In seinem zweiten Brief an die Korinther bezieht sich der Apostel Paulus auf einen „Pfahl im Fleisch“, der ihn veranlaßte, eifriger, inbrünstiger zu Gott um Befreiung und Heilung zu beten. „Dafür [habe] ich dreimal zum Herrn gefleht..., daß er von mir wiche. Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne.“ 2. Kor. 12:7–9;
Viele vermuten, daß Paulus mit einem körperlichen Problem rang, das seinen Bemühungen, die Wahrheit anzuwenden, noch nicht gewichen war. Der Apostel spricht von den vielen herrlichen Offenbarungen, die ihm, der noch nicht einmal einer der unmittelbaren Nachfolger des Meisters gewesen war, zuteil geworden waren. Und dann gesteht er demütigen Herzens ein, daß er sich dieser Tatsache nicht rühmen möchte. Er weigerte sich, seine menschliche Persönlichkeit zu erhöhen. Der „Pfahl im Fleisch“ erinnerte ihn daran, daß weitere Arbeit zu tun war, bevor sein Denken völlig geläutert und christusähnlicher war.
Wenn wir mit chronischen Annahmen von Sünde und Krankheit zu kämpfen haben, die nicht sofort christlich-wissenschaftlicher Behandlung weichen, dann ist es gut, innezuhalten und sich „zu Gott zu nahen“ Jak. 4:8;. Vielleicht sind da gewohnheitsmäßige Neigungen des sterblichen Denkens, die beanspruchen, Teil unserer Individualität zu sein, und die bewirken, daß unser menschliches Leben unharmonisch und erfolglos ist. Wenn dies der Fall sein sollte, wird unsere gebeterfüllte Vergegenwärtigung der Allheit und der alles durchdringenden Gegenwart der Wahrheit diese Charakterfehler oder Irrtümer aufdecken. Und wenn sie erst einmal aufgedeckt sind, können sie auf ihre Nichtsheit zurückgeführt werden — als das erkannt werden, was sie sind: aggressive Suggestionen des Teufels oder des bösen Gemüts, das Christus Jesus als einen „Mörder von Anfang“ beschrieb und von dem er sagte: „Die Wahrheit ist nicht in ihm.“ Joh. 8:44;
Mit Hilfe der Christlichen Wissenschaft können wir die Unwirklichkeit des sterblichen Begriffs vom Menschen erkennen und uns richtig als der von Gott geschaffene, vollkommene Mensch, als die unsterbliche Widerspiegelung des Gemüts sehen. Wenn unsere gebetvolle Arbeit in dieser Hinsicht gründlich ist, wird die Heilung eindeutig sein.
Mrs. Eddy betont, daß es für den einzelnen wichtig ist, die berichtigenden und heilenden Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft zu demonstrieren, uns gibt ihren Nachfolgern den Rat: „Um das vollbringen zu können, müßt Ihr viel Zeit zur Selbstprüfung und -läuterung aufwenden; Ihr müßt Begierden, Leidenschaften, Stolz, Neid, üble Nachrede, Empfindlichkeit und jeden einzelnen der zahllosen Irrtümer beherrschen, die da Greuel tun und Lüge. Dann könnt Ihr der Welt den Segen von alledem mitteilen und mit wachsendem Vertrauen heilen und lehren.“ Vermischte Schriften, S. 137; Während dieser Läuterungsprozeß vor sich geht, können wir beständig ehrlichen Herzens über unsere Gedanken wachen. Wie Paulus können wir Trost und Ermutigung in der Botschaft finden: „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Aus solch einer ehrlichen Selbstprüfung kann sich für uns nur Gutes und wachsender Fortschritt entfalten. In unseren Bemühungen, Irrtum aufzudecken und ihn mit dem Christus, der Wahrheit, zu zerstören und auf diese Weise Gott zu verherrlichen, werden wir den Punkt erreichen, wo wir mehr an der Läuterung des Denkens als an der bloßen körperlichen Heilung interessiert sind. Die Christliche Wissenschaft hilft uns verstehen, daß wir Fortschritte machen, solange wir uns ehrlich bemühen, unser Denken von sterblichen Begriffen — Eigenwillen, Selbsterhöhung, Eigenliebe — zu reinigen, und die befreiende Wahrheit der ewigen Gotteskindschaft des Menschen erkennen. Dieser Fortschritt des Denkens wird sich äußerlich kundtun und sich sogar im physischen Reich als ein besserer Begriff von Gesundheit und Harmonie zeigen.
Dieser erhobene Zustand des Denkens mag uns an Christi Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn erinnern, der, nachdem er eigensinnig einen falschen Kurs verfolgt hatte, einen Punkt in seinem Leben erreichte, wo er nicht mehr den Wunsch hatte, zu den alten Gewohnheiten zurückzukehren. Der verlorene Sohn mußte eine Zeitlang die Schweine füttern, bis er sich durch das, was er tat, angewidert fühlte. In ähnlicher Weise mögen wir einen Punkt erreichen, wo wir uns durch den Gedanken angewidert fühlen, die Idiosynkrasien des fleischlichen Gemüts, wie Stolz, Neid, Habsucht und menschliche Willenskraft, zu nähren. Dann erkennen wir, daß unsere Bemühungen mehr als je zuvor darauf gerichtet sein sollten, zum Vater zu gehen — zu der Erkenntnis und der Demonstration unserer Einheit mit Gott.
