Freudigkeit”, als ob der ganze riesige Wald unter der Wucht der mächtigen, neubelebenden Tatkraft des Lebens sich beugte und jubelte.
Als der große Meister Christus Jesus von den Störungen, den Kriegen und Kriegsgerüchten sprach, die er in der schließlichen Chemikalisation des Irrtums voraussah, sagte er zu seinen Nachfolgern: „[Dann] sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht.” Es ist gleichsam, als hätte er gesagt: Gebt eure Befürchtungen und materiellen Begriffe auf. Schauet durch die Lupe Dankbarkeit und anerkennet, daß das Sein jetzt göttlich ist; denn dies ist die Stunde des Beweisens! Er schloß jene Voraussage mit einem kurzen Gleichnis: „Sehet an den Feigenbaum und alle Bäume: wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr’s an ihnen und merket, daß jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr: wenn ihr dies alles sehet angehen, so wisset, daß das Reich Gottes nahe ist.” Der Feigenbaum ist einer der wichtigsten Bäume des Morgenlandes; er ist in der Bibel als Sinnbild des Wohlstandes gebraucht. Ein bedeutsamer Umstand ist, daß der Baum schon voll kleiner grüner Früchte ist, wenn die Blätter sprossen.
Die Christliche Wissenschaft ist die endgültige Offenbarung der unbedingten Wahrheit. Mrs. Eddy faßt in ihrem Buch „Nein und Ja” die ganze Frage zusammen und schreibt (S. 30): „Daß die Wahrheit ihre eigene Unendlichkeit kennt, verbietet das tatsächliche Vorhandensein auch nur eines Irrtums-anspruchs.”
Dankbarkeit ist also das unablässige Anerkennen der geistigen Tatsache. Durch die Lupe Dankbarkeit sieht man mit Bezug auf das, was die körperlichen Sinne in schrecklicher Entstellung sehen, die geistige Tatsache. In der Stille des geistigen Sinnes nimmt Dankbarkeit freudig den ununterbrochenen Strahlenglanz der Vollkommenheit wahr.
Die aus der Erkenntnis der Immergegenwart und Allheit des Guten hervorgehende Dankbarkeit und das geistige Verständnis ausdrücken, das des Menschen wahre Art, sein wahres Ich, wahrnimmt, heißt fühlen, daß die Liebe uns liebt. Der vom Geist Geliebte kann keinen Mangel kennen. Versorgung, Wohlwollen und Dankbarkeit sind also im Beweis beisammen und Liebe ist ihre Hauptbeschaffenheit. Daß wahrer Reichtum das Ergebnis der Befolgung des Gesetzes Gottes ist, eines Gesetzes, das immer wirkt und das nicht beeinträchtigt oder gehindert werden kann, dafür gibt die Bibel überwältigende Beweise. Heutzutage, wo Annahmen von Steuern und Unruhe, von Vorzugsrechten und Einschränkungen, Unsicherheit und Gefahr sich als vorherrschende Umstände geltend machen, ist es weise, die Hilfsquellen des Seins vom Standpunkt der Allumfassenheit des unendlichen Gemüts, das der Mensch widerspiegelt, zu beurteilen.
Der Wasserbrunnen, den Hagar plötzlich sah, war nichts von ihr Getrenntes, war nicht außerhalb ihres eigenen Seins. Daß sie ihn plötzlich wahrnahm, war der menschliche Augenschein der sich in ihrem Bewußtsein geltend machenden Vollständigkeit des Gemüts, die dem menschlichen Sinn als das erschien, was in jenem Augenblick so dringend nötig war. In der geistigen Vollständigkeit ihres Seins fehlte ihr nichts; denn das geistige Bewußtsein kann keinen Augenblick einen Sinn der Unvollständigkeit in sich schließen. Aber Furcht, Kummer, Gekränktheit, Groll und Empörung schienen die mesmerische Mangelannahme zu erzeugen, bis die Liebe ihr die Augen — ihr geistiges Verständnis —öffnete und sie sah!
Ebenso waren die Heerscharen, die Elisa und seinem Diener als feurige Wagen um sie her erschienen, der Liebe Engel, die für Gottes Immergegenwart und Allmacht zeugten und die Trugvorstellung Gefahr — die Trugvorstellung einer Abwesenheit der Liebe — vertrieben. Die Befreiung kam nicht von außen; sie war die wahrgenommene und anerkannte Wahrheit ihres eigenen Seins.
Als Jesus die Fünftausend speiste, verließ er sich auf dasselbe Gesetz, dessen Wirken Elisa Jahrhunderte vorher bewiesen hatte, als er nach dem Bericht im 4. Kapitel des zweiten Buchs von den Königen „hundert Mann” speiste. Jesus verstand so gut, daß das Gesetz der Liebe seine sofortige Kundwerdung erzeugt, daß ihm keine Person und keine menschlichen Verfahren als Mittel zu dienen brauchten, wodurch die Kundwerdung des Guten kommen konnte. Er bewies die Fülle Gottes durch seine klare Erkenntnis der Allgegenwart Gottes, die den Mesmerismus augenblicklich zerstörte, und zwar für Tausende so leicht wie für eine Person. Warum? Weil Jesus sich in seinem Denken nicht mit Tausenden von Menschen, sondern mit der allumfassenden Einheit des Prinzips und seiner Idee befaßte.
Dankbarkeit ist tätig. Sie hat nichts Stillstehendes an sich. Sie ist die Lupe der Wissenschaft, durch die wir die Wirklichkeit wahrnehmen und uns ihrer erfreuen. Der Prophet Jesaja sang: „Weisheit und Erkenntnis werden die Beständigkeit deiner Zeit und die Kraft der Erlösung sein” [engl. Bibel].
Dankbarkeit ist nicht etwas, was wir sagen, sondern das, was wir nicht bloß mit Worten, sondern in täglichem Beweisen fühlen und ausdrücken. Es gibt keine Heuchelei in der Dankbarkeit. Das wahrhaft und wissenschaftlich dankbare Denken ist gegen Mesmerismus gefeit. Wachsamkeit und Sorgfalt, Rechtschaffenheit und Macht, Milde und Erbarmen gehen Hand in Hand mit Dankbarkeit.
Der Meister sagte: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.” Dankbarkeit erkennt und anerkennt diese wichtige Wahrheit und ist zu deren Beweis unerläßlich.
