Nach allgemeiner menschlicher Erfahrung kann man häufig feststellen, daß ein Mensch mit einem ausgeprägten Sinn für Individualität nicht sehr glücklich ist, wenn er in einer Organisation arbeitet, weil es für ihn schwierig ist, sich den Regeln und Vorschriften anzupassen, die die Tätigkeit der Mitglieder dieser Organisation bestimmen. Desgleichen wird angenommen, daß jemand, der ein fügsames Mitglied einer größeren Gruppe und es zufrieden ist, ihre Anweisungen zu befolgen, hilflos ist, wenn er auf sich selbst gestellt wird und Unternehmungsgeist und die notwendige gedankliche Zucht aus ihm selber kommen müssen.
Die Lehren der Christlichen Wissenschaft zeigen die Unrichtigkeit dieses Vorurteils und heben so die Beschränkungen auf, die dieses Vorurteil sowohl dem ausgesprochenen Individualisten wie dem übermäßig Unselbständigen auferlegen möchte, Beschränkungen, die nur als Teil der falschen Auffassung vom Menschen bestehen. Die Wahrheit ist, daß ein ausgeprägter Sinn von der eigenen Individualität und die Befähigung zur Gemeinschaftsarbeit sich in Wirklichkeit nicht entgegenstehen, sondern, wenn recht verstanden, sich in der menschlichen Erfahrung gegenseitig steigern.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß jeder von uns, wie wir in Wahrheit sind, seine eigene Identität, seinen ihm von Gott verliehenen Zweck besitzt, und jeder ist völlig imstande, diesem Zweck zu dienen und ihn zu erfüllen, was immer es auch sein mag. Keine Idee kann auf das erfolgreiche Funktionieren einer anderen Idee störend einwirken, im Gegenteil, jede trägt unmittelbar oder mittelbar zum Erfolg aller bei, wenn sie die allumfassende, all-intelligente Liebe des göttlichen Gemüts im Dienste eines hohen individuellen oder gemeinschaftlichen Vorhabens bewußt zum Ausdruck bringt.
Diese Wahrheiten unseres Seins sind für unsere tägliche Erfahrung von größter Wichtigkeit, gleichgültig, ob unsere Arbeit in der menschlichen Gesellschaft nun einen ausgesprochen individuellen Charakter hat oder ob sie Teil einer gemeinschaftlichen Bestrebung einer Organisation ist. In jedem Fall ist es für uns richtig, an unserer individuellen Identität und unserem gottgegebenen Vorhaben festzuhalten, an unserer Liebe zu dieser Sache, wie auch an unserer uneingeschränkten Bereitwilligkeit, die geistige Zucht auf uns zu nehmen, die nötig ist, um ihr zu dienen. Dann können wir unseres Lohnes an geistigem Wachstum sicher sein, den unsere selbstlose Treue gegen das Gute uns bringen wird.
Eine menschliche Organisation oder Institution, wie z. B. eine Zweigkirche Christi, Wissenschafter, arbeitet in gewissem Sinne wie ein Team; sie ist der Zusammenschluß ihrer Mitglieder, deren jedes auf sein Recht zu unabhängigem Handeln verzichtet und zugestimmt hat, als Teil der Arbeitsgruppe tätig zu sein. Jedes Mitglied hat seine eigene Aufgabe, deren Durchführung seinen Beitrag zur gemeinsamen Bemühung darstellt. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß von ihm erwartet wird, seine Identität aufzugeben, indem er sie im Ganzen aufgehen läßt. Er wird sich im Gegenteil durch seine Mitwirkung als ein Mitglied erweisen, das der Gruppe einen wertvollen Beitrag zu leisten hat, und wird als solches anerkannt werden. Wenn man sich diese Tatsache nicht bewußt vergegenwärtigt, kann man leicht die Inspiration, das Interesse und die Freude verlieren, die das Dienen in einer Organisation, die sich einem hohen Ideal verschrieben hat, bringen sollte.
Wenn man auf seiner eigenen Art zu denken und zu arbeiten besteht, sollte dies nie ohne die intelligente, liebevolle Rücksichtnahme auf andere geschehen, die in einer Gruppe zusammen arbeiten und die die menschliche Organisation darstellen, von der wir ein Teil sein mögen. Die wissenschaftliche Erkenntnis unserer widergespiegelten individuellen Fähigkeiten und ihr gebetsvoller Gebrauch, in Verbindung mit unserem höchsten Begriff von Zusammenarbeit, wird niemals auf Kosten anderer geschehen, sondern diese Fähigkeiten sind wesentlich für die begeisterte, wirkungsvolle Durchführung unseres Anteils an der gemeinsamen Anstrengung innerhalb des größeren Rahmens der Gruppe als Ganzes.
