Manchmal muß man feststellen, daß die Menschen sich nicht im klaren sind, was unter einer Vergeistigung des Denkens zu verstehen ist. Sie sprechen von geistigem Blut, geistigem Herzen, geistigen Knochen — ja, sie mögen versuchen, den ganzen Körper in eine geistige Umgebung zu versetzen, in der er wie auf Erden, jedoch harmonisch, funktionieren würde.
Mrs. Eddy beginnt ihre Antwort auf die Frage: „Was ist der Mensch?“ mit den Worten: „Der Mensch ist nicht Materie; er besteht nicht aus Gehirn, Blut, Knochen und anderen materiellen Elementen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 475. Und sie vermittelt uns sanft, aber bestimmt die Vorstellung, daß der Mensch Gottes Idee ist. Da Gott Geist ist — der keine Beziehung zur Materie oder zum materiellen Gedanken hat —, kann der geistige Mensch als Sein Ebenbild und Seine Idee nicht aus körperlichen Elementen bestehen. Der materielle Sinn sagt, daß dem so sei, aber der geistige, wirkliche Sinn verneint es nachdrücklich.
Das Denken zu vergeistigen bedeutet nicht, eine materielle Vorstellung von der Welt in eine sogenannte geistige Welt zu versetzen. Die geistige Wirklichkeit schließt die Materie aus, da Gott Geist ist. Wir entmaterialisieren unsere Mentalität, indem wir uns von materiellen Vorstellungen und Formen abwenden. Wir erkennen die Substanz der wahren Natur des Menschen, der unkörperlichen Idee, und beginnen sie zu beweisen: Leben als geistiges Sein, nicht als materiellen Körper; Liebe als selbstlose Güte, nicht als persönlichen Besitz oder persönliches Interesse; Seele als geistigen Sinn, nicht als persönliche Gefühle und Neigungen. Wir entdecken, daß Gemüt göttliche Intelligenz ist, die uns immer zur Verfügung steht; sie zeigt sich in der Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit wahrzunehmen und zu verstehen, aber nicht als eine Form von persönlicher Intelligenz, die in einer Art geistigem Gehirn sitzt. Der Mensch ist kein ätherischer Körper, der von seiner eigenen altgewohnten, doch ätherisch gewordenen Welt umgeben wird. Der Mensch besitzt unbegrenzte Individualität und bringt Gottes Eigenschaften frei und natürlich zum Ausdruck.
Mit den materiellen Sinnen nehmen wir viele materielle Gegenstände wahr, die durch Form und Quantität mehr oder weniger begrenzt sind. Durch den geistigen Sinn sehen wir (anstelle von Personen und Dingen) Ideen, Begriffe, göttliche Eigenschaften, die — individuell, aber nicht personifiziert — zahllos und unbegrenzt sind, da sie den unendlichen Geist bekunden. Mrs. Eddy schreibt: „Der Gedanke wird schließlich verstanden und in aller Form, aller Substanz und Farbe geschaut werden, aber ohne materielle Begleiterscheinungen.“ Ebd., S. 310.
Geistiges Verständnis ist nicht mit materiellen Formen, Dingen und Persönlichkeiten belastet, wie sehr wir auch gewohnt sein mögen, alles so zu sehen. Gewiß, es braucht Zeit, bis wir unsere Erkenntnis der Wahrheiten des Seins in der Demonstration verankern können. Wenn wir aber an Geistigkeit zunehmen wollen, sollten wir materiellen Annahmen immer weniger Beachtung schenken, dienen und gehorchen. Können wir es uns leisten, uns für das Studium der Christlichen Wissenschaft lediglich widerstrebend Zeit zu nehmen — auch wenn es sich bloß um eine Stunde am Tag handelt — oder auf Gespräche, Belustigungen und Unternehmen, die unnötig und unproduktiv sind, nur ungern zu verzichten? Wenden wir diese Wissenschaft wirklich an?
