Die Schwierigkeit liegt darin, daß es für den Christlichen Wissenschafter nicht einfach um die Entscheidung geht, ob er gelegentlich etwas Alkohol trinken soll oder nicht. Einige Leute meinen, daß ein wenig von der Flüssigkeit, die man Alkohol nennt, mäßig genossen, keine verheerenden physiologischen oder psychologischen Folgen haben könne. Doch eigentlich ist es nicht das Gläschen, das so unabsehbare Folgen hat, sondern das, was durch den Genuß dieses kleinen Gläschens symbolisiert wird.
Es gibt nur wenige Freiheiten, die so wertvoll sind wie die Fähigkeit, klar zu denken, Gedanken zu fassen, die weder doppeldeutig noch verworren sind. Im Grunde stellt der Alkoholgenuß einen Begriff dar. Er symbolisiert eine (tief eingewurzelte) Methode, geistige Freiheit aufzugeben. Er veranschaulicht, auf welche besondere Weise die Leute der Materie die Fähigkeit einräumen, ihre Denkvorgänge zu beeinflussen — oder sogar zu kontrollieren.
Wird unser Bewußtsein zunehmend durch den göttlichen Einfluß des Christus, der Wahrheit, statt durch den Materialismus regiert, dann wird unser Denken klar und rein. Ja, ein vom Christus geprägtes Denken gibt uns die einzig sichere Möglichkeit, eine Mentalität zu überwinden, die der Glaube an die Wirklichkeit der Materie gefangenhält. Mäßigkeit ist tatsächlich keine Lösung für geselliges Trinken, denn wir stehen in Wirklichkeit vor der Frage, ob wir bereit sind, ein gewisses Maß unserer Freiheit des Denkens aufzugeben. Für Christliche Wissenschafter geht es eigentlich nicht darum, wieviel Freiheit man aufgeben kann, sondern ob man sie überhaupt aufgeben soll.
Man kann der Frage nach ehrlicher Konsequenz nicht ausweichen. Wenn wir bereit sind, dem Übergriff auf unsere geistige Unabhängigkeit die Tür zu öffnen — einem Übergriff, der durch gelegentliches Trinken symbolisiert wird —, wie konsequent sind wir dann, wenn wir unter anderen Umständen versuchen, die Tür zuzuschlagen?
Überlegen wir einmal, was die Annahme von Furcht bedeuten kann. Wer ist bereit, die lähmenden Elemente des Zweifels und der Angst in sein Bewußtsein einzulassen? Sie rauben uns die Fähigkeit, klar und scharf zu denken. Bei einem Notfall in der Familie, bei einer wichtigen Entscheidung, in Zeiten der Anfechtung kann es von ausschlaggebender Bedeutung sein, daß man klar denkt — frei von aggressiver Furcht. Wie sicher können wir sein, daß wir uns in dringenden Fällen die Freiheit des klaren Denkens bewahren, wenn wir in anderen Situationen bereit sind, diese Freiheit aufzugeben? Um es noch einmal zu sagen, wir sprechen hier nicht von chemischen Vorgängen beim Trinken, nicht von der Trunkenheit. Wir erforschen die Einstellung, die dem Trinken zugrunde liegt — und die Frage, wie konsequent der Christliche Wissenschafter bei der Überwindung der Fesseln der Materie durch die Macht des Geistes ist.
Betrachten wir das in gewissem Sinne parallele Beispiel vom Glücksspiel. Wir widerstehen der Versuchung, am Geldspielautomaten oder in der Klassenlotterie zu spielen oder an einer der ständigen Verlosungen teilzunehmen, nicht weil wir uns die paar Mark dafür nicht leisten könnten oder weil wir uns nicht die Mühe machen wollen, einen Teilnehmerschein auszufüllen und abzuschicken, sondern weil wir nicht willens sind, in unser Denken die Vorstellung von einem glücklichen Zufall aufzunehmen. Wenn wir bereit sind, diese Auffassung bei einem kleinen Spiel zu dulden, auf welcher Grundlage können wir dann die Vorstellung von Zufall leugnen, wenn wir z. B. auf rutschigen Straßen fahren? Den Glauben an Zufall können wir entweder annehmen oder ablehnen. Und wir lehnen ihn ab, weil wir konsequent sein wollen; wir wollen unser Leben auf wirklich unerschütterliche Weise auf Gott ausrichten, das göttliche Prinzip, die Quelle des unfehlbaren, göttlichen Gesetzes.
Prinzip wird nicht in Bereiche eingeteilt, in denen es Gültigkeit hat, und in solche, in denen das nicht der Fall ist. Prinzip ist die eigentliche Substanz des Daseins; es offenbart Gottes unverrückbares Universum der Ordnung und Vollkommenheit; es ist unveränderlich, ewiglich gut. Wir lieben diese unsterbliche Wahrheit; und je tiefer unsere Liebe, um so umfassender ist der Schutz, der uns dadurch zuteil wird.
Auf ähnliche Weise hat die Freiheit, klar zu denken, eine völlig geistige Grundlage. Wir meiden den Alkohol nicht nur wegen seiner Wirkung auf den physischen Körper. Wir sind enthaltsam, weil wir die grundlegende Wahrheit lieben, daß das göttliche Gemüt Gott ist, unendlich, rein, sich seiner selbst immer bewußt, frei von Mißbrauch. Wir lieben die Tatsache, daß der Mensch die Klarheit des göttlichen Ego bezeugt und daß das individuelle Bewußtsein der genaue Ausdruck des allwissenden Gemüts ist. Wir enthalten uns des Alkohols, weil wir möchten, daß die Integrität geistiger Konsequenz sowohl unser Denken als auch unser Handeln kennzeichnet. Und für unsere Demonstration der Christlichen Wissenschaft ist das überaus wichtig.
