Wer im Reisen Erfahrung hat, bereitet sich auf den Besuch eines neuen Landes vor. Er lernt sich ein wenig in der betreffenden Sprache ausdrücken, macht sich mit der Geographie des Landes und den Sitten und Gebräuchen der Bewohner vertraut, und kann sich mit Hilfe von Karten so über die wichtigsten Städte unterrichten, daß sie ihm bei einem späteren Besuch so bekannt erscheinen, wie wenn er schon einmal dort gewesen wäre.
Sich zurechtfinden oder „orientieren" wird zum Teil wie folgt erklärt: „Mit Bezug auf die Kompaßpunkte in eine gewisse Lage bringen; ... durch Anpassung an Tatsachen oder Grundsätze berichtigen." Geistig betrachtet, ist dies das Verfahren, wie ein Christlicher Wissenschafter sich weiterbildet. Er ist bestrebt, sein Denken dem Prinzip, Gott, dem Urheber und Ursprung seines Seins, anzupassen. Er erkennt immer klarer, daß die ewige, unveränderliche und unbedingte Wahrheit in der Bibel dargelegt, und unserer Zeit und kommenden Geschlechtern durch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift" von Mary Baker Eddy erschlossen ist. Er sieht, daß sein wirklicher Bestimmungsort das Himmelreich oder Gottes Weltall ist. Zuweilen erhascht er einen Schimmer der Tatsache, daß er in Wirklichkeit schon darin ist, da es tatsächlich keinen andern Platz gibt, wo er sich aufhalten könnte; aber er erkennt auch, daß er die Art dieses Reiches offenbar verstehen lernen muß, ehe er die Freuden seines geistigen Bürgerrechts erleben kann. Als Vorbereitung erlernt er die Sprache des Geistes. Er lernt sich in dem Reich, wo Gott allerhaben regiert, zurechtfinden.
Mrs. Eddy machte unverkennbar von der sogenannten Sokratik, d.h. dem Unterrichten durch Fragen und Antworten, Gebrauch. Dies ist veranschaulicht in dem Kapitel „Zusammenfassung" in Wissenschaft und Gesundheit, in dem Kapitel „Fragen und Antworten" in „Miscellaneous Writings", und an vielen anderen Stellen ihrer Werke. Wer diese Antworten zergliedert, erkennt, daß sie gewöhnlich entweder eine Behauptung der unbedingten, unveränderlichen, ewigen Wahrheit ohne Bezugnahme auf die zur Vollkommenheit führenden menschlichen Schritte sind, oder der von Christus angewandten Art entsprechen, wo wir die menschlichen Schritte tun, durch die wir uns erheben können vom Unwirklichen zum Wirklichen—von dort, wo wir in dem Traum des von dem Prinzip getrennten Lebens zu sein scheinen, in das Reich der Wirklichkeit, wo wir ewig sind. Wer die neue Zunge zu erlernen sucht, die der Meister seinen Nachfolgern verhieß, muß diese zwei Arten klar verstehen lernen. Jesus sagte nicht nur: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben", sondern er sagte auch mit derselben Machtvollkommenheit: „Sie werden mit neuen Zungen reden." Wenn wir die Sprache des Geistes erlernen und gebrauchen, müssen wir große Weisheit walten lassen, wenn wir mit jemand sprechen, der die neue Zunge nicht versteht, den es also verwirren würde, wenn wir sie gebrauchten.
Ein Ausüber kann oft einen Hilfesucher ermahnen: „Äußern Sie keinen Irrtum; erwähnen Sie Ihre Schwierigkeiten zu niemand, wenn es nicht nötig ist." Er findet, so seltsam es scheinen mag, daß die goldene Eigenschaft Schweigsamkeit ein Bestandteil der neuen Zunge ist. Mrs. Eddy hat bündig geschrieben (Miscellaneous Writings, S. 339): „Wenn die Menschen ihr Reden auf Nutzbringendes beschränkten, würde das, was sich nach der Mitteilung des Johannes einmal im Himmel ereignete, sehr oft auf Erden vorkommen: eine halbe Stunde des Stillschweigens." Nicht nur Personen, die Heilung von Krankheit suchen, sondern auch andere dürfen wohl über die Ermahnung nachdenken, „ihr Reden auf Nutzbringendes zu beschränken". Dies würde Beschreibungen von Sünde und Krankheit sofort ausschalten, und uns auf jenes himmlische Reich vorbereiten, wo die Schönheit und die Erhabenheit, die Vortrefflichkeit und die unendliche Mannigfaltigkeit des Gemüts nur nutzbringende Gesprächsgegenstände bieten.
