Mein Freund ist ein Metaphysiker, der viel nachdenkt. Wir kamen auf das Problem des Seins zu sprechen, darauf, was der Mensch ist und was das Wesen der Wirklichkeit ausmacht.
„Was, glaubst du, würde mein Erleben jetzt, in diesem Augenblick, sein, wenn meine Eltern sich dafür entschieden hätten, keine Kinder zu haben?“ fragte ich.
„Nun“, witzelte er, „du würdest mich jetzt wahrscheinlich nicht mit einer solchen Frage in Verlegenheit bringen.“
Als ich in den letzten paar Jahren mehr darüber nachdachte, gelangte ich zu der Überzeugung, daß eine solche Frage im Grunde darauf hindeutet, daß man auf andere Sterbliche schaut, um seine eigene gegenwärtige Existenz zu erklären. „Aber“, so würden sich wohl die meisten Leute fragen, „haben die Eltern denn nicht die Grundlage dafür gelegt, daß man sich als Sterblicher betrachtet?“ Die Antwort scheint klar zu sein; dennoch ist sie nicht so einfach.
Ich habe mich manchmal gefragt, ob mein Dasein hier nicht irgendwie mit meiner eigenen Zustimmung zusammenhängen könnte. Aber wie? Welche Rolle könnte ich gespielt haben? Anstatt mich mit solch einer Möglichkeit herumzuschlagen, fand ich es gewöhnlich viel leichter, einfach hinzunehmen, daß ich hier war — ohne eine persönliche Meinung über die Ursprünge dieser sogenannten menschlichen Reise zu haben. Dann — es ist noch nicht lange her — hatte ich das Bedürfnis, gründlicher über eine Feststellung Mrs. Eddys zu beten, die zum Denken anregt: „Diejenigen, die in der Christlichen Wissenschaft nicht unterrichtet sind, verstehen in Wirklichkeit nichts von dem materiellen Dasein. Man glaubt, daß die Sterblichen ohne ihre Zustimmung auf Erden sind und daß sie ebenso unfreiwillig wieder entfernt werden, ohne zu wissen warum und wann.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 371.
Die Christliche Wissenschaft hatte mir geholfen zu verstehen, daß das Sichentfernen einer Person von der menschlichen Szene wissenschaftlich nicht als „unfreiwillig“ bezeichnet werden konnte; das sterbliche Gemüt stimmt ganz gewiß der Vorstellung vom Tode zu, ja es entwirft sie sogar. Aber dennoch mußte ich genauer über die Frage nachdenken, die mich beschäftigte, nämlich ob man seine Zustimmung dazu gibt, daß man hier ist. Allmählich fing ich an zu erkennen, daß das sterbliche Gemüt ganz sicher der Geburt in der Materie zustimmt. Und in dem Maße, wie ich ein materielles Gemüt als meinen wahren Bewußtseinszustand akzeptierte, gab ich die Zustimmung.
Sie träumen vielleicht, daß Sie ein Bär seien. Ihre mentale Zustimmung innerhalb dieses Traumes macht Sie aber nicht zu einem Bären — nicht einmal wenn Sie annehmen, daß Sie zunächst ein Junges seien und sich schließlich zu einem ausgewachsenen Bären entwickelten. Wie lebhaft die Einbildungskraft auch sein mag, Sie sind immer noch kein Bär. Sie müssen früher oder später aufwachen. Im wachen Zustand ist es viel leichter zuzugeben, daß Ihre Identität nichts mit einem Bären zu tun hatte.
Ein Sterblicher mag den Menschen als materiell betrachten; aber eine solche Vorstellung, wie hartnäckig sie auch vertreten wird, kann das vollkommene Kind des Geistes nicht neu erschaffen. Wir können jederzeit beginnen, der Vorstellung, daß der Mensch in der Materie existiere oder sich jemals in ihr entwickelt habe, unsere Zustimmung zu entziehen. Sobald wir erkennen, daß unser wahres Sein seinen Ursprung in Gott hat, erwachen wir zu einem geistigeren Begriff vom Dasein.
Alle Vorgänge vollziehen sich in der Gegenwart
Betrachtet man die Frage der Zustimmung genauer, eröffnet sich eine vollständig andere Lebensperspektive — und die Fähigkeit, das Leben in eine neue Richtung zu lenken. Wenn wir die Voraussetzung akzeptieren, daß Sterbliche den Menschen in die Sterblichkeit hineinversetzt haben, ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Eine solche Annahme hilft, einen festen Grundstein für nahezu alle Klagen darüber zu legen, daß wir uns in einer unangenehmen Situation befinden, an der andere schuld sind. Weil die Nachbarn so viel Lärm machen, sind wir ungehalten. Aufgrund dessen, was ein Freund gesagt oder wie ein Arbeitgeber gehandelt oder was die Regierung getan hat, sind wir in eine schwierige oder sogar unerträgliche Lage geraten.
