Die christlich-wissenschaftliche Behandlung ist wie ein Gebet. Der Ausüber der Christlichen Wissenschaft lebt sein Leben in ehrfurchtsvoller Weihe, und in diesem Sinne führt er auch seine Behandlung aus. Seine Einstellung diesem Heilungswerk gegenüber ist einem ungezwungenen Gebete gleich. Man könnte ihn einem Menschen vergleichen, der einen wunderbaren Sonnenaufgang beobachtet, der gewissermaßen der Entfaltung eines schönen und unaufhaltsam sich entwickelnden Ereignisses zuschaut. Von der hohen Warte geistiger Wahrnehmung überblickt er den Horizont. Er wartet auf das Erscheinen der Christuswahrheit. Mary Baker Eddy schreibt (Christian Science versus Pantheism, S. 1): „Die Nacht ist fast vorbei, und der Tag ist nicht fern von dem Horizont der Wahrheit — jener Tag, an dem alle Menschen einen Gott und ein Christentum erkennen und anerkennen werden.“ So sieht er das Aufgehen der „Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln“ (Mal. 3:20).
Wenn wir einen materiellen Sonnenaufgang beobachten, so sehen wir zuerst einen schwachen, kaum bemerkbaren Schimmer am östlichen Himmel. Dies könnte mit dem ersten Schimmer des geistigen Verständnisses verglichen werden, welcher über dem dunklen, furchterfüllten Denken des Patienten aufgeht, der christlich-wissenschaftliche Hilft sucht. Ein Schaft silbernen Lichtes schießt aufwärts durch die Wolken. Dann breitet sich ein goldener Schein über alles, und die Morgendämmerung hat begonnen. Die Berge und Hügel sind in Licht gebadet. Vor einigen Augenblicken waren sie kaum wahrzunehmen, doch nun werden die Schönheiten der Landschaft offenbar. Ebenso beobachtet der Ausüber der Christlichen Wissenschaft freudig die Entfaltung geistiger Ideen im Bewußtsein seines Patienten. Das Licht des Geistes wird immer heller. Mehr und mehr breitet es sich aus, bis es den ganzen Horizont mit Farbentönen der Gottheit umspannt. Das Morgengrauen der Christlichen Wissenschaft im Denken des Patienten ist unwiderstehlich. Die dunklen Wolken, die den Horizont verfinsterten, als der Ausüber auf seine Warte geistiger Beobachtung stieg, sind verschwunden. Wo früher die Probleme sich in dunkler, chaotischer Verwirrung auftürmten, sehen wir jetzt den Strahlenglanz der göttlichen Liebe, der auch den Menschen in Sicherheit umschließt.
Bei dem Morgengrauen des Geistes ist die Verschiedenartigkeit des Wesens der Gottheit wirksam, um zu segnen und zu heilen. Das Leben wird in geistiger Lebenskraft widergespiegelt; die Wahrheit in Konsequenz und Rechtschaffenheit; der Geist in geistigem Verlangen und Sehnen; die Seele in Tiefe und Ruhe; die Liebe in Freude, Inspiration, Barmherzigkeit, Freundlichkeit und Kraft. Wir beobachten die Umwandlung von der Finsternis zum Tagesgrauen. Es entfaltet sich vor unsern Augen; wir nehmen es wahr durch unser geistiges Verstehen. Der Meister sagte: „Wachet und betet.“ Er mahnte uns zweifellos, auf der Hut zu sein vor der Sünde, doch konnte er nicht auch gemeint haben, daß wir wachen und die Ankunft der Wahrheit und Liebe beobachten sollten, und so Zuschauer eines geistigen und unaufhaltsamen Geschehens werden?
