Eine berufliche Tätigkeit zu haben gehörte zu Julies sehnlichsten Wünschen. Als sie auf jede Erfahrung, die bei ihrem Eintritt in die Geschäftswelt an sie herantrat, ihr Verständnis der Christlichen Wissenschaft anwandte, wurde sie sich in immer größerem Maße Gottes reicher Güte und Seiner liebevollen Fürsorge für alle ihre Bedürfnisse bewußt. Sie erlangte dadurch eine bessere Vorstellung, was ihre wahre Arbeit war, und sie kam täglich der Erfüllung ihres Sehnens und dem Ausarbeiten ihrer persönlichen Erlösung einen Schritt näher.
Einige Monate lang ging alles gut und freudig von statten, bis einige ihrer Mitarbeiter eines Tages ihre Stellungnahme gegen das Rauchen und Trinken in Frage zu ziehen begannen. Sie war von Anfang an auf die entgegengebrachte Freundlichkeit eingegangen, und die andern hatten sich anscheinend nicht darum gekümmert, daß sie anders war. Jetzt versuchten sie jedoch immer wieder, sie dahin zu bringen, es ihnen gleich zu tun. Was sie sagten und taten, brachte Julie in Verlegenheit, so daß das Zusammensein mit ihnen sie nach einiger Zeit ganz unglücklich machte.
Da Julie fast ihr ganzes Leben lang eine christlich-wissenschaftliche Sonntagsschule besucht hatte, hatte sie gelernt, rückhaltlos bei Gott Hilfe zu suchen, um irgend eine Aufgabe auszuarbeiten. Sie wandte die geistige Wahrheit über Gott und den Menschen, soweit sie sie kannte, auf diese Lage an; aber je ernster sie arbeitete, desto weiter schien sie von Eintracht, Freudigkeit und einem befriedigenden freundschaftlichen Verkehr entfernt zu sein. Anmaßende Gedankenbeeinflussung überzeugte sie beinahe, daß der Mensch, die geliebte und in sich vollständige Idee der göttlichen Liebe, verzagt, einsam und entmutigt sein könne.
Als sie eines Morgens rang, um sich von diesem Gemütszustand zu befreien, kam ihr ein Engelgedanke und sagte: „Geh in das christlich-wissenschaftliche Lesezimmer in der Stadt. Es ist nur eine kurze Strecke entfernt.“ Julie erkannte, daß ihr diese Idee einen Ausweg aus der sie bedrängenden Verwirrung und Finsternis bot; sie war daher sofort entschlossen, ihre ganze Mittagspause an jenem Tage in der Stille und der heilsamen Umgebung des Lesezimmers zu verbringen. Auf dem Hinweg einige Stunden später fiel ihr die beruhigende Erklärung Jesajas ein (30, 21): „Und deine Ohren werden hören hinter dir her das Wort sagen also: Dies ist der Weg; den gehet, sonst weder zur Rechten noch zur Linken!“
Als Julie sich an einen Fensterplatz setzte, um das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy zu lesen, und einen Augenblick aufschaute, sah sie ein Flugzeug, das ganz nieder über die Stadt hinflog und dessen Schwingen im Sonnenschein wie Silber glänzten. Plötzlich klangen ihr, gerade als ob sie jemand gesprochen hätte, die Worte im Ohr: „Du brauchst auch nur von deinen Schwingen Gebrauch zu machen!“ Ihre Ohren hatten tatsächlich ein Wort hinter ihr her gehört; es war nicht ihr eigener Gedanke, der sie hieß, ihr Denken zu erheben über den Irrtum, der geltend machte, in ihrer Erfahrung als ein störender Zustand an einem bestimmten Ort und durch eine gewisse Gruppe Personen zu wirken. Sie sah, daß sie an dem Zustand nichts zu ändern brauchte. Sie mußte sich in ihrem Denken anders dazu verhalten; dies war das einzige Mittel, wodurch eine Heilung zustande kommen konnte.
Mit dieser Engelsbotschaft kam ihr zugleich der anspornende Satz am Anfang des Vorworts zum Lehrbuch (S. vii) in den Sinn: „Für alle, die sich auf den erhaltenden Unendlichen verlassen, ist das Heute reich an Segnungen.“ Julie kannte diese Erklärung, sie hatte andere sie oft anführen hören; aber sie hatte noch nie daran gedacht, diese Wahrheit auf ihre eigene persönliche Erfahrung anzuwenden. Zum erstenmal bedeutete sie etwas für sie; sie verband sie unmittelbar mit der Ermahnung, ihre Schwingen zu gebrauchen. Ebenso wie ein Flugzeugführer in den Wind hineinfahren und sich gewissermaßen davon tragen lassen muß, um bei der Abfahrt in die richtige Höhe zu kommen, mußte sie als Christliche Wissenschafterin sich „auf den erhaltenden Unendlichen“ verlassen, um die heilige Erleuchtung zu erlangen, die ihr Denken in das geistig befriedigende Reich des dem Menschen von Gott gegebenen Bewußtseins erheben würde. Ihr Eingehen auf diese Wahrheit und der Umstand, daß sie deren Führung, so weit sie sie verstand, gehorsam Folge leistete, befreite sie sofort von der verdüsternden Verzagtheit, der Einsamkeit und der Entmutigung, die eine Zeitlang die Ursache waren, daß sie ihre Schwingen hängen ließ, und die ihren Flug in lichtere Höhen zu hemmen drohten.