Eine Gruppe ist nicht notwendigerweise auf eine geographische Örtlichkeit beschränkt. In den Jahrzehnten, die auf die Auferstehung folgten, zogen die Jünger Christi Jesu aus, um in vielen Teilen der griechisch-römischen Welt zu leben, in Befolgung seines Gebots: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur.“ Mark. 16:15; In jener frühen Periode des Christentums hatten die kleinen Gruppen von Christian — kleine Eilande in einem Meer des Heidentums — Schwierigkeiten mit der entschwindenden Begeisterung und mit Spaltungen in ihren eigenen Reihen.
Der Apostel Paulus warnte sie vor persönlicher Gegnerschaft und Uneinigkeit, vor Kompromissen mit dem Aberglauben und dem Sensualismus heidnischer Anbetung, sowie davor, Böses mit Bösem zu vergelten, und so weiter. Er ermutigte sie, ihren Glauben an Gott dadurch zu demonstrieren, daß sie in ihrem Leben die Christus-Ideale verwirklichten, die sie von ihrem Meister erlernt hatten.
In seinem Brief an die Christen in Rom erinnerte Paulus sie daran, daß die weltumspannende Sache des Christus, der Wahrheit, in hohem Maße davon abhing, wie jeder in seinem eigenen Leben in inspirierter und gewissenhafter Weise die individuellen geistigen Gaben nutzbar machte, die sein Erbteil des Gemüts Christi ausmachten.
Paulus schrieb: „Denn gleicherweise wie wir an einem Leibe viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder einerlei Geschäft haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied.“ Und er sagte weiter: „Und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben gemäß ... Lehrt jemand, so warte er der Lehre ... Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn ... Die Liebe sei ohne Falsch ... Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor ... Seid brennend im Geist. Dienet dem Herrn.“ Röm. 12:4–11;
Sich an seinen Rat zu halten ist heute genau so dringend notwendig wie zur Zeit des Paulus und ist genau so wichtig für den geistigen Erfolg einer Zweigkirche Christi, Wissenschafter, und für die Wohlfahrt der Sache der Christlichen Wissenschaft wie es dies für die Sache des frühen Christentums war. In einer Zweigkirche — als eine Organisation von Einzelwesen aufgefaßt — steht keiner allein, keiner arbeitet allein. Die Tätigkeit eines jeden Mitglieds wirkt auf den Erfolg aller ein. Individueller Unternehmungsgeist, obwohl höchst wünschenswert, muß mit dem Wirken des Ganzen in Einklang stehen.
Wenn ein Mitglied die Wohlfahrt der Sache der Christlichen Wissenschaft anstatt seiner eigenen persönlichen Wünsche und Bestrebungen in seinem Denken an erste Stelle setzt, wird seine selbstlose Hingabe an das hohe Ziel, das unsere Führerin, Mrs. Eddy, für ihre Kirche aufgestellt hat, ihn zu einem wichtigen und geliebten Mitglied der Gruppe machen.
In ihrer Ansprache, betitelt „Wissenschaft und Sinne“, beschreibt Mrs. Eddy dieses Vorhaben wie folgt: „Wir kommen, um unsere Organisationen und Einrichtungen zu stärken und dauernd zu erhalten, um Kraft zu finden in der Einigkeit — Kraft, mit Gottes Hilfe diese reine und unverfälschte Religion aufzubauen, deren Wissenschaft Gott und die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen beweist.“ Dann legt sie den Ausgangspunkt für eine Mitwirkung an den gemeinsamen Bestrebungen dar: „Dieses Vorhaben ist unendlich groß, es muß beginnen mit dem Wachstum des einzelnen, ein, Ziel aufs innigste zu wünschen‘.“ Vermischte Schriften, S. 98.
Im hingebungsvollen selbstlosen Gebrauch der Früchte des individuellen Wachstums für ein gemeinsames gottgegebenes Vorhaben liegt die Demonstration der Individualität wie der Fähigkeit des einzelnen zur Gemeinschaftsarbeit.