Zuweilen ist es nötig, einen Zustand anzugeben, zum Beispiel wenn sich ein Kind wegen Abwesenheit von der Schule zu entschuldigen hat, oder wenn es ein Gebot der Höflichkeit ist, daß ein Erwachsener erklärt, warum er eine geschäftliche oder gesellschaftliche Vereinbarung nicht einhalten kann, oder wenn jemand einen Ausüber der Christian ScienceDer Name, den Mary Baker Eddy ihrer Entdeckung gab (sprich kri'ß-tjön ßai'-enß). Die wörtliche Übersetzung der zwei Worte ist „Christliche Wissenschaft". um Behandlung bittet. Dabei ist jedoch keine Beschreibung von Krankheitsanzeichen nötig. Spricht man von jemand, der unserem Gesichtskreis entschwunden ist, so ist es unnötig, ein Leiden zu erwähnen, das dem Hinscheiden vorangegangen sein mag. Die meisten schweigen von selber, wenn es sich um ihre eigenen oder ihrer Angehörigen Veranlagungsfehler, Sünden usw. handelt, aber sie sind gesprächig beim Schildern von Krankheiten. Da der Christliche Wissenschafter Sünde und Krankheit als Irrtum erkennt, betrachtet er sie als gleich nutzlose Gesprächsgegenstände, und lernt lieber schweigen. Wenn ein Freund von uns geschieden ist, ist es unser Vorrecht, nur das im Gedächtnis zu behalten, was schön, gesund und bleibend ist, und nur in diesem Sinne von ihm zu reden. Hat unsere erbarmungsvolle Führerin nicht gesagt (Pulpit and Press, S. 5): „Wenn das Licht einer Freundschaft nach der andern von der Erde in den Himmel rückt, fachen wir an ihrer Stelle den hellen Schein einer todlosen Wirklichkeit an"? Wir vergessen die teure Freundschaft keineswegs, behalten aber nur die leuchtenden geistigen Eigenschaften im Gedächtnis, die mit dem wirklichen Menschen wesenseins sind.
Die neue Zunge, die Sprache des Geistes, ist menschlich ganz unaussprechlich; aber wer den menschlichen Willen, Furcht und selbstsüchtige Wünsche am öftesten zum Schweigen bringt, findet, daß er merklich weniger ein Mundstück für Sinnlichkeit ist, und mehr dazu dient, die Christus-Botschaft „und Heil unter ihren Flügeln" zu übermitteln. Es ist die heilige Pflicht des Heilers, darauf zu achten, daß im Gespräch mit seinen Patienten kein müßiges Wort von seinen Lippen falle. Weder seine menschlichen Angelegenheiten noch seine menschlichen Ansichten haben heilenden Wert; daher haben sie keinen Platz, wenn zwei Personen zu dem Zweck zusammenkommen, daß die Verheißung in Erfüllung gehe: „Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel."
Nun entsteht die Frage: „Wie erkundigt man sich im voraus über die Sitten und Gebräuche derer, die in Gottes Weltall wohnen?" Der erste Brief des Apostels Petrus war an eine Anzahl zum Christentum Bekehrter gerichtet, die aus ihrer Heimat, Palestina, verbannt waren und in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien Zuflucht gesucht hatten. Geschichtlich bildeten sie einen Teil der bekannten Zerstreuung der Juden (vgl. Moffatt, 1. Petrus 1, 1). Petrus ermahnte in seinem ganzen Brief jene Nachfolger der Lehren des Meisters, die als Verbannte in heidnischen Ländern wohnten, und forderte sie dringend auf, ihre eigenen Sitten und Gebräuche, ihre christliche Lebensweise, die in schroffem Gegensatz zu den materiellen Bräuchen ihrer Umgebung stand, zu bewahren. Er schreibt: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht." Er legt ihnen nahe, sie sollen so unter den Heiden leben, daß ihre Demut, ihre Ehrlichkeit, ihre Sittlichkeit und ihre guten Werke ein leuchtendes Beispiel der Vorzüge einer geistigen Lebensweise im Gegensatz zu dem Materialismus ihrer Nachbarn seien. Er führt ihnen beständig die Opfer und die Siege ihres großen Meisters vor Augen.
Wir, die als Christliche Wissenschafter oft in Familien und Gemeinden leben, in denen viele noch nicht zur Erkenntnis der Wissenschaft des Christentums erwacht sind, können uns den ganzen Brief zur Führung dienen lassen. Diese Verwandten und Nachbarn leiden zuweilen unter einer ganz falschen Vorstellung von Christian Science. Dann ist es unser Vorrecht, die Wahrheiten der Lehre Christi und der Offenbarung unserer Führerin ruhig, aber so unablässig und beharrlich zu leben und zu beweisen, daß ihre falschen Vorstellungen dadurch widerlegt werden und der Wunsch in ihnen erwacht, Näheres über unsere christlich-wissenschaftliche Lebensweise zu erfahren. Das Leben der geistig Großen aller Zeiten läßt erkennen, was die Sitten und Bräuche der Bewohner des Reichs des Geistes sein müssen.
