„Die Glückseligkeit", so hat jemand gesagt, „entspringt der Einfachheit." Der Schluß dieses Beobachters mag sich auf eine Tatsache gegründet haben, die von einem andern in den folgenden Worten ausgedrückt wurde: „Die größten Wahrheiten sind die einfachsten." Die Wahrheit ist die Heimat der Einfachheit. Wenn wir die Wahrheit finden, so flieht alle Verwickelung und auch die Einfachheit wird gefunden.
Wenn wir bedenken, welche Einfachheit der Gründer des Christentums ausdrückte, und über des Meisters Interessen und Lehren nachdenken, so finden wir darin nichts, das die Ansicht unterstützen könnte, daß wahre Religion mit dem Gelüst nach persönlicher Macht, Gepränge, pomphaften Aufzügen und Ritualismus verbunden werden könnte. Er wurde in einem Stall geboren und war in einem einfachen Heim aufgewachsen, und er lehrte die größten Wahrheiten auf der Landstraße, in einem Fischerboot, auf den Hügeln Palestinas und an den Ufern des galiläischen Meeres.
„In dieser Einfachheit“, sagt Mary Baker Eddy, „und mit solcher Treue sehen wir Jesus den geistigen Bedürfnissen aller dienen, die sich unter seine Obhut stellten, indem er sie durch die Macht seines vollkommenen Verständnisses stets zu der göttlichen Gesetzmäßigkeit führte“ (Rückblick und Einblick, S. 91); und weiter unten in demselben Abschnitt fügt sie hinzu: „Wenn er bei ihnen war, wurde ein Fischerboot zu einem Heiligtum, und die Einöde war mit heiligen Botschaften vom Allvater erfüllt.“ Welche Einfachheit!
Er stillte die Notdurft der Menschen nicht etwa durch Zeremonien, Weihrauch, Ritual und materielle Symbole, sondern indem er sie „stets zu der göttlichen Gesetzmäßigkeit führte“—indem er ihre Gedanken dazu führte, das Wesen, die Macht und die Gegenwart ihres Vaters, Gottes, klarer zu erfassen, sowie den Menschen als Seinen Sohn zu erkennen, der Seine Macht widerspiegelt, die Sünden zu überwinden, die Kranken zu heilen und den Tod zu zerstören. Er wußte, daß die wahre Religion in Übereinstimmung steht mit der Wahrheit, daß sie das Wort der Wahrheit ist, und das Gesetz der Wahrheit. Und er wußte, daß jeder Einzelmensch die von Gott verliehene Fähigkeit besitzt, seinen Schöpfer zu verstehen, die Gegenwart und Macht der Wahrheit zu begreifen und ein harmonisches Leben zu demonstrieren.
Jesus richtete sich immer an den erhobenen Gedanken des Einzelmenschen, nicht an eine materielle, irdische Auffassung und Begriffseinstellung. Er erkannte, daß der Vermittler für jeden Einzelnen der Christus, die wahre Idee von Gott und dem Menschen, ist, die er zu offenbaren gekommen war. Diese Christus-Idee existierte, wie er sagte, „ehe denn Abraham ward“, und würde existieren „bis an der Welt Ende“. Seine Absicht ging dahin, den Einzelnen zu der Tatsache zu erwecken, daß er die Christus-Idee von Gott und dem Menschen anwenden könnte, um sich durch immer mehr rechtes Denken und geistiges Verständnis zu verbessern. Er benutzte das Gleichnis vom verlorenen Sohn, um dies zu veranschaulichen.
