Der Verfasser des Briefes an die Hebräer lenkt unsere Aufmerksamkeit im 3. und 4. Kapitel dreimal auf die Worte des Psalmisten: „Heute, wenn ihr hören werdet seine Stimme, so verstocket eure Herzen nicht, wie geschah bei der Verbitterung am Tage der Versuchung in der Wüste.“ Hebr. 3:7, 8; Zu denen, die das Empfinden haben, Gottes Stimme nicht hören zu können, wie auch zu denen, die schlecht zu hören meinen, kommen diese Worte, um das Denken wachzurufen und die Gewißheit zu geben, daß das Gehör des Menschen unzerstörbar ist.
Es ist trostreich zu wissen, daß Gott uns leitet und daß wir Seine uns leitende Stimme hören können, wenn Furcht und menschlicher Wille zum Schweigen gebracht sind. In dem Maße, wie wir die Gewohnheit, Dinge zu verzögern — Gelegenheiten zum geistigen Wachstum hinauszuschieben —, berichtigen, fangen wir an, mehr von der Unmittelbarkeit des Guten zu erkennen. Wenn wir mit ganzem Herzen die Lehre der Christlichen Wissenschaft annehmen, daß Erlösung jetzt erreichbar ist, und zwar dadurch, daß wir das Gemüt Christi erlangen, und diese Tatsache in unserem Leben zu beweisen anfangen, bessern sich das Gehör und die anderen Fähigkeiten.
Die Ermahnung: „Verstocket eure Herzen nicht“ mag bedeuten, sich willkürlicher menschlicher Meinungen zu enthalten oder sich vor der Neigung zu hüten, in verstockten, unbeugsamen menschlichen Willen zu verfallen. Diese Mahnung mag auch besagen, sich von Selbstsucht, Gleichgültigkeit oder strengem Urteilen freizuhalten, und sie bedeutet, erbarmungsvoll zu sein. Ein Prüfen des Herzens enthüllt oft andere falsche mentale Zustände, die das Gehör beeinträchtigen. Oftmals mag jemand vielleicht Gottes Stimme nicht hören, weil er seinen eigenen Vorurteilen folgt, anstatt auf Gottes Gedanken zu lauschen. Als Jesus Taubheit heilte, trieb er den tauben Geist aus — jenen nicht hörenden, nicht lauschenden Sinn — und offenbarte die geistigen Sinne des Menschen, die immer auf die Stimme, den Willen, Gottes hören.
Die Worte „bei der Verbitterung“ mögen sich auf den Augenblick beziehen, wenn das menschliche Denken über Zweifel oder Ungläubigkeit erbittert ist, wenn der Gedanke gegen Personen oder Zustände feindlich eingestellt ist oder sich gegen sie verhärtet hat. Ist dies nicht eher ein Verstocktsein des Herzens anstatt einer liebevollen Einstellung des Herzens, die berichtigt und befreit? Ein „Tag der Versuchung in der Wüste“ deutet an, daß das Denken der Versuchung unterliegt, wenn es an geistigen Ideen und moralischem Mut arm ist. Gott offenbart dem Menschen fortgesetzt geistige Ideen. Wenn jedoch jemand sein Herz gegen diese geistigen Ideen verschließt, gleicht sein Denken einer öden Wüste, und er hat nichts, was ihn gegen die Argumente des fleischlichen Gemüts stark macht.
Mrs. Eddy verstand das der heilenden Mission unseres Meisters zugrunde liegende Prinzip, und in ihren Werken weist sie in aufschlußreichen Stellen darauf hin, daß die Fähigkeiten des Menschen, das Gehör eingeschlossen, im Gemüt bestehen und daher geistig sind. Im Jahre 1882 heilte Mrs. Eddy einen jungen Mann, der taubstumm geboren war. Historical Sketches von Clifford P. Smith, S. 83; In „Wissenschaft und Gesundheit“ sagt sie: „Gesicht, Gehör, alle geistigen Sinne des Menschen sind ewig. Sie können nicht verlorengehen. Ihre Wirklichkeit und Unsterblichkeit beruhen im Geist und im Verständnis, nicht in der Materie — daher ihre Fortdauer.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 486;
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß alle geistigen Fähigkeiten ihren Ursprung in Gott, dem göttlichen Gemüt, haben und in Ihm fortdauern und von dem geistigen Menschen, dem Gleichnis Gottes, ausgedrückt werden. Damit jeder die Sinne des Gemüts ununterbrochen ausdrücken kann, muß er sein Denken vom göttlichen Gemüt regieren lassen. Da Gott im Menschen individualisiert ist, müssen die geistigen Fähigkeiten Gottes im Menschen individualisiert sein, ebenso wie die Sonnenstrahlen das Licht der Sonne individualisieren. Die Kraft zu scheinen liegt in der Sonne und drückt sich in dem Sonnenlicht aus, wobei jeder Sonnenstrahl das Scheinen oder Ausstrahlen des Lichts und der Wärme individualisiert, aber nicht hervorbringt. Ein Sonnenstrahl kann nicht aufhören, das Wesen der Sonne genau widerzuspiegeln, denn die eigentliche Substanz seines Seins liegt in der Sonne. So kann der geistige Mensch nicht umhin, das Wesen Gottes, einschließlich der vollkommenen und immerwährenden geistigen Fähigkeiten des Gemüts, genau auszudrücken.
