Höflichkeit und gefälliges Benehmen entspringen der Liebe, der Freundlichkeit; sie sind daher das Natürliche für den, der die von Gott verliehene Art des Menschen beweist, und sie sind für das Zusammenleben mit anderen unbedingt notwendig. Sie sind also nicht bloß ein „unbedeutendes sittliches Verhalten”, sondern Haupttugenden, ob sie als Höflichkeit, Gastfreundschaft, Ritterlichkeit oder freundliche Rücksicht auf andere zum Ausdruck kommen. Der liebenswürdige Amerikaner Emerson legte einst den Grund und das Wesen der Lebensart klar, als er sie „die passende Art und Weise, Dinge zu tun”, nannte.
Die Christliche Wissenschaft leistet dem sogenannten „Huldigen der Nachlässigkeit” in der Ausdrucksweise, der Kleidung oder dem Benehmen keinen Vorschub. Sie lehrt, daß der Mensch das Kind Gottes ist und ihm daher eine hohe Sinnesart angeboren ist, und daß die Goldene Regel nicht nur Ehrlichkeit, sondern auch Höflichkeit in sich schließt. Ein sehr frommer Christ aus adliger Familie, der die Grundlagen der Lebensart gelehrt worden war, führte einst den Vers aus der Bergpredigt an: „Euer Vater im Himmel ... läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte”, und fügte dann den schönen Gedanken hinzu: „aus Freundlichkeit”. Er betrachtete Freundlichkeit als ein Zeichen der göttlichen Art. Und Mary Baker Eddy drückte ihre Dankbarkeit gegen den Staat, in dem sie geboren war, in ähnlicher Weise aus: „Ich habe eine angeborene Freude, und gebe ihr als einer Freundlichkeit Gottes gern Ausdruck” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 341).
Nehmt eure Bibel zur Hand und leset nach, was das Evangelium über Jesus berichtet; ihr werdet finden, daß er von Jugend auf bis ans Ende seiner irdischen Laufbahn überall und immer höflich war. Beachtet, daß er in seiner Jugendzeit nach dem Bericht des Lukas „an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen zunahm.” Diese kurze Kennzeichnung seines Charakters läßt ein rechtes Verhalten und ein gutes Benehmen erkennen. Wie gütig er anordnete, daß dem Töchterchen des Jairus, das er vom Tode auferweckt hatte, zu essen gegeben wurde! Er behandelte auch die Frau gütig, die er von einem körperlichen Leiden heilte, das sie zwölf Jahre lang gehabt hatte. Er nannte sie zu ihrer Beruhigung „Tochter”. Wie tröstlich es dem „Gichtbrüchigen”, der ein Sünder gewesen war, geklungen haben muß, als Jesus ihn „Sohn” nannte, und ihn von seinem Leiden heilte, anstatt ihn wegen seines vergeudeten Lebens zu schelten. Er sah sofort, daß die Schwiegermutter des Petrus der Heilung bedurfte, und sie war sofort empfänglich. Er kam der Bitte des Hauptmanns, seinen Knecht zu heilen, augenblicklich nach.
Er war sorgsam auf menschliche Bedürfnisse bedacht und ein höflicher, freigebiger Gastgeber, der voll Erbarmen die Fünftausend speiste, ehe sie nach Hanse zurückkehrten. Sogar am Kreuz verließ ihn seine göttliche Rücksichtnahme nicht: er vertraute seine menschliche Mutter der Fürsorge seines geliebten Jüngers Johannes an. Und als er nach seiner Auferstehung einmal den Jüngern erschien, nachdem sie die ganze Nacht gefischt hatten, dachte er daran, daß sie hungrig sein mußten, und hatte Brot und Fische zum Frühstück für sie bereit. Man könnte denken, daß eine solche Gefälligkeit und Rücksichtnahme nicht unbedingt nötig waren; denn hatte er seine Macht, jede menschliche Aufgabe zu lösen, nicht bewiesen und sie vieles gelehrt, was er wußte? War aber dieses Beispiel menschlicher Freundlichkeit, des Wohlwollens und gütigen Benehmens nicht ein Beweis jener göttlichen Liebe, die jedes menschliche Übel heilt?