Unsere Zeit war gesegnet mit einer Frau, die schon auf dieser Daseinsebene mit Gott wandelte und redete. Ihr vom Irdischen abgewandter Charakter hatte schon lange vorher, ehe ihr die Wissenschaft des Christus geoffenbart wurde, auf einsichtsvolle Leute Eindruck gemacht. Sogar als Kind und als junges Mädchen gab sie unumstößlichen Beweis davon. Ein Verwandter von mir, der Mary Baker als Mädchen kannte und ihr Pastor und Lehrer war, hatte genug Scharfblick, vorauszusehen, daß sie auf Grund ihrer außerordentlichen geistigen Begabung eine große Zukunft hatte: „Geistreich, gut und rein, ja, glänzend! Noch nie habe ich einen so tief und unabhängig denkenden Schüler gehabt. Ihr steht eine große Zukunft bevor, denke an meine Worte. Sie ist ein Verstandes- und Geistesgenie" (Das Leben der Mary Baker Eddy von Sibyl Wilbur, S. 30). Daß sie sich für die Mäßigkeitsbewegung, die Gleichberechtigung der Frau und für Abschaffung der Sklaverei einsetzte, ist allbekannt. Alles wahre Zeugnis über ihr menschliches Leben zeigt, daß die Bergpredigt ihr viel weitgehender als ihren Zeitgenossen für ihr Denken maßgebend war.
Ihre Nachfolger dürfen nicht vergessen, daß wir nicht Gottes Kinder und Einwohner Seines Weltalls sein werden, sondern daß wir jetzt und auf ewig Seine Kinder sind; wir sind in dem einzigen Weltall, das es gibt oder je wirklich geben kann. Es kann nicht zwei Schöpfer geben. Es kann nicht zwei Schöpfungen geben; denn das würde unaufhörlichen Kampf bedeuten, und das ist undenkbar. Jede anscheinende Notwendigkeit einer Zurechtfindung oder Anpassung an das Prinzip ist eine menschliche Annahme von einem Vorgang. Für den wirklichen Menschen, der Gott ewig widerspiegelt, gibt es keinen Vorgang des Erwachens. Da wir uns nur allmählich der ewigen, unwandelbaren Tatsachen bewußt werden, müssen wir uns nicht nur in der Sprache und den Gewohnheiten des Volkes Gottes, sondern auch in der Geographie jenes Landes immer besser zurechtfinden. Wie soll man sich im Denken vorbereiten, um an dem Platz zu Hause zu sein, den der Psalmist sah als einen Aufenthalt „unter dem Schirm des Höchsten"? Kann man diese Stätte nicht hier und jetzt da finden, wo auf die höchste Art und Weise gedacht wird? Diese Stätte ist dem Sterblichen, der Böses denkt, verborgen, aber sie war den Himmlischgesinnten aller Zeiten immer bekannt. Diese Stätte erhabenen Bewußtseins ist eine sofortige Zuflucht vor bösen Einflüsterungen, selbst wenn diese Einflüsterungen in der Verkleidung von Krankheit, Armut, Krieg oder Gefangenschaft kommen. Der Befreiung von den falschen Geltendmachungen der Knechtschaft jeder Art gehen Gedanken voran, die mit der Schönheit und der Freiheit der Wirklichkeit in Übereinstimmung gebracht worden sind.
Der Offenbarer Johannes wurde sich so lebhaft einer geistigen Stätte bewußt, daß er sie anschaulich schildert als eine Stadt, die viereckig liegt. Wir schätzen sehr, daß Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit der Offenbarung des Johannes das Kapitel „Die Apokalypse" gewidmet hat. Sie hat darin viele vorher unverstandene Darlegungen des in der Offenbarung Erschauten erschlossen, so daß wir uns diese tiefen Wahrheiten zunutze machen können. Sie zeigt, daß man dieses letzte Buch der Heiligen Schrift mit Ehrfurcht und großer Demut ergründen muß. Der Wissenschafter hütet sich, eines andern menschliche Ansicht über dieses Buch oder eines andern Auslegung dieses Buches, das wegen seiner übersinnlichen Art zuweilen als schwer verständlich betrachtet wird, anzunehmen. Anstatt eines andern Ansicht anzunehmen, sucht der Wissenschafter durch Gebet und Nachdenken diese göttlich eingegebenen Worte und ihre wissenschaftliche Auslegung zu erfassen und wartet geduldig, bis sein eigenes geistiges Wachstum ihn befähigt, das zu verstehen, was endgültig und vollständig geoffenbart worden ist. Die Zurechtfindung wird ihre Bestimmung erfüllt haben, wenn das übersinnliche Denken völlig die Bedeutung der inspirierten Worte der Führerin erfaßt (Miscellaneous Writings, S. 30): „Johannes nahm alles Übersinnliche geistig wahr und offenbarte es. Er sah die wirkliche Erde und den wirklichen Himmel. Sie waren geistig, nicht materiell, und sie waren frei von Schmerzen, Sünde oder Tod. Der Tod war nicht die Tür zu diesem Himmel. Er erklärte, daß die Tore mit Perlen eingelegt seien, — er verglich sie mit dem unschätzbaren Verständnis des wirklichen Daseins des Menschen, das hier und jetzt erkannt werden muß."