In verhältnismäßig kurzer Zeit fand Julie in einer andern Abteilung im Geschäft neue Freunde, die zum Teil gleichgesinnt waren und ähnliche Bestrebungen hatten. Es störte sie nie mehr, wenn sie mit anderen zusammen sein mußte, die falschen Begierden frönten. Das ganze Erlebnis bewies bewies ihr, daß sich „auf den erhaltenden Unendlichen verlassen“ und sich im Denken aufschwingen zur Verwirklichung von mehr vorhandenen Segnungen, zur Aufrichtung von Gottes Herrschaft der Gerechtigkeit im menschlichen Bewußtsein führt. Mrs. Eddy erklärt (Miscellaneous Writings, S. 213): „Die Christliche Wissenschaft gibt einen furchtlosen Flug und eine feste Grundlage.“
Durch diesen Beweis der berichtigenden Kraft der Christlichen Wissenschaft lernte Julie verstehen, daß die heilenden Wirkungen dieser Wissenschaft mit dem Ausarbeiten irgend eines störenden Zustandes nicht aufhören, sondern mit jedem gewonnenen Sieg wachsen. Es wurde ihr klar, daß die Anwendung einer bestimmten Wahrheit in unserem menschlichen Leben die Wahrheit nicht beeinträchtigt. Die Sonne wird dadurch nicht weniger hell oder mächtig, daß einer ihrer Strahlen Licht in ein dunkles Zimmer bringt; im Gegenteil, die Menschen bekommen eine größere Vorstellung von ihrer Macht und ihrem Wert. Sie sah, daß genau so die allmächtige Kraft der Wahrheit, deren Unfehlbarkeit und vollständige Fähigkeit, sich selber zu erhalten, dem Menschen jedesmal klarer werden, sooft er an der erneuernden Macht der Wahrheit festhält.
Julie fand, daß sie das eine Körnlein Wahrheit, das sie befähigt hatte, ihr Freisein von niederdrückenden Einflüsterungen zu beweisen, auch noch auf andere Art anwenden konnte. Sie entdeckte, daß sie ihr Denken jeden Tag über die scheinbar kleinlichen Charakterfehler der Menschen — über erdgebundene, beschwerende Selbstsucht, Aufgeregtheit, Empfindlichkeit, Ungeduld, abfälliges Tadeln und Haß — erheben und sich „auf den erhaltenden Unendlichen“ verlassen konnte, so daß die heilende Gegenwart des Christus in ihrem Denken diese unwahren Züge der Veranlagung durch die christlichen Eigenschaften Demut, Hilfsbereitschaft, Erbarmen, Duldsamkeit, Milde, Versöhnlichkeit und Liebe ersetzen konnte. Wo sie ihren Mitarbeitern begegnete — in den Gängen, im Aufzug, beim Essen, auf der Straße, im Omnibus, in der Kirche oder zu Hause — wurde sie sich der Forderung bewußt, daß sie sich aufzuschwingen hatte, daß sie einigermaßen wie Christus gesinnt sein, sich dann „auf den erhaltenden Unendlichen“ verlassen und wissen mußte, daß in denen, mit denen sie täglich in Berührung kam, sowenig wie in ihrem eigenen wahren Bewußtsein ein Eingehen auf irgend etwas war, was Gott, dem Guten, ungleich war.
Mrs. Eddy versichert uns liebevoll (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 262): „Gott erschafft den Menschen vollkommen und ewig zu Seinem eigenen Ebenbild. Folglich ist der Mensch das Ebenbild, die Idee oder das Gleichnis der Vollkommenheit — ein Ideal, das von der ihm innewohnenden Einheit mit der göttlichen Liebe, von seiner unbefleckten Reinheit und ursprünglichen Vollkommenheit nicht abfallen kann.“ Wenn man sein Denken erhebt, und es durch das Wirken des Christusgeistes im menschlichen Bewußtsein eng verbunden mit dem einen göttlichen Gemüt bleibt, wird uns die heilende Wahrheit zugänglich, die Jesus anwandte, und die Mrs. Eddy wieder feststellte, und gibt uns die geistige Erleuchtung, die uns befähigt, in der Welt, aber nicht weltlich zu sein.
Meine lieben Brüder, achtet es für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet, und wisset, daß euer Glaube, wenn er rechtschaffen ist, Geduld wirkt. Die Geduld aber soll festbleiben, bis ans Ende, auf daß ihr seid vollkommen und ganz. — Jakobus 1, 2–4.