In seiner einfachen und offenen Unterhaltung mit der Samariterin an Jakobs Brunnen suchte Jesus ihre Gedanken der bleibenden Befriedigung zuzuwenden, die uns in der Christus-Idee des Seins geboten wird. „Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten“, erklärte er (Joh. 4: 14). Er wünschte, daß jedes Einzelwesen durch bewußtes Streben an dieser immer zur Verfügung stehenden Wahrheit selbst teilnähme. Er machte es klar, daß Erlösung durch individuelle Besserung und Umwandlung erlangt wird,—daß sie nicht durch Stellvertreter erlangt werden kann. Ein jeder muß sich individuell freimachen von dem, was falsch ist, durch die Erkenntnis des Wahren. Was ein jeder Nachfolger Christi hier auf Erden überwindet, wird ewiglich für ihn gebunden sein und wird sein Verstehen der wahren Idee von Gott und dem Menschen erhöhen, wodurch er den Himmel findet.
Die Unterhaltung am Brunnen berührte auch die Frage der Gottesanbetung, und der Meister tat etwas, das für ihn ganz ungewöhnlich war. Er wiederholte seine Ansicht über diesen wichtigen Punkt, wodurch er die große Bedeutung offenbarte, die er seiner Erklärung beimaß. „Die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit.“ Dann—als ob er ihr den Grund für seine Auslegung wahrer Anbetung erklären wollte—wiederholte er: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4:23, 24).
Der Meister kannte die Zeremonien, das Ritual, die Opfergaben und die Priesterschaft, die von den Juden als notwendige Begleiterscheinungen der Anbetung Gottes angesehen wurden, wenn nicht gar als die Anbetung selbst. Doch ging er über all dies hinweg, als er sagte, die wahrhaftigen Anbeter müßten den Vater „im Geist und in der Wahrheit“ anbeten. Seine Worte geben nicht nur eine Erlaubnis, sie sind gebieterisch—„müssen“ anbeten „im Geist und in der Wahrheit“, sagt er. Er läßt keinen Raum für Wahl.
Seine Worte offenbaren, daß wahre Anbetung demütige, aufrichtige Ehrfurcht vor Gott im eigenen Denken bedeutet, und zwar durch das Annehmen der wahren Auffassung von Ihm als dem unendlichen Geist, dem wahren Vater. Diese Ehrfurcht oder Anbetung „im Geist und in der Wahrheit“ ist eine Gedankentätigkeit und nichts anderes. Es ist nicht die Bewegung der Lippen, das Murmeln von Worten oder pomphafte Aufzüge. Es ist die individuelle Gedankentätigkeit, die für sich selbst als Gottes Kind auch die Anerkennung als Gottes Ausdruck, der furchtlos, gesund, harmonisch und gut ist, beansprucht, und die die negativen Suggestionen des materiellen Gemüts verneint und zurückweist, welche den Sterblichen einflüstern, daß sie dasselbe ehren, fürchten und ihm gehorchen sollen, als ob es sich den Vorrang der Gottheit angemaßt hätte.
Wahre Anbetung bedeutet, von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde zu wissen, was geistig wahr ist, und sich an der Vollkommenheit, Schönheit und Heiligkeit Gottes und Seines Werkes zu erfreuen.
Die Christian Science fördert Einfachheit in der Anbetung und im Leben. Sie hilft uns, unser Bewußtsein von den Gedanken und Dingen freizumachen, die unsere Anbetung „im Geist und in der Wahrheit“ hindern. Sie zeigt, daß die Menschen nur dann gefördert, geheilt und in die göttliche Ordnung geführt werden, wenn ihr Denken von der Christus-Idee, der geistigen Idee von Gott, der Schöpfung und dem Menschen, berührt, erweckt und inspiriert wird. Die Gottesdienste in den Kirchen der Christian Science, die Dienstleistungen ihrer Ausüber, ja eine jede ihrer hilfreichen Wirksamkeiten sind diesem einen Ziel gewidmet—einem jeden Einzelwesen auf diesem Planeten zu helfen, die Einfachheit der Wirklichkeit verstehen zu lernen, und begreifen zu lernen, daß die wahre und doch unendlich einfache Gottesanbetung bedeutet, „den Vater anzubeten im Geist und in der Wahrheit“.