Wenn Christliche Wissenschafter einen unharmonischen körperlichen Zustand heilen wollen, denken sie weder über die Zusammensetzung des Blutes und die Verfassung der Muskeln oder Knochen nach, noch stellen sie materielle Diagnosen. Das fällt in den Bereich des Arztes. Der Christliche Wissenschafter befaßt sich mit Metaphysik — mit Gedanken, die Gottes Vollkommenheit anerkennen —, und nicht mit dem physischen Körper oder dessen Gliedern und Organen. Er bemüht sich, die Gedanken vom Körper, seiner Verfassung und den damit verbundenen Annahmen abzulenken. Dies hilft ihm, sich selbst oder seinen Patienten von begrenzten, körperlichen Vorstellungen vom Selbst zu befreien. Er verneint die Materie und bestätigt die geistige Identität des Menschen (nicht etwa eine vergeistigte materielle Form). Er sieht den Menschen nicht mehr als eine komplizierte Kombination von physischen, chemischen und anderen materiellen Gesetzen, die unerwarteten oder herkömmlichen Störungen unterworfen ist.
Leicht schleicht sich die Suggestion ein: O weh! Darüber muß ich wirklich nachdenken. Ich werde mich morgen oder in den Ferien damit befassen oder wenn ich nicht mehr für dieses Kirchenamt zu arbeiten habe oder wenn ich pensioniert bin — irgendwann einmal, nur nicht gerade jetzt! Aber die Wahrheit über die Situation ist jetzt wahr (und ist es immer gewesen), da Gott stets gegenwärtig ist.
Es ist immer einfacher, sofort für die Wahrheit einzustehen, als einen unharmonischen Anspruch oder Glauben aus dem Denken und der Erfahrung ausrotten zu müssen, wenn er erst einmal in unserem Bewußtsein verwurzelt ist und wir uns an ihn gewöhnt haben. Mrs. Eddy ermahnt uns: „Dulde nicht, daß der Anspruch von Sünde oder Krankheit in deinen Gedanken großwachse. Weise ihn mit der dauernden Überzeugung von dir, daß er unrechtmäßig ist, da du weißt, daß Gott ebensowenig der Urheber von Krankheit wie von Sünde ist.“ Ebd., S. 390.
Sie lehrt uns auch unmißverständlich, Probleme vom Standpunkt der Vollkommenheit aus anzupacken: „Das christusgleiche Verständnis vom wissenschaftlichen Sein und vom göttlichen Heilen umfaßt als Grundlage des Gedankens und der Demonstration ein vollkommenes Prinzip und eine vollkommene Idee — einen vollkommenen Gott und einen vollkommenen Menschen.“ Ebd., S. 259. Das ist aktive Vergeistigung des Denkens!
Wenn die Jünger an der Vollkommenheit des Menschen festgehalten hätten, als der an Epilepsie leidende Knabe zu ihnen gebracht wurde, anstatt sich von den Umständen beeindrucken zu lassen, hätten sie den Fall heilen können. Ihr Meister, Christus Jesus, erlöste das leidende Kind umgehend. Siehe Matth. 17:14–21. Dasselbe gilt für uns. Solange wir uns von irgendeinem Ausdruck der Materie oder des sterblichen Gemüts faszinieren, beängstigen oder ärgern lassen, erkennen wir seine Macht an und können deshalb keine Herrschaft darüber ausüben. Wir müssen als erstes über das Problem hinausschauen, um die geistige Wirklichkeit wahrzunehmen. Der nächste und entscheidende Schritt ist, die geistige Wirklichkeit nicht nur zu behaupten und es dabei zu belassen, sondern sie zu glauben und auf ihr zu beharren, bis wir sie auf ganz natürliche Weise klar und deutlich verwirklicht sehen. Häufig begehen wir den Fehler, eine halbwegs erschaute und nicht wirklich verstandene Tatsache lediglich auszusprechen. Wir müssen sie verstehen und beweisen und fest erwarten, daß sie sofort sichtbar wird.
Das von materiellen Vorstellungen befreite Denken, das so inspiriert ist, daß es den Beweis der Vollkommenheit wahrnimmt, wird vom ehemaligen Glauben an die Materie und Begrenzungen nicht mehr behindert und ist geistig rege.
Anfangs werden wir uns der Wirklichkeit nur für Augenblicke bewußt. Wenn wir weiterhin, nicht nur gelegentlich, sondern beständig auf unser Ziel, unsere Vergeistigung, hinarbeiten — wie man das auf jedem Gebiet tun muß —, werden wir unweigerlich mehr Freude finden und mehr Herrschaft gewinnen. Die Vergeistigung des Denkens ist keine anstrengende, ermüdende Aufgabe. Es ist das Sichtbarwerden der Wirklichkeit — ein unaufhörlicher Segen.