Mit welcher Seelenruhe kann derjenige, der die Wahrheit spricht, Freund und Feind ins Auge schauen! Man achte auf die Ruhe und Gewißheit eines Zeugen vor Gericht, dessen Zeugnis sich unwandelbar auf einfache, beweisbare Tatsachen gründet. Verwirrende Kreuzverhöre können ihn nicht zum Wanken bringen, arglistige Rechtsverdrehung kann ihn nicht betrügen. Er sagt ja einfach die Wahrheit. Seine Füße sind auf den Felsen gegründet. Und sollte er nicht wissen, daß die Wahrheit siegen muß—ungeachtet dessen, was das falsche Zeugnis unehrlicher Sterblicher auch vorbringen mag? Es würde sicher weniger Justizvergehen geben, wenn mehr Menschen im Rechtsberuf Gott als die göttliche Wahrheit, als die Quelle aller Harmonie, Macht und Gesetzmäßigkeit, verstehen lernten, und daher dessen gewiß wären, daß selbst der menschliche Begriff der Wahrheit, wie das Licht, triumphierend sein Gegenteil verscheuchen muß.
Ein Rechtsanwalt, der ein Anhänger der Christian Science* war, erzählte mir den folgenden Vorfall: Sein Klient, der eines Vergehens beschuldigt und vor Gericht geladen worden war, wurde von dem Richter aufgefordert, aufzustehen und seinen Urteilsspruch zu vernehmen. Der Rechtsanwalt war von der Unschuld seines Klienten überzeugt, war jedoch augenscheinlich nicht imstande gewesen, sie zu beweisen. Es schien unglaublich, daß dieser unschuldige Mensch wegen der Lügen eines andern leiden sollte. Der Rechtsanwalt hörte den Urteilsspruch des Richters. Der Angeklagte war verurteilt worden, ein Jahr im Gefängnis zu sitzen. Der Rechtsanwalt senkte sein Haupt in Gebet und Flehen. Von ganzem Herzen erhob er seine Gedanken zu dem mächtigen Gott der Wahrheit. Er erklärte, daß nichts gegenwärtig war als die Wahrheit; daß die Wahrheit, wie das Licht, immer die Dunkelheit verscheuchen muß; daß die Wahrheit die einzige Macht und Gegenwart ist; daß Recht und Gesetz nicht von der Wahrheit, dem göttlichen Prinzip, getrennt werden können. Es wurde einen Augenblick ganz still im Gerichtssaal; dann räusperte sich der Richter und sagte, er habe sich entschlossen, dieses Urteil betreffs einer Gefängnisstrafe abzuändern. Er verhängte statt dessen ein bedingtes Strafurteil über ihn, was bedeutete, daß nach einer gewissen Zeit guten Benehmens das Urteil völlig aufgehoben würde. Wie richtig sagte der große Apostel der Heiden (2. Kor. 13:8): „Wir können nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit.”
Suchte der Christliche Wissenschafter in dem erwähnten Fall den Richter mental zu beeinflussen? Hatte er sich der mentalen Suggestion schuldig gemacht? Ganz gewiß nicht! Er sah sich dem unpersönlichen Irrtum, dem Irrtum der Ungerechtigkeit, gegenüber und zerstörte ihn; denn er erkannte, daß dieser Irrtum weder Person, Ort noch Ding war. Er erkannte, daß die Ungerechtigkeit des Prinzips und der Wahrheit ermangelt, daß sie daher weder Macht noch Recht hat. Angesichts dieser Wahrheitserklärungen konnte der Irrtum einfach nicht standhalten. Die Wahrheit zu erkennen und mentale Beeinflussung zu gebrauchen sind so weit voneinander entfernt wie die Pole. In der Tat, die Wahrheit über Gott und den Menschen zu erkennen macht die Suggestionen des sterblichen Gemüts zunichte.