Der Irrtum der Taubheit liegt nicht im materiellen Ohr, sondern in einem falschen mentalen Zustand, der die normale Tätigkeit der Hörorgane beeinträchtigt. Daher ist es notwendig, das fehlerhafte Denken zu berichtigen. In der Bibel wird berichtet, daß ein tauber und stummer Mann zu Jesus gebracht wurde, um geheilt zu werden. Durch die Zeichen, die Jesus anwandte, zeigte er ihm offensichtlich, daß seine Befreiung von Gott kommen würde. Der Leidende, der sofort für Jesu klares Verständnis von des Menschen immerwährender Vollkommenheit empfänglich war, wurde von seinen körperlichen Mängeln befreit, als Jesus sagte: „Hephatha! das ist: Tu dich auf!“ Mark. 7:34;
Da Gott immer gegenwärtig ist, ist das Gehör als eine Fähigkeit des Gemüts immer gegenwärtig. Der Anspruch von Taubheit besteht somit nur in einer falschen menschlichen Auffassung vom Leben als sterblich. Die Heilung geht im menschlichen Bewußtsein vor sich und ist die Auswirkung der geistigen Belebung des Denkens. Verbessertes Denken hat verbessertes Gehör zur Folge. Gottes Gesetz der Vollkommenheit ist immer gegenwärtig, um eine scheinbar verlorengegangene Fähigkeit dadurch wiederherzustellen, daß es das Denken dazu erweckt, sich die unveränderlichen Tatsachen der Schöpfung, einschließlich der dem Gemüt innewohnenden Fähigkeiten, zu vergegenwärtigen. Mrs. Eddy sagt: „Ein wenig mehr Anmut, ein geläuterter Beweggrund, einige liebevoll mitgeteilte Wahrheiten, ein besänftigtes Herz, ein beherrschter Charakter, ein hingebungsvolles Leben würden die rechte Tägtigkeit des innern Triebwerks wiederherstellen und offenbaren, daß die Bewegung von Körper und Seele in Einklang mit Gott steht.“ Vermischte Schriften, S. 354;
Lauschen ist ein Zustand erwartungsvoller Aufmerksamkeit, wobei das Denken vom Selbst abgewandt ist. Man hört nicht weit entfernt, man hört, wo man ist, wo das Denken ist. Menschlich gesehen, ist ein scharfes Gehör darauf zurückzuführen, daß das Denken im Zuhören geschult wird. Indianer, Waldarbeiter und Musiker hören vieles, was anderen, deren Gehör weniger geschult ist, entgeht. Ein junger Mann, der nicht auf den Rat seiner Eltern und Lehrer hören wollte, bekam Ohrenbeschwerden. Als er darauf hingewiesen wurde, daß dieses Übel in seinem mentalen Widerstand gegen rechte Gedanken begründet läge, berichtigte er sein Denken, und die Schwierigkeit verschwand. Taubheit ist oft die Folge davon, daß man auf das Böse hört, anstatt es zurückzuweisen und nur das Gute anzunehmen. Dem Bewußtsein des Guten wohnt ein gutes Gehör inne.
Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß der geistige Mensch der Inbegriff der Vollkommenheit ist und daher nicht der Heilung bedarf. Unser menschliches Bewußtsein jedoch muß von seinen falschen Annahmen gereinigt werden. Der verlorene Sohn muß in sein Vaterhaus zurückkehren; wir müssen uns des Einsseins des Menschen mit Gott bewußt werden. Die Stimme Gottes wird nicht in dem Getöse der Materialität gehört, sondern in der Stille des Geistig-Gesinntseins. Im 19. Kapitel des 1. Buchs der Könige wird berichtet, wie Elias zu der Erkenntnis geführt wurde, daß Gott nicht im Erdbeben, Wind und Feuer war, sondern in dem stillen sanften Sausen der geistigen Offenbarwerdung. Unsere Führerin sagt: „Geist, Gott, vernehmen wir, wenn die Sinne schweigen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 89.
Manchmal ist die falsche Auffassung von hohem Alter das Hindernis, das sich im Nachlassen des Gehörs auswirkt. Wenn das Denken beständig mit Liebe in Verbindung steht und vom Leben gestärkt wird, kann das Gehör nicht nachlassen. Der menschliche Körper weiß nicht, wie viele Male er mit der Erde um die Sonne gewandert ist und auf diese Weise Jahre angesammelt hat, daher kann er nicht der Annahme von Hinfälligkeit und Nachlassen der Fähigkeiten beipflichten. Allein das sterbliche Gemüt tut dies. In dem Verhältnis, wie der einzelne in der Christlichen Wissenschaft Fortschritte macht, erlangt er ein schärferes Wahrnehmungsvermögen, ein klareres Verständnis und eine reifere Urteilsfähigkeit. Somit sollte ein schärferes Gehör und nicht ein Nachlassen des Gehörs in Erscheinung treten.
In dem Universum der Liebe gibt es keine unheilbare Unfähigkeit, denn es gibt keinen verstockten, hemmenden, mentalen Zustand, der nicht der berichtigenden Macht der göttlichen Liebe weicht. Selbstbedauern, Aberglaube, Enttäuschung und selbstische Beweggründe werden unter dem befreienden Wirken der göttlichen Liebe durch Erbarmen, Selbstlosigkeit und Geistigkeit ersetzt. Als das Gleichnis der Liebe ist der Mensch der Liebe gleich, und in dem Maße, wie wir diese Wahrheit erfassen, können wir allen rechtmäßigen Forderungen, die immer uns gestellt werden mögen, entsprechen. In dem Leben gibt es keinen totgelegten Sinn; in der Liebe gibt es keinen taub gewordenen Sinn. „Heute, wenn ihr hören werdet seine Stimme, so verstocket eure Herzen nicht.“
