Die Menschen geben zuweilen zu, daß Demut eine wunderbare Eigenschaft ist. Aber im allgemeinen schätzt die Welt jemand, der nach ihrer Ansicht bescheiden oder demütig ist, nicht sehr hoch ein, da sie glaubt, daß die Menschen kleine materielle Einheiten seien, von denen jede ihre eigene Denkart besitze. Christian Science lehrt und beweist, daß das Gemüt und seine Idee, der Mensch, das einzige ist, was wirklich besteht; daß der Mensch eine zusammengesetzte Idee ist, die alles widerspiegelt, was das Gemüt weiß. Im Licht dieser Lehre erkennt man Demut als einen Gedankenzustand, der durch das Verlangen zu wissen, was über Gott und Seine Schöpfung wahr ist, solche Aufklärung findet, daß er seinen falschen Ichbegriff und voreingenommene unwissende Annahmen bereitwillig aufgibt um der Wahrheit willen, daß der Mensch die von Gott untrennbare vollkommene Idee des Gemüts und unfähig ist, etwas aus sich selber zu tun.
Ein Sterblicher mag behaupten, demütig zu sein; aber es ist in Wirklichkeit nur menschlicher Stolz, der sagt: „Sieh, wie niedrig ich bin! Ich bin wahrlich demütig. Tritt auf mich, wenn du willst.“ Man hüte sich vor dieser Nachahmung; denn sie ist nur der Vorbote eines Falles. Heißt es in der Bibel nicht (1. Kor. 10, 12): „Wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle“?
Unsere geliebte Führerin, Mary Baker Eddy, gibt den Rat (Miscellaneous Writings, S. 356): „Pflegt Demut„ ‚wachet' und ‚betet ohne Unterlaß', sonst werdet ihr den Weg der Wahrheit und der Liebe verfehlen“. Und in einem andern Abschnitt bemerkt sie: „Diese Tugend siegt über das Fleisch; sie ist der Geist der Christian Science. Man kann erst dann höher gehen, wenn man sich in seiner eigenen Wertschätzung erniedrigt hat. Demut ist Linse und Prisma für das Verständnis des Gemüts-Heilens; man muß sie haben, um unser Lehrbuch zu verstehen.“
Das menschliche Gemüt ist erst dann bereit, das im Denken oder im Materiellen in falscher Richtung vermeintlich ausgebildete Selbst aufzugeben, wenn es durch traurige Erfahrung oder Aufklärung verstehen lernt, daß der Sterbliche weder sich selber erhalten, noch Frieden, Gesundheit und Freudigkeit finden kann. Diese Aufklärung kann nur denen zuteil werden, die bereit sind, Christi Jesu Beispiel und seine geistigen Lehren anzunehmen.
Wir lesen (4. Mose 12,3): „Mose war sehr demütig, demütiger als irgend jemand auf Erden“ (engl. Bibel). Es ist tatsächlich noch nie jemand groß gewesen, der nicht einigermaßen wahrhaft demütig war. Abraham Lincoln, der im letzten Jahrhundert lebte, war so demütig und selbstlos, daß keine Schmähung oder Beschimpfung seinen Gleichmut stören und ihn abhalten konnte, seine großen Pflichten zu erfüllen. Er stellte das Wohl seines Landes und seine Pflicht gegen das Volk seinem persönlichen Ansehen voran. Durch diese wahre Demut—dieses Beseitigen eines falschen Ichbegriffs—konnte er Gott vertrauen und mit ruhiger Bestimmtheit und großzügiger und barmherziger Duldsamkeit unerschütterlich für das Recht einstehen.
Die Verfasserin lernte eine wertvolle Lehre in Demut, als sie beobachtete, wie eine Freundin bei einer unverdienten Verfolgung ihren Frieden wahrte und keinen Groll gegen diejenigen hegte, die bei dieser Anfechtung die Werkzeuge zu sein schienen. Für die Verfasserin war die Erfahrung so wirklich und störend, daß sie fast denselben Traum erlebte und es ihr war, als wäre sie gekränkt und schlecht behandelt worden.
Durch viel Gebet und ernstes Forschen in unseren beiden Lehrbüchern, in der Bibel und in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift" von Mary Baker Eddy sah sie dann, was das Bild wirklich darbot. Als sie Jesu Beispiel bei viel größeren Schmähungen und Anfechtungen betrachtete, und an die Erfahrungen unserer geliebten Führerin dachte, über die Sibyl Wilbur in ihrem Buch „Das Leben der Mary Baker Eddy" berichtet, sah sie, daß die Erfahrung nur eine Anstrengung des Irrtums war, ihr Verständnis der Liebe und der Idee der Liebe zu trüben; daß sie in keiner Weise mit den Leuten verbunden war, die sich unwissentlich dazu hergaben. Seit jenem Tage fällt es ihr unermeßlich leichter, das Gute und das Böse unpersönlich zu machen.
Wir können sehen, daß uns Demut vor Mißverständnis jeder Art, vor falschem Stolz und ehrgeizigem Streben vollkommen bewahrt. Wenn man sieht, daß Gott die geistige Unendlichkeit erfüllt, und daß der Mensch immer eins mit dem Gemüt und im Gemüt inbegriffen ist, kann einen weder die Lobhudelei oder Unterwürfigkeit sogenannter Freude täuschen, noch boshafte Verleumdung oder Verfolgung kränken.
Der wahrhaft Demütige kommt nicht in Gefahr, sich zu dem trügerischen Glauben verleiten zu lassen, daß er in Gottes und der Menschen Augen besser, intelligenter oder wichtiger als seine Brüder sei. Er hat keine persönlichen Bestrebungen, weil seine Gedanken vom göttlichen Gemüt kommen und nur Gottes Willen ausdrücken.
„Aber“, fragt jemand, „gibt es denn kein lobenswertes ehrgeiziges Streben?“ Doch, es gibt das eine lobenswerte Streben: Gott besser verstehen zu lernen, Ihn über alles zu lieben, Seinen Willen zu tun. Bei diesem Streben ist kein Mißlingen möglich; denn es steht im Einklang mit Demut. Niemand kann sich über seinen Platz in Gottes Plan erheben oder daraus fallen, noch kann er, selbst wenn er es wollte, sich daraus entfernen. Ein solches heiliges Streben ist ein sicheres Heilmittel für ehrgeiziges Streben nach Rang, Stellung oder Macht im Leben. Es stellt das Wichtigste allem voran; denn wenn das Selbst anstatt eines demütigen Verlangens, Gottes Willen zu tun, das Handeln eingibt, findet man in der Lage kein wirkliches Glück, keinen wahren Erfolg.
Es scheint oft schwer, den Eigenwillen aufzugeben, damit Gottes Wille geschehe. Manchmal ist es der noch nicht getane nötige Schritt, um eine anscheinend langsame Heilung zu vollenden. Die Wiedergeburt, die heute eine unerbittliche Forderung ist, geht langsam und mühsam voran, bis wir aufrichtig sagen: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ (Luk. 22, 42); aber diesem Aufgeben folgt ein nicht absehbarer Friede.
Was kann uns mehr not tun, als daß wir uns Gott in Demut fügen? Kann uns etwas anderes als Demut die ruhige Freude und das dauernde Glück bringen, wonach sich jeder ernste Arbeiter in Gottes Weinberg sehnt?
Unsere Führerin sagt uns in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany" (S. 303): „Es tut uns viel Demut, Weisheit und Liebe not, um das zu tun, was uns den Himmel in uns vorahnen und vorempfinden läßt."