Der demütige Wunsch nach Umwandlung veranlaßt uns, jeden Winkel unseres Bewußtseins von dem Licht der Wahrheit durchdringen zu lassen. Oft ist dies von Tränen der Reue über die alten Wege des Irrtums begleitet, die wir unwissend verfolgt haben mögen. Zum erstenmal mögen wir die Gelegenheiten zum geistigen Wachstum sehen, die zu verfolgen wir versäumt haben. Und wie der verlorene Sohn haben wir nur ein Verlangen: zu dem Haus unseres himmlischen Vaters zurückzukehren und dort als einer seiner Tagelöhner zu arbeiten.
Wenn wir lernen, unser Denken und Handeln zu disziplinieren, und wie ein kleines Kind auf Gottes Gedanken, die Ideen der Liebe, lauschen, dann beginnt der Eigenwille nachzulassen, und wir folgen willig der Führung der Liebe zu einem neuen und höheren Standort. Wir fühlen die Engel Seiner Gegenwart, die sanfte Berührung durch die göttliche Liebe, die uns die Rechte unserer Gotteskindschaft wiedergibt. Wir erwachen zu einem klareren Begriff von dem gottverordneten Sein des Menschen als Sein Bild und Gleichnis. Wir erkennen, daß unsere wahre, gottverliehene Identität immer von der Gegenwart der Liebe unschlossen gewesen ist. Sie ist „verborgen mit Christus in Gott“ Kol. 3:3;, immer aktiv und im Weinberg unseres Vaters tätig. Sie hat nie aufgehört, Gott widerzuspiegeln, und wird niemals aufhören, Seinen Willen zu tun.
Mit den Worten des Psalmisten beten wir: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“ Ps. 51:12; Zum erstenmal mögen wir fühlen, daß wir an der neuen Geburt teilhaben, an der Auferstehung zu einem höheren, heiligeren Verständnis von Gott und der Einheit des Menschen mit Ihm. Wir legen das Alte bereitwilliger beiseite und greifen nach dem Guten, das Gott für uns vorgesehen hat.
Mrs. Eddy schreibt, indem sie sich auf die Tätigkeit des Christus, der wahren Idee Gottes, und ihren Einfluß auf das menschliche Leben bezieht: „Diese unbefleckte Idee, die zuerst durch den Mann und, dem Offenbarer zufolge, zuletzt durch das Weib dargestellt wird, wird mit Feuer taufen; und die Feuertaufe wird die Spreu des Irrtums in der Hochglut der Wahrheit und Liebe verbrennen und sogar das Gold des menschlichen Charakters schmelzen und läutern.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 565; Das Gold muß in dem Schmelzofen geläutert werden, bis all die Schlacken der Materialität und Sterblichkeit verzehrt sind.
Wir hören heute viel über die Notwendigkeit der Charakterbildung. In der Christlichen Wissenschaft lernen wir jedoch, daß die metaphysische Arbeit, die konstruktives geistiges Streben immer begleitet, nicht so sehr die Bildung des Charakters wie seine Enthüllung bewirkt. Der wahre Charakter des Menschen oder seine Individualität als Gottes Widerspiegelung ist schon vollständig im göttlichen Gemüt vorhanden. Er muß nur noch für die menschliche Wahrnehmung offenbar werden. In Wirklichkeit ist der Mensch vollkommen. Gottes Mensch arbeitet nicht auf die Vollkommenheit hin, sondern spiegelt immer das allgegenwärtige, stets wirkende göttliche Prinzip wider. Der vollkommene Gott ist der Schöpfer, und der Mensch ist Sein Bild und Gleichnis. Charakterbildung in der Christlichen Wissenschaft ist dem geistigen Wachstum entsprechend, denn nur durch Fortschritt in unserem Verständnis von Gott können sich die Möglichkeiten des christlichen Charakters entfalten.
Wie können wir lernen, die Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft täglich zu entwickeln und zu nutzen? Wie können wir lernen, sicher auf der Grundlage der Wahrheit zu bauen und die Übel, die unseren Fortschritt hemmen möchten, zu erkennen und zu überwinden? Ein Mittel zusätzlich zu dem systematischen Studium der Bibel und von Wissenschaft und Gesundheit ist Gebet und Selbstprüfung. Jeder einzelne muß sich seinen eigenen Weg ins Himmelreich verdienen — durch tägliche Beweise der grundlegenden Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft und durch die Betätigung der Eigenschaften der göttlichen Liebe.
Wir haben Mrs. Eddys inspirierte Führung bei unseren Bemühungen: „Bringt Frucht — ‚mitfolgende Zeichen’ —, damit Eure Gebete nicht aufgehalten werden. Betet ohne Unterlaß. Wacht emsig; verlaßt nie den Posten geistiger Beobachtung und Selbstprüfung. Strebt nach Selbstverleugnung, Gerechtigkeit, Demut, Barmherzigkeit, Reinheit, Liebe. Laßt Euer Licht Licht widerspiegeln. Habt keinen Ehrgeiz, keine Zuneigung, kein Streben, die nicht heilig sind. Vergeßt keinen Augenblick, daß Gott Alles-in-allem ist — daß es daher in Wirklichkeit nur eine Ursache und Wirkung gibt.“ Verm., S. 154.
Schritt für Schritt werden wir befähigt werden, uns aus der Sterblichkeit heraus in die Herrlichkeit des unsterblichen Seins zu erheben, aus der Dunkelheit der Unwissenheit, Furcht und Sünde zu der Erkenntnis und Demonstration der ewigen Vollkommenheit des Menschen als des Kindes Gottes.