Ändern Sie Ihre Einstellung. Beginnen Sie, der Behauptung Ihre Zustimmung zu entziehen, daß Sie ursprünglich in diese Lage hineinversetzt wurden. „Aber ich habe meine Zustimmung überhaupt nicht gegeben“, wenden Sie vielleicht ein. Trotzdem erinnert uns Wissenschaft und Gesundheit daran, daß man nur glaubt, die Sterblichen seien „ohne ihre Zustimmung auf Erden“.
Der christliche Metaphysiker entschuldigt sich nicht mit dem Begriff von „Zeit“, d. h. mit dem Argument: „Das geschah, bevor ich etwas darüber wußte.“ Die göttliche Wissenschaft durchdringt den Zeitfaktor und zeigt, daß alle Vorgänge eine Sache des gegenwärtigen Auffassungsvermögens sind; von dem exaktesten Standpunkt aus gesehen, stellen sie nicht eine Folge von Geschehnissen dar, die auf bestimmte Tage über eine Reihe von Jahren verteilt sind. Eine Situation wird nicht angemessen definiert, wenn wir sie als einen Vorgang beschreiben, der zu einem „anderen Zeitpunkt“ stattfindet. Jetzt, in diesem Augenblick, haben wir eine Auffassung, eine Vorstellung von den Ereignissen. Unsere Auffassung kann sich über einen weiten Bereich von Erscheinungsformen erstrecken. Wir können bei ihnen verharren und sogar annehmen, daß wir in diesem Geschehen eine Rolle spielten. Ganz allgemein gesprochen, betrachten wir uns als Sterbliche — als krank oder gesund, jung oder alt, glücklich oder traurig. Wir können den materiellen Bedingungen zustimmen, oder wir können anfangen, sie abzulehnen. In dem Maße, wie wir Gott als die einzige Quelle des Seins anerkennen, weisen wir die Sterblichkeit mit ihren Begrenzungen zurück und überwinden sie.
Es genügt nicht, zu argumentieren: „Ich wurde vor einigen Jahren in die Materie hineingebracht. Jetzt muß ich mich aus dieser herausarbeiten.“ Wir müssen uns in jedem Augenblick entscheiden, ob wir bereit sind, einem Anfang in der Materie, d. h. der Begrenzung, zuzustimmen. Das sterbliche Gemüt bietet uns durch die Materialität eine fortwährend in Begrenzungen hineinführende Geburt. Das Sichtbarwerden in der Materie, ein sterblicher Sinn des Daseins, hat sich ebensowenig in der Vergangenheit vollzogen, wie es sich in diesem Augenblick vollzieht. Selbst jetzt bestimmen wir durch unser Denken und Handeln unseren Ursprung. Und in diesem Augenblick können wir uns zugunsten der Wahrheit entscheiden: Wir können die Tatsache akzeptieren, daß Gott, Geist, jetzt und immerdar Vater und Mutter des Menschen ist, daß Gott den Menschen vollkommen erhält; daß Seine Schöpfung niemals den Gedanken akzeptiert, man werde in den Irrtum hineingeboren.
Es ist ein großer Trost, wenn wir anfangen zu erkennen, daß wir nicht anderen Menschen oder bestimmten Umständen ausgeliefert sind, ganz gleich, wie die Situation aussehen mag, in die wir verwikkelt zu sein scheinen. Wir brauchen nicht gegen unsere eigenen Interessen zu argumentieren, indem wir annehmen oder sogar darauf bestehen, daß andere uns ursprünglich in die Materialität hineinversetzt haben; noch brauchen wir uns der Vorstellung zu unterwerfen, daß uns heute Menschen oder Ereignisse an die zahlreichen Disharmonien der Materie fesseln. Wir können anfangen, unsere eigene Zustimmung zu entziehen; das ist ein bedeutender, ja unerläßlicher Schritt, um unsere Befreiung zu erlangen.
Wiedergeburt durch den Christus
Offensichtlich erfordert ein Entziehen unserer Zustimmung weit mehr als richtige Behauptungen, um einen Leidenden z. B. von Krankheit zu befreien. Eine tiefere Liebe zur Wahrheit ist notwendig. Es mag allgemein die Vorstellung bestehen, daß Krankheit durch Ansteckung hervorgerufen oder von einem Vorfahren auf dem Wege der Vererbung übertragen werde oder daß sie sich aufgrund eines Unfalls entwickelt habe. Solche Annahmen müssen sehr wohl im Gebet eingehend widerlegt werden. Im Grunde aber ist es entscheidend, die Zustimmung, die das sterbliche Gemüt der Krankheit gibt, zu erschüttern und zurückzunehmen.