Das Aufdämmern der Christlichen Wissenschaft im Bewußtsein des Patienten trägt die Merkmale von Gesetz und Ordnung: jedoch nicht eines einschränkenden Gesetzes, sondern des Gesetzes der göttlichen Liebe. Es gibt Verschiedenartigkeit, Interesse, Frieden und Kraft auf jeder Stufe der geistigen Erfahrung. Nichts ereignet sich, das der Ordnung entgegen ist. Alles wird durch die göttliche Wahrheit geregelt, durch das göttliche Leben mit Kraft ausgestattet, durch die göttliche Liebe beschützt. Die Ordnung der Offenbarung kann ebensowenig umgekehrt werden wie die der Schöpfungsgeschichte. Bei dem materiellen Morgengrauen kommt die Dunkelheit nicht plötzlich wieder hervor, nachdem die Sonne schon über den Horizont gestiegen ist; die Sonne kann nicht auf einmal ihren Lauf ändern und wieder vom Angesicht der Erde verschwinden. „Wie vernunftwidrig!“ mag hier jemand ausrufen. Doch wenn es sich um das Aufdämmern des heilenden Christus im menschlichen Bewußtsein handelt, — vergessen wir nicht manchmal die Unwiderstehlichkeit in der Entfaltung dieses Geschehens? Wir mögen glauben, daß die Heilung umgekehrt werden kann. Wir mögen fürchten, daß die dunklen Wolken der Furcht sich wieder ansammeln und den Christus verfinstern können. Und das alles vielleicht, weil wir der Annahme sind, daß wir persönlich etwas getan haben, um das Ereignis zu beschleunigen. Laßt uns der Worte unsres Meisters gedenken: „Ich kann nichts von mir selber tun“ (Joh. 5:30).
Heute wird im Bewußtsein eines jeden Suchers nach der Wahrheit das heilende Licht des Christus, das Morgengrauen der Christlichen Wissenschaft in unwiederstehlicher Entfaltung vom Geist offenbart. Auf der hohen Warte geistiger Beobachtung fühlen wir uns erhoben, erneuert, verjüngt. Während wir das herrliche Erscheinen der Wahrheit im Denken eines andern beobachten, wird es uns klar, daß dies auch das Erheben und Läutern unsers eigenen Seins in sich schließt. Wir sind geistige Zuschauer eines Geschehens, das im Bewußtsein vor sich geht, eines göttlichen Geschehens, eines Geschehens, das weder Anfang noch Ende hat. Etwas Geistiges, etwas völlig Gutes, ja etwas Unwiderstehliches findet statt.
Falls ihr je versucht sein solltet, zu glauben, daß die Christliche Wissenschaft schwer zu verstehen ist, geht auf eure hohe Warte und beobachtet von dort aus die Einfachheit ihres ersten Erscheinens. Wartet auf den Christus, die Idee der Wahrheit, und wenn es etwas gibt, das ihr sehen solltet, so wird die Christuswahrheit es euch offenbaren. Diejenigen, die mühselig und beladen das Tal der Bedrücktheit durchwandern, müssen auf den Berg steigen. Der Weg mag anfangs steil sein; er windet sich aufwärts, und manchmal trifft man auf schwierige Stellen. Doch der Pfad ist von zwei vertrauenswürdigen Wegweisern bezeichnet worden, die den Weg wohl kennen. Bei jedem Halt, den wir machen, können wir die Bibel und das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“, von Mary Baker Eddy zu Rate ziehen. Die inspirierten Verfasser dieser Bücher haben den Pfad bezeichnet. Von dem Gipfel des Berges ist der Ausblick unbegrenzt; aber wir brauchen nicht auf Zeitpunkt oder Höhe zu warten, um die ersten Früchte unseres Strebens zu ernten. Die ersten Früchte des Geistes werden in dem Tal der Demut gesammelt. Auch können wir Zuflucht auf dem Wege finden. Es gibt immer Schatten großer Felsen im trockenen Lande. Während wir den Berg hohen Strebens ersteigen, werden andere sich zu uns gesellen. Wir sind nicht allein. Wir finden einen Wegweiser an jedem Kreuzweg, eine Quelle klaren Wassers für jeden Dürstenden. Es gibt kein Aufhalten, wenn das Morgengrauen der Christlichen Wissenschaft beginnt, und Ausüber und Patient zusammen die hohe Warte besteigen, um Zuschauer jenes geistigen und unaufhaltsamen Geschehens zu sein. Mrs. Eddy schreibt: „Ich freue mich, daß ihr das Tagesgrauen der Christlichen Wissenschaft erlebt; ihr müßt den Zenit erreichen. Wachet, betet, beweist“ (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 254).