Werden wir von den aggressiven, unschönen Suggestionen der Krankheit, der Schmerzen, der körperlichen Unfähigkeit verfolgt? Erheben diese falschen Zeugen ihre Stimmen gegen uns? Behaupten sie dreist, daß Disharmonie und Mißklang wirklich und daß wir in ihrem Bann sind? Hört diese ermutigenden Worte der geliebten Führerin der Bewegung der Christian Science, Mary Baker Eddy. In der wohlbekannten Allegorie in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 433, 434) schreibt sie: „Aber siehe, Christus, Wahrheit, der Geist des Lebens und der Freund des Sterblichen Menschen, vermag jene Gefängnistüren weit zu öffnen und den Gefangenen zu befreien. Da kommt geschwind auf den Schwingen der göttlichen Liebe eine eilige Nachricht:, Hinrichtung aufschieben; der Gefangene nicht schuldig.'” Später, ein paar Seiten weiter, fährt sie fort (S. 441): „Unsern Statuten zufolge ist das Materielle Gesetz ein Lügner, der nicht gegen den Sterblichen Menschen Zeugnis ablegen kann, auch kann Furcht den Sterblichen Menschen nicht verhaften, noch kann Krankheit ihn ins Gefängnis werfen. Unser Gesetz lehnt es ab, den Menschen als krank oder sterbend anzusehen, es erkennt vielmehr darauf, daß der Mensch immerdar das Wild und Gleichnis seines Schöpfers ist.”
Hier mag jemand einwerfen: „Doch ich kann scheinbar nicht die Zeugen der sterblichen Annahme, die gegen mich Zeugnis ablegen, zum Schweigen bringen!” Hierauf antwortet die Christian Science: Ja, aber die Wahrheit kann es tun, und die Wahrheit bringt sie wirklich zum Schweigen. Keine Lüge ist ewig. Kann die Dunkelheit sich weigern, in der Gegenwart des Lichts zu verschwinden? Wenn der Irrtum zu beharren scheint, so ist der Grund hierfür ganz klar: das Licht der Wahrheit ist nicht genügend in seinen Gedanken angedreht worden. Es ist eine unentrinnbare, allgemein anerkannte Wahrheit, daß Licht nur Dunkel, Wahrheit und Irrtum, sich nicht vermischen können. Es ist nicht nur unser Vorrecht, sondern unsere Pflicht, den Irrtum zu überwinden. Wir sollten so überzeugt sein, daß die Wahrheit den Sieg erringen muß, daß wir freudig und unbeweglich bleiben, selbst wenn der Kampf nicht gleich vorüber ist.
Die Heilige Schrift berichtet uns, daß der König Salomo „um Verstand” betete, um die Weisheit, die ihn befähigen könnte, zwischen Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden. Daß dieses Gebet Erhörung fand, zeigt sich in seinen vielen weisen Worten im Buch der „Sprüche Salomos”, wie z. B. (Spr. 22:20, 21): „Habe ich dir's nicht mannigfaltig vorgeschrieben mit Raten und Lehren, daß ich dir zeigte einen gewissen Grund der Wahrheit, daß du recht antworten könntest denen, die dich [fragen]?”
Den „gewissen Grund der Wahrheit” zu erkennen! Welcher Anhänger der Christian Science wünscht sich nicht solch ein Verständnis mehr als alle irdischen Gaben und Leistungen? Und der Wissenschafter lernt, gewaltig zu den bösen Einflüsterungen zu reden, wenn er sieht, wie die Dunkelheit des Irrtums durch die heiligen Demonstrationen der Macht der Wahrheit verscheucht wird. Darum laßt uns vor allem darnach streben, jene Frage zu beantworten: „Was ist Wahrheit?”, indem wir durch den Heilungsbeweis darlegen, daß die Disharmonie jeglichen Namens und jeglicher Art nur eine Lüge ist, eine Betrügerin; daß sie in der Wahrheit gar nicht existiert, gar nicht vorkommt im harmonischen Weltall Gottes, und daß die Harmonie allein wirklich ist.
Mit dieser Rüstung des Lichtes angetan, können wir dem Feind entgegengehen, doch nur, um immer wieder zu finden, daß dieser unter dem widergespiegelten Strahlenglanz der Wahrheit verschwunden ist. Eine Lüge, ein Traum, braucht nicht bekämpft, sondern nur als Lüge, als Illusion, erkannt und so vernichtet zu werden. Wie wohl kannte unsre gute Führerin den „gewissen Grund der Wahrheit”! Mögen wir doch immer ihrer Worte gedenken (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 171): „Vertraut auf die Wahrheit und setzt euer Vertrauen auf nichts anderes!”