Was wir brauchen, ist eine Veränderung unserer Denkweise. Das bedeutet nicht, daß wir einfach unser Denken zwingen, einen anderen Gesichtspunkt anzunehmen; wir müssen es buchstäblich ändern, d. h., wir müssen die Annahme aufgeben, daß unser Gemüt sterblich sei, und statt dessen das göttliche Gemüt als unser Gemüt akzeptieren, als unsere einzige Grundlage der Intelligenz. Dieses Gemüt stimmt niemals dem Bösen zu, noch kennt es dasselbe. Die geistige Wiedergeburt, die durch den Christus bewirkt wird, befähigt uns anzuerkennen, daß der Mensch immer Gott, Gemüt, zum Ausdruck gebracht hat; nur dann sind wir in der Lage, unsere Zustimmung zu Sünde oder Krankheit völlig zu verweigern. Und ein wachsendes und freudiges Erkennen der ewigen Einheit des Menschen mit Gott stärkt unseren Mut, so daß wir einer angeblichen Geburt und Entwicklung in der Materie nicht mehr unsere Zustimmung geben.
Auf welcher Grundlage können wir ehrlichen Herzens der Disharmonie unsere Zustimmung versagen? Nur auf der Basis, die Christus Jesus darbot. Er hatte die Lösung für die Annahme, daß der Mensch von Gott getrennt sei, daß er sich materiell entwickele und durch die Sterblichkeit gebunden sei. „Ich und der Vater sind eins“ Joh. 10:30., lehrte er. Er sagte nicht: „Ich und der Vater waren früher eins“ oder: „Eines Tages werden ich und der Vater eins sein.“ Er stimmte nur einer gegenwärtigen (ewigen) Einheit mit Gott zu. Und er forderte jeden von uns auf, damit anzufangen, unser Einssein mit Gott mehr zu akzeptieren. Es war Jesu Lebensaufgabe, die unauflösliche Beziehung des Menschen zur göttlichen Liebe klar darzulegen. Er demonstrierte die Fähigkeit, die Zustimmung zur Sterblichkeit zu entziehen.
Jesu Leben und Werke haben gezeigt, daß wir unser Leben nicht länger auf der Basis zu führen brauchen, auf der Krankheit und Sünde grundlegend akzeptiert werden. Vielleicht haben wir starke Anstrengungen gemacht, diesen Übeln zu widerstehen; wir werden jedoch nur dann wirklich aufhören, Unmoral, Krankheit oder Furcht zu akzeptieren, wenn wir anfangen zu erkennen, daß das wahre Sein des Menschen, seine geistige Natur, niemals sterblich gewesen ist.
Wir mögen nur ungern zugeben, daß wir ursprünglich der Annahme zugestimmt haben, daß unser eigenes Dasein in der Materie begonnen habe. Doch wir müssen anfangen, dieses Zugeständnis aufzugeben — und wir werden dies auch tun, wenn wir entdecken, daß der Mensch den Bereich des unendlichen Lebens niemals verlassen konnte, um sich in die Begrenzungen der Materie zu begeben.
Mrs. Eddy schreibt: „Du magst behaupten, daß die Sterblichen gebildet werden, ehe sie denken oder etwas von ihrem Ursprung wissen, und du magst ferner fragen, wie die Annahme ein Resultat beeinflussen kann, das der Entwicklung dieser Annahme vorangeht.“ Ja, wie konnte denn unsere jetzige Vorstellung, daß wir materiell seien, Einfluß auf die Geburt haben, die vor dieser jetzigen Auffassung lag? „Es läßt sich darauf nur erwidern“, fährt Mrs. Eddy fort, „daß die Christliche Wissenschaft enthüllt, was ‚kein Auge gesehen hat‘ — ja die Ursache von allem, was existiert —, denn das Weltall, einschließlich des Menschen, ist so ewig wie Gott, der dessen göttliches unsterbliches Prinzip ist.“ Wenn man in dieser Erklärung Ewigkeit, nicht Zeit, als den Schlüssel betrachtet, wird man ganz natürlich zu der Schlußfolgerung geführt, die Mrs. Eddy darlegt — einer Schlußfolgerung, der wir schließlich alle zustimmen müssen: „Es gibt gar keine Sterblichkeit noch im eigentlichen Sinne irgendwelche sterbliche Wesen, weil das Sein unsterblich ist wie die Gottheit — oder besser gesagt, das Sein und die Gottheit sind untrennbar.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 553.
In Wahrheit geht alle Wirkung von Gott aus. Und Er ist nur die Ursache guten, unsterblichen Daseins. Niemand anders als Gott kann unsere Identität bestimmen. Und wir können die Demut in uns zur Entfaltung bringen, die uns dazu befähigt, allem unsere Zustimmung zu verweigern, was geringer als gottähnlich sein soll: Ob es sich nun um die Aufforderung handelt, die Geburt in der Materie zu akzeptieren, oder um das Problem, sich durch materielle Bedingungen hindurchzukämpfen, oder um die Furcht, die Materie verlassen zu müssen. Tatsächlich entdecken wir, daß wir als Menschen in Wahrheit niemals unsere Zustimmung dazu gegeben haben, Gott unähnlich zu sein. Der Mensch, der immer in der Gegenwart Gottes bleibt, ist unsere Bestimmung, weil er stets wahr ist.