Betrachten wir einen anderen Gesichtspunkt. Aus bestimmten Gründen eignen wir uns nicht das Bargeld aus der Kasse unseres Lebensmittelladens an. Es hat mit unserer Ehrlichkeit, Integrität, Moral zu tun. Wenn wir konsequent sind, werden uns die gleichen Gründe daran hindern, beim Einkauf eine Tafel Schokolade in unsere Tasche gleiten zu lassen. Der eine Diebstahl ist genauso unrecht wie der andere. Stehlen ist Stehlen. Die Einstellung, die einen Christlichen Wissenschafter von Trunkenheit abhält, ist dieselbe, die ihn gelegentliches Trinken meiden läßt. Ein auf der Grundlage der Konsequenz gelebtes Leben ist ein Leben, das auf intelligentere Weise Gott demonstrieren wird.
Manchmal wird angenommen, daß die Kirchen Christi, Wissenschafter, nur aus althergebrachten, prüden Gründen von den Bewerbern um Mitgliedschaft das Freisein vom Alkoholgenuß verlangen — oder bestenfalls, um dem einzelnen traditionelle religiöse Formen der Moral aufzuzwingen. Ja, an der Idee, zur Einhaltung einer festen moralischen Norm aufzufordern, ist etwas dran. Doch dahinter steht das Bemühen der Kirche, das Denken für die eigentliche Bedeutung der Freiheit zu erwecken — sie möchte im einzelnen den Wunsch wecken, die Tatsache zu demonstrieren, daß der Mensch das göttliche Gemüt, Gott, widerspiegelt, der es niemals zuläßt, daß Seine helle und klare Schöpfung verschwommen, verwirrt oder ungenau wird.
Einige Menschen geben zwar zögernd zu, daß völlige Enthaltsamkeit ihren Wert hat, doch sie ziehen es vor, ihre Entscheidungsfreiheit darüber zu wahren, ob sie etwas trinken. In gewissem Sinne vertreten sie den Standpunkt, daß man dem einzelnen die Entscheidung überlassen sollte, ob er ein gewisses Maß an Freiheit aufgeben will. Doch der Christliche Wissenschafter, der diese Meinung vertritt, empfindet schließlich ein tiefes Mißverhältnis; er läuft geradenwegs gegen eine feste Wand christlicher Metaphysik an. Die geistige Tatsache ist, daß der Mensch nicht die Möglichkeit hat, seine Unschuld aufzugeben. Gott hat nicht die Fähigkeit, den Menschen als Sünder zu schaffen — noch kann Er dem Menschen das Recht verleihen, ein Sünder zu werden.
In Wirklichkeit existiert der Mensch ewiglich als Gottes vollkommener Ausdruck. Die Zahl zehn kann es nicht ablehnen, die Summe von fünf plus fünf zu sein. Wasser kann sich nicht dafür entscheiden, nicht naß zu sein. In Wissenschaft und Gesundheit erklärt Mary Baker Eddy nachdrücklich: „Der Mensch ist der Sünde, der Krankheit und des Todes unfähig. Der wirkliche Mensch kann von der Heiligkeit nicht abweichen, noch kann Gott, der den Menschen entfaltet hat, die Fähigkeit oder die Freiheit zu sündigen erzeugen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 475.
Man kommt nicht an der Tatsache vorbei, daß das sterbliche Gemüt mit seiner Werbung für Alkoholgenuß einen grundlegenden Zweck verfolgt — auch denjenigen zu erreichen, der nur daran denkt, gelegentlich ein Gläschen zu trinken. Diese Absicht (die Einschränkung des Denkens) steht in direktem Gegensatz zu unserem Recht auf uneingeschränkte mentale Freiheit. Jeder von uns muß selber entscheiden, ob er sich weigert oder willens ist, auf seine Freiheit zu verzichten.
Sind wir zu Kompromissen bereit, dann sollten wir auch ehrlich genug sein, zuzugeben, daß wir für alles, was der Alkohol der Menschheit bringt, eine Last der Verantwortung tragen, wenn wir den Annahmen, die dem Trinken zugrunde liegen, unsere Unterstützung geben. Und der Alkohol bringt nicht nur das vermeintliche Vergnügen, sondern auch die physische, moralische und geistige Verwüstung, die viele Menschen erleben und die die Familien, Firmen, ja unsere ganze Gesellschaft beraubt. Wer z. B. auf die gegenwärtigen aufdringlichen Bemühungen der Weinindustrie, dem Trinken ein besseres Ansehen zu verleihen, hereinfallen sollte, kann sich nicht davon freisprechen, eine Vorstellung unterstützt und gestärkt zu haben, die es auf des Menschen geistige und mentale Klarheit abgesehen hat.
Ja es wäre so einfach, wenn es nur um einige wenige Gläschen ginge. Es ist naiv zu meinen, das wäre alles. Wenn wir erkennen, wieviel auf dem Spiel steht, werden wir anfangen, mehr über den Christus nachzudenken, die wahre und reine Idee Gottes — und wir werden beginnen, so konsequent wie möglich nach diesem Vorbild zu leben. Damit treffen wir nicht nur eine weise menschliche Entscheidung, denn wenn wir dem Christus folgen, finden wir den Mut, Zugeständnisse abzulehnen, die Elemente der Unehrlichkeit einschließen und deshalb unsere Integrität beeinträchtigen.
Paulus fordert uns auf: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen!“ Gal. 5:1. Der Christus gibt uns den geistigen und moralischen Mut, den Standpunkt zu vertreten, der nicht nur unseren eigenen Fortschritt fördert, sondern den der ganzen Menschheit.