Die ersten Nachfolger Jesu waren ebenfalls auf Höflichkeit und echte Gefälligkeit bedacht. In dem Bericht über den Schiffbruch, den Paulus erlitt, ist erwähnt, daß der Oberste der Insel Malta den Apostel freundlich aufnahm, und daß Paulus zum Dank den Vater des Obersten heilte. Dem jungen Timotheus gab Paulus mit Bezug auf das Benehmen den weisen Rat: „Niemand verachte deine Jugend; sondern sei ein Vorbild den Gläubigen im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Geist, im Glauben, in der Keuschheit.” Und in seinem berühmten „Loblied auf die Liebe” läßt Warre Cornish, ein Übersetzer der neueren Zeit, Paulus sagen: „Denn die Liebe schließt alles Gute in sich — alle Geduld, Freundlichkeit, Duldsamkeit, Langmut, allen Glauben und alle Hoffnung; und die Liebe ist das Mittel gegen alles Böse, gegen alle Eifersucht und Prahlerei, alle Häßlichkeit, Selbstsucht, Verdrießlichkeit und Bosheit.”
Könnte ein gutes Benehmen oder Gefälligkeit besser erklärt werden? Ohne den Schliff der Willfährigkeit, der Liebenswürdigkeit, der Höflichkeit, der Liebe, der Güte und der Rücksichtnahme können die Menschen keine wirkliche Gemeinschaft bilden oder aufrechterhalten. Erkennen junge Leute, wenn sie ein gefälliges Benehmen „glatt” nennen, daß Höflichkeit „Schliff”, d.h. die liebenswürdige Art, das Zusammenleben zu ebnen, „die passende Art und Weise, Dinge zu tun”, bedeutet?
Im Leben der geliebten Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mrs. Eddy, finden wir viele Fälle gütiger Besorgtheit, der Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen Leute jedes Alters, ob es Kinder oder Erwachsene waren, und gegen Leute aller Gesellschaftsschichten — gegen einfache Arbeiter, führende Personen in der Kirche, Berichterstatter, gegen die Gattin eines Präsidenten und gegen ihren eigenen Haushalt. Sie erkannte, daß man mit der Lebensart ebenso wie mit Wohltätigkeit am besten bei sich selber beginnt. Sie schrieb einmal: „Ich bestehe ebenso auf der geregelten Form der Christlichen Wissenschaft, wie auf ihrer Sittenlehre und ihrer Christlichkeit” (Miscellaneous Writings, S. 283). In einem persönlichen Brief an den Schriftleiter des Christian Science Journals lobte sie seinen Leitaufsatz (Miscellaneous Writings, S. 313) mit den Worten: „Er entrollt in gedrängter Form Lebensart, gute Sitten, Verfahren und Mittel.” Nirgends in religiösen oder weltlichen Schriften ist eine bessere Darlegung der Grundlagen wahrer Höflichkeit zu finden als auf den ersten Seiten des Kapitels „Betätigung der Christlichen Wissenschaft” in Wissenschaft und Gesundheit, ganz abgesehen von deren großem Wert für das metaphysische Heilen.
Kein Christlicher Wissenschafter kann also die Lebensart vernachlässigen oder es an Höflichkeit fehlen lassen. Je näher er Gott kommt, desto ernstlicher ist er bestrebt, nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist der Wissenschaft zu erfassen und das, was er lernt, anzuwenden; desto mehr wird er ein wahrhaft gütiger Mensch, der dem vollkommenen Vorbild, Christus Jesus, nacheifert.
Wenn ich Gott erkennen zu lernen suche, gehe ich zur Bibel. Über das Höchste Wesen ist schon viel gesagt und geschrieben worden; aber wer wirklich Aufklärung in dieser Hinsicht sucht, nehme die Bibel zur Hand. ... Wenn ich den Sinn des Lebens zu verstehen suche, gehe ich zur Bibel. ... Wenn ich nach einer bewährten Lebensweise suche, gehe ich zur Bibel. Die Bibel zeigt klar und bestimmt, wie der Mensch leben sollte, wenn er das höchste Glück zu erlangen wünscht.—
