Man braucht Komplexität nicht durch eine rosa Brille zu betrachten, um zu erkennen, daß sie im Grunde etwas Gutes ist. Sie deutet die Wechselbeziehungen von allem an. Gäbe es keine Komplexität, wäre alles beziehungslos; alle unsere Handlungen und Entscheidungen könnten übermäßig vereinfacht werden; und in moralischer Hinsicht würden wir unsere heilenden Beziehungen zueinander vielleicht nicht fördern und somit der Sünde der Gleichgültigkeit Vorschub leisten.
Aber wer schon einmal geseufzt hat: „Wir leben in solch einer komplexen Welt“, weiß, daß wir die Komplexität als einen geistigen Faktor verstehen müssen, wenn sie unser Leben positiv beeinflussen soll.
Das geistige Universum — der wirkliche Ausdruck von allem, was Gott ist — ist vollständig. Es umfaßt alles. Es kann nicht in Teile zerlegt werden. Mary Baker Eddy schreibt im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft: „Die Allheit der Gottheit ist ihre Einheit.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 267; Gott ist Alles und Einer, und auch Sein Ausdruck spiegelt Seine Allheit und Einheit wider.
Doch das bedeutet nicht, daß das geistige Universum eine homogene Masse ist. Es besteht aus individuellen Ideen, die dennoch Beziehung zueinander haben. Diese miteinander verbundenen Ideen sind nicht voneinander abhängig, da jede einzelne allein von Gott, dem Schöpfer und Erhalter, abhängig ist. Jede wirkt individuell, und weil ihr Wirken den einen Gott zum Ausdruck bringt, ist es überaus harmonisch. Je deutlicher wir das erkennen, desto harmonischer wird das Leben der Menschen sein.
Wer die jüdisch-christliche Theologie studiert, lernt, daß Barmherzigkeit ein Attribut Gottes ist. Im fünften Buch Mose heißt es: „Der Herr, dein Gott, ist ein barmherziger Gott.“ 5 Mose 4:31; Und Daniel erkannte in einer besonders schwierigen Situation, daß Gott ihm Weisheit geben konnte, und rief: „Gelobet sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit, denn ihm gehören Weisheit und Stärke!“ Dan. 2:20;
Wer gelernt hat, daß Barmherzigkeit, Weisheit und Stärke Eigenschaften Gottes sind und daher zueinander Beziehung haben, versteht alle drei besser. Er erkennt, daß ein Vorhaben nicht wirklich barmherzig ist, wenn es nicht weise ist oder wenn die für seine Durchführung notwendige Macht fehlt. Ebenso ist eine Lösung unzureichend, die keine Barmherzigkeit zum Ausdruck bringt, oder nicht vollendet werden kann. Da wahre Macht oder Stärke nur von Gott kommt, ist sie immer durch Barmherzigkeit und Weisheit gekennzeichnet.
Wenn wir sowohl durch Studieren als auch durch das tägliche Leben die Beziehungen besser kennen lernen, die Gottes Eigenschaften zueinander haben, stellen wir fest, daß Verwirrung einer göttlichen Ordnung weicht. Und ebenso wichtig ist, daß wir davor bewahrt werden, alles zu stark zu vereinfachen, wenn wir Komplexität geistig schätzen lernen.
Mrs. Eddy schreibt: „Die göttliche Metaphysik handelt von der Existenz Gottes, Seinem Wesen, Seinen Beziehungen und Eigenschaften.“ Vermischte Schriften, S. 69; Durch sie wird der Christus demonstriert und auf Erden als die barmherzige, heilende, rettende Gnade sowohl für einfache wie für verwickelte Probleme empfangen.
Der Psalmist wollte uns zweifellos eine geistige Einsicht in die Komplexität vermitteln, als er sagte, „daß Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen“ Ps. 85:11..
Wenn wir nach Attributen Gottes suchen, die in rechter Beziehung zueinander stehen, um sie auf eine bestimmte Situation anzuwenden, stellen wir fest, daß ein weiterer Umstand, der oftmals für negativ gehalten wird, eine positive Seite hat: die Spannung.
In der Beziehung der Ideen zueinander muß es etwas geben, was als schöpferische Spannung bezeichnet werden könnte. Wer eine Nähmaschine benutzt hat, weiß, daß die Spannung der beiden Fäden das richtige Verhältnis haben muß. Ist die Spannung richtig eingestellt, ist der Stich brauchbar und gut. Dasselbe gilt für die moralischen Eigenschaften — sie müssen im richtigen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Sind wir z. B. sehr auf Ehrlichkeit bedacht, aber wenig um Menschlichkeit bemüht, ist unsere Moral nicht so schön und nützlich, wie sie sein könnte.
Wenn wir erkennen, daß die moralischen Eigenschaften und ihr Verhältnis zueinander ihren Ursprung in Gottes Attributen und deren Beziehung zueinander haben, stellen wir in unserem täglichen Leben und in unseren Beziehungen ebenfalls eine schöpferische Spannung fest. Unsere eigene Persönlichkeit wird ausgeglichener sein. Unausgewogenheiten, die sich als sogenannte Komplexe zeigen, wie etwa Größenwahn oder Minderwertigkeitsgefühle, können ausgeglichen werden. Andererseits wird Streß — den man für negativ hält — unter den Einfluß des Christus kommen und auf das Wichtige Nachdruck legen. Um in einer menschlichen Situation das rechte Gleichgewicht herzustellen, muß der Nachdruck u. U. zu neunzig Prozent auf Liebe und zu zehn Prozent auf die gültigen Regeln gelegt werden; in einem anderen Fall muß dieses Verhältnis vielleicht umgekehrt sein. Bedenken wir, daß Prinzip und Liebe in Wirklichkeit eins sind und niemals aus dem Gleichgewicht geraten können, wissen wir in jeder menschlichen Situation, worauf der heilende Nachdruck gelegt werden muß.
Obgleich der Komplexität die meiste Schuld an der Zunahme mentaler und emotionaler Probleme gegeben wird, liegt das Heilmittel nicht immer in dem Versuch, die Dinge zu vereinfachen. Dies mag zwar in einigen Fällen die Lösung sein, aber ein anderer durchaus möglicher Ausweg ist die Wertschätzung geistiger Komplexität, der Beziehung aller Ideen und Attribute Gottes zueinander.
Christliches Denken geht von der Allheit Gottes aus. Lassen wir den Christus unser Denken bestimmen und beginnen wir unsere Überlegungen mit Gott, bringen wir göttliche Ordnung in unsere menschlichen Angelegenheiten. Das ist einer der Gründe, warum Gebete, die Gottes Güte preisen und bestätigen, oftmals wirksamer sind als an Gott gerichtete Bittgebete. Eine Bitte mag allzusehr von der Verwirrung des menschlichen Gemüts beeinflußt sein.
Doch das Bittgebet hat insofern einen Wert, als es Gott anerkennt; und dadurch kann es unser Denken zu Ihm erheben und mit „Seinem Wesen, Seinen Beziehungen und Eigenschaften“ vereinen. In dieser Komplexität gibt es keine Verwirrung. Diese Tatsache zeigt sich in der Ordnung eines Gemäldes von Picasso oder einer Fuge von Bach. Sie ist die Ordnung unseres Lebens, wenn wir die einzelnen Ideen nicht komplizieren — d. h., wenn wir ihnen nichts hinzufügen — und es zulassen, daß sie sich zu einem komplizierten Mosaik christlichen Lebens verweben.
